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In den letzten beiden Beiträgen (Stöße, Temperaturschwankungen & Co. und Kompensation) haben wir uns angeschaut, welche Umwelteinflüsse Auswirkungen auf die Ganggenauigkeit unserer Armbanduhren haben können und wie wir Uhrmacher versuchen, diese zu kompensieren. Dabei haben wir auch über den Schwerpunktfehler der Unruh gesprochen: Dieser hat nur in den Hängelagen der Uhr Einfluss auf die Gangwerte. Außerdem ist für seine Auswirkung auf den Gang entscheidend, an welcher Stelle des Schwingsystems der Schwerpunktfehler liegt.

Um die aus dem Schwerpunktfehler resultierende Gangabweichung zu verhindern, werden die Unruhen statisch und dynamisch ausgewuchtet. Allerdings haben schon kleinste außermittige Schwerpunkte, die beim Auswuchten nicht mehr entfernt werden können, Einfluss auf den Gang. Aus diesem Grund wurden Drehhemmungen wie das Tourbillon erfunden.

Wie diese funktionieren und welche Auswirkungen sie haben, erkläre ich euch in diesem Beitrag…

[Beitrag von Leon Zihang,
Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com]
Leon Zihang Uhrmacher ChronoRestore
Greubel Forsey double tourbillon 30 mechanism
Greubel Forsay Tourbillon, Bild: Wikimedia, Creative Commons Attribution 3.0.

Drehhemmungen: Das Tourbillon

Drehhemmungen werden zur Beseitigung von Gleichgewichts- bzw. Lagefehlern der Unruh genutzt. Dabei beruft man sich auf den einfachen Gedanken, dass eine Uhr, die sich in einer Hängelage befindet, einen konstanten Gang aufweist, wenn sich der Schwerpunktfehler um die Unruh herumdreht. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass der Schwerpunktfehler beim Stillstand der Uhr gemessen wird. Mit der Drehung des Schwerpunktes ist also nicht die normale Schwingung der Unruh gemeint.

Dazu ein Beispiel: Wir betrachten eine Uhr in der Position „Krone oben“ und haben beim Prüfen festgestellt, dass sich der Schwerpunktfehler genau unterhalb der Unruhachse befindet. Dies führt zu einem Nachgang unserer Uhr. Wenn wir nun die Uhr umdrehen, also in die Lage „Krone unten“ bringen, befindet sich der Schwerpunktfehler oberhalb der Unruhachse und sorgt für einen Vorgang der Uhr. Wenn sich die Uhr beispielsweise eine Minute lang in der Lage „Krone oben“ und danach genau eine Minute lang in der Lage „Krone unten“ befindet, gleichen sich die Gangabweichungen gegenseitig aus und die Uhr zeigt insgesamt die genaue Zeit an (siehe Abbildung 1).

1. Gang Amplituden Diagramm in in Abhaengigkeit des Unruhschwerpunktes
Abb. 1: Gang-Amplituden-Diagramm in in Abhängigkeit des Unruhschwerpunktes

Da es unmöglich ist, dass sich die komplette Uhr beim Tragen immer gleichmäßig dreht und somit den Schwerpunktfehler ausgleicht, hat man dafür gesorgt, dass sich der ausschlaggebende Teil (Unruh und die komplette Hemmung) in der Uhr dreht und ständig seine Lage verändert.

Dieses Prinzip der Drehhemmungen wurde in Taschenuhren genutzt, da diese früher fast ausschließlich in einer Lage („Krone oben“) getragen wurden. Die Uhr befindet sich also in der Brusttasche in der Lage „Krone oben“: in der Uhr dreht sich die Unruh und ihre Hemmung in einer gleichmäßigen Geschwindigkeit. Dabei befindet sich der Schwerpunktfehler immer wieder an einer anderen Stelle und die Gesamteinflüsse sind über eine gesamte Drehung gleich Null. Die Auswirkung des Schwerpunktfehlers wurde also vollständig kompensiert.

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Heute findet man die Drehhemmungen, speziell das Tourbillon (frz. für Wirbelwind), in Armbanduhren vieler namhafter Uhrenhersteller. Dort zeigen sie jedoch nie den gewünschten Effekt, da die Uhr mit den Bewegungen des Trägers ihre Lage zu oft ändert. Aus diesem Grund sind sie heutzutage eher „nur“ ein Beweis von komplexer Uhrmacherkunst – meistens zu horrenden Preisen.

Tourbillon Uhr TAG Heuer 2
TAG Heuer Tourbillon
Tourbillon Uhr

Tourbillon & Co.: Historische Arten von Drehhemmungen

1795 hat Abraham-Louis Breguet das Tourbillon erfunden. Dieses besitzt den Vorteil, dass es den bestmöglichen Ausgleich ermöglicht, da es sich um die Unruhachse dreht. Der Nachteil ist, dass es sehr aufwändig und dadurch auch teuer in der Herstellung ist. Die Dauer einer vollständigen Umdrehung beträgt dabei eine Minute.

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Breguet-Präzisionstaschenuhr mit Tourbillon Nr. 1188, verkauft an den spanischen Infantin Don Antonio de Bourbon im Jahr 1808
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Kurz darauf wurde das Halb-Tourbillon entwickelt, welches den zweitbesten Ausgleich der Fehler ermöglicht. Allerding hat dieses eine Umdrehungsdauer von 5-6 Minuten, weshalb es noch aufwändiger als das Tourbillon ist und durch die lange Umdrehungsdauer anfälliger für Lagenänderungen ist.

Zu guter Letzt wurde 1892 „das Karussell“ von Bahne Bonniksen entwickelt. Der Vorteil ist, dass es deutlich robuster, einfacher herstellbar und günstiger als das Tourbillon war. Allerdings kommt es nicht ganz an die Ausgleichsgüte des Tourbillon heran, da es sich nicht um die Achse des Schwingsystems dreht und eine Umdrehungsdauer von ca. 1 Stunde besitzt.

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Patent-Zeichnung von Bahne Bonniksen

Tourbillon und Karussell: Kraftverläufe

In Abbildung 2 unten könnt ihr den schematischen Aufbau eines Tourbillons sehen. Die Kraft kommt natürlich aus dem Räderwerk der Uhr. Hier greift das Kleinboden „KB“ in das Sekundentrieb „ST“ ein. Auf diesem Sekundentrieb ist der Tourbillonkäfig „DG“ fest aufgesetzt und wird von dem Kleibodenrad „KB“ in Drehung versetzt. In diesem Käfig wird zentrisch die Unruh „U“ gelagert. Außerdem befindet sich dort noch der Anker „AS“ und das Hemmrad „GR“. Das Hemmrad schaut mit seinem Trieb „GT“ nach unten aus dem Käfig heraus und greift in ein feststehendes Rad ein.

Dadurch, dass der Käfig fest mit dem Sekundentrieb verbunden ist, möchte sich der gesamte Käfig aufgrund der Kraftzufuhr aus dem Kleibodenrad drehen. Da das Hemmrad auf dem Käfig gelagert ist, muss sich dieses mitdrehen und rollt sich außen an dem feststehenden Rad ab. So erhält das Hemmrad seine Drehbewegung und gibt die Kraft über den Anker an das Schwingsystem weiter. Durch das Abrollen des Hemmrades dreht sich nun der komplette Käfig und damit die Unruh sowie ihre Hemmung auch.

2. Schematische Darstellung Kraftverlauf fliegendes Tourbillon 1
Abb. 2: Schematische Darstellung Kraftverlauf fliegendes Tourbillon

Da es recht schwierig ist, das Ganze statisch nachzuvollziehen, konnte ich eine Animation des fliegenden Tourbillon von Glashütte Original finden. Die Qualität des Videos ist nicht die Beste, es reicht aber aus, um die Mechanik des Systems zu verstehen:

In Abbildung 3 könnt ihr nun die schematische Darstellung eines Karussells sehen. Das Karussell muss man sich so vorstellen, wie es der Name schon sagt. Es ist eine drehende Platte, auf der sich das komplette Schwingsystem mit seiner Hemmung befindet. Die Kraftübertragung kommt wieder aus dem Räderwerk. Das Minutenrad „MR“ treibt das Kleinbodentrieb „KBT“ an. Dieses greift direkt in das Drehgestellrad „DGR“ ein und versetzt dieses in Drehung. Über das Kleinbodenrad „KBR“ wird das Sekundentrieb „ST“ und Sekundenrad „SR“ angetrieben. Das Sekundentrieb leitet dabei seine Kraft von unten durch das Zentrum des Drehgestellrades „DGR“ in das gesamte Drehgestell „DG“. Auf diesem Drehgestell und Drehgestellrad sind nun Hemmrad, Anker und Unruh gelagert. Die Kraft wird also von dem Sekundenrad „SR“, an das Hemmrad-Trieb „GT“, über das Hemmrad „GR“ und den Anker „HA“, an die Unruh „U“ weitergegeben. In diesem Fall wird die drehende Komponente, das Karussell, nicht von der Hemmung, sondern direkt aus dem Räderwerk, dem Kleinbodenrad, angetrieben. Nur deshalb ist hier diese langsame Umdrehungsdauer von einer Stunde gegeben. Wie bereits erwähnt, wird die Unruh hier außermittig des Karussells gelagert, weil das Zentrum schon von dem oberen Lager des Sekundenrades blockiert wird. Durch diese außermittige Lagerung ist der Schwerpunktfehler nicht immer die gleiche Dauer an jeder Stelle. Deshalb ist das Karussell zwar die günstigste, aber nicht die beste Kompensation des Schwerpunktfehlers der Unruh.

3. Schematische Darstellung Kraftverlauf Karussell
Abb. 3: Schematische Darstellung Kraftverlauf Karussell

Tourbillon heute: Ein Anachronismus

Wie ich es schon ganz am Anfang erwähnt habe, ist diese Art der Kompensation nicht mehr zeitgemäß, da die Armbanduhren am Handgelenk zu oft ihre Lage ändern. Eine sinnvolle Verwendung findet das Tourbillon nur noch in Stand- oder Tischuhren, ansonsten handelt es sich um einen Kampf zwischen den Uhrenherstellern, um das Können der jeweiligen Uhrmacher unter Beweis zu stellen. Allerdings rate ich davon ab, diese teilweise skurrilen Kombinationen aus Sportuhr und fliegendem Tourbillon tatsächlich für sportliche Zwecke zu verwenden.

Das Tourbillon (in der Bauweise, wie ich es erklärt habe) nennt sich das fliegende Tourbillon, da der gesamte Käfig nur von unten gelagert wird. Es befindet sich also keine weitere Brücke über dem Käfig und man kann diesen voll und ganz ohne feststehende Streben dazwischen betrachten. Das hat aber den Nachteil, dass der verhältnismäßig schwere Käfig nur von unten von einem dünnen Zapfen getragen wird. Wenn diese Uhr einem stärkeren Stoß ausgesetzt wird, sorgt die Trägheit des schweren Käfigs sehr schnell zu einem Bruch dieser Welle. Die Kombination aus Sportuhr und fliegendem Tourbillon sollte man dann doch lieber als kleinen Scherz ansehen.

Tourbillon Uhr TAG Heuer

Weiterentwicklungen: Tourbillon mit Sekundenstopp und Zero Reset

Die Entwicklungen des Tourbillon hörten natürlich trotzdem nicht auf. Man hat zwar nun eine sehr genau laufende Uhr geschaffen, aber konnte diese nicht sekundengenau stellen, da es keinen Sekundenstopp gab. Um dieses Problem zu lösen hat A. Lange & Söhne aus Glasütte im Jahre 2008 ein Patent angemeldet – hierbei legt sich beim Ziehen der Krone eine sehr feine Feder mit zwei Armen von außen an den Käfig sowie den Unruhreif an und stoppt somit deren Bewegung.

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Im Jahr 2014 kam dann noch die Null-Reset-Funktion dazu (“Zero Reset”) – ebenfalls entwickelt von A. Lange & Söhne. Hier wurde der Sekundenzeiger mit Nullstellherz über eine Reibung auf das Tourbillon aufgesetzt und eine Art Nullstellhebel in erreichbarer Nähe verbaut. Beim Ziehen der Krone schlägt der Nullstellhebel auf das Nullstellherz des Sekundenzeigers und dieser dreht sich direkt auf seine Nullstellung, was die Zeiteinstellung deutlich erleichtert.

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Das waren auch schon die groben Züge zum Tourbillon bzw. allgemein zu Drehhemmungen. Wenn an bestimmten Stellen Fragen entstehen, könnt ihr diese gerne direkt in den Kommentaren oder per E-Mail an mich (info@chronorestore.com) oder Mario (kontakt@chrononautix.com) schicken und ich werde diese schnellstmöglich beantworten. 🙂

Vielen Dank!

Leon von ChronoRestore

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Glashütte Original Senator Tourbillon, Preis: Über 100.000€
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2 Kommentare
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Andreas
1 Jahr zurück

Ich bin wirklich sehr beeindruckt von Leons Auffassungsgabe dieser doch äußerst komplexen mechanischen Zusammenhänge. Klar, er muss das als Uhrmacher alles aus dem FF können, aber ich wäre dazu nicht in der Lage. Umso dankbarer bin ich, dass er sich “herablässt” und uns Laien diese Dinge mit so viel Begeisterung und Hingabe erklärt. Wo gibt es das sonst? Jeder Artikel von ihm ist eine Offenbarung für mich. Chapeau und vielen Dank, Leon! Mach bitte weiter so!

Leon
1 Jahr zurück
Antworten...  Andreas

Hey Andreas!

Vielen lieben Dank dafür! 😍
Solche Rückmeldungen motivieren mich immer wieder weiter zu machen!
Vielen Dank!

LG
Leon von ChronoRestore