Zeit die Geographie-Kenntnisse aufzupolieren! ๐ In diesem Beitrag habe ich die wichtigsten und bekanntesten deutschen Uhren-Marken bzw. -Hersteller zusammengetragen und in einer interaktiven Karte bereitgestellt – in der Karte kรถnnt ihr beispielsweise zoomen und mit einem Klick auf die jeweiligen Hersteller weitere Informationen einblenden (z.B. Website, Telefonnummer). Ergรคnzungen dรผrfen gerne am Ende des Artikels in Form eines Kommentars vorgeschlagen werden!
Im folgenden mรถchte ich euch auรerdem gerne auf eine Zeitreise mitnehmen und die historisch bedeutendsten und auch heute noch wichtigen deutschen Uhrenmarken pro Gebiet vorstellen. Denn auch, wenn die Karte auf den ersten Blick vielleicht den Eindruck vermittelt, dass die deutsche Uhrenindustrie „wahllos“ รผber Deutschland verteilt ist, so sind insbesondere in Glashรผtte, Pforzheim und dem Schwarzwald eine Vielzahl an historisch spannenden Herstellern versammelt. Mit dabei in diesem Artikel ist auch das frรผher ein mal sehr wichtige, heute aber unbedeutende DDR-Uhren-Gebiet Ruhla…
INHALT
- 1 Deutsche Uhren – #1 Glashรผtte, Sachsen
- 2 Deutsche Uhren – #2 Goldstadt Pforzheim und der Schwarzwald
- 3 Deutsche Uhren – #3 Lang lang ist’s her: DDR-Uhren aus Ruhla
- 4 Kurz und knackig: Bekannte und historisch relevante deutsche Uhren-Hersteller
- 5 „Neue deutsche Welle“: Die (relativ) jungen Uhren-Marken bzw. -Hersteller
Deutsche Uhren – #1 Glashรผtte, Sachsen
Im Osten der Bundesrepublik, rund 40 Autominuten sรผdlich von Dresden, befindet sich die Crรจme de la Crรจme der deutschen Uhrenhersteller – kein anderes Gebiet in Deutschland vereint so viele Traditionsunternehmen auf so wenigen Quadratkilometern. Die Rede ist natรผrlich von Glashรผtte in Sachsen.
Glashรผtte ist von Dresden aus nur รผber viele, teilweise holprige Landstraรen erreichbar – Acker reihen sich an Waldstรผcke und Minisiedlungen. Und auch Glashรผtte selbst wirkt so als sei die Zeit stehen geblieben – ein beschauliches รrtchen mit 7300 Einwohnern, wo Abends noch die Bordsteine hochgeklappt werden. Auf Hochglanz gebรผgelte Luxus-Uhrenmarken befinden sich dort nicht etwa in prachtvollen Firmenzentralen, sondern in Fabrik-รคhnlichen Gebรคuden, teilweise eng verwoben mit dem Ortskern. Das hat historische Grรผnde und ist auf das sogenannte Verlagssystem zurรผckzufรผhren – hier gleich mehr.
Wegbereiter und Impulsgeber fรผr die bis heute erfolgreiche Glashรผtter Uhrenindustrie war im Jahre 1845 niemand geringeres als Ferdinand Adolph Lange, der mit Hilfe eines groรzรผgigen kรถniglich-sรคchsischen Kredits in Hรถhe von 7800 Talern eine Lehrwerkstatt und sein Unternehmen, die Uhrenfabrik Ferdinand Adolph Lange & Cie, grรผndete. Das Ziel der Unternehmung: Als ernstzunehmender Konkurrent fรผr die Schweizer Hersteller โeinfache, aber vollkommenen Taschenuhrenโ herzustellen. Der Impuls fรผr das Dรถrfchen im Mรผglitztal war auch dringend nรถtig: Das Erzgebirge lebte lange vom Bergbau, von Kupfer und Eisen, doch als die Ressourcen abgebaut waren, kam die Armut.
Charakteristisch fรผr die frรผhe Glashรผtter Uhrenfertigung war das sogenannte Verlagssystem, eine Form der handwerklichen Arbeitsteilung. Mit anderen Worten stellen bei dieser Produktionsform verschiedene Handwerker bestimmte Uhrenteile in Kleinstbetrieben und teilweise sogar in Heimarbeit her (der Vorlรคufer des Home Office quasi ;-)). Die Uhrenhersteller (neben Adolph Lange recht frรผh auch Julius Carl Friedrich Assmann, Moritz Groรmann und Friedrich August Adolf Schneider) haben dies Komponenten dann wiederum โnurโ noch zusammengesetzt. Alle in Glashรผtte ansรคssigen Uhrenhersteller bedienten sich bei denselben spezialisierten Lieferanten.
Wie eingangs erwรคhnt grรผndete Adolph Lange neben seinem Unternehmen auch noch eine Lehrwerkstatt. Um das Wissen รผber die Produktion von Uhren aber noch besser weitergeben zu kรถnnen, wurde 1878 auf Initiative des Uhrenfabrikanten Karl Moritz Groรmann hin die Deutsche Uhrmacherschule Glashรผtte (DUS) gegrรผndet. Im Uhrenmuseum Glashรผtte lassen sich heute viele Fragmente aus dieser Zeit begutachten, darunter alte Dokumente der Uhrmacherschule, Werkzeuge oder einen original Unterrichtsplan aus dem Jahre 1888 โ Mathematik und Geometrie spielten mit Blick auf die Feinmechanik natรผrlich eine groรe Rolle…
Durch die Weltwirtschaftskrise (1929 bis 1939) war die Arbeitslosigkeit im deutschen Uhrencluster Glashรผtte groร, weshalb einige Uhrmacher und Feinmechaniker in der Sowjetunion Arbeit suchten – und fanden! Der Job der arbeitswilligen Deutschen war vor allem die Ausbildung russischer Arbeiter – viele Frauen und Mรคdchen aus den lรคndlichen Gegenden um Moskau wurden an die Bรคnder der Uhrenfabriken gestellt und von Mitarbeitern aus Glashรผtte trainiert. Das รคnderte sich mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges …
Uhren-Hersteller Deutschland: Glashรผtte im Zweiten Weltkrieg
Wรคhrend des Zweiten Weltkrieges wurden die Uhrenhersteller in Glashรผtte (wie auch schon im Ersten Weltkrieg) dazu verdonnert, die Produktion von Militรคruhren und anderen Rรผstungsgรผtern (z.B. Zeitzรผnder) aufzunehmen – die zivile Produktion musste komplett eingestellt werden. Denn: Wie man sofort im Bild unten sieht, sind mechanische Zeitzรผnderwerke normalen Uhrwerken sehr รคhnlich – sie arbeiten meist mit einem Feder-Mechanismus, vergleichbar mit einer Taschenuhr.
Die Luftabwehr der Wehrmacht nutzte beispielsweise sogenannte Doppelzรผnder: Wie der Name schon andeutet werden bei Doppelzรผndern ein Aufschlagzรผnder und ein Zeitzรผnder kombiniert, um eine besonders tรถdliche Wirkung zu entfachen – wurden die Granaten nicht durch Aufschlag am Rumpf des feindlichen Flugzeuges ausgelรถst, erfolgte die Zรผndung dennoch zeitgesteuert in der Luft, der Schaden war durch die Splitterwirkung verheerend…
Schiffschronometer aus Glashรผtte im Zweiten Weltkrieg
Schiffschronometer (auch: Seechronometer oder Marinechronometer) dienten in Kombination mit einem Sextanten im Zweiten Weltkrieg zur Navigation auf hoher See – schlieรlich konnte der Kapitรคn schlecht einfach die Google Maps App aufmachen und GPS nutzen ๐ (mehr รผber die Funktionsweise der Seechronometer hier).
Ein groรer Teil der Chronometer im Zweiten Weltkrieg kam (neben Pforzheim und dem Schwarzwald) vor allem aus dem Uhrencluster Glashรผtte. Zustรคndig fรผr die unabhรคngigen Chronometerprรผfungen in Deutschland war die Deutsche Seewarte Hamburg, die 1938 von Wempe รผbernommen wurde. Fernab der Kรผste errichtete die Deutsche Seewarte auรerdem eine Zweigstelle โ in der Nรคhe von Glashรผtte.
In u.a. original Brief aus dem Jahre 1944 werden die Lieferanten vom Oberkommando der Kriegsmarine angewiesen alle Seechronometer und Beobachtungsuhren direkt an die Zweigstelle der Deutschen Seewarte in Gesundbrunnen zu liefern: In dem kleinen Dorf rund 10 km vor Glashรผtte befand sich das zentrale Groรlager der Deutschen Seewarte. Alliierte Bomber verirrten sich hier kaum hin.
Im Verlauf des zweiten Weltkrieges entstanden auf Anweisung des Oberkommandos der Kriegsmarine in den Chronometerwerken Hamburg die streng genormten, sogenannten deutschen Einheitschronometer. Gebaut werden sollten diese nur von Wempe und Lange in Glashรผtte – und nirgends anders. Bereits 1942 wurden die ersten Einheitschronometer von Wempe gefertigt. Lange & Sรถhne hat seinen ersten Einheitschronometer Anfang 1943 an die Werft in Kiel ausgeliefert.
Glashรผtte-Fliegeruhren im Zweiten Weltkrieg
Ebenfalls wรคhrend des zweiten Weltkrieges entstanden in Glashรผtte, Pforzheim und im Schwarzwald Beobachtungsuhren (getragen von Navigatoren an Bord von Langstrecken-Flugzeugen) und Flieger-Chronographen (getragen von Kampf-Piloten) fรผr die Deutsche Luftwaffe. Die Designs dieser beiden Uhren-Typen die auch heute noch aufgrund ihres Vintage-Charmes sehr beliebt sind und daher zum Portfolio vieler historischer Hersteller gehรถren.
Unten in der Galerie (drittes Bild, zweite Uhr von rechts) ist auch ein besonders seltenes Exponat im Deutschen Uhrenmuseum Glashรผtte zu sehen. Lange & Sรถhne in Glashรผtte musste auf Bestellung des SS-Fรผhrungshauptamt in Berlin-Wilmersdorf hin eine satte 65 mm groรe Sonderanfertigung einer Beobachtungsuhr fรผr die Artillerie-Truppen der Waffen-SS produzieren: Ab Mรคrz 1941 sollten 10 Uhren pro Monat hergestellt werden und an die sogenannten Messbatterien („M-B“) geliefert werden. Eine Messbatterie hatte die Aufgabe feindliche Artillerie durch Schall und Mรผndungsfeuer aufzuklรคren – das war bis auf 50 Meter genau mรถglich, die Uhr diente zur Unterstรผtzung der Berechnung. Das Besondere an der Uhr: Fรผr fotografische Auswertungen sollten die Sekundenziffern in Spiegelschrift aufgebracht werden.
In den letzten Stunden des zweiten Weltkriegs wurde Glashรผtte von sowjetischen Bombern zu einem groรen Teil zerstรถrt, Anlagen wurden als Reparationsleistungen demontiert und in die Sowjetunion gebracht…
Uhren-Hersteller Deutschland: Glashรผtte nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute / die Glashรผtte-Regel
Nach dem Zweiten Weltkrieg kassierten die Sowjets als Siegermacht die Produktionsanlagen aus Glashรผtte vollstรคndig ein – die Erste Moskauer Uhrenfabrik durfte sich รผber neue Anlagen freuen. Gleichzeitig wurden die meisten Glashรผtter Unternehmen enteignet. Lediglich 20 Prozent der Maschinen und Produktionsmittel verblieben in Glashรผtte und wurden unter dem Namen โMesstechnik Glashรผtteโ organisatorisch den Zeiss-Werken Jena angegliedert. Da Glashรผtte in der sowjetischen Besatzungszone lag, โdurftenโ die in Glashรผtte ansรคssigen Uhrmacher auรerdem russisches Personal ausbilden.
Viele Uhrmacher und Unternehmer lieรen sich aber nicht unterkriegen: Jeder brachte etwas von zu Hause mit, die einen Werkzeug, die anderen Know-how.
Hans Mรผhle beispielsweise grรผndete noch im Dezember 1945 ein neues Unternehmen (โIng. Hans Mรผhleโ), um das Familienerbe des seit 1869 tรคtigen Unternehmens fortzufรผhren.
Ab 1951 haben die sowjetischen Besatzungsmรคchte viele Glashรผtter Uhrenhersteller in den DDR-Gesamtbetrieb VEB Glashรผtter Uhrenbetriebe (GUB), also aller nach 1945 zwangsenteigneten Hersteller, รผberfรผhrt. Hochwertige Kleinserienfertigung war damit Geschichte: Glashรผtte-Uhren wurden in der DDR in Massen industriell von bis zu 2500 Mitarbeitern gefertigt. Bis zu 100.000 (!) Uhren purzelten jรคhrlich aus der Produktion von GUB, zuletzt meist Quarz-Modelle, die beispielsweise unter dem Markennamen Meisteranker im Westen beim Versandhรคndler Quelle und dem Kaffeerรถster Tchibo verkauft wurden. Die heute bei Vintage-Sammlern beliebten Modelle Glashรผtte Spezichron sowie die Glashรผtte Spezimatic waren ebenfalls Entwicklungen der GUB Glashรผtte.
Erst 1989, nach Zerschneiden des Eisernen Vorhangs, kehrte allmรคhlich wieder die feine Uhrmacherei in Glashรผtte ein, die den Ort einst so berรผhmt machte.
Das lag unter anderem an Walter Lange: Der Urenkel von Ferdinand Adolph Lange hatte sich nach der Firmenenteignung zu DDR-Zeiten ins Pforzheimer Exil abgesetzt und kam wieder zurรผck nach Glashรผtte. Unterstรผtzt wurde er von Gรผnter Blรผmlein, dem Geschรคftsfรผhrer der damaligen Schweizer LMH-Gruppe (Les Manufactures Horlogรฉres), zu der die Marken IWC und Jaeger-LeCoultre gehรถrten. Mit dem immer noch klangvollen Namen Lange und dem Kapital des Schweizer Konzerns wurden in Glashรผtte nun endlich wieder hochwertige Zeitmesser gefertigt.
Noch ein Impuls kam im Jahre 1994 von den bayerischen Unternehmern Heinz Pfeiffer und Alfred Wallner, denen ein ganz besonderer Streich gelang: Sie kauften GUB von der Treuhand ab, nachdem andere mit Privatisierungsabsichten gescheitert waren – Glashรผtte Original war geboren.
Mit beachtlichem Ehrgeiz gelingt es den neuen Eigentรผmern Glashรผtte Original von der billigen Massenproduktion in den Luxusuhrenhersteller mit hoher Fertigungstiefe zu verwandeln, der dieser auch heute noch ist. Parallel etablieren Wallner und Pfeiffer Union Glashรผtte als Marke fรผr einen vergleichsweise gรผnstigen Einstieg in die Welt der Glashรผtte-Uhren.
Im Jahre 2000 kam allerdings der Paukenschlag – zwei Schweizer Konzerne landeten wie Ufos in dem idyllischen Erzgebirgetal: Der Richemont-Konzern รผbernimmt A. Lange & Sรถhne, kurz darauf zieht die Swatch Group nach und akquiriert Glashรผtte Original.
Glashรผtte Original und Lange & Sรถhne gehรถren sicherlich zu den bekanntesten Traditionsmarken aus Glashรผtte. Es gibt aber auch noch nennenswerte, unabhรคngige Nischenanbieter wie Mรผhle-Glashรผtte (spezialisiert auf robuste, maritime Uhren) sowie „Newcomer“ wie die 1990 wiederbelebte Marke NOMOS Glashรผtte, die mit einer eigenen Werke-Fertigung sogar unabhรคngig von der ubiquitรคren Schweizer ETA bzw. Sellita sind – heutzutage eine echte Ausnahme.
Deutsche Uhrenhersteller aus Glashรผtte:
- Mรผhle-Glashรผtte
- A. Lange & Sรถhne
- Tutima
- Union Glashรผtte
- Glashรผtte Original
- Bruno Sรถhnle
- NOMOS Glashรผtte
- Wempe
- Grossmann
So viele gestandene Uhrenhersteller in teilweise sehr รคhnlichen Preissegmenten – ob das gut gehen kann? Nun, zumindest gibt es s ungeschriebene Gesetze, zum Beispiel, dass man sich gegenseitig keine Mitarbeiter ausspannt. A. Lange & Sรถhne und Glashรผtte Original bilden selbst aus, die anderen Manufakturen holen ihren Nachwuchs von der staatlichen Uhrmacherschule im Ort.
Die Glashรผtte-Regel
Alle Glashรผtter Hersteller mรผssen sich an die sogenannte Glashรผtte-Regel halten. Die Regel ist auf Adolph Lange zurรผckzufรผhren, der zum Schutz der Arbeitsplรคtze vor Ort und zur Sicherstellung der hohen handwerklichen Qualitรคt bewirkt hat, dass sich Uhren nur „Hergestellt in Glashรผtte“ nennen durften, wenn der รผberwiegende Teil der Wertschรถpfung auch in Glashรผtte durchgefรผhrt wurde. Konkret bedeutet das auch heute noch, dass der Glashรผtte-Regel zufolge mindestens 50% der Wertschรถpfung an zugekauften Schweizer Rohwerken im Mรผglitztal selbst erfolgen muss.
Union Glashรผtte erreicht dies beispielsweise dadurch, dass die von der Schweizer ETA gelieferten Werkskomponenten komplett hรคndisch in Glashรผtte montiert, mit eigenen Komponenten versehen und feinreguliert werden. Auch optische Finessen wie eine Rhodinierung findet in Glashรผtte statt. Hier einige Eindrรผcke aus der Produktion (Bilder: Union Glashรผtte / zum Vergrรถรern bitte klicken):
Ein weiteres Beispiel: Mรผhle-Glashรผtte erreicht die geforderte Wertschรถpfung durch ein technisches Werksupgrade, mit der sogenannten Spechthalsregulierung, die die Werke stoรsicherer und robuster machen. Mรผhle produziert unter anderem die Bestandteile der Spechthalsregulierung im eigenen Hause auf modernen Werkzeugmaschinen. Viele Arbeitsschritte, darunter die Finissierung, werden aber ganz traditionell hรคndisch durchgefรผhrt.
Deutsche Uhren – #2 Goldstadt Pforzheim und der Schwarzwald
Historisch betrachtet ist der Schwarzwald und das am Nordrand des Schwarzwalds gelegene Pforzheim das zweitwichtigste Uhrencluster Deutschlands. Junghans, Laco, Hanhart, Stowa Kienzle, Mauthe, Wรผrttembergische Uhrenfabrik Bรผrk โ die Uhren-Produktion im Schwarzwald und in Pforzheim hat viele traditionsreiche Hersteller hervorgebracht, von denen heute allerdings viele nicht mehr aktiv sind.
Was viele nicht wissen: Schwenningen im Schwarzwald-Baar-Kreis galt einst als die grรถรte Uhrenstadt der Welt. Noch bevor sich Schwenningen รผberhaupt Stadt nennen durfte (1907), betrieben die Bรผrger Handel mit Uhren und fertigten spรคter in kleinen Fabriken Metalluhren. In Schwenningen wurde auรerdem 1900 die heute immer noch existierende Staatliche Feintechnikschule als โkรถniglich wรผrttembergische Fachschule fรผr Feinmechanik, Elektromechanik und Uhrmachereiโ gegrรผndet.
Bis zum Ersten Weltkrieg waren รผber 1000 Arbeiter in der Schwenninger Uhrenfertigung beschรคftigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Gastarbeiter angeworben, um der riesigen Nachfrage gerecht zu werden – in der Hochblรผte der Schwenninger Uhrenindustrie, in den Jahren 1954 bis 1963, gab es insgesamt 224 Firmen, die mit Uhren, deren Bestandteilen oder dem Verkauf zu tun hatten.
Insbesondere auch Schwarzwรคlder Groรuhren (Standuhren etc.) waren seit dem 18. Jahrhundert echte Kassenschlager – im Inland und auch im Ausland. Spรคter, um 1900, entwickelte sich der Wecker im Blechgehรคuse zum Paradebeispiel der Schwarzwรคlder Uhrenindustrie, welcher hocheffizient in industrieller Massenproduktion nach amerikanischem Vorbild produziert wurde. Fรผhrend dabei: Junghans, im von Schwenningen aus ca. 30 Autominuten entfernten Schramberg…
Industrielle Fertigung im Schwarzwald: Junghans Schramberg
Maรgeblichen Einfluss auf den Erfolg in der Region Schwarzwald hatte Arthur Junghans, der Sohn des 1870 verstorbenen Firmengrรผnders Erhard Junghans, welcher nach seiner Uhrmacherlehre fรผr zwei Jahre in die USA ging und dort in diversen Uhrenfabriken arbeitete, um Erfahrungen in der industriellen Produktion zu sammeln.
Nach seiner Rรผckkehr in den Schwarzwald nutzte Arthur Junghans sein Wissen, um die industrielle Serienfertigung bei Junghans einzufรผhren. Die Schramberger setzten insbesondere mit dem robusten Junghans-Weckerwerk W10 Maรstรคbe โ ein bis in die 1930er Jahre millionenfach produziertes Werk, welches Junghans zur grรถรten Uhrenfabrik der Welt machteโฆ
In Spitzenzeiten wurden in Schramberg รผber Vier Millionen Uhren von vielen tausend Mitarbeitern pro Jahr hergestellt. Zum Vergleich: Im Jahre 2016 exportierte die gesamte Schweizer Uhrenindustrie 25,4 Millionen Uhren.
Fun Fact am Rande: Schon 1880 wurden von Kaiser Wilhelm I. einige der ersten Armbanduhren fรผr die deutsche Marine angeschafft. Auch im Ersten Weltkrieg erkannten die Soldaten den Vorteil von Armbanduhren gegenรผber Taschenuhren, woraufhin diese auch im zivilen Bereich schnell zum Standard wurden. Junghans hat sich dennoch lange gegen die Armbanduhr gewehrt und verteufelte diese 1917 in einer Werbeanzeige:
โEs ist Treue um Treue, die sie [die Taschenuhr] mit ihrem Ticktack die Menschen lehrt. Dabei wird diese Treue oft mit Untreue belohnt. Ein Beispiel ist die Armbanduhr, die zweckwidrig ist und eine Barbarei.โ
Bei Junghans fand das Umdenken tatsรคchlich erst 1928 statt als Helmut und Siegfried Junghans einen Kurswechsel anordneten.
Junghans war – wie die meisten anderen Uhrenhersteller auch – Lieferant von Zeitzรผndern im Zweiten Weltkrieg. Junghans war produktionstechnisch aber so modern aufgestellt, dass sich sogar der amerikanische Geheimdienst mit den Schrambergern beschรคftigte. Und auch nach Kriegsende waren Junghans-Zรผnder begehrte Hightech-Produkte – sie wurden darum im Rahmen von Demontage und Reparationszahlungen nach Frankreich gebracht.
Trotzdem hatte man bei Junghans noch ein Ass im รrmel: Bereits zu Kriegszeiten, seit mindestens 1943, wurde in Schramberg an einem Armbandchronographenwerk getรผftelt, dem legendรคren Junghans-Kaliber J88. Und genau diese Entwicklung half Junghans nach dem Krieg auf die Beine: Die Schramberger gewannen wenige Jahre nach Hanhart eine Bundeswehr-Ausschreibung โ der Junghans J88 Flieger-Chronograph mit der Versorgungsnummer (6645-) 12-124-8591 bzw. 12-120-9351 war geboren.
Heute ist nicht mehr viel รผbrig vom Glanz damaliger Zeiten: Nach mehreren Krisen, darunter die Quarzkrise, verschwanden viele Hersteller von der Schwarzwรคlder Landkarte. Nicht aber Junghans: Das Schramberger Unternehmen hatte alle Krisen รผberlebt und zehrte noch viele Jahre von hoher Markenbekanntheit dank Innovationen wie zum Beispiel der ersten Funk-Armbanduhr, welche 1990 vorgestellt wurde. Im August 2008 musste aber auch Junghans Insolvenz anmelden โ das Unternehmen zรคhlte damals nur noch rund 100 Mitarbeiter.
Doch Junghans kรคmpfte sich zurรผck: Der aus Schramberg stammende und eigentlich im Ruhestand befindliche Unternehmer Hans-Jochem Steim und Sohnemann Hannes kauften die insolvente Firma und erhielten die meisten Arbeitsplรคtze.
Der gelernte Uhrmacher und seit 2007 bei Junghans tรคtige Matthias Stotz wurde von den Steims als Geschรคftsfรผhrer eingesetzt. Der Auftrag war klar: Den angeschlagenen Uhrenhersteller wieder auf die Beine bringen โ und das ganz ohne die dicke Geldbรถrse eines Konzerns wie der Swatch-Gruppe.
Junghans positioniert sich heute selbstbewusst mit dem Claim Die deutsche Uhr. Stotz stellt aber klar, dass sich Junghans als deutsche Uhrenfabrik und nicht als Manufaktur sieht – ganz im Geiste von Arthur Junghans, der damals die industrielle Fertigung bei Junghans einfรผhrte…
Uhrenmarken aus der Goldstadt Pforzheim
Die Geschichte der Pforzheimer Uhrenindustrie geht auf das Jahr 1767 (!) zurรผck. Damals erteilte Markgraf Karl Friedrich von Baden einem Schweizerisch-franzรถsischen Uhrmacher-Duo das Privileg zur Herstellung von Taschenuhren. Noch im selben Jahr folgte die Erlaubnis zur Erweiterung in eine Fabrik zur Herstellung von Schmuck- und feinen Stahlwaren. Der Clou: Dort wurden die Mรคdchen und Jungen des damaligen Waisenhauses am Enzufer in Lohn und Brot gebracht.
Auch aus der Privatwirtschaft gab es Impulse fรผr die Region. Die Uhrenindustrie wuchs explosionsartig, Pforzheim entwickelte sich zur „Goldstadt“. Voller Respekt sprach man im Ausland auch von „Klein-Genf“. 1913 waren in der Pforzheimer Schmuck- und Uhrenindustrie fast 37.500 Personen beschรคftigt, kurz vor dem zweiten Weltkrieg zรคhlte der Industriezweig immerhin noch 24.000 Beschรคftigte.
Pforzheim hat sich allerdings nicht wie Genf oder Glashรผtte zu einer eigenen, angesehenen Marke im Bereich Uhren entwickelt – das liegt sicherlich insbesondere daran, dass Pforzheim historisch betrachtet eher auf Massenfertigung gesetzt hat: โGlashรผtte hat schon immer hochwertige Uhren gebaut, wรคhrend Pforzheim wie beim Schmuck auf Masse gesetzt hatโ, sagt Jochen Benzinger. Der Pforzheimer Uhrenbauer setzt – entgegen der Historie – seit 1985 auf hochwertigste Einzelstรผcke. Nur rund 100 Uhren pro Jahr verlassen seinen Pforzheimer Betrieb.
Heute fehlt es allerdings an vielem, das Pforzheim zu neuem Uhren-Ruhm fรผhren kรถnnte, sagt Jรถrg Schauer, der 1990 die Traditionsmarke Stowa neu aufgelegt hat: โWir machen fast gar nichts mehr โ keine Kronen, keine Zeiger, kein Glas โ und, wenn wir noch ein paar Jahre warten, noch weniger.โ
Eine nennenswerte Ausnahme ist beispielsweise die auf Gehรคuse und thermisch geblรคute Stahlzeiger spezialisierte Pforzheimer Manufaktur Ickler, gegrรผndet im Jahre 1924 von Karl Ickler. 1947 bauten die Sรถhne Heinz und Kurt Ickler, die wรคhrend des Krieges brachliegende Produktion wieder auf. Heute fรผhren in dritter bzw. vierter Generation Thomas und Lisa Ickler das Unternehmen. Unter der Marke Archimede beispielsweise hat die Familie Ickler auch eine eigene Uhrenmarke aufgebaut.
Ein weiteres Beispiel: Glashรผtte Original verfรผgt als einer von wenigen Uhrenherstellern รผber eine eigene Zifferblatt-Manufaktur โ im Jahre 2000 รผbernahm die Swatch-Gruppe (der Konzern hinter Glashรผtte Original) die seit 1922 in Pforzheim tรคtige Zifferblattfabrik Th. Mรผller. Seit 2012 firmiert der neue Standort in der Stuttgarter Straรe 24 als Niederlassung von Glashรผtte Original. Erst vor wenigen Jahren wurden auรerdem mehrere Millionen Euro in Maschinen und Gebรคudemodernisierung investiert. Dennoch werden auch heute noch sehr viele Arbeitsschritte in der Zifferblatt-Herstellung hรคndisch ausgefรผhrt (mehr รผber die Zifferblatt-Manufaktur in Pforzheim gibt’s hier).
Eine weitere Ausnahme ist das familiengefรผhrte Pforzheimer Traditionsunternehmen Staib. Gegrรผndet von Hermann Staib im Jahre 1922, ist das Unternehmen heute ein international gefragter Lieferant, insbesondere fรผr feinmaschige Milanese-/Mesh-Bรคnder.
Pforzheim und der Schwarzwald im zweiten Weltkrieg
Wรคhrend des zweiten Weltkrieges wurden viele Unternehmen in Pforzheim und dem Schwarzwald zwangsweise zum Rรผstungsbetrieb umfunktioniert. Viele Hersteller, die sich mit Uhren beschรคftigt haben, mussten plรถtzlich Uhren zu militรคrischen Zwecken (z.B. Hanhart, Laco) und mechanische Zeitzรผnder (z.B. Junghans, PUW, Durowe) herstellen.
In Pforzheim und dem Schwarzwald wurden insbesondere Fliegeruhren fรผr die Luftwaffe produziert (z.B. Beobachtungsuhren). Das Deutsche Reichsluftfahrtministerium (RLM) formulierte in den 1940ern in einem Dokument (Fl. 23883) haargenaue Vorgaben zur Herstellung von Beobachtungsuhren, z.B. zur Grรถรe, zum Ziffernblattdesign etc. Neben Laco wurden damals auch noch Stowa, Wempe Glashรผtte und Lange & Sรถhne per Beschluss in die Pflicht genommen die Uhren nach exakt diesen Vorgaben fรผr die deutsche Luftwaffe zu bauen.
Der Zweck der Beobachtungsuhren war so einfach wie genial: Die Uhren wurden von den Navigatoren auf Langstreckenflรผgen getragen, um in Kombination mit einem Libellenoktanten (Winkelmesser) Standortbestimmungen vorzunehmen. Ganz Old School dienten dabei insbesondere Sterne und Sonne als Anhaltspunkt.
Die Navigationsdaten wurden dann in einem Logbuch dokumentiert. Dass die Beobachtungsuhren natรผrlich extrem prรคzise laufen mussten, dรผrfte klar sein. Aus diesem Grund wurden die Uhren vor jedem Start mit Hilfe eines Bodenchronometers (BC) eingestellt.
Und so sahen die Beobachtungsuhren in Aktion aus โ wie man sieht, wurden die 55mm groรen XXL-Uhren in der Regel einfach direkt รผber der Fliegerjacke getragen, was mit dem extralangen Lederband problemlos mรถglich war.
Gut zu wissen: Vorgรคnger der Beobachtungsuhren waren die sogenannten RLM-Uhren von Aristo Pforzheim, damals noch in der Hand der Familie Epple. Seit 1998 gehรถrt die Marke Aristo dem Uhrenmacher Hansjรถrg Vollmer. Vollmer ist ein Enkel des Grรผnders der bekannten Metallband-Manufaktur Vollmer, die 1922 gegrรผndet wurde.
Flieger-Chronographen mรผssen von den beschriebenen Beobachtungsuhren abgregrenzt werden: Zu Anfang des zweiten Weltkrieges musste (neben Tutima Glashรผtte) die Firma Hanhart in Gรผtenbach (Schwarzwald-Baar-Kreis) robuste Chronographen fรผr die Kampfpiloten der deutschen Luftwaffe entwickeln und produzieren. Diese Flieger-Chronographen dienten insbesondere als Backup, falls Bordinstrumente ausfallen sollten. Charakteristisch fรผr die Flieger-Chronos waren die kannellierte Lรผnette, die groรe Krone und der rote Merkpunkt auf der Lรผnette.
Bei Hanhart in Gรผtenbach beispielsweise entstanden die Eindrรผcker-Chronographen Kaliber 40, welche zunรคchst aber nicht in der Luft, sondern bei der Kriegsmarine eingesetzt wurden. Kurz darauf spรคter folgte der Zweidrรผcker-Chronograph Kaliber 41.
Bei Hanhart gehen die Nummern aller Modelle von ca. 100.000 bis 125.000, was Aufschluss รผber die ungefรคhren Produktionsmengen wรคhrend des Krieges gibt. Im weiteren Verlauf des Krieges musste die Chronographen-Produktion allerdings komplett eingestellt werden: Zeitzรผndern fรผr Torpedos wurde die grรถรere Prioritรคt eingerรคumt… (mehr รผber Hanhart in diesem Artikel).
Auch Uhren fรผr die Marine purzelten aus der Produktion im Schwarzwald und Pforzheim – in der Dienstanweisung Nr. 2456 von Anfang 1945 (โZeitmessgerรคte der Kriegsmarineโ) lรคsst sich exakt nachvollziehen, welche Uhrenarten fรผr welchen Schiffstyp geliefert werden mussten:
- Stowa (B-Uhren),
- Junghans (Stoppuhren, U-Jagd-Uhren, Wanduhren),
- Hanhart (Artillerie B-Uhren)
- und natรผrlich Laco (Chronometriegerรคte)
- Lange & Sรถhne (Seechronometer)
Gegen Ende des zweiten Weltkrieges wurde Pforzheim von alliierten Bombern zu einem groรen Teil zerstรถrt, fast ein Drittel der Pforzheimer Bevรถlkerung kam ums Leben. Ein Bordschรผtze einer der allierten Fรผhrungsmaschinen von der Royal Air Force erinnert sich an die mรผndliche Befehlsausgabe im Februar 1945: โWir sollten Pforzheim angreifen, ein Zentrum der Uhrenfabrikation, in dem Steuerinstrumente fรผr die V2 hergestellt wurden. Das jedenfalls sagte man uns.โ Faktisch war der Angriff aus militรคrischer Sicht allerdings nicht besonders sinnvoll – zumindest nicht in diesem zerstรถrerischen Maรe zu diesem Zeitpunkt des Krieges – die Zerstรถrung der Produktion von Steuerungsinstrumenten war mehr ein Vorwand. Ein britischer Militรคrhistoriker nennt die Bombardements auf Pforzheim im Frรผhjahr 1945 einen โentfesselten Orkanโ. Er sei โunverkennbar strafend in seinem Charakter und maรlos in seinem Umfangโ gewesen – treffender kann man es wohl kaum auf den Punkt bringen.
Pforzheim und der Schwarzwald nach dem Zweiten Weltkrieg
Trotz der massiven Zerstรถrung und der Demontage intakter Produktionsanlagen durch die Siegermรคchte, lieรen sich viele Unternehmer nicht unterkriegen und bauten ihr Geschรคft wieder auf.
Einer dieser Unternehmen war Ludwig Hummel, der die 1933 gegrรผndeten Deutschen Uhren-Roh-Werke (Durowe) wieder zu alter Stรคrke fรผhren wollte. Direkt nach dem Krieg wurde die Produktion in den Rรคumen der Metallwarenfabrik Wolff, die ebenfalls in Hummels Besitz war, fortgefรผhrt. 1949 wurde das im Zweiten Weltkrieg zerstรถrte Fabrikgebรคude wieder aufgebaut. Am 1. Februar 1959 verkaufte Ludwig Hummel seine Anteile an den Firmen Lacher & Co. (Laco) und Durowe an die U.S. Time Corporation (Mehr Lesestoff: Weitere Details รผber den auch heute noch aktiven Hersteller Laco gibt’s in meinem Besuchsbericht aus Pforzheim / mehr รผber die Geschichte von Ludwig Hummel und Laco gibt’s hier).
Sechs Jahre spรคter, im September 1965 รผbernahm die Schweizer รbauches SA die Marke Durowe von den Amerikanern. Mittlerweile gehรถrt die Marke Durowe Jรถrg Schauer, der Kopf hinter dem Uhrenhersteller Stowa aus Engelsbrand (bei Pforzheim).
Auch Rudolf Wehner baute die Produktion der Pforzheimer Uhren-Rohwerke (PUW) allen Widrigkeiten zum Trotz in den Nachkriegsjahren wieder auf โ PUW wurde erfolgreicher denn je und avancierte zum grรถรten Rohwerkehersteller in Nachkriegs-Deutschland. Im Jahre 1948 rief PUW-Grรผnder Rudolf Wehner auรerdem zusรคtzlich die Uhrenfabrik โPortaโ ins Leben, welche Komplettuhren fertigte, die ausnahmslos von PUW-Werken angetrieben wurden. 1950 legte Wehner die beiden Betriebe, Porta und PUW, in Pforzheim zusammen. Die Geschรคfte liefen exquisit. Ende der 60er Jahre zรคhlte PUW immerhin rund 600 Mitarbeiter und war bis in die spรคten 70er Jahre Lieferant fรผr fast alle in Pforzheim ansรคssigen Uhrenhersteller.
Die Quarzkrise beendete die Kapitel Durowe und PUW allerdings jรคh, die Produktion der Automatik- und Handaufzugskaliber aus Pforzheim kam komplett zum erliegen. Der Grund: Die Produktion mechanischer Werke war einfach nicht mehr rentabel, da insbesondere japanische Hersteller den Markt mit Abermillionen Billig-Quarzern fluteten und aus Sicht der deutschen (und Schweizer) Hersteller die sogenannte โQuarz-Kriseโ auslรถsten. Fรผr Porta-Geschรคftsfรผhrer Klaus Wehner war es โdas Ende einer Epocheโ. Uhren-Liebhabern dรผrfte dabei durchaus das Herz bluten, da eine Produktion mechanischer Uhrwerke im groรen Stile wie beispielsweise bei der Schweizer ETA in Deutschland schon lange nicht mehr existiert.
Fรผr Nostalgiker: Original PUW-Manufakturkaliber findet man heute noch beim Uhrenhersteller Circula, der mittlerweile in der dritten Generation von der Familie Huber gefรผhrt wird. Das besondere: Circula verbaut in der Heritage-Kollektion sogenannte New Old Stock-Werke von PUW, das heiรt unbenutzte Lagerware aus den 70er Jahren (mehr รผber Circula und die PUW-Werke hier).
Auch der Unternehmer Willy Hanhart kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg nach Baden-Wรผrttemberg zurรผck, um seiner Firma nach der Demontage durch die Besatzungstruppen neues Leben einzuhauchen. So waren Hanhart-Chronographen zum Beispiel bei der franzรถsischen Luftwaffe sehr gefragt. Spรคter war Hanhart bis 1962 unter anderem sogar exklusiver Lieferant der 1955 gegrรผndeten Bundeswehr (mehr dazu in meinem Artikel รผber Bundeswehr-Uhren).
Deutsche Uhren – #3 Lang lang ist’s her: DDR-Uhren aus Ruhla
Meine Oma hat zu mir als Kind immer gesagt: Wenn du gute Noten mit nach Hause bringst, Junge, gibt es einen Taler! Georg und Christian Thiel mรผssen um 1860 oft gute Noten mit nach Hause gebracht haben: 1862 grรผndeten die beiden Brรผder mit einem Startkapital von 2452 preuรischen Talern die Gebrรผder Thiel GmbH, eine kleine, aber feine Metallwarenfabrik mit einem kleinen Maschinenpark (Wert: 7 Taler!) im schnuckeligen Stรคdtchen Ruhla nahe Erfurt.
Das Unternehmen entwickelte sich rasant und war der Impulsgeber fรผr eine florierende Uhrenwirtschaft in Thรผringen unter der Flagge des Thiel-Imperiums.
Die Gebrรผder Thiel waren anscheinend echte Scherzkekse: Das erste Uhrenmodell der beiden kam in den 1870ern raus – eine Bieruhr als Zรคhlwerk fรผr Gastwirte. Diese Spaรuhr kam so gut an, dass man kurzerhand auch noch รคhnliche Kinderspieluhren baute (darunter eine besonders gruselige). Diese wurden in ersten zaghaften Versuchen industriell gefertigt und in vergleichsweise groรen Mengen nach England und in die USA exportiert.
Ab 1891 wurde es etwas ernsthafter: Ruhlaer Taschenuhren kamen hinzu, die mit einer fast Hundertprozentigen Fertigungstiefe entstanden sind โ von der selbst entwickelten und gebauten Maschine bis hin zur fertigen Uhr. So schafften es die beiden Thiel-Brรผder Ruhla-Taschenuhren fรผr 3 Mark anzubieten – ein echtes Schnรคppchen, die Konkurrenz war etwa doppelt so teuer. Auch wenn die Thiel-Taschenuhren Anfangs unter Uhrmachern und im Einzelhandel nicht ernst genommen wurden (der Handaufzug benรถtigte satte 1211 (!!!) Umdrehungen bis zum Vollaufzug), waren diese auf Jahre hinweg ein Kassenschlager. Thiel kam kaum mit der Produktion hinter, 1897 wurden 4000 Stรผck hergestellt – pro Tag! Der Ansturm verwundert nicht: Der durchschnittliche Monatslohn betrug damals mal grade rund 40 Mark, das Bedรผrfnis nach gรผnstigeren Zeitmessern war groร. Auch selbst gebaute Maschinen konnten die Thiel-Brรผder an andere Firmen verkaufen.
Die Produktion von Uhren und Maschinen war sehr rentabel, die Produktion von Kriegsgรผtern warf allerdings noch mehr Knete ab: Bereits wรคhrend des Ersten Weltkrieges beschrรคnkte sich die Produktion des Thiel-Betriebes fast ausschlieรlich auf Zeitzรผnder.
Auch am Aufschwung der deutschen Rรผstungsindustrie nach der Machtergreifung Hitlers partizipierte der Thiel-Konzern. Die Zahl der Arbeitskrรคfte wuchs stรคndig. Am Ende des zweiten Weltkrieges waren fast 10.000 Menschen in das Rรผstungsgeschรคft des Thiel-Konzerns eingespannt โ Ruhla war damit (neben Glashรผtte und Pforzheim bzw. der Schwarzwald) eines der Uhren-Zentren schlechthin.
Im April 1945 besetzten amerikanische Truppen die Stadt Ruhla, die Arbeit wurde eingestellt und am 10. Mai wurde die gesamte Belegschaft des Thiel-Konzerns entlassen. Nur wenige Jahre spรคter kam die Produktion aber wieder ordentlich in Schwung, die Produktion von Uhren und Maschinen รผberbot sogar die volumenmรครig hรถchste Vorkriegsproduktion von 1938.
Auch nach der Verstaatlichung durch die Sowjets im Jahre 1952 ging die Erfolgsgeschichte weiter: Ab den 1960ern wurde das berรผhmte Ruhla-Handaufzugs-Kaliber 24 millionenfach produziert und in die ganze Welt verkauft.
Am 1. Mรคrz 1967 wuchs der Konzern noch weiter: Es folgte der Zusammenschluss zum VEB Uhrenkombinat Ruhla (spรคter: VEB Uhrenwerke Ruhla, UWR). Doch mit der Wende Anfang der 90er kam das Aus: Durch Privatisierung wurde die VEB Ruhla von der sogenannten DDR-Treuhandanstalt in rund Vierzig einzelne Unternehmen zerschlagen, wovon sich in Ruhla nur noch die Betriebe Gardรฉ Uhren und Feinmechanik Ruhla GmbH mit Uhren beschรคftigten. Das besiegelte das allmรคhliche Ende der Uhrenindustrie in Ruhla. Und dennoch ist Ruhla auch heute noch vielen als Uhrenstadt gelรคufigโฆ
Kurz und knackig: Bekannte und historisch relevante deutsche Uhren-Hersteller
Abschlieรend mรถchte ich noch kurz und knackig die wichtigsten und bekanntesten deutschen Uhrenmarken auflisten – Anhaltspunkte fรผr die รbersicht sind vor allem Tradition, Grรผndungsjahr, historisch relevante Uhren-Modelle und Unternehmensgrรถรe:
- Sinn Spezialuhren, Frankfurt
- Guinand, Frankfurt
- Junghans, Schramberg
- Hanhart, Gรผtenbach
- A. Lange & Sรถhne, Glashรผtte
- Mรผhle-Glashรผtte
- Glashรผtte Original
- NOMOS Glashรผtte
- Union Glashรผtte
- Wempe Glashรผtte
- Tutima Glashรผtte
- Laco, Pforzheim
- Stowa, Engelsbrand (bei Pforzheim)
- Aristo-Vollmer, Pforzheim
- Archimede (Ickler), Pforzheim
„Neue deutsche Welle“: Die (relativ) jungen Uhren-Marken bzw. -Hersteller
Neben den hier vorgestellten Uhrenherstellern, die in den meisten Fรคllen schon viele Jahrzehnte „auf dem Buckel haben“, gibt es aber auch eine Reihe von noch recht jungen deutschen Uhrenmarken bzw. Microbrands, die sich innerhalb weniger Jahre eine beachtliche Fangemeinde aufgebaut haben. Exemplarisch seien die Marken Sternglas (Hamburg), Marc & Sons (Altdorf) oder Steinhart (Stadtbergen bei Augsburg) genannt, die schon seit einigen Jahren รผberaus erfolgreich im Uhrenmarkt Fuร gefasst haben. Noch etwas „grรผn hinter den Ohren“, aber ebenfalls sehr beliebt sind VANDAAG (Oldenburg), HEINRICH (Stuttgart), DEKLA (Stuttgart) und Findeisen (Leesten).
Wenn dir dieser Artikel gefallen hat, freue ich mich รผber ein Like bei Facebook, Instagram, YouTube oder
Auch รผber WhatsApp kannst du immer auf dem neuesten Stand bleiben – jetzt abonnieren:
Darรผber hinaus freue ich mich รผber Kommentare immer sehr (Kommentare werden in der Regel innerhalb kurzer Zeit geprรผft und freigeschaltet). Vielen Dank!
Dugena?
Wie Deutsch ist Made in Germany wenn doch die meisten Uhrwerke aus der Schweiz kommen?
Toller Artikel!
Es fehlt noch die Marke MSC aus Dรผlmen:
http://www.msc-uhren.com/
Und was ist mit Osco (Otto Schlund & Co Uhrenfabrik) Schwenningen?
Toller Bericht, leider vermisse ich einen Hinweis auf Temption aus Herrenberg.
Als ehemaliger Schรผler (1969-1972) der Staatlichen Berufsfachschule Furtwangen bin ich sehr fasziniert von dieser tollen Chronologie! (doppelter Wortsinn) ๐
Hallo, bin eben รผber diesen sehr informativen Artikel gestolpert. Toll geschrieben und gut recherchiert, mir fehlen aber die Kienzle Uhren, denn die waren mindestens so groร alt und interessant wie zB. Junghans…
Hi Mario, Du hast in Frankfurt/Main aber leider einen Hertsteller missachtet.
HACHER Uhren werden zum Groรteil in Frankfurt eingeschalt und sollten auch auf der Liste zu finden sein. Die legendรคren HACHER WRC Chronos an erster Stelle. Diese sind komplett aus FF/M. Walther Rรถhrl ist Markenbotschafter und hat deim Design der Chronos mitgewirkt ๐
Danke Jรผrgen, hab’s ergรคnzt ๐
Ein ungemein interessanter und gut geschriebener Artikel, den ich erst jetzt gelesen habe. Allerdings muร der Klugscheiรer noch etwas dazu bemerken. Der Deutschlehrer in mir hat einmal aufheulen mรผssen: Das Wort โ Nirgendswoโ wirst Du im Duden nirgendswo finden, es gibt โnirgendsโ und โnirgendwoโ, aber nicht das von Dir verwendete Wortungetรผm. Nichts fรผr ungut, kann ja mal passieren. Sonst: Super,danke.
Danke Herr Lehrer 8)
Hallo, grandios geschrieben. Eine tolle Lektรผre, vieles was mir noch nicht bekannt war. Grad in der aktuellen Zeit kommt man wieder vermehrt zum Lesen von solch guten und informativen Artikeln. Wo darf man dem Verfasser einen Kaffee oder eine Bier ausgeben?
Ich besitze noch Uhren von folgenden deutschen Herstellern:
โJ.B. Gioacchinoโ mit Sitz in 86899 Landsberg am Lech und von โFindeisenโ, Sitz in 96129 Leesten.
Sind beide wohl recht neu und nicht mit einer Uhrmacherhistorie verbunden, daher fraglich ob die hier Platz finden sollten. Wahrscheinlich gibts da noch unzรคhlige mehr, die eher unbekannt sind.
Dem Verfasser noch mal ein dickes Dankeschรถn! Bleibt gesund.
Vielen Dank, Roland! Ganz unten auf der Seite findest du einen kleinen „Kaffee-Spenden“-Button, wenn du magst ๐
De Artikel zeugt von Sachverstand und Fleiร. Ich habe aber einen Fehler entdeckt:
>Gesundbrunnen zu liefern: In dem kleinen Dorf rund 10 km vor Glashรผtte befand sich das zentrale Groรlager der Deutschen Seewarte. Alliierte Bomber verirrten sich hier kaum hin.<
Gesundbrunnen ist ein Ortsteil von Berlin. Einen gleichnamigen Ort bei Glashรผtte gibt es nicht.
Vielen Dank fรผr die gute Arbeit.
Hi, danke dir, es handelt sich aber tatsรคchlich um den Stadtteil Burkhardswalde-Gesundbrunnen Nord/Nord-Ost von Glashรผtte (Mรผglitztal) ๐