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Héron ist eine noch relativ junge, anno 2020 gegründete Marke aus Montreal, welche die ersten beiden Herausforderungen bereits gemeistert hat – zum einen ein erfolgreiches Einstandsmodell, die mittlerweile ausverkaufte Gladiateur MMLXV mit einem coolen, eigenständigen Designmerkmal, und zwar reliefartigen römischen Ziffern auf der Lünette.

Zum anderen: den Namen (und wer die Diskussionen rund um Marken wie Steinhart & Co. verfolgt, weiß wie wichtig Uhrenfreunden gut klingende Markennamen sind): Héron (ausgesprochen mit stummem “H”) wurde nach dem französischen Wort für (Fisch-)Reiher benannt. Und Héron klingt auch auf Englisch gut – das ergibt Sinn, denn der Hauptsitz von Héron ist die Stadt Montreal, größte Stadt der kanadischen Provinz Quebec (und die ist bekanntermaßen zweisprachig). Reiher sind in Kanada außerdem weit verbreitet: Der Kanadareiher heißt nicht zufällig so.

Aber genug der Vogel- und Städtekunde, denn auf den Gladiator folgt nun ein alter Seebär – und der ist dank sogenannter martensitischer Härtebehandlung ein echt taffer Kerl…

Eckdaten Héron Marinor:

  • Durchmesser 39 mm
  • Höhe 12,9 mm (inklusive Glas)
  • Horn-zu-Horn 47 mm
  • Gehäuse und Band aus gehärtetem 316L Edelstahl, 1.200 Härte nach Vickers
  • Band mit Schnellwechselfederstegen und werkzeugfreier Feinjustierung
  • Wasserdichtigkeit 300 Meter bzw. 30 bar
  • Verschraubte Krone
  • Saphirglas, gewölbt
  • Zifferblatt mit Farbverlauf (Fumé), Indizes gefüllt mit Schweizer Super-LumiNova
  • Saphirglaslünette
  • Japanisches Automatikkaliber Miyota 9039
  • Preis: 585€ zzgl. 19% Einfuhrumsatzsteuer
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Héron Marinor im Test

Während sich die Héron Gladiateur MMLXV keiner klassischen Uhrenkategorie zuordnen lässt, ist die Marinor da schon deutlich klarer: Es handelt sich um einen klassischen Diver, der unverkennbar in der Retro-Ecke zu verorten ist – das Modell nutzt zur Inspiration dabei (und daraus macht Héron auch gar keinen Hehl) verschiedene Elemente von Vintage-Klassikern der 50er Jahre, ohne dabei eine “simple” Hommage zu erschaffen. Der Zeigersatz beispielsweise, ein spitz zulaufender Minutenzeiger und ein “Broad Arrow” Stundenzeiger, kamen in sehr ähnlicher Form bei der Omega CK2913 aus den 50ern zum Einsatz. 

Um im Meer der Taucheruhren ein Stück weit herauszustechen, setzt Héron auf eine großzügig dimensionierte, applizierte Stundenmarkierung bei 12 Uhr, die vom Nordstern (auch Polarstern) inspiriert ist und gleichzeitig an klassische Kompassrosen erinnert.

Der Nordstern ist der hellste Stern im Sternbild Kleiner Bär (im Deutschen volkstümlich auch Kleiner Wagen genannt). Der Bezug zur Heimatbasis von Héron ist eingängig: Wer in Erdkunde aufgepasst hat, weiß, dass Kanada in der nördlichen Hemisphäre liegt und damit näher zum Nordpol als die meisten anderen Länder. In der kanadischen Heraldik (Wappenkunst) und Symbolik wird der Nordstern außerdem oft als Symbol der Führung und Beständigkeit verwendet. Ein Beispiel ist der Polarstern als Symbol im Coat of arms (Emblem) der Northwest Territories.

Man kann natürlich argumentieren, dass der ziemlich präsente Nordstern mit Hérons darunterliegendem Bildlogo, einem stilisierten Reiher in der Vogelperspektive, konkurriert. Trotzdem führt dies in meinen Augen nicht zu einem überladenen Zifferblatt, zumal Héron auch auf ein Datum verzichtet, was der Symmetrie zu Gute kommt.

Das fein angeraute Zifferblatt wird von einem wunderschönen Fumé-Effekt abgerundet: Die Mitte des Zifferblatts ist ein hellerer Blauton, der auf der feinen Minutenskala fast in Schwarz übergeht. Der Effekt wird durch das kratzfeste Saphir-Deckglas unterstützt, das eine wunderschöne Wölbung am Rand mitbringt, um den Charme von Kunststoffgläsern einzufangen, die bei Taucheruhren der 50er (und darüber hinaus) standardmäßig im Einsatz waren. 

Vom Design mal abgesehen stimmt auch die Qualität: Auf Nahaufnahmen macht die Marinor einen – unter Berücksichtigung der Preisklasse – richtig gut verarbeiteten Eindruck. Die Oberflächenbearbeitung des Gehäuses ist sehr fein und hochwertig. Der verschraubte Kronenmechanismus funktioniert butterweich, die Lünettenrastung läuft richtig schön satt.

Was sehr ins Auge springt, ist auch die stark gewölbte, hochglänzende, mit 120 Klicks einseitig drehbare Diver-Lünette, die sich optisch deutlich von den üblicherweise zum Einsatz kommenden Lünetten aus Keramik oder Aluminium unterscheidet: Die Lünette ist mit Saphirglas überzogen, wodurch das Licht wunderbar absorbiert wird und dadurch eine gewisse Nähe zur Optik der Bakelit-Lünette der frühen Blancpain Fifty Fathoms geschaffen wird (Fun Fact am Rande: Benannt wurde die Bakelit-Lünetteneinlage nach dem gleichnamigen Hersteller aus Deutschland, der von 1910 bis 2004 Kunststoffe produzierte). Optisch darf die Lünette der Marinor als mehr als gelungen bezeichnet werden und mit rund 2000 Vickers ist die Lünette dank Saphirglasüberzug auch genauso kratzfest wie das Deckglas, das das Zifferblatt schützt.

Das Edelstahlgehäuse ist mit 39 mm kompakt gehalten und kommt außerdem mit einem dezenten Kronenschutz und recht stark nach unten gezogenen, kurzen Hörnern (Horn-zu-Horn 47 mm). Es folgt damit dem Trend zu eher kleineren Gehäusen, wenngleich die Marinor am Handgelenk etwas größer wirkt, spontan hätte ich sie auf 40-41mm geschätzt. Das Gehäuse ist durchgängig gebürstet und hat eine dezente polierte Fase entlang der Außenkante der Hörner.

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Kein Seemannsgarn: Martensitische Härtung der Marinor

Eine Besonderheit ist, dass Héron auf ein Verfahren setzt, das die Härte des Edelstahls auf bis zu 1200 Vickers erhöht. Zum Vergleich: Unbehandelter Edelstahl kommt auf eine Härte von etwa 200 Vickers. Der Prozess zur Härtung des Edelstahl der Marinor umfasst Wärmebehandlung, Abschrecken und Anlassen – auch martensitische Härtung genannt. Genauer stellt sich der Prozess wie folgt dar:

  1. Wärmebehandlung (Austenitisieren): Der Edelstahl wird auf eine hohe Temperatur erhitzt, auf ca. 1000°C, um eine Phase namens Austenit zu erzeugen. Dies bewirkt, dass sich der Stahl auf atomarer Ebene umordnet und in eine gleichmäßige, homogene Phase übergeht.
  2. Abschrecken: Nach dem Austenitisieren wird der Stahl in Öl abgeschreckt. Dieser schnelle Abkühlungsprozess verwandelt den Austenit in Martensit, eine sehr harte, aber auch spröde Phase des Stahls.
  3. Anlassen: Um die Sprödigkeit des gehärteten Stahls zu reduzieren und gleichzeitig eine gewisse Härte zu bewahren, wird der martensitische Stahl auf eine moderate Temperatur von mehreren Hundert Grad Celsius erwärmt und dann langsam abgekühlt. Dies führt zu einer verbesserten Kombination aus Härte und Zähigkeit.

Martensitische Härtung wird häufig bei Edelstahlsorten verwendet, die viel Kohlenstoff enthalten, wie z.B. bei martensitischen Edelstählen (z.B. 1.4021, 1.4125). Diese Stahlsorten werden in Anwendungen verwendet, bei denen sowohl Härte als auch Korrosionsbeständigkeit erforderlich sind, wie z.B. in Messerklingen, Werkzeugen oder chirurgischen Instrumenten.

Héron hat mich dazu eingeladen den Stahl ordentlich zu “challengen” – gesagt, getan: Ich habe unter anderem mit einem handelsüblichen Uhrmacherwerkzeug für Bandwechsel aus Edelstahl auf dem Gehäuse rumgekratzt, ohne dabei zimperlich zu sein. Und ich muss sagen, die Härtung hält, was sie verspricht: Ich musste schon ziemlich viel Kraft aufbringen, um auch nur ganz oberflächlich feine Spuren im Gehäuse zu hinterlassen. Der “Endgegner” war ein rauer Steinboden im Freibad – da kam die Härtung an ihre Grenzen.

Ich war in der Summe aber auf jeden Fall sehr angetan, denn der Alltagsnutzen ist – auch, wenn naturgemäß nicht alle Kratzer vermieden werden – sehr hoch, zum Beispiel zur Vermeidung von typischen, unansehnlichen “Desk Diving”-Spuren.

Viele Microbrands behandeln Armbänder eher stiefmütterlich – leider! Umso schöner ist es, dass Héron der Marinor ein Band spendiert, das zum einen einen werkzeugfreien Bandwechsel ermöglicht und verschraubte, haptisch sehr gut aufeinander abgestimmte Bandglieder mitbringt. Zum anderen kommt das Band mit einer werkzeugfreien Feinjustierung von bis zu 5 Millimetern über einen kleinen Hebel an der Unterseite – perfekt für warme Tage oder bei schweißtreibenden Aktivitäten, bei denen sich der Handgelenkumfang schon mal deutlich ausdehnen kann. Sobald man sich erst mal an solche Feinjustierungen gewöhnt hat, ist es ein Komfortfaktor, den man nicht mehr missen möchte. Löblich: Auch das Band, Kratzerfänger Nummero Uno, ist konsequenterweise mit dem oben beschriebenen Verfahren gehärtet.

Man beachte aber, beispielsweise beim Ablegen der Uhr, dass der Gehäuseboden nicht gehärtet ist – und es wäre doch ziemlich schade, wenn die tolle, reliefartige Gravur des bärtigen, Maiskolbenpfeife rauchenden “Seebärs” (welcher dem Modell auch seinen Namen gibt) zerkratzt, oder?

Unter dem Gehäuseboden arbeitet das automatische Miyota 9039 mit 42 Stunden Gangreserve. Das Kaliber kann es problemlos mit den Schweizer Konkurrenten aus dem Hause ETA oder Sellita aufnehmen und hat gegenüber dem unter Microbrands doch sehr stark verbreiteten Seiko NH35 einige nennenswerte Vorteile wie eine höhere Frequenz (28.800 bph) und damit eine langfristig höhere Ganggenauigkeit. 

Anders als das deutlich bekanntere Miyota 9015 hat das (konstruktionstechnisch in weiten Teilen identische) 9039 kein Datum an Bord, was mit Blick auf die Symmetrie des Zifferblattes und im Sinne des Vintage-Charakters des Modells eine sehr gute Entscheidung war.

Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Uhrwerken besteht darin, dass das 9039 in einem etwas schmaleren Gehäuse verwendet werden kann als das 9015: Die Mindestgehäusedicke beim 9039 beträgt 8,25 mm, beim 9015 sind’s 8,6 mm. Viele Uhrenfreunde denken daher, dass das 9039 ein schlankeres Kaliber ist, tatsächlich sind beide jedoch mit 3,9 mm identisch in der Höhe (zum Vergleich: das Sellita SW200 kommt auf 4,6 mm). Der Grund dafür, dass das 9039 in ein dünneres Gehäuse passt, liegt ganz einfach darin, dass die Zeiger flacher anliegen als beim 9015 (1,75 mm vs. 2,1 mm).

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Abschließende Gedanken

Die Kanadier haben alle Designelemente in einer überaus stimmigen Gesamtkomposition verpackt: Die Marinor sprüht sicher nicht vor Innovationen, aber es funktioniert – und das meiner Meinung nach ziemlich gut. Das Miyota 9039 ist darüber hinaus eine passender Kaliberwahl in dieser Preisklasse. Die Marinor bietet ein rundum gelungenes Paket, das aber auch viel Konkurrenz hat – die martensitische Härtung des Edelstahls ist aber ein überzeugendes Kaufargument, das man in dieser Preisklasse höchstselten antrifft.

Die Héron Marinor ist für 585€, zuzüglich 19% Einfuhrumsatzsteuer direkt über heronwatches.com erwerbbar (der Versand erfolgt direkt aus Kanada) – effektiv landet man somit bei rund 695€.

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Thomas
10 Tage zurück

Interessante Uhr a.G. der Gehäuse- und Bandhärtung mit einem Alleinstellungsmerkmal, das sie gegenüber der Masse von Uhren im Microbrand-Segment aus meiner Sicht heraushebt. Ich finde sie zudem preislich sehr attraktiv und würde mich vom Miyota-Werk nicht im Geringsten ‘abschrecken’ lassen. Was habe ich denn davon, wenn hier stattdessen ein Sellita- oder ETA-Werk zum Einsatz käme. M.W. lässt sich auch ein Miyota-Werk überholen oder bei einem größeren Defekt kostengünstig ersetzen.

Ralph
11 Tage zurück

Leider wurde nicht auf die Gangabweichung im Auslieferungszustand eingegangen.

Winston
11 Tage zurück

Beim Anblick des Fotos kam mir direkt die Spinnaker Fleuss in den Sinn. Doch hat diese wohl das NH35 an Board und es ist fraglich, ob die vom Band und der Härtung eine vergleichbare Qualität hat. Da fehlt mir die Erfahrung. Die Fleuss gibt es in 40 mm. Preislich sind beide im ähnlichen Bereich – obwohl man die Fleuss auch schon viel günstiger findet.

Ratman
11 Tage zurück
Antworten...  Winston

Ja, die Glas-Lünetteneinlage erinnert tatsächlich ein wenig an die Fleuss von Spinnaker. Da haben beide wohl bei der Fifty Fathoms abgeschaut. Aber ich finde, sonst haben die beiden Uhren wenig gemeinsam. Schon die Ziffernblätter und die Gehäuseformen sind so unterschiedlich, dass ich da wenig Gemeinsamkeiten entdecken kann.

Konrad
16 Tage zurück

Mario,
die von Dir gelobte werkzeugfreie Feinverstellung der Schließe ist insoweit positiv hervorzuheben, dass sie vorhanden ist. Beim genauen Anschauen der wie üblich tollen Makro-Fotos muss man sagen: Bestimmt leicht zu bedienen aber von der Ausführung der Rastung nicht besser als die üblichen Glidelock Kopien aus dem Reich der Mitte. Das geht auch in dieser Preisklasse besser!
Deinem Lob für Glas, Lünette und Härtung schließe ich mich an. Das hebt die Uhr positiv aus dem inzwischen faden Brei der Diver Hommagen heraus.

Lord Cord
16 Tage zurück

Wo habe ich das nur schon gesehen??
Ach ja hier, vor 10 Jahren, bei der (nachbleibenden damaligen Ansage) besten Marke der Welt, die dann auch schnell die selbige erobern wollte.
https://www.evantwatches.com/collections/frontpage/products/tropic-diver-fume-blue
Ich hatte sie und sie war eine wunderbare Uhr, der auf wundersame Weise einfach kein Band stand.🤷

War wohl letztendlich nur weltbeste angewärmte Luft…
Zumal die Uhr hier qualitativ ein wenig straffer erscheint.

Wie immer, Mario, danke für die Erweiterung meines Horizonts! Und ICH bin schon gefürchteter Microbrander… 🙂

Lars
16 Tage zurück

Wunderschöne Vorstellung einer Microbrand Uhr. Mir fehlt noch mindestens eine Lumeshot😉.
Preislich finde ich die Uhr durchaus interessant, gerade in Bezug, Kosten/Leistung.
Hat die Uhr eine Rehaut, sehe zumindest auf den Bildern nichts und würde auch ein wenig den sehr attraktiven Preis erklären?!
Bei dem Kaliber bin ich dann aber raus.
Es ist schade, dass man nicht etwas mehr investiert hat. Gangwerte sind zwar o.k. aber für einen Durchbruch, mit dem man in allen Bereichen auch kritische Käufer überzeugen könnte, sehe ich mit dieser Uhr leider auch nicht.

Grüsse.

Lars
14 Tage zurück
Antworten...  Mario

Moin Mario, danke für die Nachricht.