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Seit der Entwicklung der Taschenuhr haben Uhrmacher stets nach einem besseren Schutz vor den Elementen gestrebt. Insbesondere Wasserdichtigkeit stand ganz oben auf der Agenda und so gab es über die Jahrzehnte bedeutende Entwicklungen von vielen klugen Köpfen, um dieses Ziel zu erreichen.

Die Rolex Oyster wird dabei bis heute sehr oft als die erste wasserdichte Armbanduhr der Welt bezeichnet, zum Beispiel in redaktionellen Beiträgen, Blogs, YouTube-Videos oder Büchern – aber auch von Rolex selbst. Zitat aus einer Rolex-Pressemappe: Wenn Hans Wilsdorf die Oyster als „die bedeutendste Erfindung der letzten Jahre bei den Armbanduhren“ präsentierte, bedeutete dies, dass ihre Wasserdichtheit auch erhebliche Fortschritte im Hinblick auf die Langzeitpräzision mit sich brachte.

Wir wir aber zweifelsfrei belegbar sehen werden, reicht die Geschichte der wasserdichten Armbanduhren viel weiter zurück – fernab von Rolex…

Die erste wasserdichte Uhr?

Bis heute hält sich in vielen Medien auch hartnäckig das Gerücht, dass Rolex die erste Uhr auf dem Mount Everest war. Kein Wunder, denn Rolex selbst spielt bis heute in der Marketingkommunikation gerne in aller Ausführlichkeit auf den Mythos der Erstbesteigung des Mount Everest 1953 an. De facto hat Sir Edmund Hillary, der zusammen mit dem Sherpa Tenzing Norgay erstmalig den Gipfel des Mount Everest erklomm, aber sogar schriftlich bestätigt, dass er mit einer Handaufzugsuhr des britischen Herstellers Smiths auf dem Gipfel war – und keiner einzigen anderen Uhr.

Mehr: Smiths statt Rolex: Die erste Uhr auf dem Gipfel des Mount Everest

Ähnlich verhält es sich mit Informationen rund um die erste wasserdichte Uhr der Welt, die angeblich von Rolex kam – immer wieder fällt in diesem Zusammenhang das Jahr 1926 und nicht wenige Medien verbreiten diese Info, sogar die New York Times im Artikel „The Wristwatch at 100“ über die Meilensteine ​​in einem Jahrhundert tragbarer Zeitmessung vom 12.10.2020, in dem es, untermauert mit einem Zitat von der einflussreichen Plattform Hodinkee, heißt:

Die meisten Uhren waren Taschenuhren – per Definition elegante Stile. Das änderte sich 1926 mit dem Debüt der Rolex Oyster, der ersten wasserdichten Uhr der Welt, die der Firmengründer Hans Wilsdorf im folgenden Jahr mit einem Marketing-Stunt mit der englischen Schwimmerin Mercedes Gleitze in der Hauptrolle bewarb. „Es gibt wohl keine wichtigere Innovation“, sagte Stephen Pulvirent, Chefredakteur der Online-Uhrenplattform Hodinkee. „Sie hat Uhren zu Alltagsgegenständen gemacht.“

Auch Rolex selbst rührt bis heute ordentlich die Werbetrommel – auf der Rolex-Website, im Abriss der Rolex-Historie, findet sich folgendes Zitat (zuletzt aufgerufen im November 2024):

Die Einführung der ersten wasser- und staubdichten Armbanduhr durch Rolex im Jahre 1926 war ein bedeutender Fortschritt. Die Armbanduhr, die den Namen „Oyster“ trug, war mit einem hermetisch abgedichteten Gehäuse ausgestattet, das dem Uhrwerk einen optimalen Schutz bot.

Weiterhin zitiert Rolex ihren Gründer Hans Wilsdorf in einer Pressemappe wie folgt:

„Meine Herren, wir fertigen die beste Armbanduhr der Welt.“ Im
Januar 1927 sprach Rolex Gründer Hans Wilsdorf vor einer Versammlung von Uhrenfachhändlern, um seine letzte Kreation vorzustellen: die
Rolex Oyster (englisch für „Auster“). Die erste vollkommen hermetisch
schließende wasserdichte Armbanduhr der Welt
, die einige Monate
zuvor im Jahre 1926 eingeführt worden war. „Die bedeutendste Erfindung der letzten Jahre bei den Armbanduhren“, wie Wilsdorf erklärte.

In dem Zusammenhang wird auch gerne von Rolex erwähnt, dass die Rolex Oyster anno 1927 beim Durchqueren des Ärmelkanals von der jungen Engländerin Mercedes Gleitze getragen wurde. Mercedes Gleitze schwamm mehr als zehn Stunden, die die Armbanduhr unbeschadet überstand – Rolex nahm das zum Anlass, um eine ganzseitige Anzeige auf der Titelseite der britischen Zeitung Daily Mail zu publizieren.

Gehen wir aber noch mal ein paar Jahre zurück: Mit dem Modell Submarine (ohne “r”) brachte Rolex bereits 1922 seinen ersten Versuch einer wasserdichten Armbanduhr auf den Markt. Lag hier die eigentliche Innovation? Nun, das besondere war tatsächlich die Gehäuse-Konstruktion, bei der das Hauptgehäuse durch ein zweites, äußeres Gehäuse vor Wasser geschützt wurde (das äußere Gehäuse bestand aus zwei Teilen: einem Boden und einer Lünette, die sich abschrauben ließen, ähnlich wie bei einem Einmachglas). In Ermangelung von Automatikwerken (damals wurde noch jede Uhr per Hand aufgezogen) war diese Idee allerdings kaum praxistauglich, da das Außengehäuse regelmäßig zum Aufziehen der Uhr geöffnet werden wusste, was nicht nur nervig für den Träger war, sondern auch die Dichtungen stark beanspruchte.

Die erste wasserdichte Uhr von Rolex – die Konstruktion war allerdings kaum alltagstauglich, Bild: Rolex

Der Knackpunkt: Die Rolex Submarine basierte auf einem 1921er Patent von Jean Finger, Kopf der 1889 gegründeten Uhrenschalenfabrik Lengnau (CH 89276; montre à remontoire avec boitier protecteur). Jean Finger stellte dieses Gehäuse auch her: Trotz der oben genannten Nachteile statteten eine Reihe von Uhrenherstellern, darunter Zenith, Eberhard und IWC ihre Uhren damit aus. Eine fast identische Konstruktion hatte sich übrigens auch Frederic Gruen 1918 in den USA patentieren lassen („Wrist-Watch“-Patent Nr. 1.303.888). So oder so: Die Erfindung geht in jedem Fall nicht originär auf Rolex zurück.

Mehr dazu aus dem Journal Suisse d’Horlogerie aus Dezember 1921:

Die wahren Pioniere auf dem Gebiet wasserdichter Uhren

Borgel und Tavannes (ab 1911)

Wie aus einer Anzeige im Revue internationale d’horlogerie aus dem Jahre 1911 hervorgeht, wurden die ersten wasserdichten Armbanduhrgehäuse ab 1911 vom Schweizer Gehäusehersteller Borgel angeboten. Ein wesentlicher Meilenstein war dabei eine 1903 patentierte Verbesserung für ein Gehäuse aus drei Teilen – die Anzeige unten sagt:

Neues dreiteiliges wasserdichtes Schraubgehäuse … Dieses neue luftdichte Schraubgehäuse besteht aus drei Teilen; die Lünette, der Gehäuseboden und das Mittelgehäuse werden alle drei auf den Staubschutz [Uhrwerkhaltering] geschraubt, in dem das Uhrwerk untergebracht ist. Diese Verschlüsse sind luftdicht und das Gehäuse ist sehr stabil, da der Staubschutz auf jeder Seite gegen den Gehäuseboden und die Lünette mit dem Glas drückt, sobald diese Teile eingeschraubt sind.

Im historischen Zusammenhang betrachtet ist auch nennenswert, dass das Borgel-Gehäuse insbesondere auch für den Einsatz unter den staubigen und oft sehr nassen Bedingungen der Schützengräben an den Fronten des Ersten Weltkriegs (1914 – 1918) bestens geeignet war: Viele der Anzeigen während des Krieges für Dienst- bzw. Militär-Armbanduhren oder Schützengrabenuhren (Trench Watches) für Armeeoffiziere zeigen Modelle mit Borgel-Gehäuse.

Die unten gezeigte Werbung für Armbanduhren von Harrods in einer Ausgabe der Londoner Zeitschrift „Punch“ vom Juni 1917 beispielsweise zeigt oben rechts eine Uhr mit Borgel-Schraubgehäuse: In der Anzeige wird Borgel zwar nicht direkt namentlich genannt, aber die Aussage, dass die Uhr ein feuchte- und staubdichtes Patentgehäuse hat („patent Damp and Dust-proof case“), zusammen mit anderen Merkmalen wie der kannelierten Lünette und der Zwiebelkrone lassen keinen Zweifel daran, dass es sich um ein Borgel-Gehäuse handelt. Fun Fact am Rande: Zu beachten ist, dass die Preise in Pfund, Schilling und Pence angegeben sind, so dass £3 0 0 drei Pfund, null Schilling und null Pence bedeutet (und nicht etwa 300 Pfund).

Spannend: Das Rolex Oyster-Gehäuse aus dem Jahr 1926, das in zwei Formen erhältlich war (achteckig und kissenförmig) wurde stark von Borgels dreiteiliger Gehäusekonstruktion aus dem Jahr 1903 inspiriert, wie der Blogger Perezcope ausführt.

Mehr zum Borgel-Gehäusedesign kann man in aller Ausführlichkeit beim Engländer David Boettcher von vintagewatchstraps.com nachlesen.

Aber gehen wir noch mal ein paar Jahre zurück: Ende 1915, mitten im Ersten Weltkrieg, entwickelte auch der Schweizer Uhrenhersteller Tavannes (angeblich auf der Grundlage von Anforderungen zweier U-Boot-Kommandanten a.D.) eine wasserdichte Armbanduhr namens „Submarine“ mit einem Durchmesser von etwa 35 mm, die exklusiv von Brook & Son Jewellers im schottischen Edinburgh angeboten wurde. Das Gehäuse der „Submarine“ ähnelt vom Grundgedanken her dem dreiteiligen Gehäuse von F. Borgel. Brook & Son bewarb die „Submarine“ als „die erste wasserdichte Armbanduhr“.

Depollier – Produktion in industriellem Maßstab

1915 begann der US-Amerikaner Depollier mit der Entwicklung eines wasserdichten Uhrengehäuses. Seine Bemühungen führten auch zur Anmeldung verschiedener Patente.

Depolliers Innovation führte zu einer wasserdichten Uhr, die wohl die allererste war, die in großem industriellen Maßstab hergestellt wurde. Dabei ging Depollier mit der Waltham Watch Co. als Partner ins Rennen. Das Resultat: Die Modelle „D-D“ (Dust-Damp) Field & Marine sowie die Thermo.

Der eigentliche Clou war aber, dass sich Charles Depollier Ende 1918 mit einem Vertreter der US Army traf, um einen Vertrag zum Kauf von 10.000 Exemplaren der wasserdichten Uhr „Field & Marine“ zu besprechen. Depollier war gut vorbereitet: Er hatte einige Muster im Gepäck und überließ sie Oberstleutnant Mauborgne für unabhängige Wasserdichtigkeitstests durch das 1901 durch den Kongress gegründete National Bureau of Standards – das die Wasserdichtigkeit der Uhren letztendlich auch hochoffiziell, „mit Brief und Siegel“ bestätigte.

Nach einer designtechnischen Überarbeitung war die Uhr im Mai 1919 bereit für die Massenproduktion: Die erfolgreichen Tests haben die Army offenbar überzeugt, sodass ein Auftrag über 10.000 Stück ins Hause Waltham Depollier flog. Die Modelle für die Army kamen offenbar mit günstigeren Elgin-Kalibern, die für Privatkunden mit Waltham-Kalibern.

Im offiziellen US-Regierungsdokument „Jahresbericht des Chief Signal Officer an den Kriegsminister“ vom 30. Juni 1919, das Stan Czubernat, Autor von Büchern wie „Waltham Trench Watches of the Great War“, recherchiert hat, heißt es auf Seite 242:

„Armbanduhren – Nach Prüfung vieler Entwürfe entschieden sich die Ingenieure dieser Abteilung schließlich für ein wasserdichtes Gehäuse, in dem eine Uhr tatsächlich mehrere Wochen unter Wasser laufen konnte. Die Lünette in diesem Gehäuse ist fest gegen eine ölgefüllte Unterlegscheibe geschraubt, wodurch eine undurchlässige Abdichtung entsteht. Der Anhänger ist mit einer Verschlusskappe versehen, die an dieser Stelle alle Öffnungen verschließt. Viele Tausend dieser Gehäuse wurden bestellt, und es wurde erwogen, die Standarduhrwerke des Signal Corps darin einzubauen. Dies geschah, als der Waffenstillstand [Anmerkung: zum Ersten Weltkrieg] unterzeichnet wurde. Mehrere zufriedenstellende Uhrwerke wurden ebenfalls von dieser Abteilung geprüft, getestet und akzeptiert.“ 

Waltham Depollier warb selbstbewusst mit der Innovation – unten abgebildet sind zwei der allerersten Anzeigen für die beiden wasserdichten Modelle. Die erste Anzeige für die „Field & Marine“ wurde am 31. Juli 1918 veröffentlicht, also viele Jahre bevor Rolex mit Submarine oder Oyster an den Start ging.

Viele weitere Anzeigen sollten folgen, darunter auch welche, die den militärischen Bezug zweifelsfrei herstellten:

Ehre, wem Ehre gebührt

War also eine Rolex die erste wasserdichte Uhr? Dies können wir mit Blick auf historische Dokumente sowie Anzeigen von Borgel, Tavannes und Depollier ganz klar und ohne jeden Zweifel verneinen. Allerding hat Rolex die wasserdichte Uhr perfektioniert und ihr zum weltweiten Durchbruch verholfen – dank des genialen Schachzugs von Hans Wilsdorf, Mercedes Gleitze als Markenbotschafterin zu gewinnen. Das macht die Rolex Oyster historisch bedeutend, ändert aber nichts daran, dass es so langsam an der Zeit ist mit den Mythen aufzuräumen, die über die Jahre immer noch verbreitet werden (und ja, da nehme ich mich nicht aus, denn auch ich habe in der Vergangenheit an der einen oder anderen Stelle Rolex fälschlicherweise hochstilisiert). Denn schließlich gilt: Ehre, wem Ehre gebührt!

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Stan Czubernat
6 Monate zurück

Mario, very glad you found my Depollier research worthy. Charles Depollier has been overlooked for far too long. I’m very pleased to see that he’s finally getting the recognition he deserves for the waterproof wristwatch.

Frank T. aus MZ
7 Monate zurück

Wow Mario, langsam wird Dein Blog hier zur Enzyklopädie für Armbanduhren, deren Historie & Technik. Du stichst wohltuend aus der Masse der horologischen Dampfplauderern heraus. Mega Respekt!
Schönen Gruß, Frank