Hallo liebe Chrononautix-Community, ich bin in meinen vorherigen Berichten teilweise sehr stark in die Tiefe der Uhrmacherei und den Gegebenheiten im Uhrwerk eingegangen. Heute mรถchte ich den Ball mal etwas flacher halten und auf den grundlegenden Kraftverlauf in einer mechanischen Armbanduhr eingehen…
[Beitrag von Leon Zihang, Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com] |
So funktioniert der Kraftverlauf bei einer mechanischen Uhr
Die Krone
Dafรผr beginne ich am besten ganz am Anfang: Die Krone. Sie ist bei einer einfachen mechanischen Armbanduhr die einzige Mรถglichkeit des Trรคgers in das Geschehen des Werkes einzugreifen. An der Krone ist nรคmlich die Aufzugwelle befestigt, die bis in das Werk hinein reicht. Wenn wir in der Grundstellung (Krone vollstรคndig ans Gehรคuse gedrรผckt) an der Krone drehen, betรคtigen wir den Aufzug (Abbildung 1).
Dabei wird die Drehbewegung der Krone (10) รผber die Aufzugwelle (9) in das Innere der Uhr weitergegeben. Auf der Aufzugwelle (9) befindet sich ein Vierkant, auf dem das Aufzugtrieb (7) sitzt. Dieses wird in der Grundstellung gegen das Aufzugrad (8) gedrรผckt und gibt die Drehbewegung der Aufzugwelle (9) an dieses รผber eine Sรคgeverzahnung weiter. Die Sรคgeverzahnung sorgt dafรผr, dass sich das Aufzugrad immer nur in eine Richtung mit dreht.
Wenn wir die Krone in die andere Richtung drehen, bleibt das Aufzugrad stehen. Das Aufzugrad (8) greift รผber einen 90 Grad Winkel in das Kronrad (15) ein, das die Drehung an das Sperrrad (16) weitergibt. Das Sperrrad sitzt auf einem Vierkant auf der Federhauswelle und dreht diese im Federhaus (20) selbst. Dabei wird in dem Federhaus die Zugfeder gespannt. Damit sich diese nicht sofort wieder entspannt und sich alle Rรคder bis zur Krone einfach wieder rรผckwรคrts drehen, wurde noch eine Sperrfeder (17) verbaut. Diese greift in die Verzahnung des Sperrrades (16) ein und verhindert eine Drehung entgegen der Aufzugsrichtung.
Federhaus als Energiespeicher
Mit diesem Mechanismus haben wir die Kraft in das Uhrwerk gebracht. Das Federhaus dient dabei als Energiespeicher. Weiter geht es also am Federhaus: Wir haben die Feder im Federhaus gespannt und die Federhauswelle wird รผber das Sperrrad sowie der Sperrfeder festgehalten. Die Zugfeder mรถchte sich aber wieder entspannen und zieht deshalb das Federhausgehรคuse hinter sich her. An diesem Gehรคuse befindet sich eine Verzahnung, die in das Rรคderwerk der Uhr eingreift.
Im einfachsten Fall besteht das Rรคderwerk aus dem Minutenrad, Kleinbodenrad, Sekundenrad und Hemmrad. Jedes Rad besitzt dabei eine Welle mit einem Trieb (kleines Zahnrad, das in die Welle gefrรคst wurde) und einer Radscheibe, die auf der Welle vernietet wurde. Die Rรคder des Rรคderwerks wurden so angeordnet, dass die Verzahnung des Federhauses in das Trieb des Minutenrades sowie die Verzahnung der Minutenradscheibe in die Verzahnung des Kleinbodenradtriebes (โฆ) usw. greift (siehe Abbildung 2). Die Drehbewegung des Federhauses wird also รผber vier weitere Rรคder weitergeleitet. Durch die Weitergabe der Drehung an die kleinen Zahnrรคder (Triebe) an den Wellen entsteht ein Getriebe. Das bedeutet, dass sich bei einer Umdrehung des Federhauses das Hemmrad einige hundert Male dreht.
Hemmung und Schwingsystem
Damit das Rรคderwerk beim Aufziehen der Uhr nicht einfach durchdreht, wurde die Hemmung verbaut. Die Hemmung besteht aus einem sogenannten Anker, greift in die Verzahnung des Hemmrades ein und blockiert dessen Drehung.
Zu guter Letzt gibt es dann noch das Schwingsystem (Abbildung 3) – das Herzstรผck und somit auch das empfindlichste Teil unserer Uhr. Das Schwingsystem wird in Schwingung versetzt und sorgt dafรผr, dass der Anker immer wieder in eine Art Wippbewegung versetzt wird. Jedes Mal, wenn das Schwingsystem durch seine Nulllage schwingt, greift es hinten in den Anker ein und bewegt diesen auf die andere Seite.
Dabei fรคllt das Hemmrad mit seiner Verzahnung von dem einen Arm des Ankers ab und wird nach einer kurzen Drehbewegung von dem anderen Arm des Ankers wieder angehalten. Durch das stรคndige Hin und Her-Schwingen des Schwingsystems darf sich das Rรคderwerk immer wieder um eine kleine Drehbewegung weiter bewegen und wird dann kurzzeitig wieder angehalten.
Wir haben nun also einen zeitlich regelbaren Ablauf des Getriebes geschaffen. Wenn das Zusammenspiel aus der Geschwindigkeit der Schwingungen des Schwingsystems und die einzelnen รbersetzungen in dem Getriebe passt, dann kรถnnen wir auf das Minutenrad einen Minutenzeiger aufstecken, da dieses Rad dann genau eine Umdrehung pro Stunde vollzieht. Genau wie der Minutenzeiger einer Uhr.
Das Zeigerwerk
Die Basis unserer Uhr ist geschaffen. Wir haben einen zeitlich geregelten Ablauf von Zahnrรคdern. Damit wir diesen auch sichtbar machen kรถnnen, benรถtigen wir das Zeigerwerk. Das Zeigerwerk hat die Aufgabe, die Drehbewegung des Minutenrades winkelgetreu in eine langsamere, zeitรคquivalente Drehbewegung umzuwandeln. Diese wird benรถtigt, um auch die Stunden anzeigen zu kรถnnen. Um dies zu ermรถglichen, wurde die Welle des Minutenrades aus dem Rรคderwerk etwas lรคnger gehalten und schaut nun aus dem Uhrwerk oben raus. Auf diese Welle wird nun ein Minutenrohr (Abbildung 4) aufgepresst.
Durch die formschlรผssige Verbindung dreht sich dieses also mit der gleichen Geschwindigkeit, wie das Minutenrad. Das Minutenrohr (1) gibt seine Drehbewegung an das Wechselrad (2) weiter. Dieses ist fest mit dem Wechselradtrieb (3) verbunden, welches in das Stundenrad (4) eingreift. Das Stundenrad wird dabei einfach auf das Minutenrohr aufgesteckt (Abbildung 5).
Das Zifferblatt wird dann รผber diese รผbereinander gesteckten Wellen des Minutenrades und Stundenrades gesetzt und auf diese Wellen werden wiederum die Zeiger aufgepresst. Fertig ist unsere zeitanzeigende Uhr mit zentraler Minuten- und Stundenanzeige. Wenn nun noch eine Sekundenanzeige gewรผnscht ist, muss man nur die Welle des Sekundenzeigers etwas lรคnger herstellen und eine weitere kleine Aussparung im Zifferblatt erstellen. Nun kann man eine weitere Welle auf dem Zifferblatt sehen. Wenn man nun noch einen kleinen Sekundenzeiger aufpresst, wurde eine kleine dezentrale Sekundenanzeige geschaffen.
Im Grunde genommen ist unsere Uhr schon fertig. Allerdings gibt es noch ein kleines Problem: Was machen wir, wenn die Uhr stehen bleibt und wir die Zeit neu einstellen mรผssen? Dies wird รผber eine Verbindung zwischen Aufzug und Zeigerwerk ermรถglicht. Anhand von Abbildung 6 und 7 mรถchte ich die wichtigen Bauteile hierfรผr nennen und den Kraftverlauf schildern. Um in die Zeigerstellung zu gelangen, mรผssen wir die Krone in ihre zweite Stellung ziehen. Die Rastposition hierfรผr entsteht รผbrigens durch das Zusammenspiel aus Winkelhebel (11) und Winkelhebelfeder (13).
Dabei wird der Winkelhebel (11), der in eine Nut in der Aufzugwelle (9) greift, ausgelenkt. Dieser Drรผckt gegen den Kupplungshebel (13). Der Kupplungshebel greift in eine Nut des Kupplungstriebes (8) und schiebt dieses auf dem Vierkant der Aufzugwelle (9) nach vorne. Dabei wird das Kupplungstrieb auรer Eingriff des Aufzugrades (8) und in den Eingriff mit dem ersten Zeigerstellrad (5) gebracht. Das erste Zeigerstellrad (5) befindet sich im direkten Eingriff mit dem zweiten Zeigerstellrad (6), welches dann in das Wechselrad (2) eingreift. Das Wechselrad ist, wie vorher schon beschrieben, im direkten Eingriff mit dem Minutenrohr (1) und dem Stundenrad (4). Durch die Drehung an der Krone, werden also alle Rรคder einschlieรlich Minutenrohr und Stundenrad in Drehung versetzt. Dies ist allerdings nur aufgrund der sogenannten Zeigerreibung mรถglich. Diese haben wir schon geschaffen, als wir das Minutenrohr auf die Welle des Minutenrades aufgepresst haben.
Diese darf nicht zu locker sein, da sich sonst die Zeiger schon bei kleinen Stรถรen verdrehen kรถnnten oder das Zeigerwerk gar nicht erst vom Minutenrad in Bewegung versetzt wird. Zu groร darf sie allerdings auch nicht sein, da sonst sie Zรคhne der kleinen Zeigerstellrรคder zu sehr belastet werden und eventuell abbrechen kรถnnen.
Das war auch schon das ganze โHexenwerkโ. Dies ist der einfachste Aufbau einer mechanischen Armbanduhr. Mittlerweile gibt es schon unzรคhlige unterschiedliche Varianten. Diese beginnen beim Aufbau der Zeigerreibung und des Aufzuges und gehen bis zu komplizierteren Abwandlungen mit zentraler Sekundenanzeige und anderen Komplikationen. Im Grunde bauen aber alle weiteren Komplikationen und Erweiterungen auf diesem grundlegenden Basiswerk auf.
Ich hoffe euch hat auch dieser Beitrag ein wenig mehr Verstรคndnis fรผr die Funktion des mechanischen Uhrwerks gegeben. Fรผr Fragen oder weitere Anregungen fรผr neue Beitrรคge bin ich offen! Schreibt hierfรผr einfach an Mario oder mich!
Vielen Dank!
Leon von ChronoRestore
Sehr schรถne und klare Darstellung! Vielen Dank.
Christian
Wirklich toll geschrieben, Leon! Nun trage ich schon ein halbes Leben ansehnliche mechanische Uhren und habe mich immer auch fรผr das Innenleben interessiert. Aber so ganz begriffen hatte ich es bisher nicht. Durch das Lesen Deiner mit viel Liebe und Sorgfalt geschriebenen Artikel รคndert dich das gerade. Man merkt, wie sehr es Dir darum geht, dem Leser die elementaren Wirkmechanismen begreiflich zu machen. Vielleicht machst Du mal aus all den tollen Artikeln ein Buch? Ich kรถnnte mir vorstellen, dass es ein Klassiker/Bestseller wird. Ich freue mich schon auf die nรคchsten Folgen (obwohl es noch einige frรผhere zum „Nacharbeiten“ fรผr mich gibt ๐ Nochmals vielen Dank, Leon, und weiterhin viel Erfolg!
Hey Andreas,
das freut mich sehr, dass ich dein technisches Interesse etwas bereichern kann! ๐
Das mit dem Buch ist eine wirklich gute Idee. Vielleicht werde ich ja doch noch ein Bestsellerautor. ๐๐
Vielen Dank fรผr dein Lob! Es werden bestimmt noch einige, fรผr dich interessante Beitrรคge, folgen.
LG
Leon von ChronoRestore