Furnitu… was? Keine Sorge – auf diesem Blog gibt’s natรผrlich nicht auch noch Artikel รผber die neuesten Mรถbeltrends ๐ . Ein Furniturist ist ein Hรคndler fรผr Uhren-Einzelteile bzw. -Ersatzteile wie beispielsweise Zahnrรคder, Zeiger-Sรคtze, Zifferblรคtter, Uhrglรคser etc. (sog. Furnituren von frz. fourniture = Zulieferung, Beschaffung). Ein Furniturist ist aber nicht einfach nur „irgendein“ Hรคndler: Der Groรteil der Ersatzteile, die er an Lager hat, wird schon lange nicht mehr produziert. Ein Furniturist bildet daher oftmals (im Gespannt mit einem freiem Uhrmacher) die letzte Hoffnung fรผr Besitzer von (defekten) Vintage-Uhren von bekannten Marken wie Omega, Rolex, Breitling, Heuer etc., aber auch von fast schon vergessenen Marken wie Enicar, Recta, Excelsior Park, Fleurier oder Venus.
Grade mal fรผnf Furnituristen gibt es noch in Deutschland und nur rund 40 weltweit. Einer dieser „last Man standing“ ist Thomas Krim, Inhaber des Traditionsunternehmens Ernst Westphal. Spannend: Die Ursprรผnge von Ernst Westphal reichen รผber 120 Jahre zurรผck.
Ernst Westphal รผbernahm kurz vor dem Zweiten Weltkrieg die 1898 gegrรผndete Firma Firma Meusel & Gerling, es folgt die Umbenennung in Ernst Westphal Hamburg. Wรคhrend des Zweiten Weltkriegs wurden groรe Teile des Hamburger Ersatzteil-Lagers bei zwei Bombenangriffen zerstรถrt – doch Ernst Westphal lieร sich nicht unterkriegen und baute das Unternehmen wieder auf. Im Jahre 1954 tritt auch der Sohn, Claus Westphal, ins Unternehmen ein und รผbernimmt Mitte der 60er die Firmenleitung, um den beachtlichen Wachstumskurs fortzusetzen.
Broschรผre / Katalog aus dem Jahre 1958 – zum Vergrรถรern bitte klicken.
2001 รผbernahm Jรผrgen Marquardt die Leitung von Westphal Hamburg. Thomas Krim wird wenige Jahre spรคter Mitinhaber. Seit 2008 ist Thomas Krim Alleininhaber des geschichtstrรคchtigen Unternehmens.
Ein guter Grund also fรผr eine Momentaufnahme: Thomas Krim gibt in diesem Interview Einblicke in seine tรคgliche Arbeit – unter anderem รผber die schwierigen Beziehungen zu Schweizer Luxusuhrenherstellern, die Rettung von besonders exotischen Uhren und das Flottmachen der Borduhr einer Supermarine Spitfire von Jaeger LeCoultre. Und er beantwortet die Fage, warum Furnituristen gefragter denn je sind…
Ernst Westphal Hamburg: Interview mit Furniturist Thomas Krim
CHRONONAUTIX: Stellen Sie sich bitte kurz vor!
Mein Name ist Thomas Krim, Jahrgang 1955. Ich bin einer der letzten Furniturist in Deutschland und weltweit. Gewissermaรen ein Spezialist und (Groร-)Hรคndler fรผr Uhrenersatzteile, Uhrmacherbedarf und generell alles rund um die Uhr. Mir gehรถrt das 1898 gegrรผndete Traditionsunternehmen Ernst Westphal und der daran angeschlossene Online-Shop Watchparts24. Mein Background ist eigentlich ein ganz anderer: Rund 25 Jahre habe ich in der IT-Branche gearbeitet, bis zum Jahr 2000 war ich selbststรคndiger Softwareentwickler.
CHRONONAUTIX: Wie sieht der typische Alltag eines Furnituristen aus?
Viel Kommunikation mit Kunden. Vor allem Anfragen per E-Mail und Telefon aus aller Welt. Und es geht immer um die Suche nach Teilen fรผr Einzel-, Stammkunden, aber auch mehrere bekannte internationale Luxusuhrenhersteller. Fรผr die bin ich eigentlich dauerhaft im Einsatz und auf der Suche nach teilweise sehr seltenen Ersatzteilen.
CHRONONAUTIX: Furniturist als exotischen Beruf zu bezeichnen ist fast schon untertrieben. Und dennoch: Sie haben im Jahre 2008 den Geschรคftsbetrieb von Ernst Westphal als Quereinsteiger รผbernommen. Wie kam es dazu?
Nach meinem allmรคhlichen Rรผckzug aus der IT-Branche, habe ich meine lange brachliegende Lust auf und fรผr Uhren wiederentdeckt. Meine Sammelleidenschaft hat dann irgendwie angefangen, ein โEigenlebenโ zu entwickeln. Bald sammelte ich nicht nur auรergewรถhnliche Uhren, ich entdeckte auch ein zunehmendes Faible und eine gewisse Begabung fรผr die Restauration und Reparatur diese Uhren. Dazu war ich natรผrlich stรคndig auf der Suche nach Ersatzteilen…
CHRONONAUTIX: Passt der Beruf des Furnituristen รผberhaupt noch in die heutige Wegwerfgesellschaft, in der es Menschen eher gewohnt sind, sich Dinge neu anzuschaffen, anstatt sie reparieren zu lassen?
Mehr denn je. Seitdem der โSpargroschenโ auf dem Giro- und Sparkonto durch das Zinsniveau aufgefressen wird, hat sich die Flucht in Sachwerte wie Uhren und Autos extrem verstรคrkt. Und natรผrlich auch eine entsprechende Preisentwicklung nach sich gezogen. Es werden heute auch Uhren gesammelt, die ein ernsthafter Sammler vor Jahren noch โlinks liegen gelassenโ hรคtte. Von daher hat sich die Nachfrage nach Ersatzteilen eher noch erhรถht.
CHRONONAUTIX: โVerirrenโ sich auch mal Endkunden zu Ihnen oder arbeiten Sie tatsรคchlich nur mit Uhrmachern zusammen, die Ersatzteile bei Ihnen anfragen?
Endkunden โverirrenโ sich nicht nur, sie machen in unserem Online-Shop Watchparts24.de und bei unserem eBay-Account watchparts24 den grรถรten Kundenkreis aus. Unter anderem, weil wir Accessoires & Zubehรถr fรผr hochwertige Uhren fรผhren und alles Weitere, was das Sammlerherz hรถher schlagen lรคsst.
CHRONONAUTIX: An Vintage-Uhren hรคngen oftmals intensive persรถnliche Erinnerungen (z.B. durch das Erbe von โOpas Uhrโ). Die Furnituren in Ihrem Lager sind oftmals fรผr Besitzer einer solchen Vintage-Uhr โdie letzte Hoffnungโ auf eine Reparatur. Gab es in Ihrer Zeit als Furniturist eine besonders einprรคgsame Geschichte hinter einer solchen Uhr, die wieder โflott gemachtโ werden sollte?
Ja, ein Schweizer Banker wollte unbedingt seine โOmega Time Computer IIโ, eine LED-Uhr aus den 70er Jahren mit einem neuen Glas versehen, da das alte irreparabel beschรคdigt war.
Keine leichte Aufgabe, und auch โnurโ eine Uhr mit einem รผberschaubaren Marktwert. Ich konnte das Glas innerhalb meines Netzwerks aus Sรผdamerika beschaffen, obwohl es eigentlich nirgendwo mehr lieferbar war. Inklusive der Kosten fรผr den Expressversand um die halbe Welt erreichte der Kaufpreis fast den halben Wert der Uhr. Aber das war es ihm wert.
CHRONONAUTIX: Was war das exotischste bzw. seltenste Uhren-Modell รผberhaupt, fรผr das jemand ein Ersatzteil bei Ihnen angefragt hat?
Nicht nur angefragt, sondern auch erfolgreich beschafft – mehrere Ersatzteile fรผr die Borduhr einer Supermarine Spitfire, dem britischen Jagdflugzeug aus dem Zweiten Weltkrieg.
CHRONONAUTIX: Kennen Sie die exakte Anzahl an Furnituren in Ihrem Lager? Wie behรคlt man bei der irre groรen Menge an Ersatzteilen die รbersicht?
Bei ca. 6 Millionen Teilen ist es schwer, den รberblick zu behalten. Aber natรผrlich habe ich die seltensten und teuersten Ersatzteile meines Lagers alle im Kopf. Diese und weitere werden zum Teil in unserer Warenwirtschaft gepflegt. Und natรผrlich sind alle Teile unter Wahrung grรถรter Ordnung gelagert, so dass man in manchen Fรคllen einfach nur einen Blick ins Lager werfen muss. Auf jeden Fall finden wir immer noch alles wieder…
CHRONONAUTIX: Wie schwierig ist es heutzutage neue Schรคtze bzw. frische Ersatzteilbestรคnde fรผr Vintage-Uhren ausfindig zu machen?
Das ist nicht mehr einfach. Es geben zwar immer noch viele Uhrmacher ihren Beruf auf, aber die haben meist nur kleine โUhrmacher-Vermรคchtnisseโ, mit denen ein professioneller Furniturist nichts anfangen kann. Es handelt sich dabei meist um viele kleine, dรผrftig beschriftete Dosen und Schรคchtelchen mit vielen und leider oft gebrauchten Teilen.
Das groรe Furnituristen-Sterben war in den 80er/90er Jahren des letzten Jahrhunderts, da kamen viele Teile auf den Markt. Heute muss man immer โdas Gras wachsen hรถrenโ, wenn mal ein Furniturist aufhรถrt. Gerade hat eine groรe, bekannte Firma in der Schweiz ihre Pforten geschlossen. Aber das Lager bestand zum Groรteil nur noch aus den โLiegenbleibernโ.
CHRONONAUTIX: Die Reparatur von Vintage-Uhren ist fรผr (heute noch aktive) Uhrenhersteller ein รผberaus lohnendes โNebenโ-Geschรคft โ eine Reparatur beim Hersteller geht schnell mal in die Tausende. Das Gespann aus freier Uhrmacher und Furniturist ist da naturgemรคร irgendwo ein Dorn im Auge fรผr den Hersteller. Wie kritisch werden Sie bzw. Ihre Arbeit von den โgroรenโ Marken beรคugt?
Nicht nur beรคugt, sondern auch deutlich behindert. Es hat gerade wieder ein Schweizer Luxusuhrenhersteller – nach diversen anderen bekannten Luxusmarken –ย die Ersatzteilversorgung an uns (und damit an alle freien Uhrmacher) aufgekรผndigt und ein sogenanntes โZertifizierungsmodellโ fรผr Uhrmacher eingefรผhrt. Der Eintrittspreis dafรผr, diese Uhren mit Zertifikat wieder reparieren zu dรผrfen und die nรถtigen Ersatzteile zu bekommen, liegt bei 25.000 Schweizer Franken.
Wir werden zum Beispiel von einem der grรถรten Schweizer Hersteller nicht einmal mehr mit Informationen, wie einer simplen Teilenummer, versorgt, wenn wir diesbezรผglich um Auskunft bitten. Begrรผndung: โSie werden von uns nicht mehr beliefert, daher geben wir ihnen gegenรผber auch keine Informationen mehr preisโ.
CHRONONAUTIX: Vom Aussterben bedroht: Der traditionelle Beruf des Uhrmachers droht zu verschwinden โ merken Sie die Auswirkungen auf Ihre tรคgliche Arbeit? Inwiefern?
Die โSterberateโ der Uhrmacher ist jetzt wieder leicht rรผcklรคufig. Es hat sich herumgesprochen, dass man als guter Uhrmacher gutes Geld verdienen kann. In der Schweiz werden immer noch hรคnderingend Uhrmacher gesucht. Allerdings weiร ich nicht, ob sich die Corona-Krise auch darauf ausgewirkt hat, denn die Absatzzahlen sind ja in den ersten Monaten um bis zu 50% eingebrochen. Vor der Krise lag das monatliche Gehalt eines angestellten Uhrmachers in der Schweizer Uhrenindustrie โ je nach Berufserfahrung โ leicht bei 5.000 bis 8.000 Schweizer Franken. Nicht unattraktiv, oder?
Danke fรผr das Interview, Herr Krim!
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