Günstigere mechanische GMT-Uhren im Bereich von 500€ waren lange Zeit Mangelware. Das wird sich nun rasant ändern: Seiko selbst hat (wie sollte es auch anders sein) im Sommer 2022 mit der Seiko 5 GMT vorgelegt und langsam aber sicher trauen sich auch Microbrands aus der Deckung, um die neuen Möglichkeiten, die das jüngst eingeführte Einsteiger-GMT-Kaliber Seiko NH34 bietet, in konkrete Modelle zu überführen.
Eine der ersten Microbrands, die das NH34 verbaut, ist die in Singapur ansässige, 2020 gegründete Marke RZE, deren Kopf Travis Tan hauptberuflich seit 2012 als Senior First Officer in einem Airbus A350 für Singapore Airlines unterwegs ist – und was könnte besser zur Kategorie der GMT-Uhren passen, deren historische Ursprünge auf die Aviatik zurückzuführen sind?
- Gehäuse aus Titan Grade 2, perlgestrahlt, mit UltraHex-Beschichtung
- Durchmesser: 40mm
- Höhe: 13mm
- Bandanstoß: 20mm
- Horn-zu-Horn: 46mm
- Kaliber SII NH34 Automatik, GMT-Komplikation, 41 Stunden Gangreserve, Handaufzugsmöglichkeit, beidseitiger Aufzug, Sekundenstopp, 21600 bph
- Wasserdichtigkeit: 200m (660ft) / 20 bar
- Lünette: Unidirektional, 120-Klicks, DLC-beschichtet
- Krone verschraubt
- Zifferblatt: Applizierte Indexe, gefüllt mit Super-LumiNova
- Zeiger: Baton-Zeiger, gefüllt mit Super-LumiNova
- Saphirglas mit Antireflexbeschichtung auf der Innenseite
- Hex-Link-Titanband mit UltraHex-Beschichtung
- Gehäuseboden aus Titan, verschraubt, mit Viton-Dichtung
- Preis: 599 Euro, direkt auf eu.rzewatches.com
RZE Ascentus GMT im Check
Normalerweise beginne ich meine Artikel nicht mit den Hintergründen zum Innenleben einer Uhr – vor allem, da ich denke, dass man einen mechanische Zeitmesser nicht auf die Technik “reduzieren” sollte (wenngleich sie natürlich eine nicht unwesentliche Rolle spielt).
Bei der RZE Ascentus GMT bietet sich das Augenmerk auf das Werk aber in einem ersten Schritt an, denn ganz im Sinne von “Form Follows Function”, einem Designleitsatz, der besagt, dass die äußere Form von Produkten sich aus ihrer Funktion ableiten soll, nutzt RZE ganz neue technische Möglichkeiten für das GMT-Modell: Das GMT-Kaliber NH34 von Time Module (TMI), einer Tochtergesellschaft von Seiko (SII, Seiko Instrumentcs Inc).
Die gehypte Seiko 5 GMT war der Startschuss für die vergleichsweise günstige Verfügbarkeit von mechanischen GMT-Uhren, denn Seiko verbaut das Kaliber natürlich auch selbst, nur eben unter anderem Namen (4R34).
Auch die Namensverwandtschaft zum extrem populären Seiko NH35 (bzw. Seiko-intern 4R35) ist natürlich kein Zufall: Das NH34, das in der RZE Ascentus tickt, basiert auf der Konstruktion des NH35 – nur wurde es eben um eine GMT-Komplikation erweitert. Klingt irgendwie banal, war aber – aus Sicht von Uhrenfreunden – ein längst überfälliger und seit vielen Jahren heiß erwarteter Schritt, da die NH35-Basis eine bewährte Konstruktion ist, die gleichzeitig einen erschwinglichen Einstieg in die Welt der mechanischen Uhren zulässt. Oder anders gesagt: Relativ günstige mechanische Uhren mit GMT-Komplikation (deutlich unter 1000€) sind absolute Mangelware, da es kaum (günstige) Kaliber-Optionen gab – bis jetzt.
Natürlich kann man durchaus kritisch über die extrem starke Verbreitung der NH35-Kaliberbasis unter Microbrands sein. Wenn ich entsprechende Modelle sehe, bin ich zunächst auch nicht grade ekstatisch. Dennoch bietet das Kaliber nüchtern betrachtet eine überaus attraktive Mischung aus Robustheit, Zuverlässigkeit und relativ günstigem (Einkaufs-)Preis. Zum Vergleich: Ein Schweizer Sellita SWSW330 GMT-Kaliber kostet im Einkauf umgerechnet rund 300 Euro; das Seiko NH34 liegt zwischen 70 und 100 Euro. Das erlaubt natürlich auch deutlich günstigere Preise für die mit dem NH34 ausgestatteten Uhren. Vom Preis mal abgesehen ist die Beschaffung von Sellita-Kalibern an sich für (noch) eher kleinere Marken mit relativ geringem Einkaufsvolumen auch gar nicht so einfach.
Microbrands zeigen sich naturgemäß sehr agil und flexibel – kein Wunder also, dass innerhalb kurzer Zeit nun schon die ersten auf den Plan treten, um das NH34 in neuen Modellen zu nutzen. Eine der ersten Marken war Venezianico (ehemals Meccaniche Veneziane) mit der Nereide GMT 39mm. Nun ist auch RZE recht flott mit der Ascentus GMT auf den NH34-Zug aufgesprungen. Gut so!
Wie es sich für eine GMT-Uhr gehört hat die RZE Ascentus neben dem „normalen“ Stundenzeiger, der zwei mal pro Tag das Zifferblatt umkreist, auch einen GMT-Zeiger, der das Zifferblatt ein mal in 24 Stunden umkreist (mit Bezug zur GMT-Lünette). Im Falle der RZE Ascentus ist der GMT-Zeiger pfeilförmig und in einem auffälligen Orange gehalten.
Eher ungewöhnlich: Die schwarz DLC-beschichtete GMT-Lünette der Ascentus ist nicht bidirektional (wie man das normalerweise von GMT-Uhren kennt), sondern unidirektional drehbar, was eigentlich eher ein Merkmal von Taucheruhren ist, damit der Taucher den Startpunkt des Tauchgangs nicht irrtümlicherweise zurückstellt und dadurch möglicherweise Probleme mit der restlichen Atemgasmenge bekommt. Bei einer GMT-Uhr ist eine nur einseitige Drehbarkeit eigentlich eher unpraktisch.
Erwähnt werden muss ferner, dass das 4R34 kein „Traveller“ GMT-Kaliber, sondern ein „Office“ GMT-Kaliber ist. Wie der Spitzname schon verrät, sind Uhren mit „Office“-GMT-Funktion eher für Uhrenträger geeignet, die an einem Ort verweilen: Bei der „Office“-GMT kann der 24-Stunden-GMT-Zeiger “springend” eingestellt werden, zum Beispiel auf die Uhrzeit bei einem Arbeitskollegen in den USA, den man regelmäßig anrufen muss. Der Nachteil: Der GMT-Zeiger kann nur im Uhrzeigersinn verstellt werden. Der GMT-Zeiger teilt sich beim NH34 außerdem die erste Rastposition der Krone außerdem mit der Datumsschnellverstellung – “überdreht” man also das Datum, darf man gleich noch mal von vorne anfangen, da es “keinen Weg zurück” gibt.
Wenn man nicht grade dauernd um den Globus düst, ist die „Office“-GMT-Funktionalität der RZE Ascentus GMT völlig ausreichend (RZE-Chef Travis in seinem Job als Pilot würde aber wohl größeren Nutzen in einer Traveller-GMT-Uhr finden). Hier noch eine kompakte allgemeine Erläuterung im direkten Vergleich:
Ansonsten bringt die RZE Ascentus GMT, deren Name sich vom lateinischen für “aufsteigend” ableitet, wieder viele charakteristische Merkmale mit, welche die stringente Designsprache von RZE unterstreichen; allen voran ein Gehäuse aus leichtem Titan Grade 2, das dank UltraHex-Beschichtung eine Vickers-Härte von 1200 HV mitbringt und somit oberflächliche Desk Diving-Spuren verhindert.
Das Gehäuse ist RZE-typisch wieder sehr markant, kantig und modern umgesetzt. Beim Durchmesser (40mm; Horn-zu-Horn 46 mm) zeigt RZE wie gewohnt ein Herz für eher schmalere Handgelenke; die Höhe ist mit 13 mm etwas sportlicher – sicherlich auch wegen des recht hoch bauenden Kalibers NH34 (5.32mm; zum Vergleich: Sellita SW330-2 = 4,1mm). Im Profil wirkt das Gehäuse wegen der speziellen, kantigen Form dennoch eher schmal.
Die RZE Ascentus kommt in eher klassischen Farbvarianten (Schwarz und Weiß) sowie in zwei eher poppigeren Varianten (Gelb und “Tiffany Blue”). Für die gelbe Zifferblattvariante hätte ich mir allerdings eine andere Farbgebung beim GMT-Zeiger gewünscht, da die Ablesbarkeit so doch etwas gestört ist. Bei den anderen Farbvarianten ist der Kontrast von GMT-Zeiger und Zifferblatt aber gegeben.
Der GMT-Zeiger, die Baton-förmigen Minuten-/Stundenzeiger sowie der Lollipop-Sekundenzeiger fahren über die körnig wirkende bzw. sandartig texturierten Zifferblätter. Die Datumsscheiben sind schön umrahmt und je Farbvariante perfekt auf die Zifferblattfarbe abgestimmt – alles andere als eine Selbstverständlichkeit in dieser Preisklasse. Die Stundenindizes sind appliziert und – genau wie die Zeiger – mit nachleuchtender Super-LumiNova gefüllt.
In der RZE Ascentus debütiert nicht nur das neue Seiko NH34, sondern auch ein völlig neues Band mit dem Namen “Hex Link Strap”. RZE verspricht nicht weniger als das – Zitat – “leichteste und bequemsten Armband aller Zeiten.” Hört, hört.
RZE beschreibt die Produktion der Bänder wie folgt: Während Edelstahlarmbänder normalerweise aus Stahlstäben geschnitten und gefräst werden, wird jedes Teil des Hex-Link-Armbands einzeln gestanzt und gebohrt, bevor es von den Mitarbeitern in der Produktion gefräst und dann mit einer UltraHex-Beschichtung der RZE-Behandlung unterzogen wird. Dieser Prozess ermöglicht es dem Armband, sich frei zu bewegen und sich optimal um das Handgelenk zu schmiegen.
Das klingt alles schön und gut – und tatsächlich ist der Tragekomfort am Titanband phänomenal; ein haptisch so extrem hochwertiges Band habe ich in der Preisklasse von um die 500€ höchstselten gesehen. Chapeau! Was ich aber dennoch kritisch einwenden möchte ist, dass zum “leichtesten und bequemsten Armband aller Zeiten” auch eine Schließe mit werkzeugloser Feinjustierung gehört. Und das fehlt bei der RZE Ascentus leider nach wie vor (wenngleich eine fehlende werkzeuglose Feinjustierung aufgrund des Titan-bedingten geringen Gewichtes der Uhr mir persönlich nicht ganz so wichtig ist wie bei einem “fetten” Stahl-Diver).
Die RZE Ascentus GMT ist in vier Farbvarianten faire 599€ direkt bei der offiziellen europäischen RZE-Niederlassung online via eu.rzewatches.com erhältlich – für das Gebotene (Preis-Leistung) ein durchaus fairer Preis. Abschließend sei kritisch aber angemerkt, dass sich RZE gerne designtechnisch etwas mehr aus der Deckung wagen könnte: Zwar merkt man auch der Ascentus eine gewisse designtechnische Handschrift an, die dürfte aber gerne noch etwas charakterstärker bzw. ausgeprägter sein, damit sich RZE im hart umkämpften Microbrand-Meer langfristig stärker differenzieren kann.
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Was mir nicht einleuchtet:
Warum ist bei einer GMT (Office) sowohl der GMT-Zeiger als auch die Lünette verstellbar? Entweder ich stelle den Zeiger auf die neue Zeit auf die stehende Lünette oder ich drehe die Lünette auf die neue Stunde und lasse den GMT-Stundenzeiger wie er ist stehen???
Grundgütiger Herr Jesus, wie oft haben wir diese Uhr schon gesehen? Klar, das Gehäuse ist toll, das Zifferblatt ist toll, das Band ist toll, das Werk ist toll, die Fraben sind toll – und wo ist das Einzigarige? Alles schon gefühlte 300 x gesehen!
Schicke Uhr – für den/die, der/die noch keine hat. Alle anderen drehen sich gähnend ab.
Alf