Hallo liebe Chrononautix-Leser! Im letzten Technik-Bericht habe ich euch die Funktionsweise der Schweizer Palettenankerhemmung nähergebracht. Heute möchte ich euch noch weiter mit den Arbeiten eines Uhrmachers an der Hemmung vertraut machen. Da die Hemmung eine der einflussreichsten Elemente der Uhr für den Gang darstellt, ist hier höchste Sauberkeit und Perfektion gefordert. Außerdem ist die Hemmung das Glied, dass die Drehbewegung aus dem Räderwerk in eine „Wipp“-Bewegung und danach wieder in eine oszillierende (schwingende) Bewegung umwandelt.
Aufgrund der Komplexität der Hemmung müssen bei einer Revision dementsprechend viele Einstellungen überprüft und notfalls korrigiert werden:
- Höhenspiel und Seitenspiel des Ankers und des Hemmrades
- Ankerhöhe (Eingriffshöhe der Paletten des Ankers zum Hemmrad)
- Gabel- und Messermitte
- Zugwinkel
- Ruhe
- Verlorener Weg/Nachfall
- Fall
- Hebung an der Palette und Hebung am Hemmradzahn
- Eingriff der Ellipse in die Ankergabel
[Beitrag von Leon Zihang, Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com] | ![]() |
Höhenspiel und Seitenspiel des Ankers und des Hemmrades
Damit sich das Hemmrad und der Anker bewegen können, müssen die Lagerzapfen ein Spiel (Beweglichkeit) in den Lagerlöchern der Rubinlager aufweisen. Dieses Spiel wird unterteilt in das Höhen- und Seitenspiel. Das Höhenspiel ist die Größe der Bewegung, die die Bauteile haben, wenn man sie nach unten und nach oben bewegt. Das Seitenspiel beschreibt die seitliche Neigungsmöglichkeit der Bauteile. Während das Seitenspiel so klein wie möglich sein soll, gibt es für das Höhenspiel genaue Empfehlungen.
Höhenspiele:
- Hemmrad 2-3/100 mm
- Anker 1-2/100 mm
Nun denkt ihr vermutlich, dass man das ja gar nicht messen kann. Das stimmt. Es gibt noch kein Verfahren, wie man dieses Höhenspiele wirklich messen kann. Wir Uhrmacher haben dies in der Ausbildung mehrere hundert Male kontrolliert und eingestellt. Somit können wir aus den Erfahrungswerten unserer Ausbilder nach Gefühl sagen, wie viele Hundertstel Millimeter Höhenspiel gerade eingestellt sind. Sollten die Höhenspiele nicht passen, müssen die Rubinlager in der Platine bzw. den Brücken verschoben werden. Hierfür wird ein Steinpressapparat mit Mikrometerschraube wie aus Abbildung 1 verwendet.

Ankerhöhe
Als nächstes muss überprüft werden, ob die Ankerhöhe passt. Das Hemmrad ist in seiner Höhe fest auf der Welle befestigt, da es fest vernietet ist. Der Anker wurde allerdings nur auf seine Welle aufgepresst und kann somit nach unten und nach oben verschoben werden. Da der Anker in die Verzahnung des Hemmrades eingreift, müssen die Hemmradzähne genau mittig auf die Ankerpaletten wie in Abbildung 2 treffen. Wenn dies nicht der Fall ist, muss der Anker mit dem gleichen Apparat aus Abbildung 1 auf seiner Welle verschoben werden.

Gabel und Messermitte
Um diese zu prüfen, wird der Anker gegen eine der Ankerbegrenzungen geführt. Nun wird geprüft, ob der Abstand des Messers und der Abstand der Gabelschnittecke der Ankergabel zum Zentrum des Unruhlagers gleich groß ist, wenn der Anker abwechselnd an beiden Ankerbegrenzungen angelegt wird. So wird getestet, ob sich das Sicherheitsmesser mittig in der Ankergabel befindet und ob der Ankerstil verbogen ist (Abbildung 3). Das Sicherheitsmesser kann verdreht und somit mittig gerichtet werden, den Ankerstil, sollte man aber nicht versuchen zu richten. Dies ist ohne den Anker zu beschädigen, nahezu unmöglich. Hier sollte man lieber auf einen neuen Anker zurückgreifen. Mit dieser Prüfung wir gleichzeitig die Vorarbeit für die Prüfung des Hörnerspiels und des Messerspiels getätigt. Mit dieser Prüfung können wir nämlich ausschließen, dass der Ankerstil verbogen ist.

Zugwinkel
Als nächstes überprüfen wir den Zugwinkel. Der Zugwinkel ist eine Sicherung. Er zieht den Anker, nach dem der Hemmradzahn auf die Palette gefallen ist, in den Bereich des Nachfalls und gegen die Ankerbegrenzung. Während die Unruh in ihrem Ergänzungsbogen schwingt, sorgt der richtige Zugwinkel dafür, dass der Anker an der Ankerbegrenzung festgehalten wird und nicht zurück gegen das Schwingsystem kippt. Jede Berührung des Ankers mit dem Schwingsystem würde zu einer Störung der Schwingung und damit zu einer Störung der Ganggenauigkeit führen. Der Zugwinkel wurde konstruktiv festgelegt und es muss nur geprüft werden, ob er vorhanden ist. Wenn dies nicht der Fall ist, dann muss zuerst der Anker und/oder das Hemmrad getauscht werden. Denn in diesem Fall ist irgendetwas verbogen. In Abbildung 4 erkennt man, welcher Winkel gemeint ist. Durch den Druck, den das Hemmrad auf die Ankerpalette ausübt, wird die Palette konstruktiv bedingt in den Zahngrund des Hemmrades hineingeschoben. Beim Prüfen geht man wie folgt vor: Man zieht die Uhr einige Kronenumdrehungen auf und bewegt den Anker langsam von seiner Ankerbegrenzung weg. Wenn der nächste Hemmradzahn auf die zweite Palette des Ankers auftrifft, dann lässt man den Anker los und er muss selbständig den Rest des Weges bis zur Ankerbegrenzung hingezogen werden. Von dieser Position aus kann man den Anker auch leicht von der Ankerbegrenzung wegziehen und wenn er dann selbständig wieder zur Begrenzung zurück gezogen wird, dann ist der Zugwinkel vorhanden und funktionsfähig. Diese Prüfung muss man an mehreren Zähnen des Hemmrades durchführen.

Die Ruhe
Die Ruhe ist die Grundgröße der Hemmung und beschreibt die Eingriffstiefe zwischen der Ruhekante der Palette und der Ruheecke des Hemmradzahnes, beim Anfallen des Hemmradzahnes an die Palette. Diese Eingriffstiefe ist abhängig von der Stellung der Paletten in der Ankerklaue. Durch das sichere Fallen des Hemmradzahnes auf Ruhe wird eine sofort wiederbeginnende Hebung verhindert. Hier würde der Anker wieder in die andere Richtung geworfen werden und somit würde der Anker wieder Kontakt mit dem im Ergänzungsbogen befindlichen Schwingsystem aufnehmen und die Schwingung stören.
Trotz dieser Sicherungsfunktion sollte die Ruhe so klein wie möglich sein, aber gleichzeitig so groß, dass jeder Hemmradzahn sicher auf der Ruhefläche der Palette anfällt. Die Ruhe ist konstruktiv bedingt auf beiden Seiten des Ankers gleich groß und kann durch das Rein- und Rausschieben in den Ankerklauen vergrößert oder verkleinert werden. Mit der Veränderung der Ruhe werden auch fast alle anderen Hemmungsgrößen beeinflusst. Ein Vergleichsmaß für eine zum Uhrwerk passende Ruhe ist die Impulsfläche der Palette. Bei einfachen Uhren beträgt die Ruhe ca. 1/3 der Impulsfläche. Bei guten Uhren 1/4 und bei hochwertigen Uhren ca. 1/5 der Impulsfläche. In Abbildung 5 sind drei unterschiedliche Größen der Ruhe zu sehen und vor allem auch wie knapp und schwer erkennbar das ganze bei einer sehr kleinen Ruhe wird.
Zum Prüfen der Ruhe wird der Anker mit einem Prüfstift so lange zur anderen Ankerbegrenzung geführt, bis der Hemmradzahn an der gewünschten Palette anfällt. Genau an diesem Punkt muss man den Anker festhalten und die Größe der Ruhe betrachten. Diese Größe muss man sich merken und mit der Größe der Ruhe auf der anderen Ankerseite vergleichen. Hier ist wichtig, dass jeder Hemmradzahn geprüft wird und auch immer vom gleichen Hemmradzahn die Ruhe verglichen wird. Jeder Zahn muss an beiden Ankerpaletten immer sicher auf Ruhe fallen.

Der verlorene Weg/Nachfall
Durch den Nachfall wird gewährleistet, dass nach dem Anfallen des Hemmradzahnes auf die Ruhefläche der Ankerpalette zwischen dem Anker und der Ankerbegrenzung noch etwas Platz ist (Abbildung 6). Dies ermöglicht dem Anker sich nach dem Fall des Hemmradzahnes noch weiter in Richtung der Ankerbegrenzung zu bewegen und durch den Zugwinkel mit der Palette noch weiter in den Zahngrund zu rutschen. Dieser Nachfall wird benötigt, da bei der Fertigung des Hemmrades leichte Toleranzen entstehen, die das Hemmrad leicht unrund laufen lassen. Somit kann es kürzere und auch weiter in den Anker eingreifende Zähne geben. Um diese Unwucht auszugleichen, benötigen wir den Nachfall. Ohne diesen Nachfall würde ein weiter in den Anker hineinragender Zahn dafür sorgen, dass der Anker blockiert wird und sich das Hemmrad nicht mehr weiterdrehen kann.

Den Nachfall prüfen wir genauso wie die Ruhe, nur dass wir nicht mehr betrachten, wo der Hemmradzahn auf die Ruhefläche trifft, sondern welchen Weg der Hemmradzahn auf der Ruhefläche der Palette zurücklegt, bis der Anker an seiner Ankerbegrenzung anstößt. Dieser Nachfall wird auch wieder am gleichen Hemmradzahn auf beiden Ankerpaletten geprüft. Wichtig ist: Er muss auf beiden Seiten absolut gleich groß sein, denn sonst würde die in die Ankergabel hineinschwingende Unruh auf beiden Seiten unterschiedlich stark abgebremst werden. Dies würde zu ungleichen Halbschwingungen und damit zu einem unregelmäßigen Gang führen. Falls der Nachfall auf beiden Seiten nicht gleich sein sollte, kann dieser durch das Schieben der Paletten und damit die Veränderung der Ruhe eingestellt werden. Dies würde für diesen Bericht aber zu sehr in die Tiefe gehen, weshalb ich darauf nicht mehr eingehen werde.
Der Fall
Der Fall spielt in der Palettenankerhemmung eine untergeordnete Rolle. Er beschreibt einfach nur das Abrutschen eines Hemmradzahnes von der einen Palette bis zum Auftreffen eines anderen Hemmradzahnes auf der anderen Ankerpalette. Im Endeffekt also die sichtbare ruckartige Weiterdrehung des Hemmrades. Er muss nicht gleich groß sein, sondern muss einfach nur an jedem Zahn und auf beiden Seiten des Ankers sicher vorhanden sein. Die Größe des Falls wird zwar auch durch das Schieben der Paletten beeinflusst, wird aber nur im absoluten Notfall extra angepasst. In fast allen Fällen ergibt er sich einfach aus den anderen Einstellungen wie der Ruhe und dem Nachfall. Da er nur sicher vorhanden sein muss spielt dessen Größe für die Prüfung auch keine Rolle. In Abbildung 7 kann man noch die Unterscheidung aus innerem und äußerem Fall sehen.

Hebung an der Palette und am Hemmradzahn
Während der Hebung wird die Kraft vom Hemmrad über den Anker an das Schwingsystem übertragen. Im ersten Teil gleitet die Ruheecke des Hemmradzahnes über die Impulsfläche der Palette (Hebung an der Palette). Im zweiten Teil gleitet die Abfallkante der Palette über die Hebefläche des Zahnes (Hebung am Hemmradzahn). Die Größe der Hebung wird also durch die Größen der Impulsflächen konstruktiv festgelegt und kann von uns Uhrmachern nicht mehr verändert werden. Bei der Kontrolle können wir also nur überprüfen, ob die Übergänge zwischen den Hebeflächen problemlos ablaufen. Um die Reibung der Hemmung zu minimieren, findet sowohl auf den Hebeflächen (Ruheecke des Hemmradzahnes auf der Hebefläche der Palette und Abfallkante der Palette über die Hebefläche des Hemmradzahnes), als auch im Kontakt der Ankergabel mit dem Schwingsystem, nur eine Punktberührung statt.
Eingriff der Ellipse in die Ankergabel
Zu guter Letzt müssen wir auch noch den Eingriff der Ellipse bzw. des Hebelsteins mit der Ankergabel kontrollieren. Der Hebelstein ist dabei unter dem Unruhreif am Schwingsystem befestigt und wirft den Anker durch die Schwingung der Unruh hin und her. Hier muss zuallererst die Höhe der beiden Eingriffe betrachtet werden. Hier muss die Ellipse sicher in die Ankergabel eingreifen, darf aber nicht das Messer berühren (Abbildung 8).

Da die Höhe des Ankers bereits mit dem Hemmrad abgestimmt wurde, ist dies nur über das Höhenspiel des Schwingsystems möglich. Weiterhin müssen die Hörnerspiele und das Messerspiel geprüft werden. Diese müssen auf beiden Seiten sicher vorhanden und gleich groß sein. Diese Sicherheitselemente sind sehr wichtig, damit die Unruh auch nach Schlägen und Erschütterungen noch sicher mit dem Hebelstein in die Gabel des Ankers einschwingen kann.
Das Hörnerspiel wird in minimales und maximales Hörnerspiel unterschieden und bezeichnet das Spiel zwischen dem Gabelhorn des Ankers und der Ellipse des Schwingsystems im Moment des Ausschwingens aus dem Anker (Abbildung 9).

Das Messerspiel dient zur Sicherheit während des Ergänzungsbogens des Schwingsystems, damit der Anker nicht ungewollt auf die andere Seite der Unruh umspringen kann (Abbildung 10). Mit der Prüfung der Gabelschnittluft erhält man zusätzliche Gewissheit, dass die Ellipse sich nicht in der Ankergabel verkeilen kann.

Fazit
Wie man sieht, ist es bei einer ordentlichen Arbeit keinem Uhrmacher vergönnt einfach nur ein bisschen Uhren-Öl an die Hemmung zu tropfen und zu hoffen, dass dann am Ende alles reibungslos funktioniert. Viele meinen, dass sich bei der Hemmung im normalen Betrieb diese Einstellungen nicht verstellen können und somit auch nicht überprüft werden. Auch in meinen noch jungen Jahren als Uhrmacher habe ich allerdings schon einige Uhren gesehen, bei denen sich diese Einstellungen verstellt haben. Erst nach der Korrektur dieser Einstellungen konnten wieder gute Gangergebnisse erreicht werden. Ich hoffe, dass euch dieser tiefe Einblick in die wichtigste Baugruppe der Uhr nicht überfordert hat. Mir hat es jedenfalls wieder viel Spaß gemacht dieses Wissen mit euch zu teilen und freue mich natürlich jederzeit wieder über weitere Themenvorschläge oder Fragen von euch!
Bis Bald!
Euer Leon von ChronoRestore