Schon Ende des 19. Jahrhunderts hatten Taschen-Uhren von Herstellern wie Elgin oder Waltham einen Glasboden – ursprรผnglich aber nur spezielle Vorfรผhrmodelle, damit Verkรคufer ihren Kunden die Mechanik erklรคren und Werksdekorationen zeigen konnten, ohne mรผhsam den Boden abschrauben zu mรผssen. Herr von Welt wollte ja schlieรlich nicht die Katze im Sack kaufen!
Dennoch waren Stahl- bzw. Goldbรถden bei Taschen- und Armbanduhren noch viele Jahrzehnte lang gesetzt – sowohl bei „dressigen“ Modellen als auch bei sportlich-funktionalen Uhren von Herstellern wie Rolex.
Eine Ausnahme (und eine der ersten Armbanduhren mit Glasboden รผberhaupt) war die Omega Seamaster Kleerback, die in den 60er Jahren mit einem Boden aus hochgewรถlbtem Hesalitglas kam. Solche Modelle blieben aber zunรคchst ein absolutes Nischenprodukt. Und dann kam ohnehin die Quarz-Krise und machten Glasbรถden obsolet, da der Blick auf Elektronik und Batterie das Blut von Uhrenfreunden hรถchstselten in Wallung bringt.
Nรผchtern betrachtet: Stahlboden schlรคgt Glasboden (fast) immer
Der Rolex-Konzern „wehrt“ sich bis heute vehement dagegen Glasbรถden einzusetzen: Mehr als ein schmuckloser Stahlboden ist sowohl bei Rolex als auch bei der Tochtergesellschaft Tudor bei (fast) keinem Modell drin (Ausnahmen wie die relativ neue Tudor Black Bay Keramik M79210CNU bestรคtigen die Regel).
Die Genfer sind offenbar ziemlich praktisch veranlagt, denn aus rein funktionaler Sicht hat ein Stahlboden tatsรคchlich (fast) nur Vorteile:
- Ein Stahlboden kann in aller Regel flacher konstruiert werden als ein Boden mit Sichtfenster. Das zahlt auf den Tragekomfort ein.
- Er bietet grundsรคtzlich einen grรถรeren Schutz gegenรผber Magnetfelder (mehr รผber Uhren und Magnetismus).
- Stahlbรถden lassen sich besser gravieren (siehe Artikel รผber Uhren gravieren).
- Im Vergleich zu Glasbรถden sind keine zusรคtzlichen Dichtungen notwendig – dadurch ist der Stahlboden weniger anfรคllig fรผr Undichtigkeiten bzw. Wassereintritt und
- insgesamt ist ein Stahlboden auch gรผnstiger in der Produktion, da ein Sichtfenster ein deutliches Plus an Prรคzision in der Produktion, zum Beispiel fรผr die Dichtungen und das Glas, verlangt.
Nur ein Vorteil sei bei Glasbรถden genannt: Uhrenfreunde, die eine Nickel-Kontaktallergie haben, haben mit Glasbรถden sicherlich deutlich weniger Hautprobleme (mehr รผber Uhren und Allergien hier).
In der Summe ist es mit Blick auf die vielzรคhligen Vorteile kein Zufall, dass viele Uhren und insbesondere funktionale Taucheruhren mit hoher Wasserdichtigkeit normalerweise mit einem Stahlboden kommen.
Wann ein Uhren-Glasboden ein „Must Have“ ist
Rolex ist aber eher die Ausnahme: Irgendwann entdeckten Uhrenhersteller, die sich im Premium- oder Luxusbereich positionieren, dass es vielleicht keine so schlechte Idee ist, die Mechanik einer Uhr selbstbewusst durch einen Glasboden zu prรคsentieren. Einer der Vorreiter dabei war Chronoswiss – und auch, wenn der in Luzern ansรคssige Uhrenhersteller heute eher unter dem Radar fliegt, kommen nach wie vor primรคr Glasbรถden in Verbindung mit schรถnen Dekorationen zum Einsatz:
So auch bei Glashรผtte Original und der Taucheruhr SeaQ (Panoramadatum), die hier beispielhaft genannt sei: Prรคgend fรผr die Gesamtoptik des Kalibers ist die sogenannteย Glashรผtter Dreiviertelplatine, die – wie der Name schon sagt – circa drei Viertel des gesamten Kalibers รผberspannt. Die Glashรผtter Dreiviertel-Platine ist ein typisches Merkmal traditioneller Glashรผtter Uhrmacherkunst und verleiht dem Uhrwerk zusรคtzliche Stabilitรคt – und bietet eine Menge Platz fรผr schรถne Dekorationen, die gezeigt werden wollen: So kommt die Dreiviertelplatine bei der SeaQ Panoramadatum mit einem feinen Zierschliff, dem sogenanntenย Glashรผtter Streifenschliff, der ebenfalls auf die Anfangstage der Glashรผtter Uhrmacherei zurรผckgeht und das Pendant zum Genfer Streifenschliff darstellt. Zum Einsatz kommen ferner unter anderem polierte und thermisch geblรคute Schrauben.
Als i-Tรผpfelchen kommt eine Rotor mit vergoldetem Doppel-G Symbol sowie einer Schwungmasse aus 21-karรคtigem Gelbgold zum Einsatz. Der Rotor ist dabei skelettiert, um den Blick auf die dahinterliegende Finissage zu ermรถglichen.
Bei all diesen optischen Leckerbissen wรคre es doch eine Schande, wenn diese hinter einem Stahlboden versteckt wรคren, oder?
Uhren-Glasboden: Kleine Kunstwerke
Und dann gibt es sie natรผrlich auch noch: Uhrwerke, die richtige kleine Kunstwerke sind und bei denen ein Glasboden quasi ein Must Have ist – so wie bei der TAG Heuer Monaco Piece d’Art, eine Einzelanfertigung, dessen Vintage-Calibre 11 aus dem Jahre 1969 verschiedenen Handgravuren spendiert bekommen hat, darunter Schriftzรผge im Stil der 1970er-Jahre („cal. eleven“ und „Monaco Swiss“). Ende 2019 kam das Einzelstรผck fรผr รผber 80.000 US-Dollar unter den Hammer.
Der in der Nรคhe von Hagen ansรคssige Uhrenhersteller Tourby ist spezialisiert auf imposante Handgravuren: Ein extra fรผr diesen Zweck angestellter Graveur-Meister setzt auf Basis von Zeichnungen oder anderen Vorlagen die Wunsch-Gravur des Kunden um (z.B. auf dem Rotor eines Automatikmodells) – das kann schon mal mehrere Tage dauern, weshalb solche Meisterwerke natรผrlich รผber einen Glasboden gezeigt werden mรผssen:
Dass man nicht unbedingt den Wert eines Luxuswagens fรผr eine Uhr mit toll dekoriertem mechanischem Uhrwerk auf den Tisch legen muss, beweist Alexander Shorokhoff, der sich mit seiner Marke auf avantgardistisches Design und รผppig dekorierte Werke spezialisiert hat, bei denen es richtig viel Laune macht, die vielen Details zu entdecken:
Gar nicht mal so schรถn: Uhren mit Glasboden und (fast) undekorierter Stangenware
Irgendwann begannen auch Uhrenhersteller im gรผnstigeren Preissegment auf inflationรคre Art und Weise Glasbรถden zu verbauen – auch, wenn der Blick auf das dahinterliegende Werk alles andere als eine Augenweide ist. Hier ein paar Beispiele von Uhren, die ich in den letzten Jahren getestet habe:
Und nein, auch Glasboden-Drucke helfen nicht wirklich, um รผber schmucklose Stangenware hinwegzutรคuschen – die machen das Erscheinungsbild eher unruhig. Hier am Beispiel der Seiko 5 Sports Automatik bzw. der Seiko Street Fighter Sonderedition (rechts):
Seien wir mal ehrlich: Einen solchen Anblick braucht kein Mensch, oder?
Ausnahmen bestรคtigen die Regel: Cornelius Huber, der die Familien-Uhrenmarke Circula wiederbelebt hat, hat fรผr das (schon lange ausverkaufte) Modell Circula Heritage einen Bestand mechanischer Werke derย Pforzheimer Uhren-Rohwerke GmbH (PUW), konkret dasย PUW 561 Handaufzugswerkย und dasย PUW 1661S Automatikwerkย aus denย 70ernย in ungebrauchten Neuteilen erwerben kรถnnen โ es handelt sich anders gesagt um New Old Stock-Ware, kurzย NOS, das heiรtย neue Ware aus altem Lagerbestand. Die Kaliber sind – wenn man ehrlich ist – alles andere als schรถn anzusehen. Dennoch ist es meiner Meinung nach absolut sinnvoll gewesen, dass Circula diese durchaus besonderen Werke durch einen Glasboden sichtbar gemacht hat.
Summa summarum ist ein Glasboden fรผr mich niemals ein ausschlaggebendes Kaufkriterium – schlieรlich trage ich meine Uhren nicht mit dem Boden nach oben am Arm. Dennoch kann ein Glasboden bei schick dekorierten Kalibern ein sehr feines „Extra-Bonbon“ sein. Gleichzeitig dรผrfen nicht weiter dekorierte Standardkaliber meiner Meinung nach gerne auch hinter Stahlbรถden versteckt bleiben – und der Stahlboden wiederum darf natรผrlich auch sehr gerne mit schicken Gravuren kommen, am liebsten schรถn tief und reliefartig wie bei der Laco Frankfurt GMT oder der Circula Supersport:
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Danke, netter Artikel! Ich dachte immer, Seikos Uboot-Chrono aus 1976 hรคtte solche Bรถden als erster. Maurice Lacroix behauptet, dies als erster eingefรผhrt zu haben; das war aber 10 Jahre NACH Seiko.
Schรถn anzusehen sind die preiswerten Sea-Gull Chronographen ST190x mit Schaltrad von hinten, vor allem wenn sie eine Schwanenhals-Regulierung aufweisen. Die sehe ich in den Fotos hier nirgends auf den Unruhen montiert.
In meiner kleinen Sammlung habe ich eine billige China-QUARZUHR (Fabrikat ist mir zZ entfallen ), die mit einem Glasboden ausgestattet ist. Dahinter sieht man dann einen unechten ‚Fake‘-Rotor รผber dem eigentlichen Batteriewerk lose kreisen. Die MUSSTE ich einfach haben – das ist so schrรคg, dass es schon wieder cool ist!
Moin Mario, wieder ein schรถner Beitrag zum Thema Glasboden, toll fotografiert und klug kommentiert. Bei Kalibern aus Glashรผtte (Lange, Glashรผtte, Nomos, Moritz Grossmann etc.) oder der Schweir (AP, Hublot, Patek, Greubel, GP, Jaeger etc.) wird so viel Arbeit in die Veredelung gesteckt, daร es schon รคrgerlich wรคre, diese „Kunstwerke“ zu verstecken. Wer mal fรผr kleines Geld einen Venus Klon beobachten mรถchte, dem empfehle ich die Sea-Gull 1963 bei Bartels Watch mit Glasboden und Schwanenhals-Regulierung, eine Augenweide. Danke Mario fรผr die top Aufbereitung dieses interessanten Themas. LG Werner
Danke Werner ๐
Ich finde das Argument von Helmut, dass Fรคlschungen mit Glasboden besser bekรคmpft werden kรถnnen, als sehr gewichtig.
Aber ein Artefakt das weniger kompliziert aufgebaut ist, hรคlt lรคnger. Und das mรถchte doch jeder! Auรer – der Sammler. Je mehr und je schneller die Objekte seiner Begierde am Handgelenk des puren Verbrauchers in winzige Rostpartikel zerfallen, desto wertvoller wird sein gehรคtscheltes „ungetragen mit Box und Papieren“. Da wird der Ladenhรผter von damals auch mal zur Ikone der Neuzeit.
Drum halten wir’s mit Mallard: Die Wahlmรถglichkeit ist die beste Lรถsung.
Wieder mal ein sehr lesenswerter Beitrag. Ich finde es auch bei einfachen Werken schรถn, wenn man denen bei der Arbeit zusehen kann, nicht jeder kann sich das hevorragende Beispiel aus Glashรผtte leisten. Aber ich sehe auch den Vorteil des Stahlbodens (auch z.B. fรผr eine personalisierte Gravur) und wenn ich das gleiche Werk schon mehrfach in der Sammlung habe, dann brauche ich da keinen Glasboden mehr. Am besten ist es fรผr mich daher, wenn der Hersteller ein Wahlmรถglichkeit bietet, dann kann jeder sebst entschieden, was er mag.
Was soll das immer mit Rolex?
Ich finde diese Uhren unscheinbar und mickrig.
Dieser Hype ist mir unverstรคndlich.
Hier sollte man den Glasboden nach oben tragen!
๐๐๐๐ค
Danke fรผr den Artikel, dem Thema hat bisher, glaube ich, niemand Zeit geschenkt und erwรคhnt.
Ich bin ein Fan von Glasbรถden und mir ist es egal, ob es schรถn verziert ist oder nur ein Standard von z.B. Seiko oder Vostok.
Als Ingenieur des Maschinenbaus fasziniert es mich jedesmal, wenn ich meine Uhren mit Glasboden von unten ansehe, wie jemand so viele Teile in einem so kleinen Gehรคuse verbaut und alle Zahnrรคdle ๐ ineinander greifen und sich bewegen.
Logischerweise gefallen mir auch manche Skeleton Uhren und ich hatte auch schon eineโฆ
Liebe Grรผรe, Django Murats.
Schรถner Artikel, Mario! Am schlimmsten finde ich erbsenkleine Uhrwerke in groรen Gehรคusen mit Glasboden, insbesondere, wenn der Glasboden zusรคtzlich noch unvorteilhaft designt ist. Ein Beispiel fรผr einen schlecht designten Glasboden mit Erbsenwerk sind die LACO Flieger Basis Modelle. Dies war bei mir sogar im negativen Sinne kaufentscheidend. Beispiel fรผr einen geschickt designten Glasboden mit Erbsenwerk ist die TRASER P67 Automatik. LACO, deren Uhren & Service ich wohlgemerkt รผberaus schรคtze, hat leider bei den neuen Pro-Modellen auch einen der hรคsslichsten Stahlbรถden im Programm. Genial hingegen ist das Relief auf dem Stahlboden der TOURBY Lawless 42. Bei NOMOS lassen sich deren wunderschรถnen Uhrwerke รผbrigens auch unter einem polierten Stahlboden verstecken. Man spart dabei ca. EUR 300, ein Sakrileg ;-)!
Schรถnen Restsonntag! Gruร, Frank
Bei wertvollen Uhren, die man auch als Schmuckgegenstand ansehen kann: Ja zu einem Glasboden.
Bei Allerweltsuhren aber ein Nein zu dieser Frage. Das vermittelt nur den Eindruck: Mehr Scheinen als Sein.
Hallo Uhrenexperten,
ich befasse mich als Uhrenliebhaber seit zirka fรผnfzig Jahren mit Uhren.
Ich habe mich รผber diesen Artikel โGlasboden oder kein Glasbodenโ
sehr gefreut.
Sehr sympathisch geschriebene Darstellung dieses Themas.
Danke dafรผr !
Bei Glashรผtte Original, Nomos, Heuer usw. wรผrde ich es fast schon als Majestรคtsbeleidigung ansehen, wenn kein Glasboden verbaut wรคre. Hersteller, die sich keine groรe Mรผhe bei der Finnisierung der Werke geben, dรผrfen gerne den Deckel des Schweigens drรผber legen ๐
Ein Glasboden bei (z.B. einer Rolex) hรคtte aber den Vorteil, dass man vermutlich Fรคlschungen leichter erkennen kรถnnte.
So kรถnnen die Lumpen sogar ein Quarzwerk einschalen und aussen ROLEX draufschreiben.
Von daher spricht fรผr mich auch etwas FรR den Einsatz eines Glasbodens..