Ich war schon längerem auf der Suche nach einer Marineuhr bzw. einer sogenannten Deckwatch. Gebläute Zeiger, eine „kleine Sekunde“ und ein nicht alltägliches Gehäuse sollte Sie haben. Und natürlich ein mechanisches Werk – was sonst? 😉
So rückte die Hamilton Khaki Navy Pioneer in meinen Fokus. Ein besonderes Schmankerl und ein nicht unbedeutender Faktor bei der Kaufentscheidung war natürlich der historische Hintergrund – das Modell erinnert an die in den 1940er Jahren gefertigten Hamilton-Schiffschronometer in Jumbo-Größe…
Kurzer Abriss der Geschichte der Hamilton Marine-Chronometer
Schiffs-Chronometer wie jene der Hamilton Watch Co. (damals noch mit Hauptsitz in den USA) dienten der US Navy im zweiten Weltkrieg zur Berechnung von geografischen Längen sowie zur Orts- und Richtungsbestimmung. Die Truppen der Marine nutzten sie somit als Alternative zum Funk, um Positionen zu bestimmen, denn Funkssprüche wurden häufig vom Feind abgefangen und manipuliert.
Das Besondere an den Hamilton-Chronometern: Die ziemlich großen und schweren Brecher wurden nicht durch die Bewegungen der Schiffe beeinträchtigt. Hamilton war als einziges Unternehmen in der Lage, den Marinechronometer nach den Vorgaben der US-Marine in großen Stückzahlen zu fertigen und realisierte das Projekt angesichts seiner kriegswichtigen Bedeutung innerhalb kurzer Zeit.
Während des Krieges produzierte Hamilton exakt 9.902 Marine-Chronometer. Ein Chronometer allerdings kam nicht an die frische Seeluft: Er wurde US-Präsident Franklin D. Roosevelt geschenkt und nach dem Krieg in seiner Bibliothek am Hyde Park ausgestellt. 1943 wurde Hamilton mit dem US Army-Navy „E“ Award für die hervorragende Produktion von militärischer Ausrüstung ausgezeichnet.
A Historic Time Machine From 1942 can be yours…The #22 Hamilton Chronometer Marine Clock stunning!, on ebay now. pic.twitter.com/fS63vmu9SY
— Paul Vetrano Critic (@manorhouseNY) 12. Juni 2016
Hamilton Khaki Navy Pioneer (H78465553) im Test
Für faire 750€ (UVP 895€) vor einigen Wochen neu gekauft, war ich direkt schwer begeistert von der Hamilton Khaki Navy Pioneer. Das lag vorrangig an der aufwendigen und exquisiten Gehäuseverarbeitung mit abwechselnd polierten und satinierten Flächen und schnieker Riffelung. Solch eine geniale Verarbeitung findet man in der Preisklasse nicht allzu häufig…
Das Gehäuse hat außerdem Bögen im Schlepptau (anstelle standardmäßiger Hörner), was die Vintage-Optik hervorragend unterstreicht. Früher nämlich haben Uhrmacher Taschenuhren zu Armbanduhren umfunktioniert, indem sie Bögen an beiden Seiten des Taschenuhrgehäuses angeschweißt haben. So entstand eine Uhr, die auch am Handgelenk getragen werden konnte. In der Mitte der Bögen sind ganz normale Federstege angebracht.
Darüber hinaus waren meine Bedenken bzgl. der Uhrengröße (normalerweise trage ich eher >40mm Durchmesser) unbegründet: Die Hamilton Khaki Navy Pioneer wirkt durch das leicht metallisch wirkende, weiß-strahlende Ziffernblatt (jeder Bleaching-Profi wäre neidisch) und dem schmalen, polierten Rand merkbar größer an meinem 18,5mm-Handgelenk (ein Kollege schätzte die Uhr auf 42mm):
Auch die optisch hervorstechende kleine Sekunde und natürlich die kontrastreichen gebläuten Zeiger lassen (Möchtegern-)Seefahrer-Herzen höher schlagen:
Das durch den Sichtboden zu begutachtende, butterweich einstellbare Schweizer Automatikwerk ETA 2895-2 muss sich mit seiner netten Rotor-Verzierung ebenfalls nicht verstecken:
Zwischenfazit: Hamilton macht mit der Khaki Navy Pioneer bis hierhin alles richtig und bietet in Anbetracht des Preises eine überdurchschnittliche Qualität…
Aye, aye, abgesoffen: Das Lederband der Hamilton Khaki Navy Pioneer
Der zweite Eindruck von der Hamilton Khaki Navy Pioneer brachte allerdings etwas Ernüchterung: Ich musste festellen, dass das Hamilton-Lederband so bretthart ist, dass ich die Dornschließe nur mit Biegen und Brechen öffnen konnte.
Die Verarbeitung an sich (Nähte, Seiten) ist zwar tadellos und auch der Geruch des Leders macht keinen chemiebehafteten Eindruck – trotzdem kann ich den den Vermerk „handcrafted Leather“ auf der Unterseite des Bandes irgendwie nicht richtig ernst nehmen. Jetzt mag man sagen: Das Leder wird doch bestimmt noch weich, trag‘ es doch einfach ein, du Leichtmatrosen-Memme!
Erstens: Ich will ein Lederband nicht „eintragen“ müssen. Ich will es auch nicht erst eine halbe Stunde liebevoll massieren, bevor ich es an mein Handgelenk schnallen kann. Das genial-weiche Lederband der Alexander Shorokhoff Regulator oder die individualisierbaren Lederbänder von Greenpilot-Watchstraps zeigen, dass ein Leder auch von vornherein weich und flexibel sein kann.
Zweitens: Wie kann es dann sein, dass das Lederband einer Uhr mit einem UVP von knapp 900€ eine Qualität bietet, welches auch von der Haptik her eher an Kunstleder erinnert? Die Uhr an sich rechtfertigt den überaus fairen effektiven Marktpreis von ca. 750€ zwar durchaus, das Lederband säuft aber im Vergleich leider ab.
Aber vielleicht trägt es sich ja trotzdem ganz gut? Nein tut es leider nicht, auch nicht nach mehreren Stunden des Tragens: Durch die fehlende Flexibilität des Bandes habe ich die Uhr anfangs permanent am Handgelenk hin- und hergeschoben, in der Hoffnung, eine komfortable Position zu finden (oh Wunder, ich habe keine gefunden). Erst als ich die Uhr für eine Nacht auf ein Kissen im Uhrenkasten geprügelt habe, war eine Grund-Biegung im Armbandes vorhanden, wodurch die Uhr einigermaßen tragbar wurde.
Hamilton Khaki Navy Pioneer – und die Moral von der Geschicht‘?
Armbänder beschäftigen mich immer wieder aufs Neue und ich finde es einfach mehr als schade, wenn eine so überdurchschnittlich gut verarbeitete Uhr wie die Hamilton Khaki Navy Pioneer mit einem brettharten Lederband kommt, welches man quasi austauschen muss. Ich sehe es aber mal positiv: Umgekehrt wäre dieser große Qualitätsunterschied natürlich deutlich schwerwiegender. Alles in allem gebe ich für die Hamilton Khaki Navy Pioneer eine klare Kaufempfehlung – zumindest, wenn ihr noch ein paar Euros in der Tasche für ein neues Lederband übrig habt…
Als Alternative empfiehlt sich ggf. die Tissot Heritage 1936, die einen ähnlichen UVP wie die Hamilton Khaki Navy Pioneer hat. Das Modell kommt mit einem Vintage-mäßigen Schweizer ETA Unitas 6948 Handaufzugwerk und auffälligen Breguet-Zeigern, (benannt nach dem Uhrengenie Abraham-Louis Breguet), welche sehr gut mit dem Ziffernblatt harmonieren. Wie bei einer Taschenuhr, kann der Gehäusedeckel außerdem weggeklappt werden, um einen Blick auf das Uhrwerk zu werfen. Die Optik ähnelt jedenfalls sehr der Hamilton Khaki Navy Pioneer (Bögen, Ziffernblatt). Ob das (Durchzugs-)Lederband besser ist, kann ich allerdings leider nicht beurteilen…