War die Rolex Oyster Perpetual, aus der Ende 1953 die sportlichere Rolex Explorer 6350 hervorgegangen ist, Teil des Expeditionsteams, das den Mount Everest erstmalig im Mai 1953 bezwang? Darauf ein klares Jein! Denn auch die britische Uhrenmarke Smiths hatte damals ein Wรถrtchen mitzureden…
Rolex und die Himalaya-Expeditionen
Zunรคchst sei gesagt, dass Rolex bis heute in der Marketingkommunikation gerne in aller Ausfรผhrlichkeit auf den Mythos der Erstbesteigung des Mount Everest – mit einer Hรถhe von fast 9.000ย Metern der hรถchste Berg der Erde – anno 1953 anspielt. Die Schweizer positionieren sich mit ihren Uhren unmissverstรคndlich als unverzichtbares Werkzeug fรผr die Bergsteiger und Abenteurer der damaligen Zeit – hier ein Screenshot von der Rolex-Website aus April 2022:
Rolex sagt dabei unter anderem, dass in der Ausrรผstung des Mount Everest-Expeditionsteams von 1953, das erstmalig den Gipfel erreichte, auch Oyster Perpetual Armbanduhren mitgefรผhrt wurden – und zitiert den damaligen Expeditionsleiter John Hunt wie folgt: โDie Oyster Perpetual Armbanduhren von Rolex, mit denen einige Mitglieder der britischen Expedition ausgerรผstet waren, haben ihre Zuverlรคssigkeit auf dem Everest erneut unter Beweis gestellt. Wir waren begeistert, dass sie die Uhrzeit so prรคzise angeben. Dadurch wurde sichergestellt, dass die Zeitยญsynchronisation zwischen den Teammitgliedern durchgehend beibehalten wurde. [โฆ] Diese Uhren haben Einmaliges geleistet, und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die Rolex Oyster ein wichtiger Bestandteil jeder Hochgebirgsยญausrรผstung ist.โ
Nun, genau genommen sind die Aussagen, die Rolex bis heute trifft, absolut korrekt: Schon in den 1930er-Jahren begann Rolex damit, mehrere Himalaya-Expeditionen mit Armbanduhren auszurรผsten, um deren Verhalten unter den extremen Bedingungen in groรer Hรถhe zu beobachten und gleichzeitig den Werbeeffekt echter Expeditionen mitzunehmen. Laut Rolex wurden zwischen 1933 und 1955 insgesamt 17ย Expeditionen zu verschiedenen Berggipfeln weltweit mit Rolex-Armbanduhren ausgestattet – es ist naheliegend, dass auch die Teammitglieder der berรผhmten Mount Everest-Expedition von 1953 mit Rolex Oyster Perpetual-Modellen ausgestattet wurden.
Zwei dieses Teams, der neuseelรคndische Imker Sir Edmund Hillary und der erfahrene Sherpa Tenzing Norgay, bezwangen bekanntermaรen amย 29. Mai 1953 um genau 11:30 Uhr Ortszeit erstmalig die Spitze des Mount Everest. Weltrekord!
Das heiรt aber noch lange nicht, dass Rolex auch die erste Wahl fรผr die geschichstrรคchtige Gipfelerklimmung war…
Rolex vs. Smiths: Wer war auf dem Gipfel des Mount Everest?
Es gab nรคmlich „uhrige“ Konkurrenz auf dem hรถchsten Berg der Erde: Neben Rolex war ein weiterer Ausstatter im Gepรคck der Bergsteiger prรคsent, und zwar die englische Firma Smiths, die neben Uhren unter anderem auch Sauerstoffmessgerรคte und Hรถhenmesser an die Bergsteiger lieferte.
Dass insbesondere eine englische Uhrenmarke mit dabei war, war kein Zufall: Die von Sir John Hunt geleitete Expedition stand unter dem Schirm des britischen Himalayan Committee, das gemeinsam von der Royal Geographical Society und dem britischen Alpine Club speziell fรผr die Betreuung von Everest-Expeditionen gegrรผndet worden war.
Der Casus Knacksus ist aber vor allem, dass es keine einzige der an das Expeditionsteam ausgegebenen Rolex-Uhren auf den Gipfel des Mount Everest schaffte – auch nicht als „Zweituhr“ am anderen Handgelenk. Die Ehre gebรผhrt tatsรคchlich dem Uhrenhersteller Smiths, wie wir gleich auch noch in Originaldokumenten aus dem Jahre 1953 sehen werden.
Dennoch behauptete Rolex (fรคlschlicherweise) einfach trotzdem wenige Tage nach der Expedition als erste Uhr auf dem Gipfel des Mount Everest gewesen zu sein – unter anderem in einer Anzeige in der รผberregionalen britischen Tageszeitung The Times:
Diese pompรถse Werbeanzeige schmeckte dem Uhrenhersteller Smiths logischerweise nicht, dessen damaliger Chef Barrett ein paar Monate spรคter gegenรผber dem British Horological Institute Journal Stellung bezog und klipp und klar sagte, dass das britische Expeditionsteam vorrangig mit Ausrรผstungsgรผtern aus britischer Produktion ausgestattet wurde. Vor allem aber stellte Barrett klar, dass Sir Edmund Hillary, der zusammen mit dem Sherpa Tenzing Norgay erstmalig den Gipfel erklomm, schriftlich bestรคtigt hat, dass er mit einer Smiths-Handaufzugsuhr mit kรคlteresistentem รl und wasserdichtem Stahlgehรคuse der Firma Dennison auf dem Gipfel war – und keiner anderen Uhr („Sir Edmund Hillary has stated in writing that he took a Smiths watch to the summit and no other…“). Und genau diese Uhr, die von Sir Edmund Hillary auf dem Gipfel getragen wurde, ist heute im Clockmaker’s Museum London zu sehen:
Rolex sah den Fehler ein: Wenig spรคter ruderte der damalige Chef der Rolex Watch Co., Ltd. R.A. Winter, weitgehend zurรผck und gratulierte Smiths zum Erfolg („It would appear from Mr. Barrett’s letter that Sir Edmund Hillary was in fact only wearing one watch at the summit and that a Smiths watch. We congratulate Smiths on the fact that their Smiths de Luxe ordinary wind wrist watch reached the summit with Sir Edmund Hillary“).
Ein gewisses Zรคhneknirschen ist zwischen Winters Zeilen allerdings durchaus zu erkennen. Kein Wunder, denn Rolex hat eine Menge Geld in das Sponsoring von Mount Everest-Expeditionen gesteckt – nur, um dann „auf den letzten Metern“ von einem vergleichsweise kleinen Konkurrenten ausgebootet zu werden. So posaunte Winter im selben Atemzug noch mal raus, dass die bereitgestellten Rolex Oyster Perpetual-Uhren trotz allem ebenfalls auf der 1953er Expedition getragen wurden und dabei tadellos funktionierten.
Die Faktenlage ist alles in allem relativ deutlich. Da Smiths allerdings die Quarzkrise, also die รberschwemmung westlicher Mรคrkte mit Billig-Quarzern aus Japan, nicht รผberlebte, ist dieser Teil der Uhrengeschichte heute kaum bekannt und wird hรคufig falsch zitiert (die รผber Timefactors vertriebene Marke Smiths hat keinen Bezug zur frรผheren Firma Smiths). An der Aufrechterhaltung des Mount Everest-Mythos ist natรผrlich Rolex auch nicht ganz „unschuldig“, denn die Schweizer spielen – wie Eingangs erwรคhnt – bis heute geschickt in der Marketingkommunikation mit der Teilnahme an der Expedition 1953 – ohne dabei explizit zu sagen, dass es Rolex damals (nicht) bis auf den Gipfel schaffte.
Alles in allem erinnert die Geschichte ein wenig an die berรผhmte Omega Speedmaster Professional Moonwatch und die Mondlandung: Nachdem die Speedmaster den offiziellen Segen der NASA hatte, ging es am 20. Juli 1969 auf den Mond:ย Sowohl Neil Armstrong als auch Buzz Aldrin trugen bei der Apollo 11-Mondlandemission eine Omega Speedmaster. So weit, so gut. Dumm gelaufen dabei war allerdings, dass nur einer der beiden Astronauten die Speedmaster tatsรคchlich beim Spaziergang auf der Mondoberflรคche am Arm hatte, nรคmlich der zweite Mann auf dem Mond, Buzz Aldrin. Neil Armstrong, der erste Mann auf dem Mond, hatte seine Speedmaster in der Raumfรคhreย gelassen, um ein Backup fรผr die Bulova-Cockpituhr zu haben, die zuvor Zicken gemacht hatte…
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Die von Mario erwรคhnte und verlinkte Firma โTinefactorsโ scheint aktuell keine Geschรคftstรคtigkeit mehr zu zeigen. โ> Hinweis auf der aufgerufenen Homepage
โThe store is currently closed – Please sign up to our newsletter for updates on future openings.โ
Mega, danke fรผr die Recherche und die Wiedergabe:-) sehr interessant!
Danke auch fรผr deinen Kommentar ๐
Ein wunderbar recherchierter Artikel. Selbst eine seriรถse Zeitung wie die WELT am SONNTAG wollte die Verbreitung der 69 Jahre alten „fake news“ nicht korrigieren.
Angesprochen auf einen Artikel vom 11.04.2021 erhielt ich folgende Antwort : „Ich danke erneut, habe im Text aber nicht behauptet, dass Hillary Rolex auf dem Gipfel trug, sondern dass er mit ihr den Mount Everest bezwang. Dazu gehรถrt auch der Weg bis ins basecamp. Beste Grรผรe – Philip Cassier“
Herr Cassier ist seit 2006 Dr. phil. ๐
Es liegt nun einmal auf der Hand, schรถne Geschichten sind der beste Verkรคufer! Und europรคische Uhrenerzeuger, haben schon die eine und andere Geschichte zu erzรคhlen, und zum Teil auch selbst geschrieben! Wenn stรถrts…
Moin Mario, warum erst jetzt dieser Artikel? Meine TISELL 9015 Explorer, eine Hommage an die ROLEX 214270, habe ich erst vor wenigen Wochen aus Sรผdkorea importiert. Mist, EUR 260 in den Sand gesetzt LOL! Immer wieder witzig wie es Uhrenhersteller nach Historie dรผrstet. Lothar Schmidt von SINN hat mal in einem Interview sinngemรคร zur aktuellen 140 gesagt: ‚Ja, genau diese Uhr war im All‘. Dabei wird er sicher wissen, dass die damalige 140 mit einem anderen Gehรคuse und vor allem mit einem LEMANIA 5012 Uhrwerk und keinem 7750 Umbau SZ01 mit Reinhard Furrer (RIP!) auf D1 Mission im All war. Das war รผbrigens eine 140 S, die er nicht gesponsert bekam, sondern regulรคr bei SINN kaufte. Ein bisschen schwindeln gehรถrt in der Branche offenkundig dazu. In diesem Sinne, schรถnes Wochenende allerseits! Gruร, Frank