Slow Uhren wollen notorischen Hektikern ein wenig Entspannung im Alltag bringen. Zack, zack! lautet normalerweise meine Devise, auch wenn ich das als Norddeutscher selten nach außen hin zeige. Schleicht zum Beispiel jemand im Zeitlupentempo in den engen Supermarktgängen vor mir her, bin ich sofort ungeduldig. Stürzt der Laptop mal wieder ab, ist das Ding kurz davor aus dem Fenster katapultiert zu werden. Auch bei der Urlaubsplanung mit meiner Frau sorgt meine Hektik regelmäßig für Diskussionen: Sie würde am liebsten immer am Strand chillen, während ich gerne im Turbo-Modus (Städte-)Sightseeing mache.
Stress und Hektik sind ein Massenphänomen: Laut der Studie Entspann dich, Deutschland von der TK sind über 60% der Befragten regelmäßig gestresst. Stressfaktor Nr. 1 bei Männern ist – was auch sonst – die Arbeit. “Gerade ziemlich stressig” scheint zum Grundgefühl unseres Lebens geworden zu sein.
Dabei sagte schon Goethe:
Wer sichere Schritte tun will, muss sie langsam tun.
Entschleunigung ist also geboten! Dass es nicht immer zack, zack gehen muss, beweisen z.B. Comedians wie Johann König oder Vincent Pfäfflin, Slow Food, langsame Städte (Cittàslow-Bewegung), oder (Achtung: Vorurteils-Keule) Beamte.
Auch, wenn es sich zunächst paradox anhören dürfte: Warum sollte der Entschleunigungs-Gedanke bei der Uhr aufhören? Während der Smartwatch-Trend sicherlich nicht dazu beiträgt, E-Mails/WhatsApp/Anrufe auch mal links liegen zu lassen, hat die Swiss Made-Uhrenmarke slow Einzeigeruhren mit mechanischem Werk im Portfolio, die zur nötigen Entschleunigung beitragen sollen. Ob das gelingt und wie es um die Qualität der kantig-markanten Uhr bestellt ist, zeigt dieses umfangreiche Review.
slow Uhren und die Geschichte der Einzeigeruhren
Corvin Lask und Christopher Noerskau sind das sympathische Gesicht der Firma slow. Seit 2011 werkeln die Gründer am Konzept. 2013 dann als Startup in Hamburg-Eppendorf gegründet, konzentriert sich slow insbesondere auf den Online-Vertrieb und After Sales Service. Die Produktion der Einzeigeruhren findet als Auftragsfertigung in der Schweiz statt, wodurch die automatically slow das begehrte Swiss Made-Siegel tragen darf.
Sich als Uhrenhersteller heutzutage vom Wettbewerb abzugrenzen ist gar nicht so leicht – es gibt heutzutage nicht oft Uhrendesigns, die wirklich revolutionär neu sind. Viele Hersteller wollen aber auch gar nicht das Rad neu erfinden und werfen lieber die drölfmillionste Rolex Submariner-Hommage auf den Markt und kreuzen die Finger, dass sich schon ein paar Exemplare verkaufen werden. Ein möglicher Differenzierungsansätz ist zum Beispiel intensiv betriebenes Influencer-Marketing, über das ich bereits ausführlich anhand des Beispieles Kapten & Son berichtet habe. slow geht allerdings schlicht und ergreifend den Weg des eigenständigen und frischen Designs, kombiniert mit einer konsequenten und modernen Kommunikation. Ganz getreu dem Motto:
slow ist keine Geschwindigkeit, sondern eine Lebenseinstellung!
Eine kleine Geschichtestunde darf an dieser Stelle natürlich nicht fehlen: Einzeigeruhren gab es im Prinzip schon im Jahre 1300 vor Christus – in Form von Sonnenuhren. Mechanisch wurde es dann ab dem 13. Jahrhundert nach Christus, als Uhren ohne Sekunden- und Minutenzeiger in Form sogenannter Räderuhren in Kirchtürmen verbaut wurden. Eines der berühmtesten Beispiele: Die Turmuhr von Westminster Abbey…
Ab dem 14. Jahrhundert wurden Einzeigeruhren kompakter: Im 15. Jahrhundert beispielsweise fertigte der Uhrmacher Erhard Liechti sogenannte Konsolenuhren mit nur einem Zeiger, die Einzug in reiche Klöster oder die Wohnzimmer wohlhabender Patrizier fand. Wer hat, der hat!
Eine bekannte Einzeigeruhr für die Hosentasche mit klassischer 12-Stunden-Einteilung stammt aus dem Jahre 1796 von Breguet: Die damals als sehr zuverlässig geltende, sogenannte “Montre à Souscription Nr. 383” (Subscription Watch / Abonnement-Uhr) war mit 61mm zwar ziemlich groß, aber wegen der vergleichsweise einfachen Bauweise recht günstig. Immerhin: ca. 700 Stück wurden produziert.
Breguet Tradition Collection History: it all began in 1796 with the “subscription” watch.
fb:http://t.co/2nFmD8YXBz pic.twitter.com/ggoURakv0o— Breguet (@MontresBreguet) 23. Januar 2015
Der Minutenzeiger wurde erst im Laufe des 17. Jahrhunderts von Uhrmachern ergänzt. Anstelle der heute gängigen 60-Minuten-Einteilung waren die Ziffernblätter allerdings zunächst in Viertelstunden eingeteilt. Im Verlauf der Geschichte und mit dem Anfang der Industrialisierung, war es allerdings nötig in noch kürzeren Zeitabschnitten zu denken – die Geburtsstunde des Sekundenzeigers und Startschuss für ein durchgetaktetes Leben…
automatically slow 03: Swiss Made Einzeigeruhr mit mechanischem Automatikwerk im Test
“Ist deine Uhr kaputt, Zeiger abgefallen?”
sprach mich direkt am ersten Tragetag ein guter Freund auf die automatically slow 03 an. Und da er weiß, was für ein Uhrenfreak ich bin, war sein Blick auch eine Mischung aus schockiert und mitleidig. Ich konnte ihn aber schnell beruhigen und das slow-Konzept war fix erklärt: Natürlich ist kein Zeiger abgefallen. Die slow-Uhren laufen natürlich auch nicht langsamer als “normale” Uhren. Passend zum slow-Konzept sucht man einen Minutenzeiger oder gar einen hektisch voranschreitenden Sekundenzeiger aber vergeblich: Das Ablesen der Uhrzeit funktioniert ganz einfach mit nur einem Zeiger.
Durch das 24-Stunden-Ziffernblatt der automatically slow ist aber der einzige Zeiger nur halb so schnell wie ein normaler Stundenzeiger. Das soll zumindest die Illusion erzeugen, dass die Zeit nicht so schnell voranschreitet, wie man vielleicht möchte. Die (applizierten und polierten) Hauptindizes zeigen die Stunden an, die Zwischenindizes sind in vier mal 15 Minuten unterteilt.
slow positioniert sich also ganz klar gegen den Trend schneller laufender Uhren – der aktuelle Weltrekord: Das High-Speed-Ührli 3000 schafft eine Stunde in knapp unter 37 Minuten (Achtung: Artikel kann Spuren von Satire enthalten 😉 )
Doch wie ist es um die Ablesbarkeit einer Einzeigeruhr mit 24-Stunden-Ziffernblatt bestellt? Auf der Website von slow heißt es:
Uhrzeit +- 1 bis 2 Minuten genau ablesbar (genauer macht es auch keinen Sinn!)
Dem Zusatz in Klammern stimme ich für wahrscheinlich 99% der Alltagssituationen zu. Was die Genauigkeit des Ablesens angeht, ist die Aussage allerdings ein klein wenig optimistisch – oder ich brauche vielleicht neue Brillgenläser: Man muss schon sehr genau hinsehen, wenn man eine Uhrzeit mit einer Genauigkeit von mindestens +/-5 Minuten ablesen will. Alles andere hat etwas von einem Ratespiel.
Genauigkeitsfanatiker sind mit der automatically slow also naturgemäß eher schlecht beraten – für präzises Zeitnehmen, z.B. für ein medium-rare Steak, ist die automatically slow sicherlich nicht geeignet. Das will die Uhr aber auch gar nicht. Und wenn ich ehrlich bin, nutze ich selbst meine präzise laufenden Chronographen kaum für solche Zeitmessungen. Das Smartphone erledigt diese Aufgabe einfach besser. So gesehen habe ich im Alltag mit der automatically slow nie etwas vermisst – ganz getreu dem Motto: Whatever, I’m late anyway! 😉
Die Ablesbarkeit der groben Uhrzeit an sich ist nach etwas Eingewöhnung problemlos machbar. Das liegt insbesondere an dem aufgeräumten Ziffernblatt (ohne Logo oder Swiss Made-Hinweis, beides befindet sich auf dem Gehäuseboden) und dem schlichten, sehr feinen Zeiger.
Ein echtes optisches Leckerli ist das konzentrisch angeordnete Wellenmuster des Ziffernblattes, welches durch das beidseitig entspiegelte und somit kaum reflektierende Saphirglas hervorragend zur Geltung kommt und (je nach Lichteinfall) immer neue Facetten zeigt – grandios!
Werfen wir noch einen kurzen Blick auf den (eher schlichten) verschraubten Gehäuseboden, der – wie bereits erwähnt – von der Marke slow und der Swiss Made-Herkunft zeugt. Auch die Limitierungsnummer (hier: Nr. 52 von 70) findet dort Platz. Der Rotor kommt mit einem schicken Genfer Streifenschliff:
Die hohe Qualität aus der Schweizer Auftragsfertigung merkt man der Uhr auch mit Blick auf die Gehäuseverarbeitung an: Das kantige und schwarz-beschichtete, 41mm große Gehäuse macht eine hochwertige und sportlich-markante Figur. Der Wiedererkennungswert ist durch das eigenständige Design extrem hoch. Eckige Gehäuse vergrößern die Optik einer Uhr in der Regel. Das ist zwar auch bei der automatically slow der Fall, der Effekt hält sich aber in Grenzen: Das liegt daran, dass die Einzeigeruhr mit 12 mm nicht sehr hoch baut – dem flachen Schweizer ETA 2893 GMT-Automatikwerk sei dank:
Die Messung der Ganggenauigkeit des ETA 2893 habe ich mir aus genannten Gründen an dieser Stelle mal gespart 😉 Die Gangreserve des Werkes beträgt ordentliche 42 Stunden. Eine Besonderheit gibt es aber zu beachten: Da slow bei seiner limitierten Automatikuhren-Modellreihe den Zeiger der zweiten Zeitzone (GMT) nutzt, muss die Uhrzeit, bei der das Datum auf den nächsten Tag umspringt, manuell auf Mitternacht angepasst werden. Das ist zwar kein Raketenwissenschaft, hat aber natürlich leider nicht den Komfort einer “normalen” Datum-Schnellverstellung – insbesondere, wenn man wie ich alle 1-2 Tage die Uhr wechselt.
Ich bin ziemlich penibel was den optischen Zustand meiner Uhren angeht – Kratzer und Dellen versuche ich tunlichst zu vermeiden. In der Uhren-Community würde man mich daher als PTM (PolierTuchMuschi) bezeichnen. 😉 Bei schwarzen Beschichtungen bin ich noch zusätzlich vorsichtig – im Hinterkopf habe ich immer, dass diese möglicherweise was abbekommt und der Schaden nicht mehr rauspoliert werden kann.
Die schwarze Beschichtung der automatically slow 03 ist aber ganz offenbar von sehr robuster Qualität: Nach mehrmaligem Hin- und Herwechseln des Bandes und dem unvermeidlichen Kontakt des spitzen Edelstahl-Bandwechselwerkzeuges (welches übrigens auch zum Lieferumfang gehört) mit der Innenseite der Hörner, sind keinerlei nennenswerte Kratzer in der Beschichtung zu erkennen – die Gehäusebeschichtung verträgt also sicherlich locker auch den ein oder anderen Knutscher mit härteren Materialien im Alltag. PTMs wie ich dürfen also aufatmen 😉
Das schwarze, italienische Kalbslederband in Kroko-Optik und das zusätzlich beiliegende braune Lederband in dezenter Vintage-Optik sind wertig verarbeitet. Aufmerksame Leser meines Blogs wissen, dass ich mit steifen, unflexiblen Lederbändern auf Kriegsfuß stehe (ärgerlich: das Band meiner Hamilton Marineuhr ist so knüppelhart wie am ersten Tag). Die Lederbänder von slow sind Gott sei Dank so anschmiegsam, wie es sich für ein Lederband gehört – hier gibt es keinerlei Grund zu meckern. Schön ist auch, dass das braune Ersatzband mit eigenen Stiften und eigener (schwarz beschichteter) Schließe kommt – das reduziert den Wechselaufwand.
Einziger kleiner Kritikpunkt: Ich hätte mir auf der Schließe noch das slow-Logo (Play-Pause-Symbol), welches auch auf der Krone zu finden ist, gewünscht.
Das Lederband der automatically slow ist mit 22mm in Anbetracht der Gehäusegröße vergleichsweise breit. Dadurch wirkt die Einzeigeruhr (trotz der flachen Bauweise) etwas größer am Arm. Der Tragekomfort ist in der Summe aber hervorragend:
Nur ein kleiner Wermutstropfen trübt den sehr guten Gesamteindruck der Lederbänder: An den Bandanstößen neigen diese dazu etwas zu Quietschen, ich gehe aber davon aus, dass sich das mit der Zeit geben dürfte – das hoffe ich zumindest, da meine Sperlingspapageien das Geräusch jedes Mal fröhlich nachäffen 😉 Ansonsten hilft sicherlich auch ein wenig Lederfett.
Das braune Vintage-Leder ist jedenfalls definitiv mein Favorit – ich steh’ nun mal auf Vintage-Optik…
Ich habe die automatically slow 03 zeitweise auch an einem Bond-NATO von Miro’s Time getragen – optisch durchaus zu empfehlen:
Schön: Die automatically slow 03 wird in einem hochwertig verarbeitetem Leder-Etui geliefert, welches sich hervorragend als Transportbox eignet – ein echter Mehrwert gegenüber einer Standard-Box, die ohnehin nur irgendwo in der Ecke verstaubt.
Fazit: Limitierung und Bezugsmöglichkeiten der slow Uhren
Der Aufpreis gegenüber den slow-Modellen mit Ronda Quarz-Werk ist natürlich nicht ganz ohne – 950€ sind für die Einzeigeruhr mit mechanischem Antrieb fällig. Die ebenfalls im kantigen Design gehaltenen Quarz-Modelle Jo und Mo (ab 230€) kommen allerdings leider nur in Durchmessern von 38 bzw. 34mm – mir persönlich eher zu klein. Nur die Modellreihe “O” (ab 280€) ist mit 42mm für viele Männerhandgelenke wahrscheinlich die bessere Wahl, durch das runde Gehäuse der “O” geht aber natürlich auch ein Stück des Wiedererkennungswertes flöten.
Ob eine slow-Einzeigeruhr nun gegen Burn-Out und Hektik hilft, sei mal dahingestellt. Im Berufsalltag habe ich das Mantra der slow-Einstellung jedenfalls (noch?) nicht wirklich verspürt 😉 Dennoch findet man in der Automatik-Einzeigeruhr vom Hamburger Startup ein unverkennbares und selbstständiges Design in hoher Swiss Made-Qualität mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis.
Wer ein mechanisches Werk einem Quarzer vorzieht und das kantige und eigenständige Design der automatically slow mag, der sollte nicht allzu slow mit seiner Kaufentscheidung sein: Die Automatikvarianten sind stark limitiert und werden daher logischerweise nicht mehr nachproduziert. Die automatically slow 01 mit roségoldener Lünette ist bereits ausverkauft. Von der hier getesteten sportlich-schwarzen Variante 03 sind nur noch weniger als 20 Stück verfügbar (Stand Anfang April 2017). Die automatically slow kann direkt beim Hersteller für 950€ bezogen werden.
Alternativen zur automatically slow Einzeigeruhr: Botta Design und Meistersinger
Es gibt nur wenige Marktbegleiter, die sich wie slow in der Einzeigeruhren-Nische mit Swiss Made oder Made in Germany-Qualität bewegen. Zwei Alternativen zur automatically slow möchte ich aber kurz vorstellen: Ähnlich modern und sportlich wie die hier getestete automatically slow 03 sind die Modelle der Marke Botta Design, die vom gleichnamigen ausgebildeten Industrie-Designer Klaus Botta und seinem Team in Königstein im Taunus entworfen werden. Knapp 60 Auszeichnungen konnte die Marke für ihre klaren Designs schon gewinnen.
Ab ca. 900€ (Modell “Uno”) gibt es Made in Germany Qualität mit ETA 2824 Automatikwerk, beidseitig enstpiegeltem Saphirglas und 42 bis 44mm Durchmesser.
Eine coole Idee ist das futuristisch anmutende Design des Botta Design Modells Nova Carbon, bei dem eine zentrale Scheibe einen Großteil des Zeigers abdeckt und nur noch die knallig-farbige Zeigerspitze zum Vorschein kommt:
Wer das Design mag und sich auch mit batteriebetriebenen Werken anfreunden kann, der kann auch einen Blick auf die Quarz-Modelle von Botta Design werfen, welche bei ca. 400€ starten:
Die größte Vielfalt bei Einzeigeruhren in eher klassischem Design gibt es definitiv bei der Marke Meistersinger, die seit 2001 im schönen Münster auf mechanische Einzeigeruhren fokussiert ist. Für ca. 1500€ gibt es zum Beispiel das Modell Meistersinger Perigraph AM1008 mit schickem blauen Ziffernblatt, 43mm Durchmesser, Saphirglas und Schweizer Automatikwerk…
Der neueste Wurf (Anfang 2017) von Meistersinger ist das Modell Circularis Gangreserve, das mit einem aufwendig designten Handaufzugswerk mit satten 120 Stunden Gangreserve inklusive Gangreserveanzeige kommt. Die Exklusivität hat allerdings ihren Preis: ca. 5000€ sind fällig…
Eckdaten zur automatically slow 03
- Swiss Made mit Schweizer Automatik GMT Uhrwerk (ETA 2893)
- 41mm breites, schwarzes Gehäuse aus Edelstahl mit silberner Lünette
- kratzfestes Saphirglas
- Gehäuserücken aus Glas mit Blick auf das Uhrwerk
- Bis 100 Meter wasserdicht (10 bar)
- Schwarzes italienisches Kalbslederband
- Zusätzliches braunes Austauschband