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Die Beobachtungsuhren der 1940er Jahre sind unter Uhrenfreunden รคuรŸerst populรคr. Weniger bekannt, aber historisch dennoch interessant, sind die sogenannten RLM-Uhren, denen manchmal nachgesagt wird, sie seien die Vorgรคnger der Beobachtungsuhren gewesen. Dass das nur die halbe Wahrheit ist, werden wir in diesem Artikel รผber die Neuauflage einer RLM-Uhr von Aristo sehen.

So viel vorweg: Aristo sticht mit dem neuen Modell unter anderem mit dem Einsatz von โ€œNew Old Stockโ€ (NOS)-Kalibern heraus, die seit den 70ern ungenutzt im Lager schlummerten und von Aristo wieder auf Vordermann gebracht wurden, um ihnen fรผr die RLM-Uhr neues Leben einzuhauchen…

Eckdaten Aristo Ref. 5H103TiS:

  • Made in Germany
  • Mineralglas, Plexiglas oder Saphirglas (mehr dazu im Fazit)
  • Gehรคuse aus Reintitan
  • Durchmesser 41 mm
  • Hรถhe 11mm
  • Horn-zu-Horn 47,7mm
  • Gewicht (am Lederband): 55 Gramm
  • Super-LumiNova C3
  • Wasserdichtigkeit 5 bar / 50 Meter
  • Handaufzug-Kaliber France Ebauches FE 233.68, 21.600 A/h, 17 Steine, Gangreserve 38 Stunden
  • Lederband mit Nieten
  • Preis: Ab 690โ‚ฌ, direkt รผber den Aristo-Webshop

Aristo RLM-Uhr: Die Neuauflage mit NOS-Kaliber im Test

Erst mit der Aufrรผstung der Wehrmacht wurden konsequent militรคrisch spezifizierte Zeitmesser angeschafft und ausgegeben, konkret an Soldaten der Kriegsmarine (KM), des Reichs-Luftfahrt-Ministeriums (RLM) und des Deutschen Heeres (DH). So hat das RLM beispielsweise groรŸe Flieger-Beobachtungsuhren mit Taschenuhrwerken fรผr die Navigatoren und Fliegerchronographen fรผr die Piloten entwickeln lassen.

Dienstuhren gab es aber nicht nur fรผr das Personal in luftigen Hรถhen, sondern auch fรผr das “erdgebundene” und administrative Personal am Boden, das beispielsweise fรผr die Personal- und Einsatzplanung verantwortlich war, Treibstoff und andere benรถtigten Materialien bereitstellte (Logistik) oder bei der Routenplanung und der Navigationsvorbereitung unterstรผtzte.

Die damals an das Bodenpersonal ausgegebenen RLM-Uhren entsprachen im Wesentlichen den Uhren, die auch beim Heer zum Einsatz kamen. Unterschieden werden konnten die Uhren fรผr DH bzw. RLM durch entsprechende Gravuren auf dem Gehรคuseboden: Uhren mit der Gravur “D” fรผr Dienstuhr und (hรคufiger) “RLM” fรผr Reichsluftfahrtministerium sind eindeutig der Luftwaffe zuzuordnen. Uhren mit der Gravur “D.H.” wiederum sind eindeutig dem Heer zuzuordnen (Dienstuhr Heer). Gut zu wissen: Optisch fast identische Uhren der Marke Siegerin mit Kaliber Marc Favre 592 D2878397 gibt es beispielsweise auch in einer Variante mit weiรŸem Blatt fรผr die Kriegsmarine (KM).

Lieferanten fรผr die Luftwaffen-Armbanduhren waren unter anderem Nila, Pronto, Exita, Aeschbach, Wagner, Marc Favre/Siegerin und Para (Paul Raff Pforzheim). Als Kaliber kamen unter anderem das UROFA 85 und 581, das PUW500 oder das Anton Schild AS1002 zum Einsatz.

Auch RLM-Uhren von Aristo bzw. von der Aristo-Grรผnderfamilie Epple waren unter der Nummer 699401 im Umlauf, und zwar mit dem Kaliber UROFA 58. Das sogenannte “Raumnutzwerk” ist tonneaufรถrmig, entsprechend wurden die Gehรคuse passend ausgefrรคst. Aristo ist eine Marke der 1907 gegrรผndeten Julius Epple K.G.

Heute hat Aristo ein neues Gesicht: Hansjรถrg Vollmer erwarb 1998 von der Familie Epple die Markenrechte und grรผndete als alleiniger Gesellschafter die Aristo Watch GmbH. Der Kontakt kam nicht zufรคllig zustande: Epple erwarb schon seit vielen Jahren hochwertige Metallbรคnder aus der Fertigung von Vollmer. Heute sind die beiden Firmen unter dem gemeinsamen Dach der bis heute unter Hajo Vollmer familiengefรผhrten Firma Aristo Vollmer GmbH.

Mehr รผber Aristo und Vollmer: Hinter den Kulissen: Einblicke in die Produktion von Aristo Vollmer in Pforzheim

Das im Hause Aristo produzierte Zifferblatt der RLM-Uhr mit der Ref. 5H103TiS ist sehr nah am Original aus den 1940er Jahren: Ins Auge stechen vor allem die rundum laufenden, schnรถrkellosen Stundenziffern und die Eisenbahn-Minuterie, d.h. einer Einteilung der Minuten am รคuรŸeren Rand des Zifferblattes, die an Eisenbahnschienen erinnert. Auch das alte Aristo-Schriftlogo mit dem gebogenen “A” ist nah am Original. Gut: Wรคhrend die Vorlage schwierig unterscheidbare Zeigerlรคngen hatte, sind Minuten- und Stundenzeiger der Neuauflage deutlich besser zu differenzieren. Die Ablesbarkeit ist in der Summe perfekt.

Darรผber hinaus ist eine kleine Sekunde auf โ€œ6 Uhrโ€ charakteristisch fรผr RLM-Uhren – auch dieses Merkmal hat Einzug in das neue Aristo-Modell genommen, dank eines mechanischen NOS-Kalibers, das per Handaufzug zum laufen gebracht wird.

Dass die Wahl auf ein Handaufzugswerk gefallen ist, unterstreicht den Retro-Charakter des Modells, denn ein Handaufzugskaliber versprรผht einfach noch mehr Charme, da natรผrlich auch die damalige RLM-Uhren mit solchen Werken kamen. Dazu aber gleich mehr.

Die kleine Sekunde hat allerdings, anders als beim Original aus den 1940ern, keine Einteilung im Eisenbahnschienen-Stil. Einerseits muss ich sagen, dass mir das Blatt so definitiv besser gefรคllt, andererseits gibt es sicherlich Uhrenfreunde, die es als besser empfunden hรคtten, wenn sich Aristo hier nรคher am Original bewegen wรผrde.

Die Gehรคuse der RLM-Uhren aus den 1940ern waren frรผher aus verchromtem Messing – heute findet man so etwas (zum Glรผck) fast gar nicht mehr vor und wenn, dann bei sehr gรผnstigen Uhren wie der Casio MTP 1302 Tiffany.

Das schnรถrkellose Gehรคuse der neuen Aristo RLM-Uhr ist aus Titan, genauer: Alpha-Reintitan, auch CP-Titan (Commerically Pure Titanium) genannt, das aus fast 100 Prozent Titan besteht (Titan (Ti) > 99,2% plus Kohlenstoff, Eisen, u.a.). Mit einer Vickers-Hรคrte von รผber 200 HV ist Titan Grade 2 in etwa auf einem Niveau mit 316L-Edelstahl. 

Auch der Gehรคuseboden ist aus Titan โ€“ das dรผrfte Uhren-Freunde mit Allergien hellhรถrig machen, denn Reintitan findet nicht zufรคllig vorwiegend in der Medizintechnik und Implantologie Verwendung (mehr รผber Uhren-Allergie hier). Vor allem aber ist Titan angenehm leicht: Die Aristo RLM-Uhr bringt am Lederband ein Fliegengewicht von grade mal 55 Gramm auf die Waage.

Nun kann man natรผrlich kritisch hinterfragen inwiefern ein modernes Material wie Titan, das beispielsweise auch in der Raumfahrt zum Einsatz kommt, zu einer Retro-Uhr wie dem Aristo RLM-Modell passt. Dazu sei aber gesagt, dass Titan durch seine dunkel-graue Farbe in Verbindung mit der durchgรคngigen Satinierung einen sehr tooligen Charakter mitbringt, der optisch wunderbar mit dem voll auf Funktionalitรคt gebรผrsteten Charakter des Modells harmoniert.

Die RLM-Uhren der 1940er kamen mit ca. 35mm Durchmesser – heute ist das eher aus der Kategorie Damenuhren. Die Neuauflage von Aristo ist mit 41mm (Horn-zu-Horn: 47,7mm) schon deutlich zeitgemรครŸer dimensioniert. Die Hรถhe ist mit 11mm dank flachem Handaufzugskaliber angenehm und “hemdรคrmelfreundlich”. Auch das je Seite einfach genietete, angenehm weiche Band zahlt auf den hohen Tragekomfort ein.

France Ebauches FE 233.68

Die meisten gestandenen, heute noch tรคtigen deutschen Uhrenhersteller, die im erschwinglicheren Segment tรคtig sind, setzen auf bewรคhrte Schweizer Kost aus dem Hause ETA oder Sellita und schalen diese โ€œnurโ€ ein (mal mit mehr, mal mit weniger Modifikationen). Aristo geht da einen etwas anderen Weg: Zwar setzen die Pforzheimer auch auf Standardkaliber, gleichzeitig aber auch oftmals auf NOS-Kaliber, also neuwertige mechanische “New Old Stock”-Werke aus altem Lagerbestand – so auch bei der Aristo RLM-Uhr.

Es handelt sich dabei umย neue Werke, die nie benutzt wurdenย und auch nie mit ร–l verunreinigt gewesen sind. Trotzdem werden diese natรผrlich noch mal einzeln von Aristo รผberholt:

  • Das Werk wird komplett demontiert bzw. in seine Komponenten zerlegt,
  • vorsorglich imย Ultraschallbadย gereinigt,
  • wieder zusammengebaut,
  • geรถlt und
  • feinreguliert (Reglage max. +10s/Tag).

Das NOS-Kaliber in der Aristo RLM-Uhr kommt ganz konkret vom franzรถsischen Rohwerkhersteller France Ebauches S.A., kurz FE. Es handelt sich um ein Handaufzugswerk mit dezentraler Sekunde, 38 Stunden Gangreserve, 21.600 bph und Incabloc-StoรŸsicherung. Auch optisch macht das Kaliber durchaus was her, vor allem dank einer Art tief eingravierter Perlage:

France Ebauches entstand anno 1965 durch den Zusammenschluss von vier der bedeutendsten franzรถsischen Rohwerkhersteller. Das Produktionsvolumen der Firma betrug in ihren Anfรคngen rund 4 Millionen Rohwerke jรคhrlich. Das entsprach ca. 50% der gesamten franzรถsischen Rohwerke-Produktion. 1977 erreichte France Ebauches S.A. mit 8 Millionen Rohwerken den zweiten Platz weltweit (hinter der Schweizer Ebauches SA) und erwirtschaftete in der Spitze mit รผber 700 Mitarbeitern einen Umsatz im zweistelligen Millionenbereich.

Ab 1980 wandte sich FE im Zeichen der Quarzrevolution den Japanern zu: Zusammen mit Seiko konzentrierte sich die Produktion auf Quarzwerke unter japanischer Lizenz. Mitte der 1990er musste FE allerdings Insolvenz anmelden.

Aus den รœberresten von France Ebauches erhob sich 2001 ein neues Unternehmen: Technotime. Das Unternehmen plante mehrere Zehntausend mechanische Uhrwerke pro Jahr zu produzieren, darunter auch ein handgefertigtes Tourbillon-Kaliber im hochpreisigen Bereich. Alle strategischen Komponenten wurden im eigenen Haus hergestellt, einschlieรŸlich Unruhspiralfedern. Doch auch das neue Unternehmen fuhr an die Wand: 2017 wechselte France Ebauches erneut den Besitzer und wurde Teil der Festina-Gruppe (zu der auch der Uhrwerkehersteller Soprod gehรถrt).

Nun kann man sich natรผrlich fragen: Was bringt mir so ein NOS-Kaliber an Vorteilen gegenรผber aktuellen Kalibern wie dem Sellita SW210? Diese Frage ist natรผrlich absolut berechtigt. Die kurze Antwort: Nรผchtern betrachtet bietet das FE 233.68 keine technischen Vorteile – Punkt. Wenn wir aber rein rationale Argumente beiseite schieben, so lรคsst sich festhalten, dass das Kaliber fรผr Sammler mehr als spannend ist, da es schon lange nicht mehr gebaut wird und damit sehr selten ist – jedenfalls deutlich seltener als Standardkost von Sellita, ETA & Co.. Und am Ende des Tages passt das NOS-Kaliber natรผrlich wie die Faust auf’s Auge zu einer Retro-Neuauflage wie der RLM-Uhr von Aristo.

AbschlieรŸende Gedanken

Die Aristo RLM-Uhr ist ab sofort zum Preis von 750โ‚ฌ bestellbar (mit Saphirglas). Mit 690โ‚ฌ etwas gรผnstiger ist die Variante mit am Rande hochgewรถlbtem, “box-shaped” Mineralglas oder flachem Mineralglas.

Die vierte Variante kommt mit gewรถlbtem, armiertem Plexiglas fรผr 720โ‚ฌ. Da Plexiglas in geringem MaรŸ osmotisch ist, werden fรผr wasserdichte Uhren besonders dicke und darรผber hinaus armierte Plexiglรคser, bei denen ein Metallring den Glasrand verstรคrkt, verwendet. Die Armierung erhรถht die Spannung und sorgt fรผr einen dichten Sitz.

Mein Favorit unter den vier Optionen ist definitiv das Plexiglas: Ja, Plexiglas ist hinsichtlich Kratzer sicherlich am empfindlichsten. Gleichzeitig fรคngt das Glas das Licht unglaublich weich ein – genau wie die RLM-Uhren der damaligen Zeit, die ebenfalls mit Plexiglas kamen. Plexiglas hat meiner Meinung nach seinen ganz eigenen Charme, weshalb beispielsweise ja auch Omega bis heute eine Variante der Moonwatch mit Plexiglas anbietet. Und sollte doch mal ein Kratzer ins Glas gelangen, so hilft ganz einfach Polywatch.

Mehr: Uhr polieren und Kratzer entfernen fรผr kleines Geld โ€“ was taugen Cape Cod und Polywatch?

Mehr: Experiment: Saphirglas vs. K1 Mineralglas/Hardlex vs. Hesalitglas im Bruch- und Kratz-Test

Der Preis (ab 690 Euro) ist fรผr das Gesamtpaket, das Aristo schnรผrt, absolut gerechtfertigt: Allein der Aufwand, um die NOS-Kaliber aus dem Hause FE wieder zum Leben zu erwecken, ist nicht ohne und deutlich hรถher als wenn nur frisch aus der Produktion gepurzelte Sellita-Kaliber oder dergleichen eingeschalt werden. Davon abgesehen ist auch die Qualitรคt der Aristo RLM-Uhr auf gewohnt gutem Niveau. Nicht zuletzt habe ich auch mit eigenen Augen sehen kรถnnen mit welch erstaunlich hoher Fertigungstiefe das Aristo-Team Uhren erschafft – heute eine absolute Seltenheit.

Kurzum: Wer eine erschwingliche, schlichte Uhr mit einem historisch spannenden Innenleben sucht, das man nicht alle Tage vorfindet, liegt mit der Aristo RLM-Uhr goldrichtig.

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5 Kommentare
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THOR
4 Monate zurรผck

…Na ja,schรถn und Gut…aber gerade bei DIESER Uhr,hรคtte man die ursprรผngliche “Eisenbahnminuterie”beibehalten sollen!!! ๐Ÿ™
Die Frage stellt sich:”Welcher Uhrmacher(Ausser Hr. Vollmer),repariert mir denn die Uhr,
wenn das “Werk”so selten ist?
Im Grunde genommen:”Eine nicht zu Ende gedachte Geschichte!!” ๐Ÿ™
mfG
THOR

THOR
4 Monate zurรผck
Antworten...  Mario

Danke Mario,ist das der Bruder von Konrad Krim,der die โ€œBeobachteruhrenโ€klassifiziert hat?
Wenn H.Vollmer die โ€œRLM-Beobachteruhrโ€brรผniert hรคtte,wรคre der โ€œVintage-Lookโ€perfekt!
Na jaโ€ฆein Glรผckโ€ฆin meinen Uhrenkรคsten ist eh kein Platz mehr!
Muss mir wohl ein neues Hobbysuchen! ๐Ÿ˜‰
mfG
THOR

Lord Cord
4 Monate zurรผck

Schade, dass man der kleinen Sekunde nicht den Railwayrahmen zugestanden hat. Ansonsten ist Aristo gerade auf interessanten Pfaden unterwegs!

Konrad
4 Monate zurรผck

Wenn es einem Uhrenhersteller wieder einmal gelingt 50 und mehr Jahre alte NOS Uhrwerke aufzutreiben, einzubauen und dann KEINEN exorbitant hohen Preisaufschlag zu verlangen, kann ich nur sagen:”Chapeau Hajo Vollmer”. So bekommen historische Uhrwerke ein neues Leben in modernen Gehรคusen

Der Uhrmacher meines Vertrauens ist auch jedesmal ganz angetan, wenn ich meine A. Schwarzwรคlder mit PUW Kaliber, meine Bifora Unima mit Kaliber 120 oder ein anderes meiner Vitage-Schรคtzchen zur Wartung vorbeibringe.

Das in der Aristo verbaute FE Werk ist klassisch konstruiert und, wie manche Werke der 70er, durchaus rustikal dekoriert. Glรผcklicherweise hat Aristo der Versuchung widerstanden, die einfache [wohl Nickel-] Unruh auszutauschen und die alte Ausfรผhrung der Incabloc StoรŸsicherung durch die neuere Variante mit Lyra Feder zu ersetzen. Auch hat Aristo trotz Feinstellung des Werks der Versuchung widerstanden, die Punze “unadjusted” zu tilgen – gut gemacht!

Fazit: Eine interessante Uhr zum durchaus erschwinglichen Preis sowie ein gut geschriebener Artikel.