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Hallo liebe Uhrenfreunde, heute mรถchte ich auf das Herzstรผck einer mechanischen Uhr eingehen: das Uhrwerk. Genauer gesagt: auf bewรคhrte Basiskaliber. Ein gutes Basiskaliber zeichnet sich durch Zuverlรคssigkeit, Prรคzision, Wartungsfreundlichkeit und Anpassungsfรคhigkeit aus.

In diesem Bericht werden drei der bekanntesten Basiskaliber โ€“ ETA 2824, Sellita SW200 und Miyota 9015 โ€“ verglichen. Dabei betrachten wir ihre Stรคrken und Schwรคchen sowie typische Probleme, mรถgliche Lรถsungen und ergรคnzende Aspekte wie die Wartungsfreundlichkeit und die Anpassungsfรคhigkeit. Zudem mรถchte ich noch kurz weitere bekannte Kaliber, wie des Seiko NH35 oder des Valjoux 7750 zum Vergleich hinzuziehen.

[Beitrag von Leon Zihang,
Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com]
Leon Zihang Uhrmacher ChronoRestore

Herkunft der Werke und kurze Geschichte

ETA 2824

Das ETA 2824 ist eines der bekanntesten Automatikwerke und wurde ursprรผnglich in den 1970er Jahren von der Schweizer Firma ETA SA entwickelt. Es basiert auf dem Eterna-Kaliber 1427, einem Pionierwerk der Uhrenindustrie. Seit Jahrzehnten gilt das 2824 als Standardwerk in der Uhrenindustrie und wird in zahlreichen Marken verwendet, darunter Tissot, Longines und viele unabhรคngige Hersteller. Seine Popularitรคt verdankt es der Robustheit und der leichten Wartbarkeit.

Sellita SW200

Das Sellita SW200 ist eine nahezu identische Nachbildung des ETA 2824. Sellita, ein ebenfalls in der Schweiz ansรคssiges Unternehmen, begann als Zulieferer fรผr ETA. Nach dem Auslaufen wichtiger Patente des ETA 2824 entwickelte Sellita das SW200, das sich in Konstruktion und Dimensionen nur minimal unterscheidet. Heute hat es das ETA 2824 als unverzichtbares Werk fรผr viele Marken abgelรถst, besonders seitdem die Swatch Group die Verfรผgbarkeit von ETA-Werken eingeschrรคnkt hat.

Miyota 9015

Das Miyota 9015 stammt von der japanischen Firma Miyota, einer Tochtergesellschaft von Citizen. Es wurde 2009 eingefรผhrt und hat sich schnell als robuste Alternative zu Schweizer Werken etabliert. Miyota ist bekannt fรผr seine kostengรผnstige Produktion und hohe Stรผckzahlen, was das 9015 besonders fรผr unabhรคngige Marken und Microbrands attraktiv macht. Zudem zeichnet es sich durch eine schlanke Bauweise aus, was es fรผr moderne flache Gehรคuse prรคdestiniert.

Seiko NH35

Das Seiko TMI NH35, ein Automatikwerk des japanischen Traditionsherstellers Seiko, basiert auf dem Kaliber 7S26. Es ist bekannt fรผr seine hohe Zuverlรคssigkeit und seinen gรผnstigen Preis. Es wird hรคufig in Einstiegs- und Mittelklasseuhren verwendet und bietet eine solide Leistung, auch wenn es in puncto Prรคzision nicht ganz mit den Schweizer Alternativen mithalten kann.

Mehr: Seiko NH35 / NH36 (4R35 / 4R36): Ganggenauigkeit und Feinregulierung vs. Revision

ETA Valjoux 7750

Das Schweizer ETA Valjoux 7750 ist ein Klassiker unter den Chronographenwerken. Es ist etwas grรถรŸer und komplexer als die anderen genannten Dreizeiger-Kaliber, da es eine Chronographenfunktion integriert. Dennoch ist es ein gutes Beispiel fรผr ein robustes, wartungsfreundliches und anpassungsfรคhiges Werk, das ebenfalls weit verbreitet ist.

Mehr: ETA 7750: Warum schaltet der Wochentag NACH dem Datum?

Technische Spezifikationen im Vergleich

1. Technische Spezifikationen bewรคhrter Basiskaliber (ETA 2824, Sellita SW200, Miyota 9015, Seiko NH35, Valjoux 7750)
Abb. 1 Technische Spezifikationen bewรคhrter Basiskaliber (ETA 2824, Sellita SW200, Miyota 9015, Seiko NH35, Valjoux 7750)

Die Rolle der Rubine

Rubine sind synthetische Lagersteine, die in Uhrwerken verwendet werden, um die Reibung an den rotierenden Achsen zu minimieren und die Lebensdauer der Komponenten zu erhรถhen. Durch die extreme Hรคrte des synthetischen Rubin, welche leicht unter der Hรคrte eines Diamanten liegt, ist in den Lagern nahezu kein VerschleiรŸ vorhanden.

  • ETA 2824 und Valjoux 7750: Mit 25 Rubinen sind beide Werke solide ausgestattet, um alle kritischen Stellen zu lagern.
  • Sellita SW200: Das SW200 hat einen zusรคtzlichen Rubin (26), der das untere Federhauslager beschreibt, also das Lager in der Federhausbrรผcke. Dies reduziert den VerschleiรŸ, fรผhrt zu gewissem MaรŸe jedoch โ€“ wie spรคter erlรคutert โ€“ zum Helikoptereffekt.
  • Miyota 9015 und Seiko NH35: Beide verwenden 24 Rubine, was fรผr den einfachen Aufbau dieser Kaliber ausreicht. Allerdings ist die Platzierung entscheidend: Bei Miyota fรคllt auf, dass die Lagerung nicht ganz so effizient ist wie bei Schweizer Werken.

Die Lagersteine sagen aber grundlegend nicht viel รผber die Qualitรคt der Werke aus. Viele Hersteller haben damals ihre Werke sinnlos mit Lagersteinen รผberfรผllt. Nur die sinnvolle Nutzung der Lagersteine kann zur Qualitรคt eines Werkes beitragen. Der Kampf um mehr Lagersteine in den Werken hat nicht immer eine Qualitรคtssteigerung zur Folge gehabt. Mehr zu dem Thema Lagersteine findet ihr in folgendem Bericht: โ€ž26 Jewelsโ€œ & Co: รœber Juwelen und Lagersteine bei mechanischen Uhren

Typische Probleme und ihre Auswirkungen

ETA 2824

Das ETA 2824 ist extrem zuverlรคssig, weist aber Schwรคchen auf:

  • Schwankende Ganggenauigkeit: Abhรคngig von der Reglage bzw. der Qualitรคtsstufe und den Lagerbedingungen kรถnnen Unterschiede in der Prรคzision auftreten. Bei geringerer Qualitรคtsstufe kรถnnen hier erfahrungsgemรครŸ stรคrkere Gangunterschiede in den einzelnen Lagen der Uhr auftreten.
  • Eingeschrรคnkte Modularitรคt: Im Vergleich zu moderneren Werken sind Erweiterungen begrenzt.

Sellita SW200

  • Helikoptereffekt: Dieses Phรคnomen tritt auf, wenn sich der Rotor bei leerer Gangreserve unkontrolliert hin- und herbewegt. Es entsteht zum Teil durch den zusรคtzlichen Rubin in der Federhausbrรผcke, der die Reibung minimiert, aber auch die Bewegungsdรคmpfung des Rotors verringert. Durch das schnelle Hin- und herdrehen werden die Klinkenrรคder (Abbildung 2) stark belastet und der dรผnne Schmierfilm dieser Rรคder kann reiรŸen. Dies fรผhrt dann dazu, dass sich der Rotor beim Aufziehen von Hand mit dreht und die Uhr gefรผhlt zum Vibrieren bringt. Mehr: โ€žHelikoptereffektโ€œ: Wenn der Rotor beim Handaufzug รผber die Krone mitdreht
  • Fertigungsqualitรคt: Frรผhe SW200-Serien hatten Materialprobleme, die heute jedoch weitgehend gelรถst sind. Hier war des ร–fteren von abgebrochenen Zรคhnen an den Zahnrรคdern die Rede. Leider habe ich auch heute noch immer mal wieder Werke da, bei denen die Zรคhne des Sperrrades verbogen oder abgebrochen sind. Ich vermute, dass dieses Problem durch eine Kombination aus Materialfehler und dem Problem des schnellen hin und her Schwingen des Rotors entsteht.

Miyota 9015

  • Lauter Rotor: Der Rotor ist im Vergleich zu Schweizer Werken deutlich hรถrbarer, was einige Trรคger als stรถrend empfinden kรถnnten. Da dieses Werk meist bei flacheren und dรผnneren Gehรคusen verwendet wird, wirkt dies noch auffรคlliger.
  • Schwache StoรŸsicherung: Die StoรŸsicherung ist nicht so effizient wie bei den Schweizer Alternativen, was die Widerstandsfรคhigkeit bei StรถรŸen reduziert. (Abbildung 3 zeigt einen Vergleich von der Miyota StoรŸsicherung und einer Sellita SW200 Incabloc StoรŸsicherung). Mehr: Incabloc vs. Novodiac: StoรŸsicherungen bei mechanischen Uhren
  • Selbsthemmender Automatikmechanismus: In seltenen Fรคllen kann es vorkommen, dass der Rotor „blockiert“, insbesondere wenn das Werk stark verschmutzt ist.

Seiko NH35

  • Niedrige Frequenz: Mit 21.600 A/h bietet das NH35 eine geringere Prรคzision und eine weniger geschmeidige Bewegung des Sekundenzeigers.
  • Gรผnstige Verarbeitung: Die Verarbeitung ist funktional, aber nicht so hochwertig wie bei Schweizer Werken.

Valjoux 7750

  • Komplexitรคt: Die hohe Zahl an Komponenten macht es anspruchsvoller in der Wartung.
  • Abmessungen: Die grรถรŸere Bauhรถhe schrรคnkt die Gehรคuseoptionen ein.

Wartungsfreundlichkeit und Reparatur

Ein gutes Basiskaliber zeichnet sich auch durch einfache Wartung aus:

  • ETA 2824 und Sellita SW200: Beide Werke sind modular aufgebaut und Ersatzteile sind leicht verfรผgbar. Uhrmacher schรคtzen diese Werke fรผr ihre Reparaturfreundlichkeit.
  • Miyota 9015: Hier ist die Situation etwas komplizierter. Ersatzteile sind oft schwieriger zu beschaffen, insbesondere auรŸerhalb Japans. Zudem wird das Werk hรคufig in gรผnstigeren Uhren verbaut, weshalb es die meisten Uhrmacher bevorzugen, das komplette Werk auszutauschen, anstatt es zu reparieren.
  • Seiko NH35: Aufgrund des gรผnstigen Preises wird oft ein kompletter Austausch des Werks vorgenommen, anstatt es zu reparieren.
  • Valjoux 7750: Trotz der Komplexitรคt ist es, dank der weiten Verbreitung, gut zu warten.

Anpassungsfรคhigkeit und Verwendungszwecke

  • ETA 2824 und Sellita SW200: Ideal fรผr verschiedene Komplikationen und Gehรคuse.
  • Miyota 9015: Perfekt fรผr flache Gehรคuse, aber weniger modular.
  • Seiko NH35: Vor allem fรผr robuste Tool-Watches geeignet. Hier sollte man aber nicht zu viel Wert auf die Ganggenauigkeit legen (Ausnahmen bestรคtigen die Regel).
  • Valjoux 7750: Hervorragend fรผr Chronographen mit anspruchsvollem Design und einfacher Mรถglichkeit der Wartung und Pflege.

Fazit: Was macht ein gutes Basiskaliber aus?

Ein gutes Basiskaliber sollte:

  1. Zuverlรคssig und prรคzise sein.
  2. Wartungsfreundlich gestaltet sein.
  3. Anpassungsfรคhig fรผr verschiedene Designs und Komplikationen sein.

Alle Werke in diesem Vergleich erfรผllen diese Kriterien, haben jedoch spezifische Vor- und Nachteile. Das ETA 2824 wurde vom Sellita SW200 als Standard abgelรถst. Das Sellita SW200 bietet den Marken seit der Auslieferungseinschrรคnkung von ETA eine attraktive Alternative mit leichten Verbesserungen, und das Miyota 9015 รผberzeugt durch seine flache Bauweise und Robustheit. Werke wie das Seiko NH35 und das Valjoux 7750 zeigen, dass auch gรผnstige bzw. spezialisierte Optionen ihre Berechtigung haben. Als Uhrmacher schรคtze ich jedes dieser kleinen Wunderwerke. Dennoch empfehle ich jedem, der in die intensivere Uhrensammlung einsteigen mรถchte, mindestens zu einem ETA oder Sellita Werk zu greifen. Hier stehen die Wartungsfreundlichkeit und Ersatzteilbeschaffung einfach im Vordergrund. Wenn man hier seine Servicezeiten von 5-10 Jahren einhรคlt, dann wird euch dieses Uhrwerk รผberleben. ๐Ÿ˜Š

Ich hoffe euch hat der kleine Einblick in die meistverbauten Uhrwerke gefallen. Ich freue mich jederzeit รผber eure Rรผckmeldungen in den Kommentaren!

Bis zum nรคchsten Mal!

Euer Leon von ChronoRestore!

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Michael M. aus W. an der W. in NRW/BRD/EU
8 Tage zurรผck

Endlich! Nach viel gelesenem und gehรถrten Halb- und Viertelwissen endlich mal eine Zusammenstellung der wichtigsten Basiskaliber mit allen Vor- und Nachteilen. Am Ende des sehr aussagekrรคftigen Artikels habe ich richtig โ€žOoooohโ€ฆ.โ€œ gemacht, ich hรคtte gerne noch viel mehr gelesen.
Unter anderem von den unterschiedlichen Qualitรคtsstufen der Eta und Sellita Werke und was sich wofรผr lohnt. Da etliche Hersteller diese Kaliber in zum Teil recht teuren Uhren verwenden, aber einen eigenen Namen verwenden (weil mรถglicherweise leicht modifiziert?), wรคre es auch hilfreich zu wissen, welches Uhrwerk in welchem Fabrikat unter welchem Namen tickt. Oder dienen diese โ€žVerschleierungenโ€œ auch dazu, daรŸ in einer ziemlich teuren Uhr ein verhรคltnismรครŸig preiswertes Uhrwerk eingebaut ist bzw. ein Manufakturkaliber suggeriert werden soll? Dieser Eindruck drรคngt sich mir zuweilen auf.
All das fehlt natรผrlich nicht in diesem gut geschriebenen und verstรคndlichen Artikel, wรคre aber vielleicht eine gute Ergรคnzung. Vielen Dank, es war eine Freude zu lesen.

Thomas
9 Tage zurรผck

Vielen Dank fรผr den Bericht und den Vergleich der Uhrwerke! Solche Einschรคtzungen von Uhrmacher:innen ist aufschlussreich und interessant. Wie ist die Einschรคtzung fรผr das Powermatic 80 Kaliber? Es ist mir bewusst, dass dieses Kaliber nur in der Swatchgroup eingesetzt wird, aber dort doch recht hรคufig und es basiert ja auf dem ETA 2824.

Michael
9 Tage zurรผck

Vielen Dank fรผr den informativen Beitrag. Fรผr mich wรคre es auch interessant zu erfahren, worin die Unterschiede bei den verschiedenen Qualitรคtsstufen des
SW 200 bestehen.
Viele GrรผรŸe
Michael

Andi
11 Tage zurรผck

Hallo Mario

Besten dank fรผr die interessante Zusammenfassung. Lehrreich wie immer von dirโ˜บ๏ธ. Vieles schon mal gelesen und gewusst, aber knackig von dir aufgefrischt. Ich denke das NH35 wird ein wenig unterschรคtzt, bzw. von Uhrenfans als „billig“ abgetan. Klar, die Ganggenauigkeit ab Werk, bzw. die Angaben dazu, sind nicht der Hammer. Aber ein guter Uhrmacher kann das Werk auf ETA, oder sogar COSC-Werte, einregulieren. Und dann ist das Preis\Leistungsverhรคltnis Hammer. Oder wie siehst du das? Habe nur wenige NH35-Uhren, das Meiste sind ETA, SW und 7750, einige Seiko (unter anderem auch mit NH35, kommen ja von Seiko, aber auch 6R.. und GS mit 8 oder 9xxx), einige Orient\Star mit F7xxx (da wรคre eine Werkevorstellung von dir mal ganz interessant – biiiiiiiiittte๐Ÿ™๐Ÿ™๐Ÿ™). Zudem ein paar China-Klopper mit Hangzhou und Seagull, wobei die wirklich minderwertig sind und schon nach kurzer Zeit das „zeitliche“ segnen๐Ÿคฃ. Da lohnt sich die Reparatur nicht, da wรผrde auch mein Uhrmacher die Hรคnde verwerfen.

Beste Grรผsse aus der Schweiz
Andi

Leon von ChronoRestore
9 Tage zurรผck
Antworten...  Andi

Hey Andi,

vielen Dank! Freut mich sehr, wenn dir der Bericht gefallen hat. Bei der Reglage des NH35 muss man als Uhrmacher auch etwas Glรผck haben, um es auf stabile Cosc Werte zu bringen. Wenn die Hersteller schon gute Vorarbeit geleistet haben und das Schwingsystem an sich gut ausgewuchtet ist, dann kรถnnte man das Werk in die richtige Richtung bekommen. Viele dieser Werke laufen da aber leider aus dem Raster und mรผssten neu ausgewuchtet werden. Dies ist bei einem so gรผnstigen Werk aber kaum den Aufwand wert und die Gefahr besteht, dass das Schwingsystem zu leicht wird.

Die von dir genannten Werke habe ich leider selten bis gar nicht in meiner Werkstatt, weil sich hier eine Reparatur meist nicht lohnt. Ich werde mich aber eventuell mal dazu informieren. Vielleicht bekomme ich da genรผgend informationen fรผr einen Bericht zusammen. ๐Ÿ™‚

LG Leon