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Der Begriff “Kaliber” ist in der Welt der mechanischen Uhren Gang und Gäbe, um Uhrwerke exakt und standardisiert zu identifizieren. Gängig ist die Verwendung des Herstellernamens in Verbindung mit einer Buchstaben- und/oder Zahlenkombination. Bekannte Beispiele sind die Kaliber Seiko NH35, ETA Valjoux 7750 oder Sellita SW200-1.

Sportschützen kennen den Begriff aber sicherlich auch im Zusammenhang mit Schusswaffen: Hier bezieht sich der Begriff “Kaliber” (kurz Kal.; Englisch caliber, französisch calibre, kurz cal.) auf den Innendurchmesser des Laufes einer Waffe, also den Durchmesser des Projektils bzw. Geschosses, das durch den Lauf abgefeuert wird. Die Maßeinheit wird in Zoll oder Millimetern angegeben und gibt an, ob Waffe und Munition zusammenpassen.

Freunde von Antikriegsfilmen erinnern sich vielleicht an den genial gespielten Private Paula und sein Zitat “7.62 mm – Full – Metal – Jacket!“, kurz bevor seine Sicherungen durchbrennen und (Achtung: Spoiler!) er seinen Ausbilder und sich selbst mit einem M14 Selbstladegewehr, das die 7,62×51-mm-NATO-Munition nutzt, erschießt.

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Seha bs, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Ist die Nutzung des identischen Begriffs im Kontext von Uhren und Waffen blanker Zufall? Auf den ersten Blick haben Waffen und Uhren schließlich herzlich wenig miteinander zu tun. Tauchen wir dazu in die Geschichte ab…

Uhren-Kaliber – woher stammt der Begriff?

Das Wort “Kaliber” hat seinen Ursprung im Lateinischen: Es leitet sich vom lateinischen Wort “calibra” ab, das so viel wie “Maßstab” oder “Messinstrument” bedeutet. Im ursprünglichen Sinne ist der Begriff also neutral und hat weder direkten Bezug zu Waffen, noch zu Uhren.

Schon zum Ende des 15. Jahrhunderts wurde im Französischen das Wort calibre zur Bezeichnung des Durchmessers von Geschützrohren gebraucht. Der Begriff hat sich schnell durchgesetzt.

Die Verwendung des Begriffs im Uhrmacherhandwerk erfolgte allerdings deutlich später, und zwar erstmals anno 1715 in Dokumentationen des englischen Uhrmachers Henry Sully (*1680-1729), als dieser die Anordnung und Abmessungen der verschiedenen Uhrwerkssäulen, Räder, Federhäuser klar bzw. standardisiert zu Papier bringen wollte.

Sternglas Naos bronze gruen 2023 Test 14
Japanisches Kaliber Miyota 8215 in der Sternglas Naos Bronze

Insbesondere der Durchmesser spielte in diesem Zusammenhang eine große Rolle (genau wie bei Schusswaffen): Dabei ist die sogenannte Pariser Linie (französisch “Ligne”) ein im 17. Jahrhundert eingeführtes und bis heute in der Uhrenbranche noch immer gebräuchliche Maßeinheit, um den Durchmesser der Kaliber zu vermerken. Eine Linie (1’’’) entspricht 2,2558291 Millimeter. Ein Kaliber mit dem Durchmesser von beispielsweise 10 1/2’’’ wurde also einfach als Kaliber 10 1/2’’’, ergänzt um den Herstellernamen, bezeichnet (also zum Beispiel Kaliber Adolph Schild (AS) 10 1/2’’’). Später haben die Uhrwerkehersteller aber zunehmend auf eigene Kaliberbezeichnungen in eigenen Nummernkreisen umgestellt, wodurch die standardisierte Information zum Durchmesser des Kalibers verloren ging (z.B. A. Schild-Kaliber AS-1895).

Fun Fact am Rande: Das früher in Taschenuhren verbaute ETA Unitas 6497 ist mit 36,6 Millimetern Durchmesser ein 16 1/2‘‘‘ Kaliber – und das wird auch noch genau so von ETA in der Dokumentation angegeben:

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Die Gemeinsamkeit im Bereich Uhren und Schusswaffen liegt also darin, dass beide Anwendungen eine einheitliche Bezeichnung von Größen und Bauarten erforderten – das Schlüsselwort ist Standardisierung: Der Begriff “Kaliber” wird (durch die historische Brille betrachtet) in beiden Kontexten verwendet, um insbesondere den Durchmesser eindeutig festzuhalten.

Doch warum hat der Uhrmacher Henry Sully und später auch alle anderen Uhrmacher bzw. Uhrenfirmen einen Begriff aus dem Militär übernommen?

Bezeichnung Kaliber Uhren Waffen
Bild: traser

Nun, die Uhrmacherei und Schusswaffen sind tatsächlich gar nicht so weit voneinander entfernt: Tatsächlich wurden frühe fortgeschrittenere Schusswaffen mit komplizierten Betätigungsmechanismen (damals Schlösser genannt, z.B. Radschlösser) oft von Uhrmachern gebaut, da diese mit Präzisionsarbeit und Feinmechanik vertraut waren. Schließlich fangen Waffen, genauso wie mechanischen Uhren, im Wesentlichen mechanische Energie ein und geben sie wieder ab.

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Radschloss mit Werkzeug zum Spannen der Feder, Archiv WTS-Koblenz, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Dies ist jedoch nicht die einzige Verbindung zwischen der Uhrenindustrie und der Schusswaffenindustrie: Die US-amerikanische Uhrengeschichte fand anno 1850 ihren Startschuss mit der Gründung der Waltham Watch Company aus Massachusetts. Die US-Amerikaner nutzte damals geschickt die neuen Möglichkeiten, die sich im Rahmen der industriellen Revolution boten, um die kostengünstige Massenproduktion von Uhren in hoher Qualität anzuschieben und so einen massiven Kostenvorteil gegenüber den traditionell arbeitenden Schweizern zu erwirken. Waltham hat zu diesem Zweck einen bemerkenswert umfangreichen eigenen Maschinenpark aufgebaut, darunter eine Maschine zur effizienten und automatisierten Herstellung von Schrauben. Und jetzt kommt der Clou: die Produktionsmethoden hat sich Waltham damals bei der nur 80 Meilen entfernten Springfield Armory in Massachusetts abgeschaut. Die Waffenfabrik leistete Pionierarbeit bei der Herstellung von Massenproduktionstechniken und produzierte Waffen, die von Glattrohrmusketen in ihren Anfängen bis hin zum Springfield-Gewehr und dem von John Garand entworfenen M1-Gewehr aus dem Zweiten Weltkrieg reichten.

Mehr: Born in the USA – was ist noch übrig von der amerikanischen Uhren-Industrie?

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Und noch ein Beispiel, das den Zusammenhang zwischen der Uhren- und der Waffenindustrie aufzeigt: Während des Ersten und Zweiten Weltkrieges wurden die Uhrenhersteller in Glashütte und Pforzheim dazu verdonnert, nicht nur die Produktion von Militäruhren, sondern auch von anderen Rüstungsgütern wie zum Beispiel Zeitzündern aufzunehmen – die zivile Produktion musste komplett eingestellt werden. Denn: Wie man sofort im Bild unten sieht, sind mechanische Zeitzünderwerke normalen Uhrwerken sehr ähnlich – sie arbeiten meist mit einem Feder-Mechanismus, vergleichbar mit einer Taschenuhr. 

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Zeitzünderwerk aus Glashütte

In der Summe ist es aufgrund der vielen Parallelen nicht verwunderlich, dass der im Bereich Waffen geläufige Begriff “Kaliber” auf die Uhrenindustrie “rübergeschwappt” ist.

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