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Hallo liebe Uhrenfreunde, nach einer etwas lรคngeren Abwesenheit mรถchte ich mich heute mal wieder mit einem Technik-Beitrag bei euch melden! Diese sollten nun auch wieder etwas regelmรครŸiger erscheinen. ๐Ÿ˜Š

Ich mรถchte dabei an den gemeinsamen ChronoBros-Livestream รผber Manufakturkaliber vs. Standardkaliber anknรผpfen. Auch Mario hat in seinem Bericht schon einiges aufgegriffen und viele Vor- und Nachteile von Manufakturkalibern bzw. Standardkalibern aus Endkunden- und Marktsicht aufgezรคhlt.

Nun mรถchte ich an dieser Stelle noch meine Uhrmacher-Sicht ergรคnzen…

[Beitrag von Leon Zihang,
Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com]
Leon Zihang Uhrmacher ChronoRestore

Manufakturkaliber vs. Standardkaliber aus der Sicht eines Uhrmachers

Bei diesem Thema stรถรŸt man oft auf Meinungsverschiedenheiten. Dies liegt daran, dass das Wort Manufakturkaliber eher eine Definitionssache ist. In der Ausbildung wurde uns zu dem Thema Manufaktur folgendes erklรคrt: Eine Manufaktur darf sich als Manufaktur bezeichnen, wenn mehr als 90% (oder 95%, ganz genau weiรŸ ich es leider nicht mehr) der gesamten Uhr inklusive Uhrwerk im eigenen Haus hergestellt werden. Meine erste Frage war dann: Warum nicht gleich 100%?

Hier kam die kurze, aber wie ich finde, lustige Begrรผndung, dass keine Manufaktur beispielsweise eine Alligatorzucht fรผr die Lederbรคnder besitzt. Es gibt nรคmlich einige Teile der Uhr, wie zum Beispiel die Rubine, Spiralfedern fรผr die Unruh oder auch die Zugfedern, fรผr die es schon sehr gute und etablierte Hersteller gibt. Fรผr Zugfedern beispielsweise wird nahezu immer auf Nivaflex-Zugfedern zurรผckgegriffen. Diese haben sich einfach bewรคhrt und wรคren in der eigenen Herstellung unnรถtig aufwendig. Auch die Rubine werden sehr aufwendig gezรผchtet und spรคter aus der Tropfenform zu den bekannten Lagersteinen geschliffen. Auch hierfรผr gibt es gute Hersteller, die sich nur auf die Anfertigung von Lagersteinen spezialisiert haben.

Somit ist meine persรถnliche Definition fรผr Manufakturkaliber, dass fast alles (auรŸer 5-10% der gesamten Uhr) von dem Hersteller selbst entwickelt und hergestellt wird.

Mehr: โ€œ26 Jewelsโ€ & Co: รœber Juwelen und Lagersteine bei mechanischen Uhren

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Breitling-Manufakturkaliber B01

Fรผr mich ist daher schonmal klar, dass so einige Uhrenmarken, die ihre Werke einkaufen, einen geringen Teil daran verรคndern und dann als Manufakturwerke bezeichnen, eine ganz andere Definition von diesem Wort haben. In unserem Stream zu diesem Thema hat Mario ein schรถnes Wort verwendet, das meine Definition etwas unterstreicht: Manufakturkaliber kann man mit โ€žHauseigenem Werkโ€œ gleichstellen. Hauseigen bedeutet fรผr mich aber auch, dass es selbst konstruiert und hergestellt wurde.

Nun gibt es genau zwei Parteien von euch Uhrenfreunden da drauรŸen: Die einen, die sagen, dass Manufakturkaliber nur Nachteile mit sich bringen, weil man die Uhr meist nur beim Hersteller oder zertifizierten Werkstรคtten reparieren lassen kann (ich nehme hier bewusst das Wort โ€žreparierenโ€œ, mehr dazu weiter unten). Die anderen sagen, dass Standardkaliber minderwertige maschinengefertigte Werke sind, in die wenig Liebe zum Detail gesteckt wurde und es sich um eine Massenproduktion handelt. Da scheiden sich die Geister!

Auch da kann ich wieder nur meine eigene Meinung รคuรŸern: Je nach Marke mรผssen Standardkaliber keine minderwertigen Werke sein. Sowohl Sellita, als auch ETA und noch viele andere Werkhersteller produzieren sehr gute Werke, die innerhalb der Chronometer-Norm laufen kรถnnen. Man darf das groรŸe Know-How der typischen Massenwerkehersteller, wie ETA oder Sellita, nicht unterschรคtzen. Meiner Meinung nach haben diese noch viel mehr Erfahrung in der Technik und VerschleiรŸfestigkeit der Uhren, da sie im Jahr viel mehr Werke produzieren und somit auch viel mehr Rรผckmeldung รผber die VerschleiรŸvertrรคglichkeit oder mรถgliche Konstruktionsfehler erhalten. Die Entwicklung dieser Werke geht also deutlich schneller voran als bei vielen Manufakturen, die nur wenige hundert Werke im Jahr produzieren.

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Sellita SW200-1 in der Titoni Airmaster

Was ist jetzt also genau der technische Unterschied zwischen Manufakturkalibern und Standardkalibern? Wenn ihr mich fragt, nicht sonderlich viel. Sowohl die Manufakturen, als auch die grรถรŸeren Werkehersteller kรถnnen nur mit Wasser kochen. Beide mรผssen die Werke nach den physikalischen Gesetzen konstruieren und nutzen zumeist sogar die gleichen Materialien fรผr die Herstellung. Bei den Manufakturwerken werden eventuell noch einige Edelmetalle verwendet. Hier kรถnnte man die Schwungmasse des Rotors nennen, welche bei Glashรผtte Original zum Beispiel meist aus Gold gefertigt wird. Technisch gibt es aber keine groรŸen Unterschiede. Im GroรŸen und Ganzen legen Manufakturen hรคufig mehr Wert auf Handarbeit und Dekoration.

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Grand Seiko: Um eine effiziente รœbertragung der wichtigen Energie der Hauptfeder zu gewรคhrleisten, polieren die Seiko Handwerker jede Kerbe eines Zahnrades einzeln.

So sind in Manufakturkalibern auch oft Stellen, die fรผr den Endverbraucher durch den Glasboden nicht ersichtlich sind, auf feinste Art und Weise finissiert. Hier kรถnnte man zum Beispiel die Perlage unter den Brรผcken nennen. Es werden also nicht nur die sichtbaren, sondern auch die fรผr den Kunden nicht sichtbaren Stellen von Hand perliert. Auch insgesamt sind die Polituren, Perlagen und Schliffe deutlich prรคziser und feiner als bei den, von Maschinen hergestellten, Schliffen. Die Manufakturen gehen bei den Verschรถnerungen der Werke oftmals viel tiefer ins Detail und achten darauf, dass wirklich jedes noch so unsichtbare Eck der Uhr perfekt ist. Bei Glashรผtte Original beispielsweise kommt auch noch die traditionelle Zinnpolitur fรผr die Schwanenhalsfeder auf der Unruhbrรผcke zum Einsatz. Diese ist sehr zeitfressend und muss natรผrlich in irgendeiner Art und Weise bezahlt werden.

Glashuette Original Senator Excellence Ewiger Kalender 10
Kaliber mit ewigem Kalender von Glashรผtte Original

Dieses Phรคnomen kann man auch bei Autos erkennen: Der gรผnstige Kunststoffschalter aus dem Opel fรผr die Klimaanlage wรผrde es im Mercedes auch tun. Hier ist er allerdings aus Aluminium. Zweck undย  Funktion bleiben die gleichen. Es gibt allerdings sehr viele Menschen, die Wert darauf legen, dass auch der Klimaanlagenhebel stabil ist und gut aussieht. Genau so verhรคlt es sich bei den Uhren. Viele lieben einfach diese Handarbeit und schรคtzen es ein solches Kunstwerk an ihrem Arm tragen zu kรถnnen.

Wie wir ja auch schon im Livestream erรถrtert haben, gibt es keine groรŸen technischen Unterschiede, auรŸer, dass die Handarbeit hin und wieder prรคziser ist als die maschinelle Herstellung. Dies hat allerdings wieder den Nachteil, dass deutlich weniger Werke hergestellt werden kรถnnen und somit auch weniger Rรผckmeldungen zu VerschleiรŸ oder Konstruktionsfehler gemeldet werden kรถnnen.

Versteht mich bitte nicht falsch: Auch ein Rolex-Kaliber oder ein Glashรผtte Original-Kaliber kรถnnen sehr stabil und verschleiรŸarm sein. Allerdings zeigt sich aus Erfahrung, dass solche Werke deutlich รถfter zur Revision sollten und nach wenigen Jahren teilweise schon starke VerschleiรŸerscheinungen zeigen. Wie ich oben schon erwรคhnt habe, ist es aber oft schwierig Uhrmacher fรผr diese Manufakturkaliber zu finden. Man sollte hier tatsรคchlich aufpassen, welchen Uhrmachern man die Manufakturkaliber gibt. Hier gibt es einige schwarze Schafe, die mehr kaputt, als ganz machen.

Mehr: Rolex: Revision am Beispiel des Kalibers 3131 erklรคrt

Rolex Revision

Fรผr eine standardmรครŸige Revision, die in Ihrer Servicezeit liegt und nicht รผbermรครŸig รผberzogen wurde, benรถtigt man nur selten Ersatzteile. Diese werden meist erst benรถtigt, wenn etwas defekt ist oder der VerschleiรŸ sein รผbriges getan hat. Revisionen an Manufakturkalibern kann man also auch gerne bei freien Uhrmachern durchfรผhren lassen. Der Grund, warum ich persรถnlich weiterhin an Zertifizierungen arbeite ist der Vertrauensausbau zu den Kunden und weil ich auch bei Reparaturen weiterhelfen mรถchte ohne stundenlang meine Kontakte zur durchforsten, um an Ersatzteile zu gelangen. Wenn es sich aber um fristgerechte Revisionen handelt, benรถtigt man normalerweise keine Ersatzteile und kann seine Uhren auch gerne an freie Uhrmacher geben. Aber auch hier aufpassen: Die schwarzen Schafe gibt es leider รผberall – oft sieht man es ihnen nicht an und sie sagen, dass sie alles kรถnnen. Am Ende machen sie aber alles nur kaputt. Ich hatte leider schon viele โ€žverbastelteโ€œ Uhren bei mir, die wieder gerichtet werden mussten. :-/

Nomos Wempe Tangente Update Signature Collection 2023 11
Manufakturkaliber von NOMOS Glashรผtte (NOMOS x Wempe Tangente neomatik 41 Update)

Als Fazit kann man vielleicht zusammenfassend sagen, dass sich Manufakturkaliber und Standardkaliber meistens nicht wirklich technisch voneinander unterscheiden. Die einzigen beiden Unterschiede sind die absolute Perfektion bei den Manufakturkalibern, welche oftmals mit mehr Handarbeit durchgefรผhrt wird und die schnellere Entwicklung der Standardkaliber, da es hier deutlich mehr Rรผckmeldungen der Kunden gibt. Heutzutage unterscheiden sie sich im Gangverhalten nur noch selten. Aber irgendwie auch doch! So richtig kann und mรถchte ich mich da nicht festlegen. Die Manufakturkaliber von Rolex zum Beispiel laufen unglaublich genau und auch einen anstehenden Service bemerkt man anhand der Gangwerte nicht. Gleichzeitig sind sie aber doch immer etwas empfindlicher als die Standardkaliber. Der Panzer, der das ETA2824 unter den Standardkalibern ist, das sind nach meinem Gefรผhl die Rolex-Kaliber unter den Manufakturkalibern.

Im Grunde genommen muss jeder selbst entscheiden wofรผr sein Herz schlรคgt und demnach zu einer Uhr einer groรŸen Marke mit feinstem Manufakturkaliber oder einem doch deutlich gรผnstigeren Standardkaliber in schicker Verkleidung greifen.

Ich hoffe ich konnte euer Wissen etwas bereichern, auch wenn dieser Bericht nicht viel Wissen, sondern mehr meine Meinung vermittelt. Einen Leitfaden hierzu sucht man leider vergeblich. Hier kann man sich eigentlich nur seine eigene Meinung bilden. ๐Ÿ˜Š

Vielen Dank!

Euer Leon von ChronoRestore

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2 Kommentare
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Patrick Weigert
8 Monate zurรผck

 Hallo Leon,
sehr gut verfasster und nahezu auf den Punkt gebrachter Artikel zu dieser nicht immer ganz einfach zu beantwortenden Frage. Dennoch mรถchte ich noch ein paar kleine Ergรคnzungen nachreichen.
Ob ein Uhrwerk ein Manufaktur- oder ein an Drittkunden verkรคufliches Industriekaliber ist, hat mit der produzierten Stรผckzahl nicht zwingend etwas zu tun. Richtig ist, dass viele โ€“ vermutlich die meisten Manufakturkaliber โ€“ eher in kleineren Stรผckzahlen gefertigt werden als standardisierte Industriekaliber. Das muss aber nicht zwingend so sein, wie das Beispiel Rolex zeigt. Das Manufakturkaliber 3135 bzw. 3235 von Rolex wird in verschiedenen Modellen verbaut und lรคuft dementsprechend in (sehr) hohen Stรผckzahlen. Ein 2824 Clone von STP oder ein M100 von Soprod sind zwar klassische Standardkaliber, erreichen aber die Stรผckzahl von Rolex bei weitem nicht.
Insofern mรถchte ich โ€“ wie Du ja ausfรผhrst โ€“ dick unterstreichen, dass das genannte Rolex-Kaliber hinsichtlich Qualiรคt, Zuverlรคssigkeit und Langlebigkeit รผber jeden Zweifel erhaben ist und ich, auch aufgrund der Perfektion mit der dieses Werk gefertigt wird, (nahezu) jedem Standardkaliber vorziehen wรผrde. Das Blatt wendet sich jedoch โ€“ und da bin ich zu 100% bei Dir โ€“ wenn sich gerade jรผngere, kleinere und unbekanntere Hersteller an Manufaturkaliber heranwagen. Da gilt das von Dir Gesagte uneingeschrรคnkt. Und ob Du dann nach etlichen Jahren noch Ersatzteile bekommst, wenn die Firma vielleicht schon wieder vom Markt verschwunden ist, dรผrfte zumindest fraglich sein. Steigt man als Kunde hingegen in der Top-Liga der Uhrenmanufakturen mit jahrzehntelanger Erfahrung und solider finanzieller Ausstattung ein, ist zumindest dieses Risiko weitgehend gebannt. Sehr wohl halte ich es fรผr ein Problem, dass der Zertifizierungswahn immer weiter um sich greift und sehr viele Top-Marken Ersatzteile nurmehr an entsprechend zertifizierte Werkstรคtten herausgeben und dabei z.T. ganz horrende Preise verrechnen. Das gleiche gilt, wenn der Service nur von den Herstellern selbst vorgenommen wird und dann oft mit wochen- oder gar monatelangen Wartezeiten verbunden ist. Die Cost of Ownership, um die Sprache des Automobils hier zu bemรผhen, kann dann recht schnell zum Albtraum werden. Der interessierte Kunde sollte also beim Kauf einer Uhr nicht nur der Frage nachgehen, was ihm gefรคllt und was das schรถne Stรผck aktuell kostet, sondern wie und zu welchen Konditionen eine spรคtere Revision ablaufen wird. Sonst kรถnnte die Preziose irgendwann zum finanziellen Abenteuer werden. Da ich seit rund 40 Jahren Uhren sammle, weiรŸ ich ein Lied davon zu singen.
Viele GrรผรŸe
Patrick

Leon von ChronoRestore
8 Monate zurรผck
Antworten...  Patrick Weigert

Hey Patrick,
vielen lieben Dank fรผr diese super erklรคrte Ergรคnzung. Ich stand da etwas auf dem Schlauch und konnte es nicht so direkt formulieren. Deine Erlรคuterung bringt es auf den Punkt!
Vielen Dank dafรผr! ๐Ÿ™‚
LG Leon