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Schon Ende des 19. Jahrhunderts hatten Taschen-Uhren von Herstellern wie Elgin oder Waltham einen Glasboden – ursprünglich aber nur spezielle Vorführmodelle, damit Verkäufer ihren Kunden die Mechanik erklären und Werksdekorationen zeigen konnten, ohne mühsam den Boden abschrauben zu müssen. Herr von Welt wollte ja schließlich nicht die Katze im Sack kaufen!

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Audemars Piguet-Taschenuhr, Bild: Phillips.

Dennoch waren Stahl- bzw. Goldböden bei Taschen- und Armbanduhren noch viele Jahrzehnte lang gesetzt – sowohl bei “dressigen” Modellen als auch bei sportlich-funktionalen Uhren von Herstellern wie Rolex.

Eine Ausnahme (und eine der ersten Armbanduhren mit Glasboden überhaupt) war die Omega Seamaster Kleerback, die in den 60er Jahren mit einem Boden aus hochgewölbtem Hesalitglas kam. Solche Modelle blieben aber zunächst ein absolutes Nischenprodukt. Und dann kam ohnehin die Quarz-Krise und machten Glasböden obsolet, da der Blick auf Elektronik und Batterie das Blut von Uhrenfreunden höchstselten in Wallung bringt.

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Seiko VK61 Mecaquarz Undone
Die absolute Ausnahme: Ein (Meca-)Quarz-Werk mit Glasboden

Nüchtern betrachtet: Stahlboden schlägt Glasboden (fast) immer

Der Rolex-Konzern “wehrt” sich bis heute vehement dagegen Glasböden einzusetzen: Mehr als ein schmuckloser Stahlboden ist sowohl bei Rolex als auch bei der Tochtergesellschaft Tudor bei (fast) keinem Modell drin (Ausnahmen wie die relativ neue Tudor Black Bay Keramik M79210CNU bestätigen die Regel).

Die Genfer sind offenbar ziemlich praktisch veranlagt, denn aus rein funktionaler Sicht hat ein Stahlboden tatsächlich (fast) nur Vorteile:

  • Ein Stahlboden kann in aller Regel flacher konstruiert werden als ein Boden mit Sichtfenster. Das zahlt auf den Tragekomfort ein.
  • Er bietet grundsätzlich einen größeren Schutz gegenüber Magnetfelder (mehr über Uhren und Magnetismus).
  • Stahlböden lassen sich besser gravieren (siehe Artikel über Uhren gravieren).
  • Im Vergleich zu Glasböden sind keine zusätzlichen Dichtungen notwendig – dadurch ist der Stahlboden weniger anfällig für Undichtigkeiten bzw. Wassereintritt und
  • insgesamt ist ein Stahlboden auch günstiger in der Produktion, da ein Sichtfenster ein deutliches Plus an Präzision in der Produktion, zum Beispiel für die Dichtungen und das Glas, verlangt.

Nur ein Vorteil sei bei Glasböden genannt: Uhrenfreunde, die eine Nickel-Kontaktallergie haben, haben mit Glasböden sicherlich deutlich weniger Hautprobleme (mehr über Uhren und Allergien hier).

In der Summe ist es mit Blick auf die vielzähligen Vorteile kein Zufall, dass viele Uhren und insbesondere funktionale Taucheruhren mit hoher Wasserdichtigkeit normalerweise mit einem Stahlboden kommen.

Wann ein Uhren-Glasboden ein “Must Have” ist

Rolex ist aber eher die Ausnahme: Irgendwann entdeckten Uhrenhersteller, die sich im Premium- oder Luxusbereich positionieren, dass es vielleicht keine so schlechte Idee ist, die Mechanik einer Uhr selbstbewusst durch einen Glasboden zu präsentieren. Einer der Vorreiter dabei war Chronoswiss – und auch, wenn der in Luzern ansässige Uhrenhersteller heute eher unter dem Radar fliegt, kommen nach wie vor primär Glasböden in Verbindung mit schönen Dekorationen zum Einsatz:

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So auch bei Glashütte Original und der Taucheruhr SeaQ (Panoramadatum), die hier beispielhaft genannt sei: Prägend für die Gesamtoptik des Kalibers ist die sogenannte Glashütter Dreiviertelplatine, die – wie der Name schon sagt – circa drei Viertel des gesamten Kalibers überspannt. Die Glashütter Dreiviertel-Platine ist ein typisches Merkmal traditioneller Glashütter Uhrmacherkunst und verleiht dem Uhrwerk zusätzliche Stabilität – und bietet eine Menge Platz für schöne Dekorationen, die gezeigt werden wollen: So kommt die Dreiviertelplatine bei der SeaQ Panoramadatum mit einem feinen Zierschliff, dem sogenannten Glashütter Streifenschliff, der ebenfalls auf die Anfangstage der Glashütter Uhrmacherei zurückgeht und das Pendant zum Genfer Streifenschliff darstellt. Zum Einsatz kommen ferner unter anderem polierte und thermisch gebläute Schrauben.

Als i-Tüpfelchen kommt eine Rotor mit vergoldetem Doppel-G Symbol sowie einer Schwungmasse aus 21-karätigem Gelbgold zum Einsatz. Der Rotor ist dabei skelettiert, um den Blick auf die dahinterliegende Finissage zu ermöglichen.

Bei all diesen optischen Leckerbissen wäre es doch eine Schande, wenn diese hinter einem Stahlboden versteckt wären, oder?

Glashuette Original SeaQ Panoramadatum Test Erfahrungen 18
Glashuette Original SeaQ Panoramadatum Test Erfahrungen 17
Glashuette Original SeaQ Panoramadatum Test Erfahrungen 19

Uhren-Glasboden: Kleine Kunstwerke

Und dann gibt es sie natürlich auch noch: Uhrwerke, die richtige kleine Kunstwerke sind und bei denen ein Glasboden quasi ein Must Have ist – so wie bei der TAG Heuer Monaco Piece d’Art, eine Einzelanfertigung, dessen Vintage-Calibre 11 aus dem Jahre 1969 verschiedenen Handgravuren spendiert bekommen hat, darunter Schriftzüge im Stil der 1970er-Jahre (“cal. eleven” und “Monaco Swiss”). Ende 2019 kam das Einzelstück für über 80.000 US-Dollar unter den Hammer.

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Bild: Phillips
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Vorher – nachher

Der in der Nähe von Hagen ansässige Uhrenhersteller Tourby ist spezialisiert auf imposante Handgravuren: Ein extra für diesen Zweck angestellter Graveur-Meister setzt auf Basis von Zeichnungen oder anderen Vorlagen die Wunsch-Gravur des Kunden um (z.B. auf dem Rotor eines Automatikmodells) – das kann schon mal mehrere Tage dauern, weshalb solche Meisterwerke natürlich über einen Glasboden gezeigt werden müssen:

Handgravur Tourby Hagen NRW

Dass man nicht unbedingt den Wert eines Luxuswagens für eine Uhr mit toll dekoriertem mechanischem Uhrwerk auf den Tisch legen muss, beweist Alexander Shorokhoff, der sich mit seiner Marke auf avantgardistisches Design und üppig dekorierte Werke spezialisiert hat, bei denen es richtig viel Laune macht, die vielen Details zu entdecken:

Gar nicht mal so schön: Uhren mit Glasboden und (fast) undekorierter Stangenware

Irgendwann begannen auch Uhrenhersteller im günstigeren Preissegment auf inflationäre Art und Weise Glasböden zu verbauen – auch, wenn der Blick auf das dahinterliegende Werk alles andere als eine Augenweide ist. Hier ein paar Beispiele von Uhren, die ich in den letzten Jahren getestet habe:

Gar nicht mal so schön: Das Seiko NH36 in einer Pagani Design / Bersigar China-Uhr
Gorilla Watches Uhren Fastback GT Blue Demon Test 4
Das Miyota 90S5 in der Gorilla Fastback GT kommt nur mit einem einfachen Marken-Branding auf dem Rotor
Auch kein besonderer Augenschmaus: Das Miyota 821A in der VANDAAG Tiefsee
Invicta 8926OB Pro Diver Seiko NH35A
Immerhin ein dekorierter Rotor: Das NH35 in der Invicta 8926OB Pro Diver Automatic

Und nein, auch Glasboden-Drucke helfen nicht wirklich, um über schmucklose Stangenware hinwegzutäuschen – die machen das Erscheinungsbild eher unruhig. Hier am Beispiel der Seiko 5 Sports Automatik bzw. der Seiko Street Fighter Sonderedition (rechts):

Seien wir mal ehrlich: Einen solchen Anblick braucht kein Mensch, oder?

Ausnahmen bestätigen die Regel: Cornelius Huber, der die Familien-Uhrenmarke Circula wiederbelebt hat, hat für das (schon lange ausverkaufte) Modell Circula Heritage einen Bestand mechanischer Werke der Pforzheimer Uhren-Rohwerke GmbH (PUW), konkret das PUW 561 Handaufzugswerk und das PUW 1661S Automatikwerk aus den 70ern in ungebrauchten Neuteilen erwerben können – es handelt sich anders gesagt um New Old Stock-Ware, kurz NOS, das heißt neue Ware aus altem Lagerbestand. Die Kaliber sind – wenn man ehrlich ist – alles andere als schön anzusehen. Dennoch ist es meiner Meinung nach absolut sinnvoll gewesen, dass Circula diese durchaus besonderen Werke durch einen Glasboden sichtbar gemacht hat.

Summa summarum ist ein Glasboden für mich niemals ein ausschlaggebendes Kaufkriterium – schließlich trage ich meine Uhren nicht mit dem Boden nach oben am Arm. Dennoch kann ein Glasboden bei schick dekorierten Kalibern ein sehr feines “Extra-Bonbon” sein. Gleichzeitig dürfen nicht weiter dekorierte Standardkaliber meiner Meinung nach gerne auch hinter Stahlböden versteckt bleiben – und der Stahlboden wiederum darf natürlich auch sehr gerne mit schicken Gravuren kommen, am liebsten schön tief und reliefartig wie bei der Laco Frankfurt GMT oder der Circula Supersport:

Jetzt seid ihr an der Reihe: Hinterlasst gerne in der folgenden (anonymen) Umfrage euer Feedback zum Thema Uhren-Glasboden. Auch Kommentare im Kommentarbereich unten sind natürlich mehr als willkommen!

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11 Kommentare
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Werner
2 Jahre zurück

Moin Mario, wieder ein schöner Beitrag zum Thema Glasboden, toll fotografiert und klug kommentiert. Bei Kalibern aus Glashütte (Lange, Glashütte, Nomos, Moritz Grossmann etc.) oder der Schweir (AP, Hublot, Patek, Greubel, GP, Jaeger etc.) wird so viel Arbeit in die Veredelung gesteckt, daß es schon ärgerlich wäre, diese “Kunstwerke” zu verstecken. Wer mal für kleines Geld einen Venus Klon beobachten möchte, dem empfehle ich die Sea-Gull 1963 bei Bartels Watch mit Glasboden und Schwanenhals-Regulierung, eine Augenweide. Danke Mario für die top Aufbereitung dieses interessanten Themas. LG Werner

Othmar
2 Jahre zurück

Ich finde das Argument von Helmut, dass Fälschungen mit Glasboden besser bekämpft werden können, als sehr gewichtig.
Aber ein Artefakt das weniger kompliziert aufgebaut ist, hält länger. Und das möchte doch jeder! Außer – der Sammler. Je mehr und je schneller die Objekte seiner Begierde am Handgelenk des puren Verbrauchers in winzige Rostpartikel zerfallen, desto wertvoller wird sein gehätscheltes “ungetragen mit Box und Papieren”. Da wird der Ladenhüter von damals auch mal zur Ikone der Neuzeit.
Drum halten wir’s mit Mallard: Die Wahlmöglichkeit ist die beste Lösung.

Mallard
2 Jahre zurück

Wieder mal ein sehr lesenswerter Beitrag. Ich finde es auch bei einfachen Werken schön, wenn man denen bei der Arbeit zusehen kann, nicht jeder kann sich das hevorragende Beispiel aus Glashütte leisten. Aber ich sehe auch den Vorteil des Stahlbodens (auch z.B. für eine personalisierte Gravur) und wenn ich das gleiche Werk schon mehrfach in der Sammlung habe, dann brauche ich da keinen Glasboden mehr. Am besten ist es für mich daher, wenn der Hersteller ein Wahlmöglichkeit bietet, dann kann jeder sebst entschieden, was er mag.

Franko007
2 Jahre zurück

Was soll das immer mit Rolex?
Ich finde diese Uhren unscheinbar und mickrig.
Dieser Hype ist mir unverständlich.
Hier sollte man den Glasboden nach oben tragen!
🙄🙄🙄🤗

Django
2 Jahre zurück

Danke für den Artikel, dem Thema hat bisher, glaube ich, niemand Zeit geschenkt und erwähnt.
Ich bin ein Fan von Glasböden und mir ist es egal, ob es schön verziert ist oder nur ein Standard von z.B. Seiko oder Vostok.
Als Ingenieur des Maschinenbaus fasziniert es mich jedesmal, wenn ich meine Uhren mit Glasboden von unten ansehe, wie jemand so viele Teile in einem so kleinen Gehäuse verbaut und alle Zahnrädle 🙂 ineinander greifen und sich bewegen.
Logischerweise gefallen mir auch manche Skeleton Uhren und ich hatte auch schon eine…
Liebe Grüße, Django Murats.

Frank T. aus MZ
2 Jahre zurück

Schöner Artikel, Mario! Am schlimmsten finde ich erbsenkleine Uhrwerke in großen Gehäusen mit Glasboden, insbesondere, wenn der Glasboden zusätzlich noch unvorteilhaft designt ist. Ein Beispiel für einen schlecht designten Glasboden mit Erbsenwerk sind die LACO Flieger Basis Modelle. Dies war bei mir sogar im negativen Sinne kaufentscheidend. Beispiel für einen geschickt designten Glasboden mit Erbsenwerk ist die TRASER P67 Automatik. LACO, deren Uhren & Service ich wohlgemerkt überaus schätze, hat leider bei den neuen Pro-Modellen auch einen der hässlichsten Stahlböden im Programm. Genial hingegen ist das Relief auf dem Stahlboden der TOURBY Lawless 42. Bei NOMOS lassen sich deren wunderschönen Uhrwerke übrigens auch unter einem polierten Stahlboden verstecken. Man spart dabei ca. EUR 300, ein Sakrileg ;-)!
Schönen Restsonntag! Gruß, Frank

Ulrich
2 Jahre zurück

Bei wertvollen Uhren, die man auch als Schmuckgegenstand ansehen kann: Ja zu einem Glasboden.
Bei Allerweltsuhren aber ein Nein zu dieser Frage. Das vermittelt nur den Eindruck: Mehr Scheinen als Sein.

Aleksej
2 Jahre zurück

Hallo Uhrenexperten,

ich befasse mich als Uhrenliebhaber seit zirka fünfzig Jahren mit Uhren.

Ich habe mich über diesen Artikel „Glasboden oder kein Glasboden“
sehr gefreut.
Sehr sympathisch geschriebene Darstellung dieses Themas.
Danke dafür !

Werner
2 Jahre zurück

Bei Glashütte Original, Nomos, Heuer usw. würde ich es fast schon als Majestätsbeleidigung ansehen, wenn kein Glasboden verbaut wäre. Hersteller, die sich keine große Mühe bei der Finnisierung der Werke geben, dürfen gerne den Deckel des Schweigens drüber legen 🙂

Helmut
2 Jahre zurück

Ein Glasboden bei (z.B. einer Rolex) hätte aber den Vorteil, dass man vermutlich Fälschungen leichter erkennen könnte.
So können die Lumpen sogar ein Quarzwerk einschalen und aussen ROLEX draufschreiben.
Von daher spricht für mich auch etwas FÜR den Einsatz eines Glasbodens..