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Kienzle aus Schwenningen ist ein spannendes Kapitel deutscher Uhren-Geschichte. Sie beginnt im 19. Jahrhundert, anno 1822, in den Anfangsjahren der Schwarzwälder Uhrenindustrie und im Laufe der Jahrzehnte etablierte sich Kienzle als Hersteller mit Weltruf und vielen Tausend Mitarbeitern – doch was ist über 200 Jahre später von Kienzle übrig? Nun, Kienzle ist heute nur noch eine Markenhülle mit Billig-Uhren auf dem Aldi-Wühltisch. Wie es dazu kam, erfahrt ihr hier.

Kienzle-Uhren: Die Anfänge ab 1822

Zurück auf Anfang: Die später als Kienzle bekannte Firma hat ihre Ursprünge in einer Firmengründung anno 1822 durch Johannes Schlenker im süddeutschen Schwenningen – das erklärt auch den Zusatz „1822“ auf dem Zifferblatt von Uhren, die heute unter der Kienzle-Lizenz gefertigt werden.

Der Name Kienzle fand aber eigentlich erst 1883 Einzug, als Jakob Kienzle in die Familie einheiratete und Teilhaber der Firma wurde, die fortan als „Schlenker & Kienzle“ firmierte. Zu dem Zeitpunkt beschäftigte das Unternehmen etwa 20 Mitarbeiter und stellte jährlich etwa 20.000 Wand- und Tischuhren her. 1897 wird Jakob Kienzle Alleineigentümer der Firma und benennt sie 1919 in „Kienzle Uhrenfabrik“ um.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelang es Kienzle die Produktion voll auf Effizienz und Massenproduktion zu bürsten, ähnlich wie das die Waterbury Clock Company (Timex) damals in den USA tat. Moderne Fertigungsansätze führten zu einer enormen Expansion, bereits 1903 übersteigt die Produktion 1 Million Uhren, gefertigt von mehreren Hundert Mitarbeitern.

1939 beschäftigte Kienzle über 3.500 Mitarbeiter mit einem Output von 5 Millionen Wand- und Tischuhren pro Jahr. Das Unternehmen hatte auch eine gute Stellung im Bereich Uhren für Armaturenbretter von Luxusautos, insbesondere für Marken wie Rolls Royce und Bentley. Hier ein Beispiel auf eBay.

Ein Kienzle-Meilenstein war damals auch die 1931 auf den Markt gebrachte Kienzle Strapazier-Armbanduhr, die – wie der Name schon unmissverständlich andeutet – besonders robust sein sollte. Die Strapazier-Uhren wurden für mindestens 30 Jahre millionenfach produziert.

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Kienzle-Werbeschild Glas, Schwenningen um 1935, 67 cm x 42 cm, Quelle

Kultig: Ab 1936 wurden diese und andere Uhren in umgebauten Bussen deutschlandweit präsentiert.

Kienzle-Abspaltung in Italien

In den 1920er und 1930er Jahren hat Kienzle bereits eine Niederlassung in Mailand betrieben, die sich mit der Herstellung von Uhrgehäusen, der Montage von Uhrwerken und dem Vertrieb der Produkte auf dem italienischen Markt beschäftigte. Diese wurde 1933 als SIOK (Società Italiana Orologi Kienzle) gegründet und von den Brüdern Weyler geleitet. Die beiden hatten zuvor in Schwenningen gearbeitet, doch der Krieg zwang die Muttergesellschaft die italienische Niederlassung zu schließen. Nach dem Krieg wurde das italienische Unternehmen von den Gebrüdern Weyler gerettet, die die Produktion schrittweise auf Armbanduhren umstellten. 

Bis heute werden Kienzle-Uhren in Italien über ein 
breites Netz von Einzelhandelsverkaufsstellen von der Firma Eurotime Solution Srl vertrieben. Sogar mechanische Uhren hat Kienzle in Italien im Sortiment (z.B. mit Miyota 8215). Designtechnisch gehen die Italiener allerdings kein Wagnis ein. Mit den Kienzle-Uhren, die man beispielsweise heute bei Aldi findet, haben diese Uhren aber meinen Recherchen nach nichts zu tun (dazu gleich mehr).

Kienzle in den 50er Jahren: Kaliber „Volksautomatic“

Aber zurück zu Kienzle in Deutschland: Das Kienzle-Kaliber 057/21d, die sogenannte Volksautomatic, kam Mitte der 50er Jahre auf den Markt und war das einzige hauseigene Automatikwerk der Schwenninger Uhrenfabrik.

Im Gegensatz zu den Handaufzugsmodellen von Kienzle waren Modelle mit dem vergleichsweise hochwertigen Volksautomatic-Kaliber mit einem damaligen Verkaufspreis von 65 DM rund dreimal so teuer. Die Modelle lagen wegen der höherpreisigeren Positionierung wie Blei in den Auslagen und wurden schon 1963 wieder aus dem Sortiment genommen.

Kienzle in den 60er und 70ern: Billigheimer vs. Kienzle Swiss

In den 1960er und 1970er Jahren entwickelte sich Kienzle von den Stückzahlen her zum Marktführer in Deutschland – mit technisch durchaus spannenden Eigenentwicklungen aus dem Bereich Solar und Quarz. Dennoch: Kienzle-Uhren waren Massenware, billig und wurden unter anderem an Tankstellen verkauft. Es fehlten seit je her starke Markenwerte.

In dieser Anzeige beispielsweise wirbt Kienzle sehr preisaggressiv:

Hier eine Anzeige zur Kienzle-Rallye mit Kunststoff-Gehäuse für 44 DM aus dem Jahre 1968:

Mit Kienzle-Swiss wurde in einem ähnlichen Zeitraum außerdem versucht, parallel eine höherwertigere Linie zu etablieren – hier zwei Modelle für deutlich teurere 198 DM bzw. 258 DM Ende der 60er/Anfang der 70er:

Spannend: In einer Anzeige aus 1969 spricht Kienzle von 25.000 Uhren, die täglich (!) in sechs Fabriken hergestellt werden. In etwa jede vierte in Deutschland verkaufte Uhr kam zu diesem Zeitpunkt aus dem Hause Kienzle. Der Vertrieb ging dabei aber auch längst über Landesgrenzen hinaus – bis nach Japan:

Futuristisch war die Kienzle Life 2002 für 59 DM, die damit warb anders als andere Digitaluhren zu sein – hier eine Anzeige aus 1972:

Kienzle: Insolvenz und Investoren

Dennoch musste es kommen, wie es kommen musste: Kienzle geriet – wie so viele andere Uhrenhersteller auch – im Rahmen der Quarzkrise bzw. durch den Preisdruck aus Fernost (v.a. Japan) in Schiefstand: 1989 wird die Kienzle Uhrenfabrik von der DUFA (Deutsche Uhrenfabrik) übernommen. Anno 1996 geht die Firma insolvent.

Die weltweiten Markenrechte wurden nur ein Jahr später an die Highway Holdings-Gruppe aus Hongkong für 1 Millionen D-Mark verkauft. Der Eigentümer: Roland Kohl, ein ausgewanderter Schwabe. Zusammen mit einem anderen Geschäftsmann beschloss Kohl in Asien für den deutschen Prämienmarkt Uhren mit dem Schriftzug Kienzle zu produzieren. Der Absatz konnte sich sehen lassen: Binnen zwei Jahren gingen immerhin 750.000 Uhren über die Ladentische.

Versuch eines Neustarts Anfang der 2000er

Die Kienzle AG wurde 2006 von einem deutschen Investor übernommen – es folgte (wenig überraschend) eine strategische Neuausrichtung und ein neuer Hauptsitz, der sich aber nicht in Villingen-Schwenningen, dem früheren Stammsitz des Uhrenherstellers, sondern in Hamburg befand. Sogar höherwertigere mechanische Uhren wurden wieder gebaut. Das teuerste Modell der „Jakob Kienzle Edition“-Modellreihe: ein 18.900€ teurer Zeitmesser mit ewigem Kalender. Zielmarkt: die Golfregion und vor allem Asien. Wirtschaftlich lautete das Ziel der Kienzle AG: innerhalb von drei bis fünf Jahren die Umsatzschwelle von 100 Millionen Euro überschreiten.

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Edition Jakob Kienzle

Die Investoren spekulierten dabei darauf, dass sich mit der Wiederbelebung alter und vertrauter Marken gutes Geld verdienen lässt – das zeigen Beispiele wie Sinalco, Afri Cola oder der VW Käfer. Die Unternehmen setzen dabei auf die positiven Erinnerungen älterer Verbraucher, aber auch bei jüngeren kommt eine historisch aufgeladene Marken-Story gut an. Die Pläne waren jedenfalls ziemlich optimistisch: Breyer, Vorstandsvorsitzender der Kienzle AG, plante sogar eine eigene Manufaktur. Angedacht war die Übernahme einer Manufaktur in Ostdeutschland (Glashütte?), als Plan B lag die Gründung einer eigenen Manufaktur in der Schublade. Firmenchef Breyer ging von 120 bis 300 Mitarbeitern aus. Breyer sah den Erfolg auf der Grundlage „traumhafter Margen“ im Uhrenmarkt mit „Handelsspannen bis Faktor sechs und mehr„.

Long story short: Auch dieser Versuch eines Neuanfangs war nicht von Erfolg gekrönt: Nur vier Jahre später, anno 2010, folgte die erneute Insolvenz – so erging es zuvor schon mancher Firma aus dem Portfolio des deutschen Investors.

Im Jahr vor der Kienzle-Insolvenz wurde die Marke in ein Schweizer Unternehmen, die Rooster Holding aus Meggen, transferiert. Während eine neue Kienzle in der Schweiz entstand, sogar mit einer Vertriebsfirma in Hamburg, lief gleichzeitig noch das Insolvenzverfahren der alten Kienzle aus Hamburg und die Gläubiger warteten auf ihr Geld. 

Über viele Jahre schlummerten Kienzle-Marken bei der Premier Trademarks, einer Tochter der Independent Watch Group. Status mit Blick auf das Markenregister: Löschung wegen Nichtverlängerung:

Kienzle 1822 Herren-Uhr auf dem Aldi-Wühltisch – Schnapper-Preis?

Und heute? Nun, beim Wocheneinkauf stolperte ich erst kürzlich über Kienzle-Armbanduhren – auf einem Aldi-Wühltisch, beworben mit einem satten Rabatt von 74% (reduziert von knapp 80€ auf 20€). Schnäppchenalarm?

Beworben werden die Uhren mit dem Zusatz „1822“, auf dem Zifferblatt heißt es außerdem „Established in Germany“ (in Anlehnung an „Made in Germany“), jeweils als Anspielung auf die Historie von Kienzle (siehe oben). Wenig überraschend haben die Kienzle-Uhren bei Aldi mit der früheren Firma Kienzle so rein gar nichts mehr zu tun: Wie man auch auf dem Gehäuseboden sofort erkennen kann, stammt die Uhr vom Handelsunternehmen Krippls-Electronics GmbH aus dem österreichischen Wels.

Ausgehend vom Import-/Export-Geschäft hat sich Krippl nach eigenen Aussagen zunehmend um den Aufbau eines Markenportfolios gekümmert – und Kienzle ist offensichtlich eine von den Marken, die die Österreicher lizensiert haben. Zitat von der Website, Stand Dezember 2024:

Wir haben zu den oben genannten Produkten auch eine Vielzahl von attraktiven MARKEN die wir Ihnen anbieten können.

Nun könnte man natürlich sagen: Kienzle war schon immer gewissermaßen der Billigheimer unter den deutschen Herstellern (von wenig erfolgreichen Stippvisiten wie „Kienzle Swiss“ oder „Jakob Kienzle Edition“ mal abgesehen). Von daher könnte man durchaus argumentieren, dass der Verkauf von billigen Kienzle-Uhren über einen Discounter wie Aldi doch eigentlich sehr gut passt. Denn natürlich legen nicht alle Verbraucher viel Wert auf die Historie und ein höherwertigeres mechanisches Innenleben. Sie wollen einfach eine günstige Uhr, die gut aussieht. Punkt.

Dennoch blutete mir als Uhrennerd das Herz, als ich die Qualität der Kienzle-Uhr von Aldi nach dem Auspacken begutachtete: Während das Zifferblatt qualitativ durchaus ordentlich gemacht ist, sind Band und Gehäuse nahe am Totalausfall.

Das Gehäuse ist nicht aus Edelstahl, sondern offenbar aus verchromtem Messing oder dergleichen. Die Verchromung ist auch alles andere als hochwertig, wie man an der starken Empfindlichkeit gegenüber Kratzern mit in der Folge durchschimmernden rot-braun-Tönen und der extrem groben Verarbeitung, insbesondere an der Oberseite der Hörner, erkennen kann.

Fairerweise muss man aber sagen, dass, wenn man die Produktspezifikation auf der Verpackung genau liest, es dort auch nur „robustes Metallgehäuse“ heißt. Immerhin: Boden und Klapper-Band sind laut Spezifikation aus Edelstahl.

Dennoch: Zwar hat auch die „echte“ Firma Kienzle damals teilweise Uhren mit verchromten Gehäusen produziert (und das war auch bei anderen günstiger positionierten Herstellern nicht unüblich) – aber das ist nun mal ja auch schon einige Jahrzehnte her. Ein solches Gehäuse wirkt heutzutage qualitativ leider völlig aus der Zeit gefallen.

Bei einem Listenpreis von knapp 80€, der ein Mindestmaß an Qualität suggeriert, darf man in jedem Fall ein Edelstahlgehäuse erwarten (ob die Uhr nun jemals für 80€ im Handel gelandet ist oder nicht, steht dabei natürlich auf einem anderen Blatt), vor allem mit Blick auf preis-leistungs-technisch ziemlich attraktive Marken wie Pagani Design / Bersigar, Corgeut oder Invicta.

Ein reduzierter Preis von knapp 20€ – das klingt erst mal ziemlich günstig für eine Armbanduhr mit einem Markennamen, der – trotz der vielen Tiefschläge in den letzten Jahrzehnten – immer noch eine gewisse Bekanntheit in Deutschland hat (und, dass der Markenname heute nur noch eine Hülle ist, dürfte viele Käufer wie gesagt ja auch gar nicht interessieren).

Dennoch würde ich empfehlen lieber ein paar Euro mehr in die Hand zu nehmen und beispielsweise eine Invicta 8926OB Automatikuhr mit Seiko NH35 Automatikkaliber, eine Corgeut (ebenfalls mit NH35 Automatikwerk) oder eine günstige Casio wie die F91W oder die Casio Taschenrechneruhr zu erwerben – da ist das Geld wesentlich besser angelegt.

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Dieter
6 Stunden zurück

Nach dem Duschen war das Glas von innen Feucht also nix mit Wasserdicht bis 5bar

Lars
1 Tag zurück

Was willst Du für 20€ erwarten?
Ist doch ganz nett, zumindest optisch.
Nehme ich für den 500- fachen Wert eine IWC Big Pilot 43, sollte man vor Kauf darauf achten, dass der Schnellbandwechselmechanismus ab einem gewissen Winkel Grad (>90)die Unterseite des Gehäuses verkratzt.
Fällt einem nicht unbedingt im Rahmen eines Kaufs auf und wer schaut schon gewisse Stellen an der Uhr im Rahmen der normalen Nutzung an.

Dagegen sind die beschriebenen Makel der Uhr fast schon „Kindergeburtstag“.

Lars
10 Stunden zurück
Antworten...  Mario

Moin Mario,

… aber das hast Du doch dann schon😉.
Mal abgesehen von der Rhetorik.
Wie Du im Artikel schreibst, siehst Du Dich als Uhrennerd.
Ich denke, das geht vielen so die hier lesen und teilweise schreiben.
Wenn ich das richtig aus Deinem Artikel entnommen habe, gibt der Hersteller an, dass das Band und der Boden aus Edelstahl seien.
Das macht Sinn, da diese, anders als der Rest des Gehäuses im direkten Kontakt mit der Haut stehen. Nicht unwichtig für Allergiker,
Zum Gehäuse kann ich aufgrund fehlender Details zum Material und der verwendeten Veredlung nichts sagen. Du nimmst an, dass es „…offenbar aus verchromtem Messing oder dergleichen“ sei.
Was sagt der Hersteller?
Wenn solche Mängel auftreten, wie Du sie beschrieben hast, wäre doch zu klären, ob, sofern Deine Vermutung korrekt ist, dies beim verwendeten Material erwartbar ist.

Hinsichtlich der Rezensionen von Krippl Electronics, bzw. Krippl Watches , die lt. Google dauerhaft geschlossen seien, geht es doch offensichtlich nicht um die Kienzle Uhren…

Corbett ist ein chinesischer Hersteller mit dem Fokus auf Hommagen, so mein Kenntnisstand.

Der Vertrieb ist zunächst einmal unterschiedlich.
Im Falle einer Reklamation kannst Du die Uhr, vielleicht über Ali Express erworben, aus Kostengründen gleich entsorgen.
Kaufst Du die Kienzle bei Aldi, sieht das anders aus.

Neben der gesetzlichen Gewährleistung, hat die Uhr auch noch 3 Jahre Garantie.
Schaue ich auf einen Hersteller in Ostdeutschland, der gibt immer noch nur zwei Jahre Garantie auf seine Uhren.

Sicherlich gehöre ich nicht zur Zielgruppe, weder zur Gruppe Hommage aus Fernost, noch zu den Käufern mechanischer Uhren vom „Aldi Wühltisch“.

Vielen anderen geht es aber anders. Da ist der Unterschied zwischen 20 und 50 Euro, teilweise mit entscheidend.
Zu guter Letzt.
Ich konnte auf der Homepage von Corgeut keine Uhr im zweistelligen Bereich entdecken…

Dir eine schöne Weihnachtszeit und entspanntes Einkaufen, fernab vom Wühltisch😉