Vor kurzem erreichte mich die E-Mail eines Lesers, der mich fragte, was ich davon halte die Uhr oder Smartwatch täglich nach dem Tragen in der Außenwelt zu desinfizieren und was es zu beachten gilt. Eine spannende Frage! Grundsätzlich muss man natürlich sagen, dass man es sich sparen kann, die Uhr zu Hause zu desinfizieren, wenn man vorher in der Straßenbahn unterwegs war, munter dort alles anfasst und währenddessen die Reste vom Mittagessen zwischen den Zähnen heraus pult. Oder, wenn ihr einem Cleverle begegnet, der – statt in die Armbeuge zu Niesen – astrein in die gefalteten Hände rotzt und euch dann per Handschlag begrüßt. Jummy! Da hilft dann auch später die Desinfektion der Uhr bzw. Smartwatch nix 😉
Trotzdem: Die Frage meines Lesers ist berechtigt und nachvollziehbar. Nennt mich über-vorsichtig, aber ich persönlich desinfiziere mein Smartphone jeden Tag, wenn ich nach Hause komme (nach der Arbeit, dem Einkaufen etc.) – schon seit vielen Jahren, nicht erst seit der Ausbreitung des Coronavirus 😉 Denn: Das Smartphone als alltäglicher Gebrauchsgegenstand ist das Eldorado für Bakterien und Viren. Nicht ohne Grund hat Apple in der Coronakrise bestätigt, dass beispielsweise Desinfektionstücher mit 70 Prozent Isopropylalkohol bedenkenlos zum Desinfizieren von iPhone und Apple Watch verwendet werden dürfen. Natürlich wird eine klassische Armbanduhr nicht so oft befingert wie ein Smartphone (oder eine Smartwatch) und ist damit auch vielleicht keine ganz so große Keimschleuder. Wer aber trotzdem auf Nummer sicher gehen will und seine Armbanduhr oder Smartwatch regelmäßig desinfizieren will, um sich wohler zu fühlen, der sollte die folgenden Tipps beherzigen…
Alle folgenden Angaben sind nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert, aber ohne Gewähr!
INHALT
Desinfektionsmittel – welche Uhren-Materialien können Schaden nehmen?
Desinfektionsmittel besteht hauptsächlich aus Alkohol (Ethanol, 1-Propanol oder 2-Propanol (Isopropanol)), ergänzt um Antiseptika sowie Sporizide wie Wasserstoffperoxid. Man beachte: Nicht jedes Desinfektionmittel hilft gegen alle Viren – gegen den Coronavirus beispielsweise muss das Desinfektionsmittel eine viruzide Wirksamkeit mitbringen (mindestens begrenzt viruzid). Oder genauer gesagt: Alkohol-basierte Desinfektionsmittel sind erst ab einem Ethanol-Gehalt >62% wirksam gegen behüllte Viren wie Influenza, Ebola, Mumps, Masern und den Coronavirus SARS-CoV-2.
Man unterscheidet außerdem in Sprühdesinfektion und Wischdesinfektion. Sprühdesinfektion (z.B. in einer Pumpsprühflasche) ist naturgemäß besser geeignet für unebene und verwinkelte Flächen, da man den zu desinfizierenden Gegenstand quasi einnebeln kann. Aber: Falls möglich sollte ein Nachwischen erfolgen, sodass das Desinfektionsmittel auf der gesamten Fläche verteilt wird und die volle Desinfektionswirkung erzielt wird. Es gibt auch Desinfektionstücher, ich persönlich bevorzuge aber die Sprühflaschen und wische bei Bedarf einfach mit einem Stück Klopapier auf der Oberfläche nach. In allen Fällen solltet ihr aber auf eine gute Belüftung achten – Desinfektionsmittel können schnell in die Birne ziehen und ein schummriges Gefühl verursachen.
Grundsätzlich ist das Desinfizieren von Uhren aus dem gängigsten Material Edelstahl kein Problem. Auch Uhren aus Keramik oder Titan können nach meinen Recherchen problemlos desinfiziert werden.
Bei Uhren mit Bestandteilen aus Kunststoff sieht das Ganze aber schon anders aus: Bei regelmäßigem Kontakt mit Ethanol kann Kunststoff brüchig und spröde werden. Bei der weit verbreiteten Kunststoff-Uhr Casio F-91W für schlappe 10€ mag das aus preislicher Sicht vielleicht noch verschmerzbar sein, es gibt aber auch deutlich teurere Uhren mit Kunststoffgehäuse, die man sicher nicht mit Desinfektionsmittel schrotten will (z.B. traser P96 OdP Evolution).
Aber selbst bei Uhren mit Edelstahl-, Keramik- oder Titangehäuse muss man vorsichtig sein, wenn ein Kunststoffglas zum Einsatz kommt (Acryl, Plexi, Hesalit): Insbesondere der Einsatz von Desinfektionsmitteln mit hohem Alkoholgehalt (>60%) kann Kunststoffgläsern zusetzen, das Glas wird trübe und rissig. Ein Glas-Tausch kostet zwar nicht die Welt, aber den Aufwand kann man sich denke ich sparen 😉 Insbesondere Retro-Uhren kommen häufig mit Kunststoffglas (zum Beispiel der Omega Speedmaster Moonwatch).
Außerdem sollte man sich das Lünetten-Material der Uhren, die man desinfizieren will, genauer anschauen: Viele Retro-Uhren kommen mit einer Lünette, die mit Kunststoff überzogen ist – auch hier ist logischerweise Vorsicht geboten.
Hinsichtlich des gängigsten Lünetten-Materials, Aluminium, scheiden sich die Geister: Viele raten davon ab alkoholhaltige Mittel aufzutragen. Auf der anderen Seite gibt es auch professionelle Reinigungsmittel für eloxiertes bzw. beschichtetes Aluminium, welches Isopropanol enthält. Im Zweifelsfall solltet ihr natürlich lieber auf das Desinfektionsmittel verzichten und die Uhr falls möglich mit Wasser und Seife waschen (dazu gleich mehr).
Holzuhren sollten auf keinen Fall mit alkoholhaltigen Desinfektionsmitteln in Kontakt kommen – Holz hält nicht besonders viel aus, die Oberfläche kann irreparabel beschädigt werden. Ist das Holz der Uhr geölt, kann es außerdem durch den Alkohol im Desinfektionsmittel austrocknen. Der Desinfektions-Effekte wäre ohnehin nur sehr eingeschränkt: Die Oberfläche von Holz ist naturgemäß recht feinporig, sodass sich Nachwischen als schwierig gestaltet.
Bronze, seit ein paar Jahren ein beliebtes Material bei Uhrengehäusen, darf nach meinen Recherchen grundsätzlich bedenkenlos mit Desinfektionsmittel bearbeitet werden – verschiedene Ratgeber empfehlen sogar die Reinigung von Bronze mit reinem Alkohol, dem Hauptbestandteil von Desinfektionsmitteln. Euch muss aber bewusst sein, dass der Alkohol im Desinfektionsmittel die Patina von Bronze verschwinden lassen kann – und grade eine schöne Patina macht ja den Charme einer Bronze-Uhr aus.
Alkohol vs. Dichtungen einer Uhr
Alle Uhren haben gemeinsam, dass die Dauer-Benebelung oder gar das komplette Eintauchen der Uhr in Desinfektionsmittel sich negativ auf die Dichtungen auswirken kann. Denn: Die Dichtungen wie beispielsweise die O-Ringe einer Krone, sind aus flexiblem Kunststoff und damit ebenfalls sehr anfällig für Alkohol. Werden die Dichtungen durch Desinfektionsmittel spröde oder rissig, war’s das mit der Wasserdichtigkeit – Wasser kann in die Uhr eindringen und Schaden anrichten…
Kein Desinfektionsmittel zur Hand? Waschen mit Seife vs. Wasserdichtigkeit
Gründliches Händewaschen mit Seife (mindestens 20-30 Sekunden) tötet Viren wie den Coronavirus zuverlässig ab. Daher liegt der Gedanke nah, auch eine Uhr regelmäßig ordentlich abzuseifen. Natürlich solltet ihr aber ganz genau die Wasserdichtigkeit checken – 5 bar sollte die Uhr mindestens mitbringen. Im Zweifel sollte man die Wasserdichtigkeit aber auch noch mal beim Uhrmacher prüfen lassen, da die Dichtungen einer Uhr über die Jahre spröde werden können und die Wasserdichtigkeit beeinflussen (unabhängig vom Einsatz von Desinfektionsmitteln, z.B. durch hohe Temperaturen oder Schweiß)…
Leder-Bänder säubern und desinfizieren?
Bei Lederbändern, der grundsätzlich unhygienischsten Variante unter Uhrenbändern, ist Vorsicht geboten: Der Alkohol in Desinfektionsmitteln trocknet Leder schnell aus, die Oberfläche wird spröde und sieht einfach unschön aus. Selbiges gilt für die Anwendung von Wasser und Seife – keineswegs empfehlenswert! Und: Desinfektionsmittel kann bei Leder seine Wirkung ohnehin nicht voll entfalten, da die Oberfläche sehr feinporig ist.
Grundsätzlich hygienischer sind abwaschbare Materialien mit glatter Oberfläche wie zum Beispiel Kautschuk. Auch Textilbänder können ggf. vorsichtig mit Seife ausgewaschen werden, sofern die Unterseite nicht mit Leder überzogen ist.
Exkurs: Dürfen Ärzte eine Uhr tragen? / Der Sinn der Arzt-Uhr SINN EZM12
Die Frankfurter Spezialuhrenschmiede SINN hat vor ein paar Jahren das Modell EZM12 lanciert, welches vor allem fliegende Notfallmediziner und Rettungssanitäter als Zielgruppe hat. Das Besondere: Die Ärzte-Uhr lässt sich problemlos mit wenigen Handgriffen demontieren – das Kautschukband lässt sich ohne Werkzeug einfach in einem bestimmten Winkel wegziehen, die Lünette kann mit dem beiliegenden Taschenmesser gelöst und weggehebelt werden. Beides geht, wie ich auf der Messe Baselworld selbst ausprobieren durfte, problemlos von der Hand (und dank Gehäuse-Härtung (Tegimentierung) auch weitgehend kratzerfrei).
SINN schreibt dazu: Eine Besonderheit des EZM 12 sind die Reinigung und Desinfizierbarkeit durch die schnelle und einfache Demontage von Bandsystem und Drehring. Die Komponenten sind geeignet zur Reinigung mit ethanol-, propan-2-ol-, propan-1-ol- und n-alkylaminopropylgycinhaltigen Desinfektionsmitteln wie z. B. Bacillol 30 Foam. Dazu lässt sich das Silikonarmband ohne Werkzeug abnehmen. Der Drehring wird mit Hilfe des großen Schraubendrehers am mitgelieferten Taschenmesser ganz leicht abgelöst.
Trotzdem möchte an dieser Stelle den Sinn der Ärzte-Uhr EZM12 kritisch hinterfragen (wer den Wortwitz findet, darf ihn behalten): Beschäftigte im Gesundheitswesen dürfen nämlich grundsätzlich gar keine Uhren und Schmuck an Arm bzw. Handgelenk tragen. Das gilt für alle Berufsgruppen mit Patientenkontakt, d.h. sowohl für Personal im Krankenhaus wie auch für Rettungsdienste oder MTAs, Physiotherapeuten etc.
Das Robert Koch Institut schreibt dazu klar und deutlich:
“In allen Bereichen, in denen eine Händedesinfektion durchgeführt wird, dürfen an Händen und Unterarmen keine Ringe, Armbänder, Armbanduhren oder Piercings (z.B. Dermal Anchor) getragen werden [Kat. IB/ IV].”
Das RKI schreibt weiter:
“Darüber hinaus können große exponierte Schmuckstücke auch zu einer Eigengefährdung führen, da diese ggf. von verwirrten oder dementen Patienten ergriffen […] werden können. “
Das ist ja auch irgendwo logisch: Uhren haben natürlich so ihre Ecken und Kanten haben und ein Desinfektionsmittel kommt nicht immer “in alle Ritzen”. Oder kurz gesagt: Die hygienische Desinfektion wird durch das Tragen einer Uhr ad absurdum geführt, da diese im täglichen Einsatz zum Erregerreservoir werden kann. Und auch, wenn die Sinn EZM12 vergleichsweise leicht auseinandergebaut werden kann, um eine bessere Desinfektion zu ermöglichen – wie praktikabel ist das im täglichen, stressigen Einsatz von medizinischem Personal? Nicht umsonst wurden sogenannte Kitteluhren erfunden. Der Sinn des Modells EZM12 erschließt sich mir also nicht wirklich…
Wenn dir dieser Artikel gefallen hat, freue ich mich über ein Like bei Facebook, Instagram, YouTube oder
Auch über WhatsApp kannst du immer auf dem neuesten Stand bleiben – jetzt abonnieren:
Darüber hinaus freue ich mich über Kommentare immer sehr (Kommentare werden in der Regel innerhalb kurzer Zeit geprüft und freigeschaltet). Vielen Dank!
Sehr schöne Zusammenfassung, Mario! Deswegen trage ich schon lange keine Lederbänder mehr und sehe NATO-Bänder ebenso kritisch. Metall- oder Kautschuk-/Silikonbänder sind die Alternativen meiner Wahl. Keine meiner Uhren besitzt weniger als 5 bar Wasserdichtigkeit, alle werden nach dem Einsatz mit Flüssigseife unter fließendem Wasser angespült. Mit Desinfektionsmitteln würde ich bei Uhren nicht hantieren, bestenfalls mal ein NATO-Band abwischen, wenn es schnell gehen muss.
Corona macht uns alle das Leben schwer…. 🙁 Danke für diesen sehr hilfreichen Beitrag.