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Hallo liebe Chrononautix-Leser! Im letzten Technik-Bericht habe ich euch die Funktionsweise der Schweizer Palettenankerhemmung nรคhergebracht. Heute mรถchte ich euch noch weiter mit den Arbeiten eines Uhrmachers an der Hemmung vertraut machen. Da die Hemmung eine der einflussreichsten Elemente der Uhr fรผr den Gang darstellt, ist hier hรถchste Sauberkeit und Perfektion gefordert. AuรŸerdem ist die Hemmung das Glied, dass die Drehbewegung aus dem Rรคderwerk in eine โ€žWippโ€œ-Bewegung und danach wieder in eine oszillierende (schwingende) Bewegung umwandelt.

Aufgrund der Komplexitรคt der Hemmung mรผssen bei einer Revision dementsprechend viele Einstellungen รผberprรผft und notfalls korrigiert werden:

  1. Hรถhenspiel und Seitenspiel des Ankers und des Hemmrades
  2. Ankerhรถhe (Eingriffshรถhe der Paletten des Ankers zum Hemmrad)
  3. Gabel- und Messermitte
  4. Zugwinkel
  5. Ruhe
  6. Verlorener Weg/Nachfall
  7. Fall
  8. Hebung an der Palette und Hebung am Hemmradzahn
  9. Eingriff der Ellipse in die Ankergabel
[Beitrag von Leon Zihang,
Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com]
Leon Zihang Uhrmacher ChronoRestore

Hรถhenspiel und Seitenspiel des Ankers und des Hemmrades

Damit sich das Hemmrad und der Anker bewegen kรถnnen, mรผssen die Lagerzapfen ein Spiel (Beweglichkeit) in den Lagerlรถchern der Rubinlager aufweisen. Dieses Spiel wird unterteilt in das Hรถhen- und Seitenspiel. Das Hรถhenspiel ist die GrรถรŸe der Bewegung, die die Bauteile haben, wenn man sie nach unten und nach oben bewegt. Das Seitenspiel beschreibt die seitliche Neigungsmรถglichkeit der Bauteile. Wรคhrend das Seitenspiel so klein wie mรถglich sein soll, gibt es fรผr das Hรถhenspiel genaue Empfehlungen.

Hรถhenspiele:    

  • Hemmrad            2-3/100 mm
  • Anker                  1-2/100 mm

Nun denkt ihr vermutlich, dass man das ja gar nicht messen kann. Das stimmt. Es gibt noch kein Verfahren, wie man dieses Hรถhenspiele wirklich messen kann. Wir Uhrmacher haben dies in der Ausbildung mehrere hundert Male kontrolliert und eingestellt. Somit kรถnnen wir aus den Erfahrungswerten unserer Ausbilder nach Gefรผhl sagen, wie viele Hundertstel Millimeter Hรถhenspiel gerade eingestellt sind. Sollten die Hรถhenspiele nicht passen, mรผssen die Rubinlager in der Platine bzw. den Brรผcken verschoben werden. Hierfรผr wird ein Steinpressapparat mit Mikrometerschraube wie aus Abbildung 1 verwendet.

Ankerhรถhe

Als nรคchstes muss รผberprรผft werden, ob die Ankerhรถhe passt. Das Hemmrad ist in seiner Hรถhe fest auf der Welle befestigt, da es fest vernietet ist. Der Anker wurde allerdings nur auf seine Welle aufgepresst und kann somit nach unten und nach oben verschoben werden. Da der Anker in die Verzahnung des Hemmrades eingreift, mรผssen die Hemmradzรคhne genau mittig auf die Ankerpaletten wie in Abbildung 2 treffen. Wenn dies nicht der Fall ist, muss der Anker mit dem gleichen Apparat aus Abbildung 1 auf seiner Welle verschoben werden.

Gabel und Messermitte

Um diese zu prรผfen, wird der Anker gegen eine der Ankerbegrenzungen gefรผhrt. Nun wird geprรผft, ob der Abstand des Messers und der Abstand der Gabelschnittecke der Ankergabel zum Zentrum des Unruhlagers gleich groรŸ ist, wenn der Anker abwechselnd an beiden Ankerbegrenzungen angelegt wird. So wird getestet, ob sich das Sicherheitsmesser mittig in der Ankergabel befindet und ob der Ankerstil verbogen ist (Abbildung 3). Das Sicherheitsmesser kann verdreht und somit mittig gerichtet werden, den Ankerstil, sollte man aber nicht versuchen zu richten. Dies ist ohne den Anker zu beschรคdigen, nahezu unmรถglich. Hier sollte man lieber auf einen neuen Anker zurรผckgreifen. Mit dieser Prรผfung wir gleichzeitig die Vorarbeit fรผr die Prรผfung des Hรถrnerspiels und des Messerspiels getรคtigt. Mit dieser Prรผfung kรถnnen wir nรคmlich ausschlieรŸen, dass der Ankerstil verbogen ist.

Zugwinkel

Als nรคchstes รผberprรผfen wir den Zugwinkel. Der Zugwinkel ist eine Sicherung. Er zieht den Anker, nach dem der Hemmradzahn auf die Palette gefallen ist, in den Bereich des Nachfalls und gegen die Ankerbegrenzung. Wรคhrend die Unruh in ihrem Ergรคnzungsbogen schwingt, sorgt der richtige Zugwinkel dafรผr, dass der Anker an der Ankerbegrenzung festgehalten wird und nicht zurรผck gegen das Schwingsystem kippt. Jede Berรผhrung des Ankers mit dem Schwingsystem wรผrde zu einer Stรถrung der Schwingung und damit zu einer Stรถrung der Ganggenauigkeit fรผhren. Der Zugwinkel wurde konstruktiv festgelegt und es muss nur geprรผft werden, ob er vorhanden ist. Wenn dies nicht der Fall ist, dann muss zuerst der Anker und/oder das Hemmrad getauscht werden. Denn in diesem Fall ist irgendetwas verbogen. In Abbildung 4 erkennt man, welcher Winkel gemeint ist. Durch den Druck, den das Hemmrad auf die Ankerpalette ausรผbt, wird die Palette konstruktiv bedingt in den Zahngrund des Hemmrades hineingeschoben. Beim Prรผfen geht man wie folgt vor: Man zieht die Uhr einige Kronenumdrehungen auf und bewegt den Anker langsam von seiner Ankerbegrenzung weg. Wenn der nรคchste Hemmradzahn auf die zweite Palette des Ankers auftrifft, dann lรคsst man den Anker los und er muss selbstรคndig den Rest des Weges bis zur Ankerbegrenzung hingezogen werden. Von dieser Position aus kann man den Anker auch leicht von der Ankerbegrenzung wegziehen und wenn er dann selbstรคndig wieder zur Begrenzung zurรผck gezogen wird, dann ist der Zugwinkel vorhanden und funktionsfรคhig. Diese Prรผfung muss man an mehreren Zรคhnen des Hemmrades durchfรผhren.

Die Ruhe

Die Ruhe ist die GrundgrรถรŸe der Hemmung und beschreibt die Eingriffstiefe zwischen der Ruhekante der Palette und der Ruheecke des Hemmradzahnes, beim Anfallen des Hemmradzahnes an die Palette. Diese Eingriffstiefe ist abhรคngig von der Stellung der Paletten in der Ankerklaue. Durch das sichere Fallen des Hemmradzahnes auf Ruhe wird eine sofort wiederbeginnende Hebung verhindert. Hier wรผrde der Anker wieder in die andere Richtung geworfen werden und somit wรผrde der Anker wieder Kontakt mit dem im Ergรคnzungsbogen befindlichen Schwingsystem aufnehmen und die Schwingung stรถren.

Trotz dieser Sicherungsfunktion sollte die Ruhe so klein wie mรถglich sein, aber gleichzeitig so groรŸ, dass jeder Hemmradzahn sicher auf der Ruheflรคche der Palette anfรคllt. Die Ruhe ist konstruktiv bedingt auf beiden Seiten des Ankers gleich groรŸ und kann durch das Rein- und Rausschieben in den Ankerklauen vergrรถรŸert oder verkleinert werden. Mit der Verรคnderung der Ruhe werden auch fast alle anderen HemmungsgrรถรŸen beeinflusst. Ein VergleichsmaรŸ fรผr eine zum Uhrwerk passende Ruhe ist die Impulsflรคche der Palette. Bei einfachen Uhren betrรคgt die Ruhe ca. 1/3 der Impulsflรคche. Bei guten Uhren 1/4 und bei hochwertigen Uhren ca. 1/5 der Impulsflรคche. In Abbildung 5 sind drei unterschiedliche GrรถรŸen der Ruhe zu sehen und vor allem auch wie knapp und schwer erkennbar das ganze bei einer sehr kleinen Ruhe wird.

Zum Prรผfen der Ruhe wird der Anker mit einem Prรผfstift so lange zur anderen Ankerbegrenzung gefรผhrt, bis der Hemmradzahn an der gewรผnschten Palette anfรคllt. Genau an diesem Punkt muss man den Anker festhalten und die GrรถรŸe der Ruhe betrachten. Diese GrรถรŸe muss man sich merken und mit der GrรถรŸe der Ruhe auf der anderen Ankerseite vergleichen. Hier ist wichtig, dass jeder Hemmradzahn geprรผft wird und auch immer vom gleichen Hemmradzahn die Ruhe verglichen wird. Jeder Zahn muss an beiden Ankerpaletten immer sicher auf Ruhe fallen.

Der verlorene Weg/Nachfall

Durch den Nachfall wird gewรคhrleistet, dass nach dem Anfallen des Hemmradzahnes auf die Ruheflรคche der Ankerpalette zwischen dem Anker und der Ankerbegrenzung noch etwas Platz ist (Abbildung 6). Dies ermรถglicht dem Anker sich nach dem Fall des Hemmradzahnes noch weiter in Richtung der Ankerbegrenzung zu bewegen und durch den Zugwinkel mit der Palette noch weiter in den Zahngrund zu rutschen. Dieser Nachfall wird benรถtigt, da bei der Fertigung des Hemmrades leichte Toleranzen entstehen, die das Hemmrad leicht unrund laufen lassen. Somit kann es kรผrzere und auch weiter in den Anker eingreifende Zรคhne geben. Um diese Unwucht auszugleichen, benรถtigen wir den Nachfall. Ohne diesen Nachfall wรผrde ein weiter in den Anker hineinragender Zahn dafรผr sorgen, dass der Anker blockiert wird und sich das Hemmrad nicht mehr weiterdrehen kann.

Den Nachfall prรผfen wir genauso wie die Ruhe, nur dass wir nicht mehr betrachten, wo der Hemmradzahn auf die Ruheflรคche trifft, sondern welchen Weg der Hemmradzahn auf der Ruheflรคche der Palette zurรผcklegt, bis der Anker an seiner Ankerbegrenzung anstรถรŸt. Dieser Nachfall wird auch wieder am gleichen Hemmradzahn auf beiden Ankerpaletten geprรผft. Wichtig ist: Er muss auf beiden Seiten absolut gleich groรŸ sein, denn sonst wรผrde die in die Ankergabel hineinschwingende Unruh auf beiden Seiten unterschiedlich stark abgebremst werden. Dies wรผrde zu ungleichen Halbschwingungen und damit zu einem unregelmรครŸigen Gang fรผhren. Falls der Nachfall auf beiden Seiten nicht gleich sein sollte, kann dieser durch das Schieben der Paletten und damit die Verรคnderung der Ruhe eingestellt werden. Dies wรผrde fรผr diesen Bericht aber zu sehr in die Tiefe gehen, weshalb ich darauf nicht mehr eingehen werde.

Der Fall

Der Fall spielt in der Palettenankerhemmung eine untergeordnete Rolle. Er beschreibt einfach nur das Abrutschen eines Hemmradzahnes von der einen Palette bis zum Auftreffen eines anderen Hemmradzahnes auf der anderen Ankerpalette. Im Endeffekt also die sichtbare ruckartige Weiterdrehung des Hemmrades. Er muss nicht gleich groรŸ sein, sondern muss einfach nur an jedem Zahn und auf beiden Seiten des Ankers sicher vorhanden sein. Die GrรถรŸe des Falls wird zwar auch durch das Schieben der Paletten beeinflusst, wird aber nur im absoluten Notfall extra angepasst. In fast allen Fรคllen ergibt er sich einfach aus den anderen Einstellungen wie der Ruhe und dem Nachfall. Da er nur sicher vorhanden sein muss spielt dessen GrรถรŸe fรผr die Prรผfung auch keine Rolle. In Abbildung 7 kann man noch die Unterscheidung aus innerem und รคuรŸerem Fall sehen.

Hebung an der Palette und am Hemmradzahn

Wรคhrend der Hebung wird die Kraft vom Hemmrad รผber den Anker an das Schwingsystem รผbertragen. Im ersten Teil gleitet die Ruheecke des Hemmradzahnes รผber die Impulsflรคche der Palette (Hebung an der Palette). Im zweiten Teil gleitet die Abfallkante der Palette รผber die Hebeflรคche des Zahnes (Hebung am Hemmradzahn). Die GrรถรŸe der Hebung wird also durch die GrรถรŸen der Impulsflรคchen konstruktiv festgelegt und kann von uns Uhrmachern nicht mehr verรคndert werden. Bei der Kontrolle kรถnnen wir also nur รผberprรผfen, ob die รœbergรคnge zwischen den Hebeflรคchen problemlos ablaufen. Um die Reibung der Hemmung zu minimieren, findet sowohl auf den Hebeflรคchen (Ruheecke des Hemmradzahnes auf der Hebeflรคche der Palette und Abfallkante der Palette รผber die Hebeflรคche des Hemmradzahnes), als auch im Kontakt der Ankergabel mit dem Schwingsystem, nur eine Punktberรผhrung statt.

Eingriff der Ellipse in die Ankergabel

Zu guter Letzt mรผssen wir auch noch den Eingriff der Ellipse bzw. des Hebelsteins mit der Ankergabel kontrollieren. Der Hebelstein ist dabei unter dem Unruhreif am Schwingsystem befestigt und wirft den Anker durch die Schwingung der Unruh hin und her. Hier muss zuallererst die Hรถhe der beiden Eingriffe betrachtet werden. Hier muss die Ellipse sicher in die Ankergabel eingreifen, darf aber nicht das Messer berรผhren (Abbildung 8).

Da die Hรถhe des Ankers bereits mit dem Hemmrad abgestimmt wurde, ist dies nur รผber das Hรถhenspiel des Schwingsystems mรถglich. Weiterhin mรผssen die Hรถrnerspiele und das Messerspiel geprรผft werden. Diese mรผssen auf beiden Seiten sicher vorhanden und gleich groรŸ sein. Diese Sicherheitselemente sind sehr wichtig, damit die Unruh auch nach Schlรคgen und Erschรผtterungen noch sicher mit dem Hebelstein in die Gabel des Ankers einschwingen kann.

Das Hรถrnerspiel wird in minimales und maximales Hรถrnerspiel unterschieden und bezeichnet das Spiel zwischen dem Gabelhorn des Ankers und der Ellipse des Schwingsystems im Moment des Ausschwingens aus dem Anker (Abbildung 9).

Das Messerspiel dient zur Sicherheit wรคhrend des Ergรคnzungsbogens des Schwingsystems, damit der Anker nicht ungewollt auf die andere Seite der Unruh umspringen kann (Abbildung 10). Mit der Prรผfung der Gabelschnittluft erhรคlt man zusรคtzliche Gewissheit, dass die Ellipse sich nicht in der Ankergabel verkeilen kann.

Fazit

Wie man sieht, ist es bei einer ordentlichen Arbeit keinem Uhrmacher vergรถnnt einfach nur ein bisschen Uhren-ร–l an die Hemmung zu tropfen und zu hoffen, dass dann am Ende alles reibungslos funktioniert. Viele meinen, dass sich bei der Hemmung im normalen Betrieb diese Einstellungen nicht verstellen kรถnnen und somit auch nicht รผberprรผft werden. Auch in meinen noch jungen Jahren als Uhrmacher habe ich allerdings schon einige Uhren gesehen, bei denen sich diese Einstellungen verstellt haben. Erst nach der Korrektur dieser Einstellungen konnten wieder gute Gangergebnisse erreicht werden. Ich hoffe, dass euch dieser tiefe Einblick in die wichtigste Baugruppe der Uhr nicht รผberfordert hat. Mir hat es jedenfalls wieder viel SpaรŸ gemacht dieses Wissen mit euch zu teilen und freue mich natรผrlich jederzeit wieder รผber weitere Themenvorschlรคge oder Fragen von euch!

Bis Bald!

Euer Leon von ChronoRestore

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