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Uhrenmarken verweisen gerne auf ihre lange und traditionsreiche Unternehmensgeschichte: Der Menüpunkt “Our History”, “Our Heritage” oder dergleichen gehört zum absoluten Standard auf den Websites quasi aller Uhrenmarken. Einige ergänzen in ihren Logos darüber hinaus gerne ihr Gründungsjahr (z.B. Tissot 1853, Breitling 1884, Laco 1925, Catorex 1858).

Offenbar gilt in den Marketingabteilungen gemeinhin: Je länger die Unternehmensgeschichte zurückreicht, desto besser. Denn: eine lange und spannende Historie ist für viele Uhrenfreunde nach wie vor ein Aspekt, mit dem man sich vor und nach dem Kauf doch noch ein kleines bisschen besser fühlt. Da nehme ich mich nicht aus: Auch ich verliere mich gerne in spannenden historischen Details und Anekdoten zu Marken und Modellen. Es ist aber oftmals nicht so, wie es auf den ersten Blick scheint…

Markenname + Jahr. Eine gängige Kombination im Bereich Uhren

Uhrenmarken mit “echter” Tradition – was steckt dahinter?

Wenn man an Uhren mit langer, traditionsreicher Historie denkt, schießen einem direkt große Marken wie Blancpain, Breitling, Rolex, Omega oder Longines in den Kopf. Longines ist sogar die älteste, heute noch aktive Uhrenmarke der Welt. Spannende Geschichten rund um die Anfänge der der zivilen Luftfahrt (Breitling Navitimer), die erste Mondlandung (Omega Speedmaster Professional Moonwatch) oder die Evolution der Taucheruhr (z.B. Rolex) begeistern viele Uhrenfreunde.

Allerdings sind hier ein paar einschränkende Worte angebracht: Tatsächlich kann man nur bei den wenigsten großen Uhrenmarken davon sprechen, dass diese unabhängig, geschweige denn nach wie vor in der Hand der Gründerfamilie sind.

Viele Uhrenmarken, deren Ursprünge häufig sogar bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, haben keine durchgängige Historie vorzuweisen und gehören heute zu einem der wenigen großen Uhrenkonzerne. Und das hat seine Gründe: Als in den 70er Jahren die Quarzkrise wütete und viele traditionsreiche Uhrenhersteller nicht den Hauch einer Chance gegen die japanische Quarz-Offensive hatten, brach eine regelrechte Insolvenz-Welle los. Durch Zusammenschlüsse, Verkäufe und/oder Investoren kamen einige Unternehmen aber wieder zurück – und fanden zu alter Stärke.

Beispiel Breitling: Neben großen wirtschaftlichen Problemen Ende der 70er Jahre kämpfte Willy Breitling, der Breitling in der dritten Generation führte, außerdem mit gesundheitlichen Problemen. Willys Söhne Gregory und Alain waren noch jung und bezweifelten, dass sich die traditionell auf mechanische Uhren ausgerichtete Schweizer Branche wieder erholen würde. Daher verkaufte Willy Breitling kurz vor seinem Tod im April 1979 die verbliebenen Vermögenswerte zusammen mit dem Markennamen und den Designs an Ernest Schneider. Schneider war passenderweise Uhrmacher und passionierter Pilot – ein Volltreffer für die seit je her auf Fliegeruhren spezialisierte Marke Breitling.

Im Jahre 1998 übernahm Théodore “Teddy” Schneider das Grenchener Unternehmen von seinem Vater Ernest. Im Jahre 2017 aber hat “Teddy” die Nachfolge in seinem Unternehmen mit dem Verkauf von 80 Prozent an die britische Private-Equity-Gesellschaft CVC geregelt. Die restlichen 20 Prozent hat er kurz nach dem Deal ebenfalls versilbert und Breitling ganz CVC und dem neuen CEO Georges Kern (früher IWC) überlassen

Breitling CEO Georges Kern (PPR/Breitling/Harold Cunningham)

Breitling ist ein gutes Beispiel für den Status Quo des Schweizer Uhrenmarktes: Gänzlich unabhängige Uhrenmarken gibt es heute so gut wie keine mehr.

Die allermeisten bekannten und umsatzstarken Uhrenmarken befinden sich in der Hand von Investoren oder gehören zu Konzernen wie der Swatch Group (Omega, Blancpain, Tissot, Glashütte Original, Union Glashütte, Mido, Rado etc.), LVMH Moët Hennessy (TAG Heuer, Zenith, Hublot etc.) oder Richemont (Panerai, Jaeger-LeCoultre, IWC, Vacheron Constantin, A. Lange & Söhne etc.).

Hochkarätig: Die Marken der Richemont Group

Eine nennenswerte Ausnahme bildet Oris aus dem Schweizer Dörfchen Hölstein: Die heutige Führung unter Herzog/Studer hat zwar keinerlei “echte” historische Verbindung zu den Oris-Gründern im Jahre 1904, den Uhrmachern Georges Christian und Paul Cattin. Aber: In den frühen 80er Jahren lösten der damalige Geschäftsführer Rolf Portmann und der Marketingleiter Ulrich W. Herzog durch ein Management Buy-Out die Oris AG aus der ASUAG (der Vorläufer der heutigen Swatch Group) heraus. Oris ist daher bis heute unabhängig – eine echte Seltenheit.

Mehr noch: Mit dem automatischen Caliber 400 hat Oris seit Ende 2020 sogar ein eigenes Manufakturwerk mit antimagnetischen Eigenschaften und satten 120 Stunden Gangreserve bei einer Frequenz von 28.800. Zum Vergleich: Das Powermatic 80 der Swatch Group (Einsatz z.B. bei Mido, Hamilton, Tissot…) kommt mit 80 Stunden Gangreserve (was ebenfalls gut ist), allerdings zu Lasten der Unruhfrequenz (runter auf 21.600 bph). Mehr dazu in meinem Artikel über das Powermatic 80. Das Caliber 400 kommt übrigens im Taucheruhren-Klassiker Aquis zum Einsatz.

Mit der Entwicklung eines eigenen Manufakturkalibers (mit echten Benefits) beweist Oris, dass auch Uhrenhersteller ohne die Kostenvorteiles eines Konzerns in der Lage sind, Investitionen für sinnvolle technische Produktverbesserungen zu stemmen. Außerdem ist Oris durch die In-House-Entwicklung weniger abhängig von der Marktmacht der Uhrwerkehersteller ETA (Swatch Group) und Sellita.

Waschechte Familienbetriebe in der Uhren-Branche – eine noch seltenere Seltenheit

Noch viel seltener ist das, was Mühle-Glashütte mitbringt: Der Uhrenhersteller ist seit 1868 ein Familienbetrieb. Selbst nach der Enteignung und der Demontage der Produktionsstätte nach dem Zweiten Weltkrieg, steckte die Familie nicht den Kopf in den Sand: Der Sohn des Mühle-Gründers Hans trotzte den Umständen und gründete noch im selben Jahr ein neues Unternehmen, die Firma Ing. Hans Mühle, die eine Zeit lang alleiniger Hersteller von Zeigerwerken für Druck- und Temperaturmessgeräte in Ostdeutschland war.

Auch eine Verstaatlichung bzw. Enteignung des Betriebes im Jahre 1972 durch die SED stoppte die Familie Mühle nicht – nach dem Mauerfall nutzte Hans-Jürgen Mühle die Chance, um mit der „Mühle-Glashütte GmbH nautische Instrumente und Feinmechanik“ den Grundstein für das heutige Unternehmen zu legen.

Auch die Gerhard D. Wempe KG mit Sitz in Hamburg, welche seit mehr als 140 Jahren mit hochwertigen Uhren und Schmuck im Geschäft ist, ist bis heute familiengeführt: Im Jahre 1878 gründete der grade mal 21-jährige Gerhard Diedrich Wempe, der Urgroßvater der heutigen Geschäftsführerin Kim-Eva Wempe, sein Unternehmen im niedersächsischen Oldenburger Land – mit grade mal 80 Mark Startkapital.

Wempe kennt man aus den Innenstädten dieser Welt – mit bekannten Marken wie TAG Heuer, Longines, Rolex & Co. in den Auslagen (okay, letzteres wohl eher weniger 😉 – Stichwort Rolex-Blase). Wempe ist aber durch die historische Brille betrachtet weit mehr als einfach “nur” ein Händler bzw. Juwelier: Während des Zweiten Weltkrieges entstanden in den Chronometerwerken Hamburg die streng genormten, sogenannten deutschen Einheitschronometer. Diese wurden (neben Lange & Söhne) von Wempe produziert.

Auch heute noch baut Wempe Uhren bzw. Chronometer: Im Jahre 2006 ließ Kim-Eva Wempe für zwei Millionen Euro die verwaiste Sternwarte im Uhren-Cluster Glashütte zu einer Betriebsstätte umbauen. Seitdem produziert Wempe dort eigene mechanische Uhren, darunter die Modellreihe Wempe Iron Walker.

Auch Audemars Piguet, der Luxusuhrenhersteller, der mit dem Modell Royal Oak aus der Feder von Gérald Genta eine der bekanntesten Uhren der Welt im Sortiment hat, ist bis heute ein waschechtes Familienunternehmen: Im Jahr 1875, direkt nach dem Abschluss seiner uhrmacherischen Ausbildung, begann Jules-Louis Audemars in Le Brassus mit der Fertigung eigener Uhren. Unterstützung erhielt er gelegentlich von seinem Kumpel Edward-Auguste Piguet. Offenbar klappte die Zusammenarbeit gut: Die beiden Jugendfreunde gründeten am 17. Dezember 1881 die gemeinsame Firma Audemars, Piguet & Cie. – der Startschuss für eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte. Heute wird Audemars Piguet in vierter Generation von Jasmine und Olivier Frank Edward Audemars, dem Urenkel von Edward Auguste Piguet, geführt. Damit ist Audemars Piguet heute einer der letzten noch existierenden Schweizer Uhrenhersteller, der niemals den Schoß der Gründerfamilie verlassen hat.

Vom prestigeträchtigen Luxusunternehmen Audemars Piguet blicken wir in Richtung eines Underdogs: Titoni. Fritz Schluep gründete das Grenchener Unternehmen bereits 1919 als Felco bzw. Felca und ergänzte später die Marke Titoni. Die Titoni AG ist bis heute ein Familienunternehmen und wird seit 1981 in dritter Generation von Daniel Schluep geleitet. Mit dem T10 hat Titoni sogar mittlerweile ein eigenes Manufakturkaliber in petto.

Titoni ist in hiesigen Gefilden allerdings ziemlich unbekannt: Rund 80 Prozent der in Grenchen montierten Titoni-Uhren werden in Asien abgesetzt, allein 50 Prozent in China. In Deutschland gibt es grade mal vier Händler, die Titoni-Uhren führen – dem stehen satte 600 Verkaufsstellen in China gegenüber.

Und noch ein Underdog sei genannt: Die Cattin & Cie SA aus Les Breuleux, besser bekannt unter dem heutigen Markennamen Catorex, ist ein echtes Urgestein in der Schweizer Uhrenbranche: Gegründet wurde das Unternehmen bereits 1858 durch den Uhrmacher Constant Cattin, der damit in die Fußstapfen seines Vaters Georges Ignace Cattin – ebenfalls Uhrmacher – trat.

Damals wie heute ist die Cattin & Cie SA ein inhabergeführtes Familienunternehmen – Guy Albert Cattin übernahm das Geschäft im Jahre 1994 von seinem Vater Guy Cattin, der wiederum das Unternehmen 1955 von seinem Vater Armand und seinem Onkel Maurice übernahm. Und auch die 7. Generation steht schon in den Startlöchern: Guy Alberts Sohn Cyrill wird bereits jetzt an den Unternehmensalltag herangeführt.

Die Verkauften: Sinn, Guinand und FORMEX

Es gibt einige Beispiele für Uhrenhersteller, die – aus welchen Gründen auch immer – von den ursprünglichen Gründern verkauft wurden bzw. verkauft werden mussten. Ein Beispiel ist die Firma Sinn Spezialuhren, die vom eigensinnigen Überflieger Helmut Sinn im Jahre 1961 in Frankfurt am Main gegründet wurde. Der Schwerpunkt: Fliegeruhren mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis.

Nach über 30 Jahren Geschäftstätigkeit, im Jahre 1994, verkaufte Helmut Sinn seine Firma an Lothar Schmidt, welcher nach wie vor die Geschicke des Frankfurter Spezialuhren-Herstellers lenkt. Helmut Sinn bedauerte sehr, dass niemand aus seiner Familie an der Fortführung seiner Firma interessiert gewesen sei und sagte nachdenklich im Gespräch mit der FAZ: „Vielleicht war ich zu grob, ich bin nun mal sehr direkt.

Neueigentümer Lothar Schmidt verpasste der Marke Sinn zwar keinen gänzlich anderen Anstrich, setzte aber gewisse Schwerpunkte im Bereich bestimmter Technologien wie gehärtete Gehäuse (Tegimentierung), Ar-Trockenhaltetechnik, eine schmierstofffreie Ankerhemmung (DIAPAL), hohen Magnetfeldschutz etc. Einige Uhrenfreunde sehen diese (preistreibende) Entwicklung allerdings kritisch und nicht mehr im Geiste von Gründer Helmut Sinn…

Übrigens: Auch niemand geringeres als der Rolex-Gründer Hans Wilsdorf hatte keinen Nachfahren, der Rolex fortführen konnte – seine beiden Ehen blieben kinderlos. Schon im Jahre 1945, kurz nach dem Tod seiner ersten Ehefrau, brachte er daher sämtliches Unternehmenskapital in die Hans-Wilsdorf-Stiftung ein. Wie die meisten Stiftungen ist auch die „Fondation Hans Wilsdorf“ gemeinnützig. Das unterscheidet Rolex maßgeblich von Konkurrenten wie Omega oder TAG Heuer, die aufgrund der jeweiligen Konzerne im Rücken (Swatch bzw. Richemont) massiv auf Shareholder Value gedrillt sind (Stichwort: Limited Edition Overflow).

Aber zurück zu Helmut Sinn: Nicht mal zwei Jahre nach dem Verkauf seiner Firma packte den schnellen Helmut mit fast 80 Jahren noch mal die Lust an der Herstellung von Uhren: 1995 übernahm er die Aktienmehrheit der Guinand S.A. von der Familie Guinand und verlegte später den Geschäftsbetrieb nach Frankfurt.

Die Verbindung von Helmut Sinn zu Guinand war dabei nicht zufällig: Bis Mitte der 1990er-Jahre fertigte der Geschäftspartner Guinand einen großen Teil der Sinn-Uhren. Insgesamt bestand die Geschäftsbeziehung zwischen Sinn und Guinand seit 1960, also für rund 35 Jahre.

Im Jahre 2014 ist die Marke Guinand allerdings beinahe in der Versenkung verschwunden, denn Helmut Sinn musste den Geschäftsbetrieb aus Altersgründen endgültig aufgeben. Per Zufall erfuhr der jetzige Inhaber Matthias Klüh von der Lage. Herr Klüh, als gebürtiger Frankfurter eng mit der Region verbunden, musste allerdings feststellen, dass zu dem Zeitpunkt der Geschäftsbetrieb schon fast komplett aufgelöst war: außer Kundenkartei, Konstruktionsunterlagen, Komponenten und dem Markennamen war nicht mehr viel übrig. Der Neustart ist trotzdem geglückt: Guinand hat sich über die letzten Jahre etabliert und zählt dabei nicht nur Freunde von Sinn-Uhren zu seiner Kundschaft.

Guinand Werksverkauf Frankfurt-Rödelheim und Helmut Sinn
Helmut Sinn, Bild: Guinand

Ein weiteres Beispiel ist FORMEX: Die 1998 gegründete Marke ging einige Jahre lang durch Höhen und Tiefen – der Tiefpunkt drückte sich beispielsweise dadurch aus, dass bestimmte Modelle auf 123tv verramscht werden mussten, um Umsatz zu generieren. Aus Image-Sicht war das damals natürlich – gelinde gesagt – suboptimal. Als im Jahre 2015 der junge Schweizer Raphaël Granito FORMEX übernahm war eine seiner ersten Amtshandlungen die Zusammenarbeit mit 123tv zu beenden und voll auf den Direktvertrieb zu setzen.

Seit dem hat sich extrem viel getan: Mit den Modellen FORMEX Essence und FORMEX REEF setzen die Schweizer auf betont moderne Designs und hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis. FORMEX damals und FORMEX heute haben nur noch wenig gemein (außer die modernen Uhren-Designs). Und das hat seine Gründe: Raphaël Granito kann auf die Expertise und die Produktionskapazitäten der sich in unmittelbarer Nachbarschaft befindlichen Dexel SA zurückgreifen, welche Raphaëls Vater Elio Granito vor über 35 Jahren aufgebaut hat. Bei Dexel fertigen rund 70 Mitarbeiter u.a. Zifferblätter, Gehäuse und Faltschließen komplett in-house mit Hilfe eines hochmodernen Werkzeugmaschinenparks.

In und um Pforzheim gibt es einige Beispiele für Veräußerungen, durch welche die Marken bis heute erhalten geblieben sind: Aristo Pforzheim beispielsweise, für drei Generationen im Besitz der Gründerfamilie Epple, gehört seit 1998 dem Uhrmacher Hansjörg Vollmer. Vollmer wiederum ist der Enkel des Gründers der bekannten Metallband-Manufaktur Vollmer, die 1922 gegründet wurde. Aristo und Vollmer fusionierten im Jahr 2005 zur Aristo Vollmer GmbH.

Auch die Pforzheimer Uhrenhersteller Laco und Stowa, die vor allem für ihre Fliegeruhren bzw. Beobachtungsuhren bekannt sind, sind heute nicht mehr in der Hand der Gründer-Familien Lacher (Laco) bzw. Storz (Stowa). Letztere Marke gehört seit 1996 dem Goldschmied und Uhrenbauer Jörg Schauer, der das Unternehmen mit ruhiger Hand und viel Nachhaltigkeit fortführt.

Blicken wir etwa 100 Kilometer südlich von Pforzheim nach Schramberg: Dort wechselte die einst größte Uhrenfabrik der Welt, Junghans, gleich mehrfach den Besitzer. Zwar überlebte Junghans dank hoher Markenbekanntheit und Innovationen wie zum Beispiel der ersten Funk-Armbanduhr sogar die Quarzkrise, im August 2008 mussten aber auch die Schramberger Insolvenz anmelden. Der inkonsequente strategische Schlingerkurs (vom Billighersteller zum Premium-Hersteller) des EganaGoldpfeil-Konzerns, der Junghans im Jahre 2000 übernahm, hat sicherlich einen Beitrag zum Absturz des Schwarzwälder Traditionsunternehmens beigetragen. 

Doch Junghans wurde – wie durch ein Wunder – gerettet: Der aus Schramberg stammende und eigentlich im Ruhestand befindliche Unternehmer Hans-Jochem Steim und sein Sohn Hannes kauften die insolvente Firma und erhielten die meisten Arbeitsplätze. Mit dem gelernten Uhrmacher Matthias Stotz als Geschäftsführer, welcher bereits seit 2007 bei Junghans arbeitet, wurde das angeschlagene Unternehmen wieder auf Kurs gebracht.

Junghans Geschichte

Investoren lieben diesen Trick: Das Wiederbeleben von totgeglaubten Uhrenmarken

Es lässt sich zunehmend das Phänomen beobachten, dass Investoren die Namensrechte von Uhrenmarken erwerben, die seit Jahrzehnten vom Markt verschwunden sind – aus gutem Grund: Die Nutzung einer früher einmal sehr erfolgreichen, bekannten und traditionsreichen Marke ist in der Regel deutlich günstiger als in den Aufbau von Markenbekanntheit und -vertrauen zu investieren. Im selben Atemzug sparen sich die Investoren natürlich auch das Geld für die Investition in neue Uhrendesigns – man kramt einfach in den Archiven der Marke und wird schon irgendwo fündig, um ein Re-Issue zu lancieren.

Ein Beispiel aus jüngerer Vergangenheit ist die aus dem Grab gehobene US-amerikanische Uhren-Marke Benrus, die alles mitbringt, was sich ein Kapitalgeber wünscht (z.B. eine lange Markengeschichte). Hinter dem Benrus-Relaunch stecken aber nicht etwa die Nachkommen von Benjamin Lazarus und seinen Brüdern, sondern Michael Sweeney, ein US-amerikanischer, auf Unternehmensakquisitionen spezialisierter Anwalt.

Und die Moral von der Geschicht’? Uhrenfreunde sollten sehr genau hinschauen, wer da eigentlich versucht eine totgeglaubte Marke zum Leben zu erwecken – denn, wenn es ein Investor nur darauf anlegt eine tote Kuh bis zum Gehtnichtmehr zu melken, so kommt wahrscheinlich eher nichts Gutes dabei raus…

Wiederbelebt – mit echtem Familienhintergrund

Auch Circula ist eine Marke, die vor einiger Zeit vom Markt verschwunden ist – und Anfang 2018 wiederbelebt wurde. Hinter Circula steckt allerdings kein Investor, der eine Möglichkeit für Renditen sucht, sondern der Enkel des Firmengründers Heinz Huber: Cornelius Huber.

Cornelius Huber Circula
Cornelius Huber und sein Vater

Mit entsprechend viel Nachhaltigkeit geht Cornelius auch an sein Familienerbe heran: Mit der im Jahre 2019 lancierten Circula Heritage beispielsweise, die von 100% Made in Germany New Old Stock-Manufakturkalibern der Pforzheimer Uhren-Rohwerke (PUW) angetrieben wird, hat Cornelius ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Der Erfolg gibt ihm recht: Mittlerweile sind die Heritage-Modelle so gut wie ausverkauft.

Mittlerweile gibt es auch schon ein zweites mechanisches Modell, die Taucheruhr Circula Aquasport. Eine weitere Taucheruhr, ein Modell mit echtem Super-Compressor-Mechanismus, ist derzeit in Arbeit und soll 2021 ausgeliefert werden – auch bei der Circula SuperSport ist die Uhren-Community dazu eingeladen, die wesentlichen Eckdaten mitzubestimmen und Feedback abzugeben.

Uhrenmarken, die Tradition suggerieren

Wie wir weiter oben gesehen haben, ist auch bei den vermeintlich “echten” Traditionsmarken nicht alles so, wie es auf den ersten Blick scheint. Im Kontrast dazu stehen Uhrenmarken, die gerne suggerieren, dass eine lange Unternehmensgeschichte vorhanden ist, obwohl dem faktisch überhaupt nicht so ist. Die Uhrenmarke Thomas Earnshaw 1805 beispielsweise bezieht sich gerne auf den gleichnamigen englischen Uhrmacher – Zitat:

Thomas Earnshaw is revered as a legend and pioneer in the field of Horology. Born in Manchester, England in 1749, he was celebrated for his work in refining, and improving upon the Marine Chronometers of the era. It was those Marine Chronometers, crucial to the journeys taken by the boats in the Royal Navy as they circled the globe during a golden era in English history of science and exploration.

Mit dem berühmten Uhrmacher Thomas Earnshaw hat die heutige Uhrenmarke allerdings tatsächlich nur den Namen gemein. Das heißt natürlich nicht, dass von Earnshaw schlechte Uhren kommen – ich hatte schon ein paar in der Hand und qualitativ gibt’s da wirklich nix zu Meckern.

Man fragt sich aber natürlich schon, warum es viele Uhrenmarken offenbar für nötig erachten eine Historie vorzugaukeln. Man blicke nur mal Richtung Glashütte auf die ebenfalls noch recht junge, erst 1990 von Uwe Ahrendt gegründete Marke NOMOS: NOMOS zeigt auf beeindruckende Art und Weise, dass man auch erfolgreich sein kann, ohne sich auf eine erdachte Geschichte zu berufen – mit frischer und moderner Marketingkommunikation.

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Franky
2 Jahre zurück

Moin moin,

Sehr schöner und interessanter Bericht,

als ich eben das Bild von Helmut Sinn sah, musste ich daran denken wie ich 1987 meine erste und einzige SINN UHR bei Ihm höchstpersönlich in seinem Rödelheimer Laden kaufte. Eine der ersten Titan Uhren (Arzt Ausführung) für seinerzeit 1100 DM, das war viel Geld für einen jungen Kerl der ich damals war. Ich durfte sie monatlich abbezahlen und auch sofort mitnehmen, nachdem Er meinen Ausweis kopierte. So war Helmut Sinn, ein fairer und offener Mensch, der noch Handschlag Geschäfte machte ….

Michael M. (ja, der aus W an der W in NRW)
3 Jahre zurück

Mehr,guter Mond, mehr… (Der kleine Häwelmann)

Sehr, sehr guter und ungeheuer informativer Artikel. Da hat sich aber jemand richtig Mühe gegeben, sowohl beim Recherchieren als auch beim Schreiben. Für mich eine Lehrstunde der besonderen Art und ungemein fesselnd. Vielen Dank Mario!

D.S.
3 Jahre zurück

Toller Artikel der von vielen Leuten gelesen werden sollte die auf Ihre Schweizer Scheinwelt so stolz sind.
Ich glaube auch das der Service der unabhängigen und – oder familiengeführten Unternehmen erheblich besser ist. Hierzu kann man leider nur selten etwas lesen.