YouTube ist voll von Videos, die vollmundig “Rolex-Killer” von dieser oder jener Marke anpreisen. Um Klicks zu erhaschen wird auch gerne mal eine 100€-Seiko zur Rolex-Alternative hochstilisiert (die Seiko mag ein noch so tolles Preis-Leistungs-Verhältnis haben, aber der Vergleich ist *pardon* einfach völlig beknackt).
Hinter solchen Überschriften steckt im Prinzip aber etwas, das Uhrenfreunde sicher kennen: Was macht man eigentlich, wenn man eine bestimmte Uhr haben will, man sich diese aber nicht leisten oder einfach nicht bekommen kann (Stichwort: Wartelisten bei Modellen von Marken wie Rolex, Audemars, Patek & Co.)?
Zum einen kann man das natürlich auch einfach akzeptieren, dass beispielsweise eine Rolex zum aktuellen Zeitpunkt finanziell nicht machbar ist (egal, ob zum Listenpreis oder zum Grauhändlerpreis, der sich beispielsweise bei beliebten Rolex-Modellen wie Daytona oder GMT-Master II nach wie vor deutlich über Liste bewegt) oder, dass man einfach irrwitzig lange auf ein bestimmtes Rolex-Modell warten muss.
Häufig ist aber zu beobachten, dass Uhrenfreunde günstigere bzw. “erreichbarere” Alternativen in Erwägung zu ziehen, wenn es mit der Uhr, in die man sich eigentlich verguckt hat, nicht klappt. Was dann nach ein paar Tagen, Wochen oder Monaten passiert, ist ziemlich vorhersehbar: Was dann im Nachgang, also nach dem Kauf sehr wahrscheinlich passiert, ist eine sogenannte kognitive Dissonanz: Leon Festingers Theorie der kognitiven Dissonanz beschreibt, wie Menschen Unbehagen empfinden, wenn ihre Überzeugungen (ich will Uhr X) und ihr Verhalten (ich kaufe Alternativ-Uhr Y) nicht übereinstimmen. Diese entstehen sehr oft, wenn die betrachteten Alternativen sowohl Vorteile (Alternativ-Uhr ist günstiger und ohne Warteliste erwerbbar) als auch Nachteile haben (Uhr ist eigentlich etwas zu groß und hat ein schlechteres Kaliber). Dies führt zu einem kognitiven Konflikt für den Entscheider. Kurz gesagt: Man bereut den Kauf.
Wenn man beispielsweise Hardcore-Fans der Erfolgsserie Magnum ist und sich in die Rolex GMT-Master 16750 am Handgelenk des Protagonisten Tom Selleck in seiner Rolle als Privatdetektiv Thomas Sullivan Magnum IV verliebt hat, reicht es einfach nicht aus, statt auf eine Rolex-Krone Tag für Tag auf irgendein anderes Markenlogo zu schauen.
Höher, weiter, besser?
Wenn man sich ein Lehrbuch über rationales Urteilen, Denken oder Verhalten schnappt, so wird man schnell über allgemeingültige Aussagen darüber stolpern, dass gute Entscheidungen den Regeln der Logik, den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitstheorie oder der Maximierung des erwarteten Nutzens folgen. Wenn man davon abweicht, so urteile man irrational – so jedenfalls der Tenor.
Das Bemühen, sich und seine Welt zu verbessern, ist anthropologisch-universal. In diese Bresche schlägt auch ein bekannter Psychologe: Die sogenannte Take-the-best-Heuristik ist eine mentale Strategie zur Entscheidungsfindung zwischen bekannten Alternativen. Der Begriff wurde durch Gerd Gigerenzer in den 1990er Jahren geprägt. Nach der Take-the-best-Heuristik wird zur Entscheidungsfindung eine Rangfolge der relevanten Eigenschaften angelegt. Dann werden die Alternativen sequentiell absteigend – in einem „einfachen Entscheidungsbaum“, beginnend beim wichtigsten Merkmal – verglichen, bis ein Merkmal einen relevanten Unterschied aufweist.
So viel zur Theorie und zur optimalen Vorgehensweise. Doch wie schaut’s im Alltag aus? Hand auf’s Herz: Schaut man sich immer jede Alternative genau an, denkt man immer über alle möglichen Konsequenzen nach und schätzt deren Wahrscheinlichkeiten und Nutzen sorgfältig ab? Hierzu ein besonders spannendes Beispiel: Ökonomen haben festgestellt, dass viele von uns bei besonders wichtigen Entscheidungen nach besonders wenig Information suchen: Nach den vorliegenden Statistiken haben beispielsweise etwa 75 % aller heute 50- bis 60 jährigen US-Amerikaner die erste (!) Frau ihres Lebens geheiratet.
Nun ist der Kauf einer hochpreisigen Uhr in der Regel sicher einiges, aber in der Regel ganz sicher kein rationaler Kauf (ähnlich wie sich die Suche nach einem Ehepartner verhält; Ausnahmen wie Leute, die es nur auf Wertsteigerungen abgesehen haben und Uhren ungetragen im Schließfach parken, bestätigen die Regel). Denn, wenn man eines ganz sicher nicht braucht, dann ist es eine Dreizeigertaucheruhr für viele Tausend Euro – eine günstige Digitaluhr oder eine Smartwatch kann einfach so viel mehr für so viel weniger Geld. Wenn ich mich aber emotional (bewusst oder unterbewusst) auf eine Rolex Submariner “eingeschossen” habe, wäre es schlicht und ergreifend Geldverbrennerei, wenn ich mir stattdessen beispielsweise eine Tudor Blay Bay kaufe (auch, wenn die Tudor Black Bay eine geniale Uhr ist und nüchtern betrachtet vielleicht auch das bessere Preis-Leistungs-Verhältnis mitbringt – falls man bei Luxusuhren überhaupt von Preis-Leistungs-Verhältnis sprechen kann). Gleichzeitig kann man natürlich sagen, dass man im günstigeren Einsteigerbereich rund um Seiko, Hommagen von Steinhart & Co. in absoluten Geldwerten nicht viel verbrennt: Als “Übergangslösung” können solche Uhren daher selbstverständlich Spaß am Handgelenk bringen – aber aller Voraussicht nach nicht als echte, nachhaltige Alternative.
Wie denkt ihr über das Thema? Habt ihr auch schon die Erfahrung gemacht, dass ihr den Kauf einer Alternativ-Uhr bereut habt? Hinterlasst gerne unten einen Kommentar!
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Moin Mario,
ich habe es getestet und bin zu dem Fazit gekommen, dass diese “Alternativuhren” nichts für mich sind. Der letzte Versuch war mit GRUPPO GAMMA. Einzig die ROLEX Ex 1 39mm Hommage von TISELL, die 9015 darf bleiben. Die hat irgendwie was und läuft mit ihrem Miyota 90S5 irre präzise.
LG, Frank
Es war vor mehr als vierzig Jahren, irgendwann Anfang der Achtziger, als ich mir eine neue Uhr gekauft habe. Sehr preiswert, weil ich noch Auszubildender war, natürlich Quartz, weil das alle hatten und eine „Taucheruhr“, weil ich die seit Kindertagen ganz toll fand. Es war eine Pulsar mit rot-blauer Lünette, 100m Water Resist. Also höchstens zum Händewaschen geeignet. Ein Jahr später stand ich im Urlaub vor dem Schaufenster eines Juweliers in Dänemark und habe bald einen Schlag bekommen. Da lag die Uhr, die meiner Pulsar sehr ähnlich war, nur komplett in Schwarz. Es war Liebe auf den ersten Blick. Es war natürlich eine Submariner, mit und ohne Datum. Von dem Moment an war mir völlig klar, daß ich diese Uhr unbedingt haben wollte. Aber Rolex war schon damals teuer und ich als Berufsanfänger hatte natürlich nicht genug Geld, auch zum Sparen blieb nie genug übrig. Die Submariner Date war aber früher, wenn man das mit dem heftigen Preisanstieg seit damals vergleicht, geradezu lächerlich günstig und in dem Bereich, wo sich Beträge noch ansparen lassen könnten.
Die Pulsar hat tatsächlich fast dreißig Jahre lang die von ihr verlangten Dienste verrichtet, nämlich ziemlich genau die Zeit anzuzeigen, dazu das Datum und den Wochentag. Die Wende in meinem Denken und Verlangen brachte vor bald zwanzig Jahren ein Bummel durch die Kölner Mittelstraße, wo ein Juwelier zwei gebrauchte Submariner zum überschaubaren Preis im Fenster hatte. Ich verstecke meine Pulsar in der Hosentasche, betrat den Laden und suggerierte Kaufinteresse. Die Ernüchterung kam schlagartig. Ich war schon immer ein kräftiges Kerlchen, und die Submariner mit ihren 40mm Durchmesser sah an meinem Handgelenk mit 22cm Umfang aus wie ein Spielzeug. Und damit war der Bart ab.
Später hat mich dann eine Gigandet 300 Sea Ground mit 43 mm Durchmesser getröstet, tolle Hommage, aber mit sehr bescheidenem Uhrwerk. Das NH35 ist eher ein Schätzeisen und ich habe keine Lust, jeden Tag die Uhr zu stellen. Grandios finde ich auch die Steinhart Ocean One mit Keramiklünette mit einem SW-200 elaboré, da stimmt dann auch die Ganggenauigkeit.
Dabei habe ich festgestellt, daß mir das Design der Submariner so gut gefällt und ich mit den Hommagen weitestgehend zufrieden bin. Selbst eine Davosa Ternos Professional, mit 1000€ noch bezahlbar, musste es dann nicht mehr sein.
Der langen Rede wenig Sinn: Natürlich schaue ich mir hin und wieder mal eine Submariner Date an, im Netz oder im Schaufenster, sie ist ja inzwischen auch etwas gewachsen, auch wäre ich nicht böse, wenn sie mein eigen wäre, aber die inzwischen extrem überzogenen und ziemlich durchgeknallten Preise sind ja wohl völlig daneben. Selbst, wenn ich mir so eine Uhr leisten könnte, alternativ auch gerne die Omega Speedmaster mit Saphirglas, würde ich mich sehr scheußlich fühlen und mich schämen, ein Vermögen am Arm zu tragen, wo es so unglaublich viel Not gibt und Menschen eher Hilfe brauchen als ich eine irrwitzig teure Uhr. Aber diese Einstellung ist selbstverständlich mein Privatvergnügen.
Das in einem anderen Kommentar angesprochene „Machtgefühl“ mit einer Rolex oder anderen Super-Luxusuhren mag es unter Umständen geben, kann ich aber für mich nicht im Entferntesten nachvollziehen. Aber sicherlich gibt es diese Klientel komplexbehafteter Zeitgenossen, die ihre gefühlte Minderwertigkeit mit Autos, Uhren und was weiß ich noch aufpeppen wollen. Aber das ist mir zu arm. Wer keine Persönlichkeit hat, wird sie auch nicht durch die teuersten Uhren bekommen.
P.S. Die Tudor Pelagos (eigentlich auch eine Rolex und eng mit der Submariner verwandt) gefällt mir ausnehmend gut, aber diese hässlichen und unförmigen Zeiger gehen leider gar nicht (auf der Uhr schon, bei mir nicht).
P.PS. Inzwischen trage ich die meiste Zeit gar keine Uhr mehr. Weil ich es nicht mehr brauche. Und das ist für mich der allergrößte Luxus.
ich habe mir die tudor black bay gmt in pepsi gekauft, trage sie sogar gerade – aber nicht, weil ich die rolex haben wollte, sondern weil sie mir gefällt, sogar besser als die rolex.
eine seiko platona ist bestellt, weil ich sie witzig finde und auch nicht, weil mir die daytona gut gefällt, oder ich eine besitzen will.
eigentlich gibt es nur 2 rolex modelle, die mir gefallen und die ich kaufen will – explorer II in weiss und yachtmaster in grau.
bei diesen modellen werde ich bestimmt auf keine hommagen zurück greifen, da gebe ich dir absolut recht:
es wäre unbefriedigend hiervon ein duplikat zu besitzen!
Ein sehr unterhaltsamer Artikel, welcher mir viel Freude gemacht hat. Danke dafür.
Habe mich an einigen Stelle selbst erkannt.
Hallo zusammen,
ich habe mir eine Rolex Milgauss direkt nach deren Erscheinen gegönnt. Nicht weil ich sie toll finde, oder um sie zu tragen, sondern als Wertanlage. Den Hype um Rolex kann ich absolut nicht nachvollziehen. Die Ticker sind einfach nur teuer!
Im Alltag trage ich Uhren, die mir gefallen, da spielt der Preis eine untergeordnete Rolle. Momentan ist die Steel Man GMT von Aquatico meine Lieblingsuhr. https://www.aquaticowatch.com/de-at/collections/gmt-watch. Die Uhr ist für meinen Geschmack sehr schick, ganggenau und mit 373,58 € plus Einfuhrumsatzssteuer und Zoll auch bezahlbar.
LG, Georg
Hi Mario. Mit dem Schlusssatz, „…aber aller Voraussicht nach nicht als echte, nachhaltige Alternative.“, fängt das Dilemma bekanntlich an.
Was ist eine echte, nachhaltige Alternative- das Original?
Und was macht, mal abgesehen vom Storytelling, historische, manchmal allzu weit hergeholte Bezüge zum Original (unabhängig vom Hersteller), dieses neuzeitliche Original aus?
Ist es nicht ausschließlich das Marketing, dass uns seit dem Windeln tragen bis ins kauffähige Alter begleitet, sich bei uns im Kopf festsetzt?
Ich denke, das in der aktuellen Zeit ungleich mehr der spekulative Aspekt bei den von Dir zuvor genannten Marken im Text eine wesentliche Rolle spielt.
Etwas zu besitzen, was der andere schwerlich bekommen kann, wenn es auch nur eine Daytona von Rolex ist, gibt dem Besitzer ein Gefühl von Macht. Der Käufer darf sich zu den „Auserwählten“ zählen.
Auch wenn der Käufer die Uhr nicht verkaufen will (der Spekulationsgedanke nicht vordergründig ist), so bleibt das vermittelte Gefühl, besonders zu sein.
Man besitzt etwas, das vielen anderen Personen ein Leben lang verwehrt bleibt.
Schafft man es auf Interessentenseite diese Gedanken, etwas haben zu wollen, weil andere es haben, damit u.a. auch Geld im Rahmen von Spekulation zu generieren, zu ignorieren, dann schafft man es auch, Marken ein Stück weit neutraler zu betrachten.
Es muss ja nicht immer Schwarz und Weiß sein. Original vs. Homage. Fällt der Gedanke erst einmal weg, „ er/sie/es kann sich das Original nicht leisten, kommt nicht dran“ dann macht auch eine andere Marke viel Freude, egal wie stark eine Marke ist.
Uhren zu kaufen weil sie einem gefallen, weil man das Kleingeld übrig hat, macht viel Freude. Persönlich versuche ich dem Hype der Marken zu widerstehen. Erfolgreich seit einigen Jahren. Das heißt nicht, das ich nicht auch eine Rolex (DJ41) etc.habe.
Diese eine Uhr des Herstellers Rolex reicht mir aber, andere persönliche Präferenzen waren für den Kauf relevant, nicht der Name😉.
Analog gilt das auch für AP, VC etc.
Nur eine PP besitze ich nicht, na und?!
Zur Statistik Lebenspartnerschaft, da fällt mir nur ein, vertraue nur der Statistik die du selbst gefälscht hast, frei nach Winston Churchill.
Zur abschließenden Frage.
Ich kaufe keine Alternativuhr. Ich kaufe die Uhr, die meinen Kriterien und meinem Portemonnaie entspricht. Auch kaufe ich nicht zum Listenpreis, egal wie gehypt eine Marke, oder ein Modell ist. Wenn ich sie dann nicht bekomme, ist es mir egal.
So einfach kann das „Uhren“ Leben sein.😉
Grüsse
Lars
Hallo Mario,
ich gebe Dir vollkommen recht: Fast immer ist der Kauf einer Luxusuhr (das gilt sinngemäß auch für bestimmte Urlausziele, Konzertkarten, Lebensmittel, Smartphones und andere Elektonikartikel, … ) keine rationale, das heißt emotionslos abwägende, Entscheidung. Ich glaube, dass viele Käuferinnen und Käufer von Luxusuhren sich dessen allerdings gar nicht bewusst sind. Absurderweise argumentiert, so ist meine Erfahrung, einer großer Teil von ihnen, wenn man nach dem Grund ihrer Kaufentscheidung fragt, mit der akribischen Aufzählung von gerade funktionellen Argumenten (Wasserdichtigkeit, Qualität von Gehäuse und Glas, Ganggenauigkeit, Gangreserve, …). Sind sie sich jedoch bewusst, dass der Kauf einer Luxusuhr eine emotionale Entscheidung, die unter Umständen durch geschicktes Marketing und emotionsgeladene Werbung begünstigt wird, ist, so kann der Erwerb einer Alternativuhr kein “Verbrennen von Geld = rationale Handlunng” sein.
Es wäre im Übrigen gut, wenn Du in Deinen Blogbeiträgen, auch wenn sie keine akademische Masterarbeit sind, sämtliche Quellen die Du wörtlich oder dem Sinn nach zitierst, als Entlehnungen durch Setzen eines Links kenntlich machen würdest. Ich bin an einer Stelle wörtlich bei einem Wikipedia Eintrag und an einer anderen bei einem Redeskript von Gerd Gigerenzer gelandet. Ich nehme an, dass Du die Quellenangaben im Eifer des Schreibens einfach vergessen hast.
Hi Konrad, danke für deinen Kommentar. Herr Gigerenzers Dokument ist aber bereits verlinkt.
Stimmt, hatte ich übersehen! Wie gesagt: Der Blog ist keine Masterarbeit. Trotzdem ist auch in „diesem Internet“ Transparenz eine gute Sache!