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Viertel vor Elf – das zeigt die Alpina-Taschenuhr eines namenlosen Soldaten in “Im Westen nichts Neues” an, der neben dem Protagonisten Paul Bäumer steht, unmittelbar vor der letzten Schlacht. Im Inneren des Schutzdeckels kann man dabei das Foto von einem Mann und einer Frau erahnen – vielleicht die Eltern des Soldaten oder der Soldat selbst mit seiner Frau.

“Wie spät?”, fragt Bäumer entkräftet.

“Noch 15 Minuten”, antwortet der Soldat neben ihm.

Eigentlich ist das ein überschaubarer Zeitraum bis zum erlösenden Waffenstillstand von Compiègne am 11. November 1918 um 11 Uhr, welche die Delegation des Deutschen Reichs mit den Franzosen im Ersten Weltkrieg ausgehandelt hat…

Im Westen nichts Neues Taschenuhr Alpina 2022
Bild: Netflix

Über die Verfilmung von Remarques “Im Westen nichts Neues” und die Rolle der Alpina-Taschenuhr

Als Erich Maria Remarques Roman “Im Westen nichts Neues” im Jahre 1929 erschien, wurde er unmittelbar zum Bestseller und zu einem der größten Antikriegsromane der Weltliteratur. Remarque (eigentlich Erich Paul Remark) beschreibt in seinem Roman die Erlebnisse des jungen Schülers Paul Bäumer, der sich, angesteckt von der Kriegsbegeisterung seines Lehrers, mit seinen Klassenkameraden zu Beginn des Ersten Weltkriegs freiwillig an die Front meldet. Die Realität sieht natürlich anders aus, das Buch dreht sich um die Grauen des Schlachtfelds, matschige Schützengräben und die brutalen Kämpfe des Stellungskriegs. Remarque, der 1917 als Soldat an der Front in Flandern verletzt wurde, schilderte den Krieg an der Westfront schonungslos offen als apokalyptischen Irrsinn. Und das ist heute, in Zeiten des Ukraine-Krieges, aktueller denn je.

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Bild: Netflix / Reiner Bajo

Edward Bergers „Im Westen nichts Neues“ (Netflix) ist schon die dritte Verfilmung des Romans von Erich Maria Remarque. Atmosphärisch, schockierend brutal, perfekt inszeniert sind Umschreibungen, die mir spontan einfielen, nachdem ich den Film gesehen habe: Der ewige Regen verwandelt die von den Kämpfen zerstampften Ebenen Nordfrankreichs in Morast. Die Soldaten hocken verängstigt in Erdlöchern. Sie kriechen durch Schlamm, sie waten durch Matsch, sie fallen in Granattrichter, die mit Wasser und Blut gefüllt sind. Im Stacheldraht vor den Gräben hängen Leichen, durch die Bunker rennen Heere von Ratten. Nach allem, was von den Zuständen an der Westfront im Ersten Weltkrieg bekannt ist, kommt das Bild, das der Regisseur zeichnet, der Realität ziemlich nahe. Der österreichische Schauspieler Felix Kammerer in der Rolle des Hauptakteurs Paul Bäumer, der mitten drin in diesem Geschehen ist, ist obendrein eine perfekte Wahl.

Dass “Im Westen nichts Neues” als Oscar-Anwärter gehandelt wird und dass der Film in den allermeisten Ländern in die Top 10 der Netflix-Charts geklettert ist, verwundert in der Summe keineswegs.

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Bild: Netflix / Reiner Bajo
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Felix Kammerer als Paul Bäumer (links)

Gleichzeitig muss ich sagen, dass mir der Bezug zur Romanvorlage dann doch etwas allzu locker ist – künstlerische Freiheit und “Zusammendampfen” auf Kinoformat hin oder her: Wieso beispielsweise wurde der Unteroffizier Himmelstoß restlos gestrichen, der in seinem zivilen Leben Postbote ist und dem die Macht beim Militär zu Kopfe steigt? Auch der sehr eindringliche Lazarett-Besuch und die dortige, befremdlich wirkende Diskussion um die Stiefel eines im Todeskampf befindlichen Kameraden fehlt im Film. Die im Roman extrem intensive und verstörende Szene, in der Bäumer mit einem von ihm selbst tödlich verwundeten französischen Soldaten eine lange Zeit in einem Bombentrichter verbringt, ist zwar im Film vorhanden – verkommt aber zu einer Randnotiz.

Auf der einen Seite wurden wesentliche Eckpfeiler des Buches gestrichen, gleichzeitig erfindet der Regisseur eher sinnlose Figuren hinzu, zum Beispiel den von Daniel Brühl gespielten Politiker Matthias Erzberger.

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Daniel Brühl (Mitte)

Zuschauer, die das Buch nicht gelesen haben, werden von der Netflix-Verfilmung aller Voraussicht nach begeistert sein – vor allem, wenn man Antikriegsfilme mag. Wer allerdings Remarques Roman kennt und diesen so bewegend fand wie ich, wird vermutlich auch eine gewisse Enttäuschung verspüren. Man fragt sich einfach warum grade die Serienexperten von Netflix sich für einen Film mit einer Länge von 2 Stunden 23 Minuten anstelle einer Miniserie mit x Folgen entschieden haben, um den Charakteren Raum zur Entwicklung zu geben. Chance verpasst!

Aber zurück zur symbolträchtigen Taschenuhr: Es handelt sich um eine klassische Taschenuhr des Schweizer Herstellers Alpina, die typisch für die damalige Zeit war. Der “Vorläufer” von Alpina wurde schon 1883 durch den Uhrmacher Gottlieb Hauser in Form der Corporation d’Horlogers Suisse gegründet. Es handelte sich dabei um eine Genossenschaft von Uhrmachern, Herstellern und Händlern, die zu Beginn gemeinsam Bauteile für Uhren kauften sowie deren Herstellung organisierten. Später produzierte die Genossenschaft eigene Handaufzugskaliber und Uhren. 1901 registrierte die Genossenschaft den Namen Alpina als Marke.

Die in “Im Westen nichts Neues” gezeigte Alpina ist ein Modell aus vermutlich 14-karätigem Gelbgold mit Breguet-förmigen Zeigern und Alpina-Handaufzugkaliber. Die Filmuhr kommt nach meinen Recherchen der Alpina-Referenz 449002 sehr nah kommt (Unterschiede muss man erst mal suchen, darunter der leicht vertiefte Alpina-Schriftzug; eine genauere Referenz konnte leider nicht recherchiert werden – ich freue mich aber über Kommentare).

Mir geht als Uhrennerd ja immer das Herz auf, wenn originalgetreue Requisiten Einzug in Filme halten – und in dem Sinne ist die Alpina mehr als passend, denn Taschenuhren wie diese waren in der Zeit des Ersten Weltkriegs weit verbreitet; meistens wegen der relativ hohen Kosten allerdings eher unter besser situierten Menschen und nicht unter Arbeiterkindern wie Paul Bäumer, weshalb es inhaltlich auch Sinn ergibt, dass nicht Bäumer selbst die Taschenuhr zückt.

Wie bereits Eingangs erwähnt, zeigt die Taschenuhr im Film Viertel vor Elf an, um zu untermauern, dass der erlösende Waffenstillstand gleichzeitig nah und doch so fern ist – denn Bäumer und seine Mitsoldaten werden von einem geltungssüchtigen General in eine letzte sinnlose Schlacht geschickt.

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Gleichzeitig sei abschließend erwähnt, dass Taschenuhren damals langsam durch Armbanduhren verdrängt wurden, denn grade im rauen Feldeinsatz erkannten die Soldaten (häufig Unteroffiziere) den deutlich höheren praktischen Nutzen einer Uhr, die man nicht erst aus der Tasche kramen muss, um die Uhrzeit ablesen zu können. Und so war die US Army-Trench Watch (Trench = engl. für Schützengraben) im Ersten Weltkrieg eine der allerersten von Bodentruppen am Handgelenk getragenen Uhren überhaupt. Spannend: Die ersten Trench Watches waren im Prinzip einfach nur umgebaute Taschenuhren, an deren Gehäuse Bögen drangelötet wurden, um ein Lederband montieren zu können…

Mehr: Field Watch und Infanterie-Uhr von gestern bis heute

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