Bis vor wenigen Jahren noch hat es bei den allermeisten Uhrenfreunden mit Blick auf die Schweizer Uhrenmarke Titoni eher selten klick gemacht – da der Schwerpunkt von Titoni vor allem auf fernรถstlichen Mรคrkten lag, war die Markenbekanntheit in hiesigen Gefilden noch nicht allzu ausgeprรคgt.
Mit neuen Modellen nimmt das seit je her unabhรคngige Familienunternehmen aber verstรคrkt westliche Mรคrkte ins Visier. Und dass retro in Europa funktioniert, weiร auch Titoni: Nach der Titoni Heritage Dreizeigeruhr haben die Schweizer im Jahre 2021 weiter in ihren hauseigenen Archiven gestรถbert und eine Design-Vorlage aus den 50er Jahren aus dem Hut gezaubert, auf dessen Basis der neue Titoni Heritage 94019 Chronograph entstanden ist. Und genau diesen Chrono schauen wir uns in diesem Artikel genauer anโฆ
Eckdaten Titoni Heritage 94019 Chronograph:
- Swiss Made
- Sellita SW 510 BH a, Chronograph-Mechanismus mit Nocken, Datum mit Schnellkorrektur, Handaufzug, Sekundenstopp, 28.800 Halbschwingungen pro Stunde (4 Hz), 23 Steine, 58 Stunden Gangreserve
- Saphirglas, beidseitig gewรถlbt und entspiegelt
- Durchmesser 41 mm
- Hรถhe 14 mm
- Horn-zu-Horn 49 mm
- Wasserdichtigkeit 5 bar / 50 Meter
- Telemeter- und Tachymeterskala
- Band aus Leder, mit Faltschlieรe
- Preis: 2220โฌ direkt bei titoni.ch
Titoni Heritage Chronograph: von Felca zu Titoni
Der Titoni Heritage 94019 Chronograph bewegt sich sehr nah am Design der Vorlage, einem Vintage-Chronographen der Marke Felca mit dem Landeron-Kaliber 148. Der Zusammenhang zwischen Felca und Titoni ist schnell erklรคrt: Schon vor รผber 100 Jahren, anno 1919, produzierte der Schweizer Fritz Schluep Uhren unter dem Namen Felco bzw. zwei Jahre spรคter Felca. Schon frรผh in der Unternehmensgeschichte orientierte sich die Familie Schluep in Richtung asiatischer Mรคrkte, allen voran Japan.
Und so ist es auch kein Zufall, dass die im Jahre 1952 aus der Taufe gehobene Marke Titoni mit dem Logo einer stilisierten Blume in Anlehnung an die in Sรผdwest-China beheimatete Meihua kam, um insbesondere die asiatische Kundschaft anzusprechen. Die Marken Titoni und Felca wurden eine Weile parallel gefรผhrt bis in den spรคten 70er Jahren nur noch Titoni รผbrig blieb – trotz Quarzkrise รผbrigens konsequent weiter mit dem Schwerpunkt mechanische Uhren im Mittelpreissegment.
Sympathisch: Titoni ist bis heute familiengefรผhrt und unabhรคngig, was alles andere als eine Selbstverstรคndlichkeit im von Konzernen (Swatch, LVMH, Richemont etc.) und Investoren geprรคgten Uhrenmarkt ist – vor allem in der Schweiz gibt es kaum noch unabhรคngige Hersteller.
Rund sechzig Mitarbeiter in den Bereichen Entwicklung, Design, Montage und Qualitรคtskontrolle werden heute von der Familie Schluep in Grenchen, Kanton Solothurn, beschรคftigt. Das US-amerikanische Investmentbanking- und Wertpapierhandelsunternehmen Morgan Stanley, das im Jahre 2020 eine Liste der grรถรten Schweizer Uhrenhersteller verรถffentlichte, sieht Titoni mit 63 Millionen Schweizer Franken Umsatz sogar vor Marken wie Zenith, Baume & Mercier oder Oris. Die Familie Schluep hat mit dem T10 im Rahmen des 100-jรคhrigen Firmenjubilรคums sogar ein eigenes, Chronometer-zertifiziertes Manufakturkaliber mit mehr als ordentlichen 72 Stunden Gangreserve prรคsentiert.
Mehr รผber Titoni:
Titoni Heritage 94019 Chronograph im Test
Ein Felca-Chronograph aus den 50er Jahren ist das Vorbild fรผr die Retro-Neuauflage, den Titoni Heritage 94019 Chronographen. Die Umsetzung ist dabei sehr originalgetreu: So sind beispielsweise die mit Super-LumiNova belegten Stundenziffern in exakt derselben Schriftart wie damals gehalten. Auch die Zeiger kommen in genau derselben Form des Felca-Chronos. Die Leuchtmasse, die auf den Ziffern und Zeigern aufgebracht wurde, kommt dabei in einem grรผnen Farbton, bei Nacht erstrahlt die Super-LumiNova gelb-grรผnlich.
Ein charakteristisches Merkmal des Chronographen ist auรerdem das Bicompax-Design, sprich: die Unterbringung von zwei Totalisatoren (Hilfszifferblรคtter), einem 30 Minuten-Zรคhler bei 3 Uhr und einer kleinen Sekunde bei 9 Uhr. Gut: Das Datumsfeld ist zentral auf „6 Uhr“ untergebracht, wodurch die durch das Bicompax-Design geprรคgte Symmetrie des Zifferblattes erhalten bleibt.
Das Zifferblatt wird ferner von zwei Skalen „umrahmt“: einer Tachymeter-Skala in der Farbe Blau („Base 1000 | 700 | 500 …“), die sich hervorragend mit den galvanisch beschichteten, blauen Zeigern ergรคnzt und einer Telemeter-Skala in Rot. Die innenliegende Minuterie ist in schwarz gehalten.
Eine Tachymeter-Skala ist fester Bestandteil fast aller Chronographen โ mit ihr kรถnnen Einheiten pro Stunde wie zum Beispiel die Durchschnittsgeschwindigkeit gemessen werden. Die Telemeter-Skala hingegen ist schon deutlich exotischer: Abstrakt gesprochen kann man mit der Telemeterskala (โteleโ von fern, weit) die Distanz zwischen einem sichtbaren und dem dazugehรถrigen hรถrbaren Ereignis messen. Zugrunde liegt dabei die Ausbreitung des Schalls รผber die Zeit.
Historisch betrachtet kam die Telemeter-Skala erstmalig bei Artillerie-Truppen im Ersten Weltkrieg zum Einsatz: Beim Aufleuchten des gegnerischen Mรผndungsfeuer wurde die Messung gestartet, beim Ertรถnen des Kanonenschlags wurde die Messung wieder gestoppt. So konnten die Offiziere auf Basis der Geschwindigkeit des Schalls die Distanz zum Feind relativ prรคzise auf der Telemeterskala ihrer Uhren ablesen und selbst mit Gegenfeuer antworten.
Fรผr groร gewordene Spielkinder bietet die Telemeter-Skala aber auch heute noch einen Nutzen: Mit ihr lรคsst sich Pi mal Daumen die Distanz zu einem Gewitter oder zu einem Feuerwerk berechnen: Startet man beispielsweise den Chronographen, sobald ein Blitz zu sehen ist und stoppt man diesen beim darauf folgenden Donnergrollen, so kann man auf der Telemeter-Skala die Entfernung des Gewitters in Kilometern ablesen (zum Beispiel 6 Sekunden Chrono-Messung = 2 Kilometer Entfernung).
Auch, wenn auf dem Zifferblatt eine Menge los ist, so fรผgen sich alle Zifferblattbestandteile in der Summe sehr harmonisch und รผbersichtlich zusammen – in der Hinsicht ist es nachvollziehbar, dass Titoni nur wenig gegenรผber der Vorlage (Felca) geรคndert hat.
Es sei nur auf ein Designmerkmal hingewiesen, das fรผr regelmรครige hitzige Diskussionen unter Uhrenfreunden sorgt: Die durch die Totalisatoren „abgeschnittenen“ Ziffern auf 2-4-8-10 Uhr. Das ist zwar bei Chronographen, die mit Stundenziffern kommen, nicht unรผblich, aber durchaus etwas gewรถhnungsbedรผrftig. Hier hรคtte ich mir tatsรคchlich eine Anpassung gewรผnscht. Wer sich daran stรถrt, fรผr den hat Titoni auch noch modernere Interpretationen des Chronographen in petto – ohne abgesรคbelte Totalisatoren (mehr dazu am Ende des Artikels).
Das Zifferblatt wird von einem Saphirglas geschรผtzt, das รผber den Rand des Gehรคuses gewรถlbt ist – ein schรถnes Detail, das an die gewรถlbten Plexiglรคser von Uhren erinnert, die bis in die 80er Jahre hinein Gang und Gรคbe waren.
Auch das Gehรคuse entspricht in weiten Teilen der Vorlage: Ins Auge stechen insbesondere die Chrono-Drรผcker, die an Motorkolben erinnern (auch Pilzkopf-Drรผcker genannt) – ein typisches Merkmal von Chronographen der 50er und 60er Jahre. Auch die knackig-kantigen Hรถrner und die polierte Lรผnette wurden vom damaligen Felca-Chronographen รผbernommen. Dadurch, dass die Lรผnette recht breit ist, ist das Zifferblatt eher kleiner (ca. 35 mm), wodurch der Chronograph deutlich kleiner wirkt als die 41 mm es auf dem Papier vermuten lassen.
Wie man es von Chronographen mit automatischem Kaliber gewohnt ist, ist auch der Titoni Heritage Chrono nicht allzu flach: Zusammen mit dem Glas kommt das Modell auf rund 14 mm Hรถhe – das ist (auch im Verhรคltnis zum Durchmesser) in der Summe durchaus akzeptabel, zumal Titoni die Gehรคusehรถhe im Seitenprofil durch eine mehrstufige, filigrane Machart geschickt kaschiert. Dennoch wรคre es aus meiner Sicht keine schlechte Idee gewesen, wenn Titoni ein reines Handaufzugskaliber wie das Sellita SW510 M verbaut hรคtte, um die Hรถhe weiter zu reduzieren – die Hanhart 417ES (Hรถhe nur 13,3 mm) macht vor, dass ein Handaufzugskaliber der Beliebtheit eines Modells keinen Abbruch tut. Und da wรคren wir auch schon beim Thema Kaliber…
Titoni Heritage Chrono: Sellita SW 510 BH a
Das im Titoni Heritage Chrono verbaute Kaliber Sellita SW510 mit Automatikaufzug und einer Frequenz von gรคngigen 28.800 bph basiert auf dem bekannten SW500-1, hat aber eine Bicompax-Konstruktion an Bord, welche die 50er Jahre Retro-Optik des Chronos unterstreicht. Die Gangreserve des Sellita SW510 ist mit 58 Stunden sehr ordentlich und eine Schippe besser als beim fast baugleichen ETA 7750. Auch bei der Ganggenauigkeit gibt’s nichts zu meckern: die Zeitwaage spuckte einen quasi perfekten Wert von +0,3 Sekunden pro Tag aus – ein Fest fรผr Freunde der Pรผnktlichkeit.
Durch den verschraubten Saphirglasboden darf das SW510 auch bei der Arbeit begutachtet werden – der Blick auf den toll dekorierten Rotor und die sonstigen Verzierungen (z.B. Wolkenschliff) machen auf jeden Fall Laune.
Fazit zum Titoni Heritage Chrono
Man kann ja von der nicht abflachen wollenden Retro-Welle halten was man will – und ich verstehe jeden Uhrenfreund der sagt, dass er der ganzen Retro-Modelle รผberdrรผssig geworden ist. Dennoch ist der Titoni Heritage Chrono meiner Meinung nach eine Bereicherung: Die Qualitรคt des Modells ist bis ins letzte Detail ganz hervorragend, das Kaliber SW510 perfekt feinreguliert und die Marke Titoni grundsympathisch.
รbrigens: Titoni hat auch zwei modernere Varianten mit der Referenz 94020 in weiร und schwarz (jeweils an Stahl- oder Lederband) lanciert – die Eckdaten sind ansonsten identisch (Durchmesser, Kaliber, Wasserdichtigkeit etc.).
Alternative
Abschlieรend sei als Alternative der Certina DS Automatic Chronograph mit der Referenz C038.462.16.037.00 genannt, der in einer รคhnlichen Preisklasse spielt und den ich Ende 2020 unter die Lupe genommen habe: Auch hier sind ein helles Zifferblatt, kontrastreiche blaue Zeiger sowie eine Telemeter- und eine blaue Tachymeterskala prรคgende Designelemente.
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Ich habe die Vorlage zu dem Chronograph. Er ist sehr wahrscheinlich sogar von 1948 nach dem was ich in Erfahrung bringen konnte.
Ich nutze ihn nicht tรคglich,aber wenn er es ans Handgelenk schafft lรคuft er zuverlรคssig.
Der Uhrgrossvater
Vielleicht habe ich heute einen Totalausfall, aber den 12-Stundenzรคhler auf 6 Uhr sehe ich nicht und er gehรถrt auch nicht zur Spezifikation des Kalibers.
Mit Handaufzug gibt es einen solchen Bicompax Chronographen mit dem ST 1901 Kaliber beim Chinesen รผbrigens fรผr 150 Euro, neuerdings auch im selben Retrodesign.
Titoni ist einfach eine super Marke bei der ich es sehr lohnenswert finde sie in der Sammlung zu haben, die machen eigentlich so ziemlich alles richtig und nichts falsch. Sehr schรถner Chronograph!