Wer auch gerne mal in englischsprachigen Uhren-Communities, -Magazinen und -Blogs unterwegs ist, der stolpert irgendwann mal unweigerlich über Formulierungen wie „Poor Man’s GMT Pepsi“, „Poor Man’s Rolex“ oder „Poor Man’s Nautilus“. Auch viele deutsche Blogs und Magazine haben diese süffisante Redewendung mittlerweile übernommen oder benutzen sinngemäße Übersetzungen wie beispielsweise „die Rolex des kleinen Mannes“.
Dahinter stecken Uhren in quasi allen Preiskategorien, die deutlich erschwinglicher als ihre Vorbilder sind – so wie beispielsweise die Neuauflage der Timex Q, die in der Pepsi-Variante zweifellos stark an die extrem beliebte (und extrem ausverkaufte) Rolex Pepsi erinnert. Oder die Maurice Lacroix Aikon, die sich im Designdunstkreis berühmter Kreationen von Gérald Genta bewegt. Im Allgemeinen bekommen häufig günstigere Hommagen den „Poor Man’s“-Stempel aufgedrückt, also Uhren-Modelle, die das Design eines Klassikers im Wesentlichen nachahmen.
Zwar werden die „Poor Man’s“-Sprüche häufig mit einem gewissen Augenzwinkern benutzt, so wie bei dieser „Poor Man’s Richard Mille“, die das Watch Face auf einer Apple Watch darstellt. Und dennoch muss ich sagen, dass ich sie einfach nur völlig gaga finde – aus mehreren Gründen, aber insbesondere mit Blick auf das Preisschild vieler Uhren, die so bezeichnet werden.
Der Klassiker: „Tudor = die Rolex des kleinen Mannes“
Die Poor Man’s-Bezeichnung taucht nämlich insbesondere im Zusammenhang mit der Rolex-Tochter Tudor auf – so wie bei der 2022 lancierten Tudor Black Bay Pro, die sich unzweifelhaft am Design der Rolex Explorer II 1655 “Freccione” orientiert und daher beispielsweise von Fratellowatches indirekt als Poor Man’s Rolex bezeichnet wurde. Natürlich kann man es kritisch sehen, dass Tudor offenbar sehr bewusst auf die Abnabelung vom Mutterhaus pfeift und damals wie heute liebend gerne im Designarchiv von Rolex wühlt.
Aber mal ehrlich: Wie absurd ist es bitte, dass man eine Uhr, die in der Variante am Stahlband fast 4000€ kostet, herablassend als Billigheimer abzutun? Das untergräbt zum einen das hervorragende Preis-Leistungs-Verhältnis von Tudor (Manufakturkaliber, tolle Verarbeitung etc.).
Zum anderen impliziert das auch, dass 4000€ nicht viel Geld sind. Und in der Hinsicht muss man so manchen Blogger offenbar mal kräftig schütteln, denn 4000€ entsprechen ungefähr dem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalts eines Deutschen. Zumal im Falle der Tudor Black Bay Pro das Vorbild, die Rolex Explorer II 1655 “Freccione” aus den 70er Jahren, locker für das zehnfache des Preises der Tudor Black Bay Pro gehandelt wird und damit absolut unerschwinglich ist.
Nun stelle man sich vor, dass jemand über Monate und Jahre geschuftet und sich den Arsch abgespart hat, um sich letztendlich voller Stolz eine Tudor leisten zu können – nur, um dann damit konfrontiert zu werden, dass diese vermeintlich nicht den „elitären“ Status des teureren Vorbildes hat (denn nichts anderes suggerieren ja Redewendungen wie „die Rolex des kleinen Mannes“).
Ich lasse jetzt nochmal „Captain Obvious“ raushängen: Eine Uhr im Preisbereich von Tudor ist ein Luxusgut (und darüber braucht man auch keine Diskussion anfangen). Punkt! Und als Uhrenfreund sollte doch die gemeinschaftliche Freude an Uhren überwiegen und nicht, bestimmte Modelle als minderwertig abzutun, oder?
Erschwinglichere Uhren und die Poor Man’s-Redewendung
Auch im deutlich günstigeren Bereich wird der „Poor Man’s“-Begriff gerne und häufig verwendet, ist aber auch hier meiner Meinung nach absolut deplatziert. Nehmen wir als aktuelles Beispiel die MoonSwatch, eine Quarz-Speedmaster, die aus der Zusammenarbeit zwischen den Konzernschwestermarken Omega und Swatch entstanden ist und mit 250€ ein Bruchteil der „großen“ Omega Speedmaster Moonwatch kostet.
Auch, wenn die MoonSwatch im Vergleich zur Moonwatch sehr günstig ist, sind 250€ für viele Uhrenfreunde eine Menge Geld. Geld, das in Zeiten von über 7% Inflation und Ukrainekrieg viele Menschen beispielsweise für die Gasrechnung, das Heizöl oder die stark gestiegenen Preise im Supermarkt verwenden müssen. Auch hier: Nun stelle man sich vor, dass jemand über Monate eisern gespart hat und in die elendig langen Schlangen vor den Swatch Boutiquen eingereiht hat, um sich doch irgendwie eine MoonSwatch leisten zu können. Warum sollte man das mit dem „Poor Man’s“-Stempel abwerten?
Ein weiteres Beispiel ist die bei Augsburg ansässige Uhrenmarke Steinhart, die sich vor allem darauf spezialisiert hat, bekannte Designs von Rolex nachzuahmen und in erschwingliche Swiss Made-Qualität ab rund 400€ zu verpacken. Das muss man selbstverständlich nicht gut finden – Kritik ist stets erlaubt. Günter Steinhart ermöglicht mit seiner Sortimentsstrategie aber vielen Uhrenfreunden, die sich das Original nicht leisten können oder wollen, den Zugang zu beliebten Designklassikern – und bietet gleichzeitig ein tolles Preis-Leistungs-Verhältnis (siehe zum Beispiel Test der Steinhart Ocean One 42 Keramik).
Mit Blick auf diese Aspekte sollten wir es meiner Ansicht nach tunlichst vermeiden Uhren und deren Käufer mit Redewendung wie „Poor Man’s Rolex“, „Poor Man’s Moonwatch“ etc. abzustempeln.
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Hallo miteinander,
ich finde es generell bescheuert, das ROLEX das Maß aller Uhrendinge sein soll. Ich hatte mehrere Rolex Modelle in meiner bisherigen Uhrenlaufbahn, aber keine einzige ging z.b. genau. Auch die GMT / Submariner usw. Modelle der vergangen Generationen hatten keine tollen Bänder oder Schließen. In Bayern heißt es “ die anderen kommen auch nicht auf der Brennsuppn daher“. Eine Marke wie Tudor / TAG Heuer / Tissot usw. lassen es Gott sei Dank noch zu, das einfach nur das Thema Uhrenliebhaberei und Hobby/ Freude und Begeisterung der Materie betrieben werden darf.
Ich nenne auch ca 8-10 G-Shock Modelle von Casio mein eigen und bin auch hier sehr begeistert davon. Die echten Uhrenliebhaber schauen zum Glück oft hinter die Kulissen der einzelnen Marken und somit kann und wird auch weiterhin eine Vielfalt an Uhrenträgern entstehen und spannende Preis-Leistungs Modelle getragen. Ich bin Gedanklich an der Rolex des kleinen Mannes ( Tudor) gerade dran, konnte mich aber noch nicht für das passende Model entscheiden.
Wir leben in einer Gesellschaft in der Bling-Bling einen völlig überhöhten Wert erreicht hat. Selbstdarstellung ist das Nonplusultra. Schein ist wichtiger als Sein. Substanz wird immer weniger bedeutsam. Schauen wir uns doch nur diese unsäglichen Selbstdarsteller an, die heute Influenzer genannt werden. So musst DU sein, DAS musst Du haben. So entstehen zunehmend Exzesse wie auch der Rolex-Kult. Arme Menschen! Wer weiß denn, ob er nach sieben (!) Jahren Wartezeit eine bestellte Uhr noch haben möchte bzw. noch bezahlen kann. Dann lieber eine lieferbare Ware, hier Uhr, kaufen und sich daran freuen. Spekulanten mögen da anders denken, aber mitmachen muss und sollte man(n) da nicht.
Danke für deine Gedanken!
Ich finde fast schon super, dass dieser Begriff überhaupt existiert und gebraucht wir.d. Poor men‘s blablabla macht micht mich persönlich stolz, denn nur Snobs brauchen den und meine Werte müssen von aussen nicht sichtbar sein, dafür sind sie echt. Ganz einfach..
Genau!
Ich gehöre nicht zu denen die über dem Durchschnitt verdienen. Rolex, IWC und Co finde ich aber rein optisch als gelungen. Da bin ich nur froh, dass es Uhren gibt, die an diese angelehnt und preislich erschwinglich sind. Hab mir eine Laco Aachen gekauft und bin glücklich. Wobei die nun nicht unbedingt als Hommage durchgehen sollte. Mir war hier aber wichtig auch Firmen im Ländle zu unterstützen und gleichzeitig Ähnlichkeit mit IWC aufweisen
Soll doch jede/r tragen, was gefällt. Anonymus hat imho vollkommen recht und mit Verlaub, es soll sogar Leute geben, die gewisse Marken gar nicht tragen wollen, auch weil man lieber still genießen und nicht rumprotzen mag. Und das können sogar Marken der sogenannten Haute Horologerie sein.
Der Begriff „Poor Mans ……“ ist mir erstmals vor bestimmt 12 Jahren auf der Webseite von Jeff Stein „onthedash“ in Bezug auf Heuer ähnliche Uhren untergekommen. Wobei es hierbei um identische Uhren von anderen Labeln handelt, die seinerzeit nicht unbedingt günstiger waren als Heuer Uhren. Es wird gemutmaßt, dass Heuer diese Uhren im Auftrag für andere Marken wie Zodiac, Tradition, Hamilton, Dugena und andere gefertigt hat. Das konnte allerdings nicht bestätigt werden. Zumindest haben die genannten anderen Hersteller dieselben Lieferanten für Uhrwerke, Ziffernblätter, Gehäuse und Zeigerspiel beauftragt. Sie dürften sich auch wegen der Übernahme des Designs zumindest abgesprochen haben. Ich selbst habe in meiner Sammlung einen mit „Zodiac“ gelabelten Chrono Automatic mit Kaliber 12, der, bis auf das Label identisch zur Heuer Carrera 1153 ist. Das Gehäuse trägt sogar die Modellnummer 1153 .
Danke für die Ergänzung!
Wenn man nicht protzen will, ist es doch egal, was eine Uhr kostet. Sie muss gefallen, laufen und man muss sich gut damit fühlen, auch wenn sie nur einen zweistelligen Betrag gekostet hat. Ich persönlich stehe überhaupt nicht auf Rolex. Es gibt auch andere Mütter mit wunderschönen Töchtern.
Rolex ist für mich ein erfüllter Lebenstraum, nicht um damit anzugeben.
Trefflicher Beitrag!
Eine Qualitätsuhr wie Rolex und Co. sollte man aus Spaß an der Freude tragen – und nicht weil man Schicki-Micki nachäffen will 😀
„A poor man’s watch“? Diese Ausdrucksweise sollte nicht verwundern. Seit zwei Jahren wird die Gesellschaft auf das Schlimmste gespalten und es soll ja auf diese Art und Weise auch so weiter gehen. Ein wirklich reicher Mann protzt nicht mir Rolex oder vergleichbaren Uhren. ein wirklich reicher Mann lebt bescheiden, treibt sich in keinen Foren herum und lässt sein Vermögen nicht heraus hängen.
Möchtegern-Reiche sehen das anders und müssen durch „Zeigen“ ihr Selbstbewusstsein stärken. Arme Neureiche Männer 🙁
Absolut, Danke dafür ! 🙂
Genau so ist es. Dem gibt es nichts hinzuzufügen:)
Recht hast Du!!!!