“Alle rühmen sich meiner Kreationen, aber mich ignorieren sie am liebsten.” sagte Gérald Genta einmal etwas mürrisch in einem Interview. Tatsächlich prägte der gelernte Goldschmied und Juwelier wie kaum ein anderer Designer die Uhren-Welt. Der Name Gérald Genta ist aber eher Branchen-Kennern und gut informierten Uhrenfreunden ein Begriff. Klangvolle Markennamen bzw. Uhren wie Patek Philippe Nautlius, Audemars Piguet Royal Oak und IWC Ingenieur überstrahlen oft den genialen Kopf hinter den Designs dieser und vieler weiterer Modelle.
Aus diesem Grunde möchte ich in diesem Artikel gerne den Mann Gérald Genta etwas näher beleuchten. Denn es gibt einige einprägsame und spannende Anekdoten über Gérald Genta zu erzählen – wusstet ihr beispielsweise, dass die 2011 im Alter von 80 Jahren verstorbene Design-Ikone Uhren nie besonders gerne getragen hat? In einem Interview 2009 sagte er: “Ich mag Uhren nicht! Meiner Meinung nach stehen Uhren im Widerspruch zur Unabhängigkeit. Ich bin Künstler, ein Zeichner, und ich hasse es mich an die Zwänge von Uhrzeiten halten zu müssen”.
Und auch wenn Genta Uhren offensichtlich nicht besonders mochte, seinen teilweise extrem erfolgreichen Kreationen merkt man das keineswegs an 😉 – nicht selten wird er auch der “Picasso der Uhrenwelt” genannt. Schauen wir uns den Weg zu einigen der bedeutendsten Uhren-Designs überhaupt sowie einige Anekdoten aus Gentas Karriere an…
INHALT
Gérald Genta: Aller Anfang ist schwer – Uhren-Design-Karriere mit Startschwierigkeiten
Der Erfolg kam Gérald Genta natürlich nicht einfach zugeflogen, sondern war das Ergebnis jahrelanger Beharrlichkeit und harter Arbeit. Nach seiner Ausbildung im Jahre 1950 sah es jobtechnisch zunächst gar nicht gut aus für ihn: Sein Ausbildungsbetrieb bot ihm keine Stelle an, sodass sich Genta mit allen möglichen Jobs über Wasser halten musste – unter anderem als Modedesigner. Dabei wollte er eigentlich am liebsten Schmuck designen und malen.
Es mehrten sich allerdings die Anfragen aus der Uhrenindustrie – Designs für Gehäuse, Bänder und Zifferblätter waren besonders gefragt. Die Aufträge wurden allerdings nicht grade fürstlich bezahlt: Mickrige 15 Schweizer Franken pro Entwurf flossen zur damaligen Zeit an Gérald Genta. Um mit dem Design von Uhren seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, hat er damals sicherlich eine Menge Bleistifte verschlissen.
Zu den ersten Kunden von Gérald Genta gehörten die US-amerikanischen Firmen Benrus und Hamilton. Universal Genéve war einer von Gentas ersten Aufträgen aus der Schweiz. Das Modell Universal Genéve Polarouter beispielsweise wurde im Jahre 1954 für Scandinavian Airline System (SAS) kreiiert. Das Modell war besonders resistent gegenüber Magnetfeldern, damit eine hohe Ganggenauigkeit auch bei Flügen über den Nordpol gegeben war.
Gérald Genta war allerdings in der Regel nicht direkt für die Uhrenhersteller tätig: die meisten Aufträge liefen über deren Zulieferer (z.B. für Gehäuse). So landete beispielsweise das Design der (heute kaum noch bekannten) Cellini King Midas über einen Lieferanten bei Rolex – und die wussten gar nicht, wer sich für das Design verantwortlich zeichnete. Charakteristisch: Auf der Seite liegend erinnert die Cellini King Midas an den Parthenon-Tempel in Athen. Berühmtester Träger des Modells: Elvis Presley.
Selbiges gilt für die Omega Constellation aus dem Jahre 1959, die aus der Feder von Genta stammt – das Modell wurde allerdings erst spät Genta zugerechnet, da er nicht direkt für Omega arbeitete. Genta wirkte außerdem am Design der Omega Seamaster mit.
Getreu dem Motto ohne Fleiß, kein Preis machte sich Genta über die Jahrzehnte einen Namen in der Uhrenindustrie. 1969 gründete Genta sogar seine eigene Uhrenmarke mit dem Namen Gérald Genta. Sein eigenes Modell Minute Repeater war in den 80ern beispielsweise sehr erfolgreich.
Die drei berühmtesten Kreationen von Genta sind aber sicherlich die Audemars Piguet Royal Oak, die IWC Ingenieur und die Patek Philippe Nautilus…
Gérald Genta und die Audemars Piguet Royal Oak Stahl-Sportuhr
Im Jahre 1972 lancierte der Schweizer Uhrenhersteller Audemars Piguet mit der Royal Oak eine komplett neue Modellreihe. Die Royal Oak war eine Uhr, die – wie sich später zeigen sollte – der Genta’sche Startpunkt für eine ganze Reihe von echten Uhrenklassikern war. Das war damals allerdings alles andere als sonnenklar: Die Uhrenindustrie schlitterte grade ungebremst in die Quarz-Krise und hatte ordentlich mit dem Verkaufserfolg von Billig-Quarzern aus Fernost zu kämpfen. Wie das ausgehen würde, konnte damals noch keiner ahnen.
Kleine Anekdote am Rande: Nach Gentas eigenen Aussagen entstand das Design der Royal Oak in einer Nacht- und Nebel-Aktion: Der damalige Audemars Piguet-Chef Georges Golay rief Genta eines Nachmittags im Jahre 1969 an und bat um einen Entwurf für eine Uhr – die klare Anweisung: Eine Stahl-Sportuhr, die es in der Form noch nie gegeben hat. Etwas komplett Neues – und wasserdicht! Liefern sollte Genta schon am nächsten Morgen. Na, wenn’s weiter nichts ist… 😉
Genta wollte Audemars Piguet als langjährigen Kunden natürlich nicht enttäuschen – zu dem Zeitpunkt arbeitete der Designer schon seit fast 20 Jahren für den Uhrenhersteller. Genta konnte offenbar gut mit Druck umgehen: Der über Nacht ausgetüftelte Entwurf kam hervorragend bei Audemars Piguet an, Genta bekam grünes Licht für die Erstellung von Prototypen.
Genta fand die Inspiration für die Royal Oak übrigens bei den wuchtigen Bronze-Taucherhelmen, die früher zum Einsatz kamen – so kam es zur achteckigen Lünette mit sichtbaren Schrauben. Ein echtes Design-Novum im Uhrenbereich! Funktional betrachtet halten die acht Schrauben der Royal Oak den Glasrand samt Gummidichtung am Korpus – nicht mehr und nicht weniger.
Fast noch auffälliger als die Lümette der Royal Oak ist das charakteristische Stahlband, welches nahtlos an das Gehäuse anschließt – klassische Hörner? Fehlanzeige! Das Band verjüngt sich außerdem stark, d.h. es wird Richtung Schließe immer schmaler.
Die beschriebenen Designelemente waren für damalige Verhältnisse mehr als ungewöhnlich. Augenscheinlich ist auch das eher schlichte Zifferblatt (vom Waffel-Muster mal abgesehen), was zeigt, dass Genta zu Beginn seiner Karriere vor allem auf das Design von Gehäusen und Stahlbändern fokussiert war.
Für knackige Preise war Audemars Piguet auch schon damals bekannt – es war ziemlich bemerkenswert, dass sich das in Le Brassus ansässige Traditionsunternehmen mit einer sportlichen Stahluhr zum Preis einer Golduhr an den Markt wagte – den Uhren-Typus der Stahl-Sportuhr gab es damals in dieser Form schlicht noch nicht. Im Wesentlichen gab es nur zwei Arten – Dress Watches wie die Rolex Cellini oder die Patek Philippe Calatrava standen funktionalen Uhren gegenüber (Chronographen, z.B. von Heuer und Taucheruhren, z.B. die Omega Seamaster). Das war’s dann auch schon im Wesentlichen.
Goldvarianten der Royal Oak kamen trotzdem später noch dazu – wie man an den beiden Print-Anzeigen unten erkennen kann, die aus den 80er Jahren stammen.
Eine weitere Anekdote zur Royal Oak: Eines der bekanntesten Gesichter der Uhrenindustrie, Jean-Claude Biver, lernte Genta 1978 in seiner damaligen Funktion als Produktmanager für die Omega Seamaster kennen als er diesen für ein neues Design anheuerte. So entstand damals die Seamaster im Titangehäuse, wegen ihrer Rundungen und der Goldstreifen auch Schildkröte genannt. “Seither sind wir Freunde”, sagte Biver und ergänzt: “[…]der damalige Audemars-Piguet-Chef war ein Mann, der Visionen hatte. Dass eine Spitzenmarke wie Audemars Piguet eine Stahluhr anbieten würde, war unerhört. Die machten nur Golduhren. Und dann die Schrauben auf der Lünette. So etwas hatte man noch nie gesehen. Die Technik wurde sonst nie gezeigt, sie wurde konsequent versteckt.”
Tatsächlich war die Royal Oak Anfangs ein ziemlicher Flop – die Leute waren nicht bereit so viel Geld für eine Stahluhr über die Ladentheke wandern zu lassen (exakt 3750 CHF bei Einführung und damit rund vier mal teurer als eine Rolex Submariner). Und erst diese Größe! Je nach Modellvariante 36 bis 38 mm Durchmesser – puhh, viel zu groß! 😉 Zum Vergleich: Die Rolex Oyster kam mit 32 bis 34 mm Durchmesser. Da half dann auch das extrem flache Automatikwerk mit massivem Goldrotor nicht mehr – die Kunden zeigten der Royal Oak die kalte Schulter.
Erst viele Jahre später stieg der Beliebtheitsgrad der Royal Oak an. Und da kann man nur sagen: Gut, dass Audemars Piguet die Royal Oak nicht vorschnell wieder aus dem Sortiment genommen hat (so wie das heutzutage quasi jeder große Shareholder Value-orientierte Uhrenkonzern mit erfolglosen Modellen macht). Die Geduld hat sich für Audemars Piguet allemal mehr als gelohnt – die Royal Oak gehört heute zu den gefragtesten Stahluhren überhaupt, die Wartelisten sind randvoll. Trotz der immensen Preise ab rund 20.000€ für die mechanischen Modelle…
Gérald Genta und die Patek Philippe Nautilus
Eine weitere besonders einprägsame Geschichte rankt sich um Gérald Genta und die Erschaffung der Patek Philippe Nautilus: Auf der Baselworld 1976 hat Genta nach eigenen Aussagen während des Mittagessens in einem Hotel-Restaurant zufällig ein paar hohe Tiere von Patek Philippe gesichtet. Die Gelegenheit lies sich der emsige Genta nicht entgehen: Mehr als einen Stift und ein Blatt Papier vom Kellner sowie 5 Minuten Zeit benötigte es laut Genta nicht, um das Design der berühmten Patek Philippe Nautilus zu erschaffen. Die Mitarbeiter von Patek Philippe waren, trotz Mittagessen-“Störung”, ziemlich angetan. 😉
Auch dem Nautilus-Design liegt (ähnlich wie bei der Royal Oak) eine maritime Inspiration zugrunde: Die Lünette erinnert an ein Bullauge, mit zwei dezenten Vorsprüngen auf jeder Seite, die wie Scharniere aussehen (oder auch Segelohren 😉 ). Auf sichtbare Schrauben auf der Lünette wie bei der Royal Oak verzichtete Genta allerdings – das wäre für einen glasklar auf klassische Uhren ausgerichteten Hersteller wie Patek Philippe wohl auch etwas zu viel Sportlichkeit gewesen 😉
Bemerkenswert ist auch die unten abgebildete, selbstbewusste Reklame von Patek Philippe: “One of the world’s costliest watches is made of steel” (eine der teuersten Uhren der Welt ist aus Stahl gefertigt). Oder in einer anderen Anzeige: “Sie passt ebenso gut zum Taucheranzug wie zum Smoking“.
Die Botschaft war hier ähnlich wie bei der Audemars Piguet Royal Oak: Auch eine Sport-Stahluhr darf teuer sein! Der Erfolg hielt sich aber ebenfalls stark in Grenzen. Ob nun Audemars Piguet Royal Oak oder Patek Philippe Nautilus – so wirklich an den Mann bringen konnte man das Genta’sche Konzept der Sport-Stahluhr wider Erwarten nicht – zunächst jedenfalls.
Die Patek Philippe Nautlius und die Audemars Piguet Royal Oak sind heute begehrter denn je – mit Marktpreisen bei Online-Händlern bzw. Gebrauchtpreisen jenseits von Gut und Böse – wohl dem, der sich eines dieser Modelle zum Listenpreis leisten kann (oder will) und tatsächlich das Glück hat, auf die langjährigen Wartelisten rutschen zu dürfen.
Weitere Uhren-Schöpfungen von Gérald Genta: IWC Ingenieur SL, Mickey Maus & Co.
Eine Neuauflage der IWC Ingenieur SL (Referenz 1832) im Jahre 1976 rundete Gentas schöpferische Phase in den 70ern ab. Im Vergleich zu Nautilus oder Royal Oak spricht die Ingenieur zwar ganz eindeutig die Design-Sprache von Genta (siehe die erkennbaren Schrauben auf der Lünette, das Stahlband etc.), das Modell ist aber heute nicht ganz so heiß begehrt. Ob das vielleicht an der ursprünglich etwas nerdigen Zielgruppe liegt, die namensgebend für das Modell war? Wer weiß das schon… 😉
Genta hat aber natürlich nicht nur Sport-Stahluhren im Stile von Nautilus, Royal Oak oder Ingenieur SL erschaffen. Nach Angaben von Genta seien über die 50 Jahre seiner Design-Karriere um die 100.000 (!) Kreationen zustande gekommen. Das entspricht über 5 Entwürfen pro Tag!
Aus der Feder von Genta stammt beispielsweise auch eine Mickey Maus-Uhr, die in Zusammenarbeit mit Walt Disney entstanden ist – kein Scherz! Allerdings wird hier oftmals fälschlicherweise wiedergegeben, dass Genta der Erfinder der Mickey Maus-Uhr ist, deren rotierende Zeiger gleichzeitig die Arme der berühmten Comic-Maus darstellen. Die erste Mickey Maus-Uhr dieser Art kam allerdings bereits in den 30er Jahren als Kooperation zwischen der Waterbury Clock Company (der Vorläufer von Timex) und Ingersoll auf den Markt – zu der Zeit nuckelte Genta noch als Baby an seinen Däumchen 😉
Weitere bekannte Designs von Genta sind beispielsweise…
- …die Bvlgari Bvlgari, deren Lünette mit charakteristischer Bvlgari-Doppelgravur an eine alte römische Münze erinnern soll (Fun Fact am Rande: Bvlgari war zunächst überhaupt nicht begeistert vom Design…),
- die Dollar bzw. Coin Watch von Corum,
- die Cartier Pasha (1985),
- die BAUME & MERCIER Riviera,
- die 2017 eingeführte Bvlgari Octo, die ursprünglich unter Gentas eigener Marke vertrieben wurde bevor er seine Firma veräußerte (seit 1999 Bvlgari SA) und
- die Grande Sonnerie Retro, die Genta 1994 für seine eigene Uhrenmarke designte. Krass: Mit Minute Repeater, Ewigem Kalender und Tourbillon hat das Modell so ziemlich alles an Bord, was die Haute Horologie hergibt. Die Zielgruppe entsprechend: Superreiche (Preis ca. 2 Millionen Flocken).
Der Einfluss von Gérald Genta auf heutige Uhren-Designs
Viele Uhrenhersteller bringen heute Uhren im zeitlosen Stile von Gérald Genta heraus – Hublot orientiert sich beispielsweise mit der Big Bang-Modellreihe klar am Genta’schen Design. Selbiges gilt für quasi jede Uhr von der ziemlich jungen Ultraluxusuhrenmarke Richard Mille (mit Preisen, für die sich Otto-Normalbürger Eigentumswohnungen kaufen).
Auch die Maurice Lacroix Aikon-Modellreihe hat unverkennbare Inspirationen von Gérald Genta (Band, Bandintegration, Lünette, Waffel-Zifferblatt, Indizes):
Gérald Genta sagte in einem Interview mal über solche und andere Design-Anlehnungen- und Kopien: “For me, being copied does not cause me sadness… It constitutes an encouragement and a compliment. If you are not copied, you are incompetent.”
Übersetzt: “Ich bin nicht traurig, wenn ich kopiert werde … es begründet vielmehr Zuspruch und Anerkennung. Wenn man nicht kopiert wird, ist man inkompetent.”
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Wow, war mir völlig unbekannt! Die Nautilus fgefällt mir unglaublich gut, aber meine Lady sagt “Ne! Das ist DER klassische Großvater-Wecker” – damit ist das Ding leider vom Tisch. Danke für den Artikel, das war richtig spannend!
Endlich mal ein Artikel (wie immer gut gemacht), in dem mir keine der vorgestellten Uhren auch nur annähernd gefällt. Man könnte auch in Anlehnung an den großen Pater Brown sagen: Hübsch hässlich habt Ihr es hier. Und wie immer stellen wir zufrieden fest: Geschmack ist keine Geldfrage, es kann auch eine Patek Philippe Scheiße aussehen.
Die Royal Oak wäre schon was, da hab ich mich ein wenig verguckt. Aber diese Preise… puh!
Du sagst es! Potthässlich und sauteuer, das ist was für neureiche Dummbeutel… Dann lieber die Micky-Maus-Uhr, das zeugt von Stil und Charakter.