Frankophile Uhrenfreunde dürfen sich freuen: Die französische Uhrmacherei erlebt in den letzten Jahren eine echte Renaissance – eine von den noch relativ jungen Marken in der Grande Nation ist Start Your Engine (SYE), die sich (unmissverständlich) im Motorsport-Designdunstkreis bewegt. Und dieses Leitthema setzen die Franzosen – so viel vorweg – nicht nur mit wohldurchdachtem Design um, sondern auch mit einem coolen Bandwechsel-Feature mit hohem Spaßfaktor, das ich in der Form noch nirgends gesehen habe…
Eckdaten SYE MOT1ON Automatic 24:
- Made in France
- Japanisches Automatikkaliber 8217, 42 Stunden Gangreserve, 24-Stunden-Anzeige
- Saphirglas
- Durchmesser 40mm
- Höhe 13,4mm
- Wasserdichtigkeit 5 bar / 50 Meter
- Gehäuse aus Edelstahl mit “Fastback”-Bandwechselsystem
- Stahlband oder verschiedene Lederbandvarianten
- Listenpreis: ab 750€, direkt über syewatches.com
SYE MOT1ON Automatic 24 auf der Hebebühne
SYE kann man sicherlich als klassische Microbrand bezeichnen: Hinter der 2017 gegründeten, unabhängigen Marke steckt Arnaud Pézeron, der in seiner Vita unter anderem Stationen als Marketing Director bei Olympus verzeichnen kann. Über sein Uhrenblog-Projekt Montres Design konnte Arnaud über die Jahre einige Kontakte knüpfen und entschied sich daher irgendwann dazu, eine eigene Marke ins Leben zu rufen. Unterstützung holt sich Arnaud von einem erfahrenen Designer, einer Lederbandmanufaktur (dazu gleich mehr) und einem Grafiker, der die Motorsport-Illustrationen für den sehr coolen und professionellen Webauftritt von SYE gestaltet.
Wie für eine Microbrand üblich, findet die Produktion der SYE-Uhren über einen externen Dienstleister statt. Dass die Uhren dabei “Made in France” sind versteht sich für eine stolze Nation wie Frankreich von selbst: die Montage und der Service finden bei der in dritter Generation inhabergeführten Reparalux S.A.S. in Besançon in der Nähe der Schweizer Grenze statt. Bei historisch interessierten Uhrenfreunden macht es jetzt vielleicht klick: Besançon gilt als eine der wichtigsten Uhrenzentren Frankreichs. Insbesondere im 19. Jahrhundert wurde hier der Großteil der gesamten Uhrenproduktion Frankreichs abgewickelt.
Ich glaube ich habe noch nie eines meiner Reviews mit der Beleuchtung der Bänder gestartet – bei SYE drängt sich dies aber förmlich auf: Beim Auspacken des Modells MOT1ON Automatic 24 fand ich zunächst ein “Bastelset” vor, das direkt dazu einlädt das Bandsystem auszuprobieren und Berührungsängste abzubauen: Neben dem eigentlichen Uhren-“Korpus” befand sich in der Box separat liegend der Gehäusebodenaufsatz, ein kleines Werkzeug, eine große gebläute Schraube und (in einem separaten Schubfach) zwei Bänder.
Dahinter steckt folgendes: Unter dem Namen “Fastback” (deutsch: Schrägheck) hat SYE eine Art „Sandwich“-System ausgetüftelt, um den Bandwechsel durchzuführen. Konkret bedeutet das: Zunächst muss man nach dem Unboxing erstmal nur die jeweiligen Bandseiten an das Gehäuse andocken (für die nötige Stabilität bei den Lederbändern sorgt ein Edelstahl-Einsatz am Anstoß). Dann legt man den Gehäusebodenaufsatz auf. Anschließend muss man nur noch im Zentrum des Gehäusebodens die große gebläute Schraube eindrehen und dadurch den Gehäusebodenaufsatz fixieren – und zwar mit ein paar einfachen Drehungen des (beiliegenden) Werkzeugs.
All das geht wunderbar einfach von der Hand und der eine oder andere fühlt sich bei diesem System vielleicht in seine Kindheit mit Meccano-Bausätzen zurückversetzt, eine Marke für Konstruktionsspielzeug, das aus Metallteilen besteht, die mit Schrauben und Muttern verbunden werden, um verschiedene Modelle (typischerweise Rennwagen) zu kreieren.
Ich fand auf Anhieb, dass das SYE-System einen erfrischend anderen Ansatz mit hohem Spaßfaktor mitbringt. Das Bandwechselsystem bekommt durch eine üppige Auswahl an Bandoptionen außerdem konsequenterweise einen zusätzlichen Nutzen. Schade nur, dass noch keine Kautschukbänder zur Verfügung stehen – aktuell beschränkt sich die Auswahl auf Lederbänder in allen möglichen Formen und Farben (allesamt von der französischen Ledermanufaktur Jean Rousseau).
Das hier gezeigte blaue Band passt dabei perfekt zur Estoril-Farbvariante der MOT1ON 24 Automatic und auch die Qualität ist ganz hervorragend. Darüber hinaus steht ein passendes Stahlband zur Verfügung, das erstaunlicherweise den Preis der SYE MOT1ON um 50€ drückt (gegenüber der Lederbandvariante – normalerweise ist das eigentlich genau umgekehrt). Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass die Schließe des Stahlbandes mit seiner Tauchverlängerung und drei seitlichen Bohrungen zwecks Feinjustierung aus der Kategorie “Standard” ist – hier hätte dem Modell eine moderne, werkzeugfreie Feinjustierungsschließe wie beispielsweise von HEINRICH Watches gut gestanden. Die Haptik des Stahlbandes selbst ist aber recht ordentlich. In der Summe gewinnt das Modell am Lederband mit der standardmäßigen Faltschließe aber deutlich.
Der Clou ist außerdem, dass das Fastback-System für eine rundum sportlich-aerodynamische Silhouette des Gehäuses sorgt. Klassische Hörner sind also nicht an Bord. Das Design stammt dabei vom erfahrenen Uhrendesigner Ludovic Blanquer vom französischen Studio Berra Blanquer Design, der unter anderem auch für die Modelle Hautlence Vortex oder Louis Vuitton Tambour verantwortlich zeichnet.
Die Gestaltung des Gehäuses in dieser Form passt natürlich wunderbar zum Motorsport-Leitthema von SYE – Stichwort Aerodynamik: Durch geschickt gestaltete, abgerundete Karosserieteile kann im Motorsport der Luftwiderstand reduziert und der Anpressdruck erhöht werden, was insbesondere in Rennserien wie der Formel 1 oder bei Langstreckenrennen von großer Bedeutung ist. Dabei steckt der Teufel im Detail – Beispiel Porsche 919 Hybrid: In Silverstone ist das Loch am vorderen Radkasten unscheinbar glatt gekantet. In Le Mans ist es Richtung Reifen eingezogen. Auf dem Nürburgring hat es noch eine Lippe. Die aerodynamische Auslegung orientiert sich dabei an den besonderen Anforderungen der Rennstrecke – Beispiel Le Mans: Dort ist oftmals mehr aerodynamischer Anpressdruck gefordert, dafür ist geringer Luftwiderstand für die Höchstgeschwindigkeit weniger entscheidend. Mehr als zwanzig Aerodynamik-Ingenieure arbeiteten beispielsweise am Le-Mans-Prototyp 919 Hybrid.
Das Gehäuse der SYE MOT1ON Automatic 24 baut (sicherlich auch wegen des Bandwechselsystem) mit 13,4mm allerdings recht hoch. Vor dem Hintergrund hätte ich mir auch einen etwas größeren Durchmesser gewünscht, damit das Verhältnis von Durchmesser (eher kleinere 40mm) zu Höhe etwas stimmiger ist.
Das Zifferblatt der MOT1ON Automatic 24 ist grundsätzlich eher schlicht gehalten. Ins Auge stechen (neben der 24-Stunden-Anzeige – dazu gleich mehr) insbesondere die applizierten Stundenindizes und der auffällig hochgezogene Rehaut, der die Minuterie beherbergt und an Banden beim Motorsport erinnert.
Die hier vorgestellte Variante Estoril wurde nach dem Autódromo do Estoril benannt, eine Motorsport-Rennstrecke in der Nähe der portugiesischen Stadt Estoril, ca. 30 km westlich von Lissabon. Von 1984 bis 1996 wurde hier der Große Preis von Portugal der Formel 1 ausgetragen. Der hellblaue Farbton ist dabei sehr lebendig und erinnert an den Alpine A110, ein Sportwagen des französischen Autoherstellers Alpine, der von 1962 bis 1977 hergestellt wurde. Bemerkenswert am Zifferblatt ist der metallische Glanz in Verbindung mit einer fein vertikal gebürsteten Oberfläche, die den Blauton sehr stark von “Babyblau” bis hin zu Dunkelblau kippen lässt – je nachdem wie direkt der Lichteinfall ist. In den beiden Bildern unten wird der Effekt deutlich.
Dank des verbauten japanischen Motors, das auf +/- 10 Sekunden pro Tag feinregulierte Automatikkaliber 8217 mit 42 Stunden Gangreserve von Citizen-Miyota, bringt das Zifferblatt auch eine kleine Komplikation in Form einer 24-Std.-Anzeige auf “9 Uhr” mit, die dem ansonsten eher schlicht-funktionalen Blatt etwas mehr Tooligkeit einhaucht. Die Datumsscheibe auf “3 Uhr” ist zwar farblich nicht an das Zifferblatt angepasst, im Falle der MOT1ON Automatic 24 ist das aber kein Drama, da das Datum auf die Weise einen Gegenpol zur ebenfalls weißen 24-Stunden-Anzeige setzt.
24-Stunden-Anzeigen wurden ursprünglich übrigens für Menschen konstruiert, die den Unterschied zwischen Vormittag und Nachmittag nicht anhand der Umwelt ersehen konnten, zum Beispiel Besatzungsmitglieder von U-Booten oder Polarforscher. Auch bei den berühmten 24 Stunden von Le Mans auf dem “Circuit des la Sarthe”, bei denen jedes Jahr mehrere hunderttausend Menschen in das gleichnamige kleine Städtchen reisen, können die vier Fahrer pro Team sicherlich mal die Übersicht über den Tag verlieren – denn 24 Stunden sind lang, richtig lang: Wenn der Sieger eines F1-Grand-Prix nach rund zwei Stunden über die Zielgrade fährt, haben sich die Boliden in Le Mans gerade mal warmgefahren. Trotz hohen Tempos zählt bei den 24 Stunden von Le Mans daher Standfestigkeit vor Geschwindigkeit.
Abschließende Gedanken
Mal völlig unabhängig davon, dass ich es mehr als begrüßenswert finde, dass die traditionsreiche Uhrmacherei bei unseren französischen Nachbarn mit einigen Microbrands einen Aufwind bekommt – SYE im Speziellen trägt eine klare, eigenständige Marken-DNA und das Modell MOT1ON Automatic 24 ist bis zum Ende durchdacht (mit dem Fastback-System als Highlight). Und solch ein stringenter Auftritt ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit, insbesondere für eine noch junge Marke. Chapeau! Wenn ich nur einen Wunsch frei hätte, wäre es vor allem ein stärkerer “Motor” – das Miyota 8217 gilt zwar als robuster und zuverlässiger “Traktor”, ein Miyota-Kaliber aus der moderneren 9000er Reihe (z.B. Miyota 9100 mit geballter Ladung Komplikationen: Datum, Wochentag, Monat, Gangreserve) oder auch ein Schweizer Sellita-Kaliber wären mir persönlich aber lieber, auch, wenn das konsequenterweise einen Aufpreis bedeuten würde. In jedem Fall gilt: Ich freue mich sehr auf weitere Modelle von SYE!
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Oh wie geil, ein Politik Thread🤪.
Vielleicht kann man sich auf beiden Uferseiten daran erinnern, dass es hier um eine Uhr geht?
Zum vorgestellten Modell. Optisch ganz gefällig. Was andere aber innovativ nenennn, finde ich persönlich zu grobschlächtig, technisch.
Für mich ist die Lösung für den Bandwechsel und der vermeintlich optimierten Bandanstösse gar nichts.
Preislich aber durchaus interessant- zumindest für die, die Gefallen an Optik und Bandwechselsystem finden.
Die deutsche Arroganz gegenüber den Franzosen ist vollkommen unangebracht. ich habe 10 Jahre in Frankreich gearbeitet. Die Franzosen sind besser ausgebildet als die Deutschen. Sie haben ein leistungsorientiertes Schulsystem, wo man rausfliegt, wenn man nicht performt. Wenn man in eine bessere Schule will macht man die Vorbereitungsschule schon auch mal zweimal, um den erforderlichen Eintrittsnotenschnitt zu erreichen. In Deutschland wird die Schule mit sozialem Unsinn kaputtgemacht und wir wundern uns dann, dass wir keine Arbeitsmoral (siehe Handelsblattartikel von heute, 13.3.2024) und keine qualifizierten Arbeitskräfte haben. Inzwischen wird in Deutschland auch mehr gestreikt als in Frankreich. Die Franzosen hatten immer schon sehr innovative Techniker. Carl Benz wurde aus seiner eigenen Firma hinausgeworfen, weil er sich weigerte, die Autos vom Kettenantrieb auf Kardanantrieb umzukonstruieren. Und wo kam der her: von RENAULT. Der Doppelwinkel im Logo von Citroen kam von einer französischen Erfindung (Monsieur Citroen), der die damals jaulenden Getriebe mit einer selbstausgleichenden Schrägverzahnung ruhig stellte. Das müssen sie heutzutage mal in Deutschland versuchen zu fertigen. Sie werden keinen finden. Usw., usw.
Die Franzosen…. Traue ich denen in Sachen Technik eigentlich über einen Camembert und Wein hinaus kaum etwas zu, ist das hier tatsächlich mal interessant. Und da sie sich inzwischen selber ganz gut kennen, wird hier kein Werkmurks produziert (Grüße an Yema und das hauseigene Kaliber), sondern ins Regal gegriffen.
Dafür wird gemacht, womit sich der Franzose auskennt: Hübsche Äußerlichkeiten. Schicke Uhr, mit einem raffinierten Bandwechselsystem. Bevorzuge ich selber eher diese Wechselsteg-Dinger oder Druckknopftechnik vom Panerai, ist das System hier auf jeden Fall innovativ. Gut, das war der Wankelmotor auch…
Nee, ernsthaft, schickes Ding, neugierig machendes Review – I am tempted…
Werter Lord Cort
Den Franzosen dürfen Sie ruhig etwas mehr als weichen Käse zutrauen.
Deren TGV funktioniert im Gegensatz zum ICE hervorragend und hat immer wieder Rekorde eingefahren.
Zusammen mit den Briten bauten sie einen Passagier Überschallflieger, der nie wegen Konstruktionsmängel abgestürzt ist.
Und in der Formel 1 steht es im Motorenbau unentschieden zwischen Renault und Mercedes. Beide haben wie Cosworth je 23 Titel und sind somit hinter Ferrari.
Citroen erfand den Vorderrad Antrieb.