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Hallo liebe Uhrenfreunde! Als Uhrmacher bin ich tรคglich von der Prรคzision und Perfektion mechanischer Uhrwerke fasziniert. Jede Komponente, von der Federhausbrรผcke bis zur kleinsten Schraube, ist das Ergebnis jahrhundertelanger Innovation und lebenslanger Hingabe genialer Kรถpfe in diesem Bereich. In letzter Zeit hat jedoch die rasante Entwicklung der kรผnstlichen Intelligenz (KI) Fragen aufgeworfen: Kรถnnen Algorithmen eines Tages Uhrwerke designen, vielleicht sogar Komplikationen entwickeln, die unsere Vorstellungskraft รผbersteigen? Dieser Bericht soll die Mรถglichkeiten, Herausforderungen und Grenzen dieser Technologie aufzeigen und untersuchen, wie die Uhrmacherkunst von KI beeinflusst werden kรถnnte, ohne dabei ihre Seele zu verlieren.

[Beitrag von Leon Zihang,
Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com]
Leon Zihang Uhrmacher ChronoRestore

Kรผnstliche Intelligenz (KI) in der Uhrmacherei – ein Gedankenspiel

Ein mechanisches Uhrwerk ist ein Wunderwerk aus winzigen Zahnrรคdern, Hebeln und Federn, die perfekt aufeinander abgestimmt sind. Das Zusammenspiel dieser Elemente erfordert absolute Prรคzision, denn die geringsten Abweichungen kรถnnen die Ganggenauigkeit beeintrรคchtigen.

Die Hauptbestandteile eines Uhrwerks sind:

  • Das Federhaus: Es speichert Energie in der Aufzugsfeder und gibt sie kontinuierlich an das Rรคderwerk ab.
  • Das Rรคderwerk: Es รผbersetzt die Energie in eine prรคzise Drehbewegung. Hier spielen Toleranzen eine entscheidende Rolle. Zum Beispiel betrรคgt die Dicke eines Zahnradzapfens oft nur wenige Hundertstel Millimeter, was in mechanischen Normtabellen praktisch nicht ablesbar ist.
  • Die Hemmung: Sie reguliert den Ablauf des Rรคderwerks und erzeugt das charakteristische Tick-Tack der Uhr. Typische Hemmungen sind die Schweizer Ankerhemmung und die Co-Axial-Hemmung.
  • Die Unruh und Spirale: Dieses Schwingungssystem sorgt fรผr die Ganggenauigkeit. Ihre Frequenz liegt oft bei 28.800 Halbschwingungen pro Stunde (4 Hz), was einen Balanceakt zwischen Prรคzision und Energieverbrauch darstellt. Das Schwingsystem ist MaรŸgeblich fรผr die Ganggenauigkeit unserer Uhren.

In der Fertigung dieser Komponenten sind die MaรŸtoleranzen und Passungen so fein, dass sie selbst fรผr die prรคzisesten Maschinen eine Herausforderung darstellen. Wรคhrend mechanische Tabellenbรผcher Toleranzen im Mikrometerbereich definieren kรถnnen, bewegen sich viele Bauteile von Armbanduhrwerken im Bereich von wenigen Zehntel- bis Hundertstelmikrometern โ€“ ein Bereich, der weit รผber die Standardisierung hinausgeht. Da eine KI mit solchen standardisierten Informationen aus Bรผchern und dem Internet arbeitet, bezweifle ich, dass hier das Know-How und die Erfahrung der Uhrmacher geschlagen wird. Bei der Konstruktion von Uhren kann man nicht, wie bei anderen mechanischen Projekten, alles berechnen und aus Tabellenbรผchern ablesen. Hier wurden bestimmte Werte รผber โ€žtrial and errorโ€œ herausgefunden und bis heute angewendet. Welche GrรถรŸe die Spielpassungen der vielen und feinen Gleitlager besitzen mรผssen, findet man in keinem Tabellenbuch.

DALLยทE 2024 12 15 13.59.25 An intricate depiction of a traditional watchmaker's workshop merged with futuristic AI elements. The workshop features a craftsman meticulously assem

Allerdings hat die Kรผnstliche Intelligenz in den letzten Jahren beachtliche Fortschritte gemacht. In der Konstruktion kรถnnte KI durch maschinelles Lernen, Simulationen und Optimierungsalgorithmen eine neue ร„ra einleiten. Hier sind einige potenzielle Anwendungen.

Simulation und Optimierung von Mechanismen: Eine KI kann Millionen von Designs und Simulationen in kรผrzester Zeit durchfรผhren, um die Effizienz und Stabilitรคt eines Uhrwerks zu verbessern. Sie kรถnnte beispielsweise:

  • Den Energiefluss im Rรคderwerk analysieren und optimieren.
  • Die Resonanzfrequenz der Unruhspirale auf mikroskopischer Ebene berechnen.
  • Die Gangreserve erhรถhen, indem sie die Form der Aufzugsfeder und die รœbersetzung des Rรคderwerks optimiert.

Mit solchen Werkzeugen kรถnnten Uhrmacher in kรผrzerer Zeit auรŸergewรถhnliche Designs entwickeln.

Entwicklung neuer Komplikationen: Die โ€žKomplikationโ€œ beschreibt jede zusรคtzliche Funktion, die รผber die reine Zeitanzeige hinausgeht, wie Kalender, Mondphase oder Tourbillon. Wรคhrend die meisten Komplikationen historisch gewachsen sind, kรถnnte KI ganz neue Konzepte entwickeln. Denkbar wรคren:

  • Uhren, die sich an das Trageverhalten anpassen und ihre Ganggenauigkeit automatisch anpassen.
  • Komplikationen, die astrophysikalische Bewegungen noch prรคziser darstellen, etwa interplanetare Konstellationen.
  • Algorithmen, die mehrstufige Mechanismen fรผr mehrsprachige Ewige Kalender entwerfen, die automatisch auf regionale Feiertage reagieren.

Herstellung: Darรผber hinaus kรถnnte KI bei der Herstellung von Uhrwerken eine groรŸe Rolle spielen. Sie kรถnnte:

  • Fertigungstoleranzen in Echtzeit รผberwachen.
  • Mikroskopische Defekte erkennen, die das bloรŸe Auge oder traditionelle Werkzeuge รผbersehen wรผrden.
  • Vorschlรคge machen, wie Produktionsmethoden weiter verbessert werden kรถnnten.
Uhrmacherei und KI

Limitationen

Trotz dieser vielfรคltigen Mรถglichkeiten gibt es auch Grenzen, die nicht ignoriert werden kรถnnen. Der vielleicht wichtigste Punkt ist, dass mechanische Uhrwerke nicht nur von technischer Perfektion, sondern auch von kรผnstlerischer Gestaltung leben.

Ein Uhrmacher weiรŸ, dass sich manche Entscheidungen nicht aus Algorithmen ableiten lassen. Die Auswahl bestimmter Materialien oder die Feinabstimmung der Hemmung erfordert ein tiefes Verstรคndnis der Mechanik und oft auch eine Intuition, die รผber Daten und Berechnungen hinausgeht.

Beispiel: Die Hรถhenspiele zwischen den Wellen der Rรคder und den Lagersteinen sind so prรคzise, dass sie weniger durch Zahlen als durch das โ€žGefรผhlโ€œ fรผr die Mechanik definiert werden. Solche Feinheiten sind durch gefรผhllose Maschinen nicht zu ersetzen. Natรผrlich haben wir fรผr die Hรถhenspiele feste Werte erlernt und versuchen das berechnete Optimum natรผrlich auch einzuhalten, aber oft spielen so viele Einflรผsse in den Ablauf des Rรคderwerks mit ein, die bei der Berechnung vernachlรคssigt oder nicht mit eingerechnet wurden. Hier kann wieder nur die Erfahrung oder gerne auch mal eine Vermutung eines Uhrmachers weiterhelfen.

ร„sthetik und Tradition

Uhrwerke sind Kunstwerke, die Geschichte, Handwerkskunst und Designtradition vereinen. Eine von KI entwickelte Komplikation kรถnnte technisch perfekt sein, aber wรผrde sie die Emotionen ansprechen, die eine traditionelle Mondphasenanzeige oder ein handgraviertes Zifferblatt auslรถsen? Hier bleibt der Mensch unersetzlich.

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Kosten und Komplexitรคt

Die Entwicklung und Implementierung von KI-basierten Systemen ist teuer und zeitaufwendig. Die meisten Uhrenmanufakturen kรถnnten Schwierigkeiten haben, diese Technologien zu nutzen, ohne ihre Tradition und Identitรคt zu verlieren.

Dazu noch mal ein Beispiel aus dem Bereich Passungen und Toleranzen: Die Herstellung mechanischer Uhrwerke erfordert eine Prรคzision, die selbst fรผr fortschrittliche Fertigungsmethoden schwierig bleibt. Zum Beispiel betrรคgt die Breite eines Standard-Zahnradzahns oft nur 0,2 mm und die Zapfen der Rรคder werden auf Toleranzen von ยฑ0,01 mm gefertigt. Fรผr diese Dimensionen gibt es keine standardisierten Tabellen โ€“ hier kommt das Fachwissen der Uhrmacher zum Tragen

Die Passungen zwischen den Komponenten sind ebenfalls entscheidend. Die Lagersteine aus Rubinen mรผssen exakt zu den Zapfen der Rรคder passen, um Reibung und VerschleiรŸ zu minimieren. Gleichzeitig darf das Spiel nicht so groรŸ sein, dass die Stabilitรคt des ablaufenden Rรคderwerks leidet. Solche Anforderungen sind mit bloรŸen Zahlen oft nicht zu erfassen โ€“ sie erfordern eine Kombination aus Prรคzisionsmessung und handwerklicher Erfahrung. Da eine KI ihre Informationen nicht aus Erfahrungen, sondern aus Fakten und Tabellen nimmt, wird eine sinnvolle Konstruktion eines Uhrwerks immer unwahrscheinlicher.

Doch wie kรถnnte die Zukunft der Uhrmacherei aussehen, wenn KI ihre Rolle erweitert? Ich denke, dass die KI nicht als Ersatz, sondern als Werkzeug eingesetzt wird. Sie wird Uhrmacher dabei unterstรผtzen, noch prรคzisere und innovativere Designs zu schaffen, ohne die Seele des Handwerks zu verlieren. Die besten Ergebnisse werden aus einer Zusammenarbeit entstehen, bei der die KI Teile der technischen Optimierung รผbernimmt, wie die Analyse von Reibung, Energieรผbertragung und Materialverhalten. Fรผr solche Berechnungen und Simulationen bleibt die KI gegenรผber dem Menschen unglaublich schnell, genau und weitestgehend fehlerfrei.

Der Uhrmacher hingegen wird aber weiterhin die รคsthetische und emotionale Komponente beisteuern und sicherstellen, dass jede Uhr eine Geschichte erzรคhlt. Das ist es, was die Uhrmacherei im Luxussegment am Ende abrundet und die Uhren zu einem vollkommenen Produkt werden lรคsst.

Derzeit ist die Uhrenindustrie einfach ein zu kleiner Nischenmarkt, fรผr den die KIs noch einiges lernen mรผssen. Frรผher oder spรคter wird sich eine KI auch in diese Bereiche entwickeln. Der Uhrmacher wird aber, meiner Meinung nach, fรผr zumindest meine Generation noch unerlรคsslich bleiben.

Was denkt ihr zu dem Thema KI? Es ist ja ein doch oft umstrittenes Thema. Ich freue mich auf eure Rรผckmeldungen in den Kommentaren!

Bis zum nรคchsten Mal!

Euer Leon von ChronoRestore

Uhren Design und KI
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