Mitte März 2023 hatte ich das Vergnügen die Frankfurter Spezialuhrenschmiede Sinn im erst vor wenigen Jahren eröffneten Neubau in der Wilhelm-Fay-Straße im Industriegebiet Sossenheim zu besuchen – die Sonderausstellung, die Produktion und Hintergründe zu den Technologien sowie natürlich die Neuheiten 2023 (insbesondere die neue Sinn T50 Goldbronze) standen dabei auf der Agenda. Also los geht’s!
INHALT
Sinn: Sonderausstellung 2023
Im sogenannten Atrium, direkt hinter der großen Eingangshalle der Sinn-Zentrale, befindet sich noch bis zum 6. April eine temporäre Sonderausstellung zur Geschichte, den Technologien und Meilensteinen des Frankfurter Spezialuhrenherstellers. Direkt ins Auge springt beim Betreten des Atriums vor allem der Reile-Porsche 911 RSR mit Sinn 917 GR Rallye-Chronograph-XXL-Werbung auf der Motorhaube. In genau diesem 911er bestritt Rallye-Weltmeister Walter Röhrl 2009 auf der Rally Costa Brava siegreich sein letztes Rennen. Kein Zufall: Röhrls Beifahrer Peter Göbel war Mitwirkender bei der Entwicklung des (leider nicht mehr käuflich erwerbbaren) Sinn 917 GR Chronographen mit speziell für Rallye-Rennen entwickeltem Countdown-Drehring, der das exakte Einstellen und leichte Ablesen sekundengenauer Zielzeiten erlaubt.
Der damals 57-jährige Alan Eustace hat anno 2014 die Welt mit einem Rekordsprung aus der Stratosphäre überrascht – mit einer Absprunghöhe von 41 km verdrängte er sogar Felix Baumgartner vom Podest. Mit dabei am Arm des ehemaligen Google Managers, der den Stratosphäre-Sprung wohl aus seiner Portokasse bezahlt haben dürfte: Die Sinn 857 UTC TESTAF, von der Eustace und sein Team privat zwei Stück “von der Stange” bei einem US-Händler für Sinn-Uhren gekauft hatten. Sinn erfuhr erst im Nachhinein davon, dass die Uhr am Ärmel von Eustaces Spezialanzug eingenäht war.
Auch Reinhard Furrer hatte sich eine Sinn privat angeschafft: Der DLR-Wissenschaftsastronaut, Physiker und Pilot trug während der Spacelab-Mission D1 im Jahre 1985 die 140 S mit Lemania-Uhrwerk 5100 am Handgelenk. Furrer bewies damit, dass eine Armbanduhr mit
automatischem Aufzug auch in der Schwerelosigkeit funktioniert. In Form der Sinn 140 ST ist der Weltraumchronograph auch heute noch erhältlich.
Erwähnenswert ist auch die im Atrium ausgestellte, bis heute voll funktionsfähige Navigationsborduhr “Nabo” 17, die im Jahre 1980 beim Absturz des Tornado-Prototypen P04 in Geiselhöring/Niederbayern an Bord war. In Form der Sinn 717 gibt es die Borduhr seit 2021 auch für’s Handgelenk.
Mehr: Sinn 717 im Test: Tornado-Borduhr NaBo 17 ZM für’s Handgelenk
Im Rahmen einer Voranmeldung per Email, kann die Ausstellung noch bis zum 6. April besucht werden. Hier noch einige weitere Eindrücke:
Sinn Spezialuhren Frankfurt-Sossenheim: Produktion und Technologie
Weiter geht’s zum Herzen des Sinn-Gebäudes – der Produktion. Vorbei an der Azubi-Werkstatt läuft man direkt auf einen großen Raum zu, in dem sich Tisch an Tisch aneinanderreihen. Hier finden fast 20 Uhrmacher ihren Platz, die sämtliche Sinn-Uhren zusammenbauen. Insgesamt mehr als beachtliche rund 17.000 Uhren kamen so im letzten Jahr zusammen. Gestützt wird die Produktion von einem Warenwirtschaftssystem, das zum Beispiel verrät, ob alle Komponenten für ein bestimmtes Modell an Lager sind.
Auch den Leiter Produktion und Uhrwerktechnik lerne ich hier kennen: Kai Günsch hebt hervor, dass in der Produktion keine Arbeitsteilung, wie häufig bei großen Herstellern in der Schweiz vorzufinden, herrscht, sondern, dass jeder Sinn-Uhrmacher für eine Uhr als Ganzes verantwortlich ist. Und obwohl das im Vergleich zu anderen größeren Uhrenherstellern sicher ein Anreiz für die Uhrmacher ist, ist dennoch auch klar, dass Frankfurt im Vergleich zu beispielsweise Glashütte nicht unbedingt die Hochburg der deutschen Uhrmacherei ist. Oder anders gesagt: Fachkräfte findet man hier nicht in so “geballter” Form vor wie beispielsweise im sächsischen Glashütte – aus dem Grund hat Sinn Spezialuhren auch erst 2022 eine neue Niederlassung in Dresden, rund 30 Minuten von Glashütte, mit Fokus auf Service und Montage eröffnet, um die Zentrale in Frankfurt zu entlasten.
Übrigens: Auch die mit Sinn eng verflochtene Sächsische Uhrentechnologie GmbH Glashütte (SUG) ist nur 25 Kilometer entfernt; dort werden die komplexeren Uhrgehäuse für Sinn gefertigt, zum Beispiel alle Gehäuse aus U-Boot-Stahl oder jene mit AR-Trockenhaltetechnologie (die Entwicklung findet in Frankfurt statt).
Aber auch der Standort in Frankfurt wird weiter gestärkt: Sinn setzt auf Nachwuchsförderung und bildet stets eigene Uhrmacher aus – natürlich mit dem Ziel diese später auch zu beschäftigen. Die Frankfurter haben in den letzten Jahren außerdem zunehmend Kompetenz im Bereich der Gehäuseaufbereitung aufgebaut, um beispielsweise im Rahmen einer Revision ein durch Dellen und Kratzer in Mitleidenschaft gezogenes Gehäuse wieder in altem Glanz erstrahlen zu lassen (aber natürlich nur, wenn man das denn möchte).
Im Labor, unweit der Produktion, wartet ein großer Raum mit allerhand Prüfgeräten, darunter ein Gerät zur Messung der Wasserdichtheit bis zu einem Prüfwert von bis zu 16.000 Metern. Seit 2005 überprüft die Klassifikationsgesellschaft DNV (vormals DNV GL und Germanischer Lloyd, Hamburg) die Taucheruhren von Sinn Spezialuhren aus Frankfurt auf Wasserdichtigkeit und Druckfestigkeit. So ist beispielsweise die Sinn 50 bis 50 bar druckfest, die Sinn U1 sogar bis 100 bar. Die neue T50 kommt ebenfalls auf 50 bar.
Mehr: Taucheruhren nach DIN/ISO: Die Normen ISO 6425 / DIN 8306 leicht verdaulich erklärt
Im Labor befindet sich auch eine Klimakammer, in der die mit der entsprechenden Technologie ausgestatteten Sinn-Uhren Temperaturen von –45 bis +80 Grad Celsius aushalten müssen. Ferner wartet dort auch ein Gerät zum Einsetzen der AR-Trockenhaltekapseln, die beispielsweise bei der neuen Sinn T50 zum Einsatz kommen (dazu gleich mehr) und welche die in das Uhreninnere eindringende Feuchtigkeit aufsaugen. Über eine Blauverfärbung zeigt die Kapsel an, sobald sie gesättigt ist und ausgetauscht werden muss.
In einer kleinen Vorführung darf ich auch live erleben wie die Sinn UX mit einem top secret Spezialöl geflutet wird, das dafür sorgt, dass man die Uhr über wie unter Wasser aus fast allen Winkeln perfekt ablesen kann (unten im Bild gut ersichtlich). Dafür wird dem Gehäuse zunächst sämtliche Luft entzogen, um spätere Blasenbildung zu vermeiden (da eine einzige Spezialöl-Befüllung mit 1,5 Stunden ein echter Zeitfresser ist, findet diese in einer großen Füllanlage statt, in der bis zu 50 Uhren gleichzeitig befüllt werden können).
Das ETA Quarzwerk mit End of Life-Indikator (EoL), das ebenfalls in dem Öl schwimmt, ist dabei mit leichtem Vorgang feinreguliert, um zu berücksichtigen, das das Werk in der Flüssigkeit höherem Widerstand ausgesetzt ist (was man übrigens auch gut an den Zeigern erkennt, die nach jedem Sprung minimal wieder zurückspringen).
Eine Membran, die direkt im Gehäuseboden der Sinn UX eingelassen ist, sorgt dafür, dass die Flüssigkeit im Temperaturbereich von -20 bis +60 Grad volumenmäßig in Abhängigkeit der Temperatur “arbeiten” kann.
Sinn-Neuheiten 2023 (u.a. Sinn T50 Goldbronze)
Sinn hat das Uhrenjahr 2023 mit der neuen T50-Taucheruhr gestartet, die sich mit ihrer klar ablesbaren, voll auf Funktionalität gebürsteten Designsprache nahtlos in die Taucheruhren-Kollektion von Sinn einordnet.
Die Sinn T50 ist in zwei unlimitierten Varianten erhältlich: Eine “monochrome” Variante mit Gehäusekorpus und Lünette aus tegimentiertem, also tiefengehärtetem Titan Grade 5 sowie in einer Variante mit Gehäusekorpus aus tegimentiertem Titan grade 5 und einer Lünette aus perlgestrahlter Goldbronze 125 (T50 GBDR).
Mehr über Tegimentierung: Sinn U1 im Test: Vorsprung durch Technik oder technisch überzüchtet?
Goldbronze ist eine hauseigene und zum Patent angemeldete Legierung, die laut Sinn einen besonders hohem Reinheitsgrad aufweist. Goldbronze besteht aus Kupfer (80,5%), Zinn (7%) und – na klar – Gold (12,5%). Durch den Goldanteil wird das Anlaufverhalten, das man typischerweise von Bronze kennt, gehemmt. Dennoch wirkt das Material durch den hohen Kupferanteil deutlich tooliger und dunkler als reines Gold. Ich bin eigentlich überhaupt kein großer Fan von Bicolor-Uhren, aber die Kombination aus Titan Grade 5 und Goldbronze-Lünette bei der T50 GBDR hat auf jeden Fall was.
Beide unlimitierten T50-Varianten kommen mit der AR-Trockenhaltetechnologie, also einer Trockenhaltekapsel, die in das dank Sellita SW 300-1 mit 12,3 mm angenehm flach konstruierte und dennoch bis satte 50 bar wasserdichte Gehäuse eingeschraubt ist.
Mit der Einführung der T50 hat Sinn auch neue Bänder herausgebracht – neben dem Titanband, an dem sich die T50 ohnehin schon sehr leicht und komfortabel trägt, hat Sinn auch neue Textilbänder in drei verschiedenen Längen sowie ein vollintegriertes, graues Silikonband im Angebot. Hier im direkten Vergleich:
Auch eine limitierte Edition der T50, bei der nicht nur die Lünette, sondern auch das Gehäuse an sich aus Goldbronze ist, wurde angeboten – und ja ich schreibe absichtlich in der Vergangenheit: Das Modell war – trotz des materialbedingt für Sinn-Verhältnisse eher höheren Preises (fast 5000€) – ratzfatz im Direktvertrieb ausverkauft. Kein Wunder, denn das als zusätzliches Sahnehäubchen zum Einsatz kommende DS-Zifferblatt (“DS” für Dekorschliff), das ich erstmalig live begutachten konnte, sieht richtig richtig gut aus. Ansonsten sind die Spezifikationen identisch mit den beiden unlimitierten Varianten (AR-Trockenhaltetechnologie, 50 bar Wasserdichtigkeit etc.). Mit etwas Glück kann man aber noch eine der T50 Limited Editions bei den vielzähligen Sinn-Fachändlern erwerben.
Weitere Neuheiten sind/waren eine limitierte (und mittlerweile auch ausverkaufte) Sinn U1-Variante mit Perlmuttzifferblatt (ich bin echt kein Fan von Perlmutt, sorry) sowie eine Sinn U50 mit grauem DS-Zifferblatt, das nicht minder genial aussieht wie bei der limitierten T50 Goldbronze. Auch die Sinn U50 DS ist limitiert, von den 1000 Stück sind aber noch welche direkt über Sinn bestellbar (Stand 21. März 2023).
Im Zuge der Neuheiten-Vorstellung sprach ich noch die mehrwöchigen Lieferzeiten an, die auf der Sinn-Website angegeben sind und mit Blick auf einschlägige Foren auch den einen oder anderen Uhrenfreund etwas abschrecken – es handelt sich hierbei laut Sinn allerdings “nur” um ungefähre, pauschale Angaben, da der Webshop keine Verbindung in das Warenwirtschaftssystem hat. Die Frankfurter erteilen aber jederzeit gerne telefonisch Auskunft zu den genauen Lieferzeiten eines bestimmten Modells.
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PS: Nachtrag zur “R500”: Wenn Helmut Sinn die dünnen Madenschräubchen sehen würde, die mit rund einem Millimeter Futter diese rund EUR 5k-Uhr am Arm halten sollen, würde er vermutlich in seinem Grab rotieren. Also besser pssst!
Hi Mario! Bei SINN warst Du leider rund 20 Jahre zu spät. Mittlerweile ist von der Grundidee des schnellen Helmut Sinn (RIP) kaum mehr etwas übrig geblieben. Funktionelle Armbanduhren und “die beste Uhr zum besten Preis” sind längst passe. Für die mangelnde Funktion ist der “Rallye-Chronograph R500” ein gutes Beispiel. Jeder, der von Zeitmessung und Motorsport etwas Ahnung hat,(und wohlgemerkt keine Tantiemen von SINN erhält) realisiert (Motorsport typisch :-)) sehr zügig, dass die Drücker für Start/Stopp und Rückstellung genau anders herum angeordnet sind als bei üblichen Stoppuhren und zudem ergonomisch wesentlich schlechter erreichbar sind als bei jedem 08/15 Chronographen mit rechtsseitigen Drückern. Nur ein Beispiel. Für die jüngsten “Einsatzuhren” scheinen praxisfremde Einsätze am grünen Tisch kreativ erfunden worden zu sein. Eine (zuverlässige) Endkontrolle scheint noch immer nicht vorhanden zu sein. Die Qualitätskontrolle findet regelmäßig beim Kunden statt. Nach durchschnittlich 2 Nachbesserungen erhält man dann eine makellose Uhr. Die Liefer- und Servicezeiten sind exorbitant. Vor Ort scheint man nicht mal mehr in der Lage zu sein ein Band an einer Uhr kurzfristig zu wechseln, da offenkundig niemand in der Lage ist, dies kratzerfrei zu erledigen (vgl. SINN-Forum). Und die Preise? Oha, imo um ca. 50% zu hoch für die gebotenen Uhren.
Schöner Bericht, Mario! Ich weiß nicht so recht, was ich noch von SINN halten soll. Mehrwöchige Lieferzeiten? Nett ausgedrückt bei 26 Wochen, die es oft sind. Die wirklich schönen Modelle wie die 903 fliegen aus dem Programm (ja, es soll ein Nachfolgemodell ohne die zusätzliche Krone links geben, also am besten noch schnell eine 903 im Handel kaufen). Zu viele Limitierungen vergrätzen die Sammler und Liebhaber, so daß Herr Schmidt schon darauf hinweisen muss, dass die 717 mal nicht limitiert ist, spielt aber bei fast 5k EUR auch keine Rolle. Die Preise für den Service sind exorbitant und auf Rolex Niveau. Für mich hat die Marke deutlich an Reiz verloren. Schade eigentlich.
Das war sicher ein tolles Erlebnis, Mario. Sinn-Uhren sind schon etwas ganz Besonderes!
Ich war nah dran einen Sinn Uhr zu kaufen. Aber nachdem ich mehrere E-Mails an Sinn geschrieben habe, wovon Sinn nicht ein einziger beantwortet hat, habe ich vom Kauf abgesehen. Es steht viel negatives im Internet über den schlechte Service von Sinn, ich kan mich dabei schon etwas vorstellen.