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Die Herkunftsangabe Swiss Made ist im Bereich Uhren weit verbreitet. Schaut man sich aber die Details zu Swiss Made an, so wird schnell klar, dass der Begriff so dehnbar bzw. lasch ist, dass die hohe Uhrmacherkunst (Haute Horlogerie) bei weitem nicht berücksichtigt wird. Genau das tut aber das Genfer Siegel.

Dazu ein kurzer Blick in die Geschichte: Sehr früh arbeiteten Uhrmacher daran, einen guten Ruf hinsichtlich hoher Produktqualität aufzubauen – Marketing quasi, auch, wenn es den Begriff damals logischerweise noch nicht gab. Natürlich kann man darüber streiten woran man die Qualität einer Uhr festmachen kann – und natürlich gibt es darauf keine allgemeingültige Antwort. Dies hat zur Schaffung verschiedener Zertifizierungen geführt, die sich mit verschiedenen Qualitätsaspekten befassen. So wurde beispielsweise anno 1973 die COSC (Contrôle Officiel Suisse des Chronomètres) gegründet, um besonders ganggenaue Werke auszuzeichnen.

Aus einer anderen Perspektive wurde 1886 das Genfer Siegel (auch: Genfer Punze oder im Französischen Poinçon de Genève) geschaffen, das sehr viel restriktiver als Swiss Made ist und breit angelegte Qualitätsstandards für die Herstellung von Uhrwerken definierte, vor allem in Bezug auf Ästhetik, also die Veredelung und Dekoration. Gleichzeitig ging es darum, die Genfer Hersteller zu schützen, da diese Zertifizierung Uhren aus dem Kanton Genf vorbehalten ist. Schauen wir mal genauer hin…

Genfer Siegel / Genfer Punze (Poinçon de Genève)

Die Anfänge: Trittbrettfahrer als Auslöser

Ende des 19. Jahrhunderts machten die Genfer Uhrenexporte mehr als ein Drittel des Wertes aller Schweizer Exporte aus. Die jährliche Produktion überstieg eine Millionen Stück. Zu dieser Entwicklung trug auch die Gründung der Ecole d’Horlogerie (Uhrmacherschule) im Jahr 1823 bei, die den weltweiten Ruf Genfs für Exzellenz in der Branche festigte.

Die Genfer Dominanz wurde jedoch ab Anfang der 1880er Jahre zunehmend durch Industrialisierungstendenzen im Uhrenmarkt bedroht. Auch in den Provinzen Bern und Neuenburg, wo große Uhrenhersteller wie Omega und Zenith ein enormes Wachstum verzeichneten, verschärften den Wettbewerb.

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Der zunehmenden Konkurrenz begegneten die Genfer Uhrmacher (Les Cabinotiers) mit noch höheren Qualitätsstandards und Handwerkskunst. Um die Qualität zu schützen, begannen die Genfer Uhrmacher damit den Namen ihrer Stadt auf ihre Uhrwerke zu gravieren. Allerdings gab es auch viele Fälle von Trittbrettfahrern, in denen “Made in Geneva” als Herkunftsangabe missbräuchlich verwendet wurde.

Eine kleine Gruppe von Uhrmachern gründete 1873 als Reaktion auf diese Situation die Union des Horlogers. Fünf Jahre später entwickelte sie sich zur Société des Horlogers de Genève (Genfer Gesellschaft der Uhrmacher) – im Wesentlichen ein Handelsverband, der sich der Konservierung des Wissens im Uhrmacherhandwerk verschrieben hat. Die Uhrmacher betrieben in diesem Rahmen auch fleißig Lobbyarbeit – darauf aufbauend verabschiedete Ende 1886 das Kanton Genf das Gesetz über die freiwillige Kontrolle von Uhren, das strenge Anforderungen an in Genf hergestellte Uhren sowie das Zertifizierungssiegel Poinçon de Genève (Genfer Punze*) vorschrieb. Jeder, der Siegel oder Zertifikate nachahmt, fälscht oder verfälscht, wurde mit den geltenden Strafen des Strafgesetzbuches bestraft.

Das erste punzierte Stück stammt aus Ende 1887 und wurde von C. Dégallier à Gèneve hergestellt, einem Uhrmacher mit Sitz in der Rue de la Coratterie, der zwischen 1870 und 1926 tätig war. Auch Vacheron Constantin und Patek Philippe gehört zu den ersten Manufakturen, die von dem prestigeträchtigen Label profitierten. Fun Fact am Rande: Um die Prüfungen im Rahmen der Genfer Punze durchzuführen, wurden nur neutrale Mitarbeiter zugelassen bzw. vereidigt, die aus Genf kamen.

Das Symbol der Punze stellt dabei auf stilisierte Art und Weise Fahne und Wappen des Kantons und der Stadt Genf dar, nämlich in der linken Hälfte einen halben schwarzen Adler mit Krone (Symbol der Kaiserstadt), und in der rechten Hälfte der Schlüssel des Heiligen Petrus, um das Himmelreich zu öffnen.

* Eine Punze (auch: Punzierung) ist im Allgemeinen eine Markierung, die auf einem Edelmetallobjekt (z.B. Silberschmuck) angebracht wird und seine Reinheit bescheinigt sowie andere Informationen wie Seriennummer, Prüfzeichen einer amtlichen Behörde oder Herstellungsjahr beinhalten kann (die Untersuchung von Punzierungen, die im Laufe der Jahrhunderte auf Uhrengehäusen verwendet wurden, ist ein sehr großes Thema für sich)

Die Kriterien für das Genfer Siegel heute

Das Genfer Siegel befindet sich auf Uhrwerken, die zwei Arten von Anforderungen erfüllen: Einer ist logischerweise der Standort im Sinne eines Ursprungszeugnises – Produktion, Zusammenbau und Regulierung des Uhrwerks dürfen ausschließlich auf dem Genfer Kantonsterritorium stattfinden. Punkt.

Die zweite Anforderung betrifft die Qualität – und hier wird es nun deutlich komplexer: Neben naheliegenden allgemeine Funktionstests, Wasserdichtigkeit, Ganggenauigkeit und Gangreserve werden durch das Genfer Siegel Konstruktion, Fertigung und Feinbearbeitung, vor allem Oberflächenbearbeitungen, auf unfassbar akribische Art und Weise vorgeschrieben. Manche von den Vorschriften sind zwar echte Nobrainer: So wird die Verwendung von Kunststoff-Komponenten kategorisch ausgeschlossen. Manche von den Vorschriften sind aber selbst für Hardcore-Uhren-Nerds nicht unbedingt logisch nachvollziehbar, sondern spiegeln vor allem die klassische Handwerkskunst im Uhrenhandwerk wider. Auch bestimmte Konstruktionsmerkmale bei der Mechanik müssen erfüllt werden, so ist beispielsweise die Verwendung von Drahtfedern verboten.

Hier ein paar weitere Beispiele, die zeigen wie detailliert die Anforderungen beschrieben sind:

  • Für die Räder und sogar die Juwelen/Steine wird genaustens die Bearbeitung vorgeschrieben. Kreuzung, Nabe und Felge der Räder müssen beispielsweise abgeschrägt sein. Für Scheiben mit einer Dicke von bis zu 0,15 [mm] ist eine einzelne Fase zulässig.
  • Schraubenköpfe müssen poliert oder kreisförmig mit abgeschrägten Kanten und Schlitzen sein.
  • Die Oberseiten der Brücken müssen mit Genfer Streifen oder einer anderen Dekoration versehen sein, die Bearbeitungsspuren beseitigt.

Bilder unten jeweils vorher/nachher bzw. unerlaubt/erlaubt:

Genfer Siegel und die Rolle von Timelab

Der Kanton Genf, das bis heute für das Genfer Siegel verantwortlich ist, delegiert die wesentlichen Aufgaben an die privatrechtliche Stiftung Timelab – das Genfer Laboratorium für Uhrmacherei und Mikrotechnik.

Das Timelab-Büro Poinçon de Genève erfüllt dabei die Rolle des Exekutivorgans: Durch seine Zulassungs-, Zertifizierungs- und Auditeinheiten überwacht es ständig die Anwendung der Kriterien des Genfer Siegels in jeder Phase der Herstellung eines Zeitmessers.

  1. Zunächst muss eine Marke für das Genfer Siegel grundsätzlich akkreditiert sein und dafür beispielsweise die Markenstrategie und das Produktionsvolumen offenlegen.
  2. Das Uhrwerk, die Zusatzmodule und die äußeren Komponenten der Uhr müssen zunächst von einem technischen Komitee von Timelab genehmigt werden.
  3. Im Rahmen einer zweiwöchigen Prüfung muss der Hersteller stets die Pläne, Komponenten und Werke bei Timelab einreichen. Das gilt auch für extern zugelieferte Bauteile.
  4. Um die Zertifizierung zu erhalten, prüft Timelab außerdem, dass das Bewerberunternehmen im Kanton Genf registriert ist, wo auch die Montage inkl. Einschalen des Uhrwerks und etwaiger zusätzlicher mechanischer Module, die Reglage sowie die Inspektion der eingehausten Uhr durchgeführt worden sein müssen.
  5. Audits, die die Einhaltung aller Regeln überwachen, finden beispielsweise (ohne Vorankündigung) mindestens 12 mal pro Jahr statt.

Die Regeln für das Genfer Siegel wurden über die Jahrzehnte immer wieder angepasst, um den Entwicklungen in der Uhrmacherei gerecht zu werden. Zuletzt kündigte Timelab anno 2011 die Überarbeitung des (damals) 125 Jahre alten Siegels an: Die Qualitätskontrollen sollten sich nicht mehr nur auf die Endbearbeitung des Uhrwerks beschränken, sondern die gesamte Uhr umfassen. Nach der neuen Regelung müssen auch Komponenten, die das Uhrwerk mit dem Gehäuse und dem Zifferblatt verbinden (z.B. Klemmen) gemäß den Kriterien für Uhrwerkskomponenten hergestellt werden. Diese neuen Kriterien traten am 1. Juni 2012 in Kraft. Unverändert ist, dass die mechanischen Uhrwerke und ggf. die zusätzlichen Module (zum Beispiel Kalenderwerke) im Kanton Genf montiert, justiert und eingeschalt worden sein müssen.

Diese Uhrenmanufaktur verwenden das Genfer Siegel

Das Genfer Siegel ist heute nicht mehr so weit verbreitet wie in der Vergangenheit. Einer der größten Nutzer war Patek Philippe, der das damals als “zu lasch” erachtete Siegel 2009 für sein eigenes internes Patek Philippe Siegel aufgab. Die Rolex SA, die bekanntermaßen ihr Headquarter ebenfalls in Genf hat, hat das Siegel nie verwendet.

Spannend ist aber, dass die 2012 in Kraft getretenen Änderungen am Genfer Siegel (siehe oben) wohl durch die Entscheidung von Patek Philippe angestoßen wurden: Das drei Jahre vorher eingeführte, hauseigene Patek Philippe-Siegel umfasste nämlich nicht nur Veredelungsstandards für das Uhrwerk, sondern für die gesamte Uhr – etwas, das beim Genfer Siegel erst nach dem Weggang von Patek nachträglich hinzugekommen ist.

Nur wenige Uhren erhalten heute das Genfer Siegel, vor allem im Vergleich zum weit verbreiteten Swiss Made-Label.

Der prominenteste Nutzer des Genfer Siegels ist sicherlich Vacheron Constantin. Die 1755 gegründete Manufaktur, die ein überschaubares Produktionsvolumen von unter 25.000 Uhren pro Jahr hat, verwendet das Siegel sehr dezent auf dem Gehäuseboden und auf der Platine der Kaliber:

Louis Vuitton ist da schon deutlich anders unterwegs und stellt das Genfer Siegel quasi ins Schaufenster: Das Modell Voyager Flying Tourbillon Poinçon de Genève Plique-à-Jour trägt den Hinweis auf das Siegel nicht nur im Namen – auf dem Emaille-Zifferblatt bei 9 Uhr ist außerdem eine Lücke gelassen worden, um den Poinçon de Genève auf der Vorderseite zur Geltung zu bringen.

Zu den Manufakturen, die Uhren mit Genfer Siegel bauen oder gebaut haben, gehören:

  • Vacheron Constantin
  • Cartier
  • Chopard
  • Roger Dubuis
  • Louis Vuitton
  • Ateliers de Monaco
  • Gérald Genta
  • DeWitt
  • Antoine Preziuso
  • Daniel Roth

Abschließende Gedanken

Natürlich beinhaltet die Qualitätszertifizierung stets eine Marketingdimension. Aber die Produktion einer Uhr, welche die Rahmenbedingungen des Genfer Siegels erfüllt, ist wie wir gesehen haben, überaus aufwendig – das Genfer Siegel garantiert in dem Sinne uhrmacherische Handwerkskunst par excellence. Die Qualitätssicherungsmaßnahmen und Audits von Timelab sorgen außerdem dafür, dass das auch so bleibt.

Abschließender Tipp: Jeder Zeitmesser mit dem Gütesiegel von Genf wird von einem einzeln nummerierten Ursprungszeugnis begleitet, das bescheinigt, dass er alle Kriterien des Genfer Siegels erfüllt hat. Dieses Zertifikat enthält den Namen des Herstellers, die Referenznummer der Uhr und des Uhrwerks sowie die Seriennummern des Gehäuses und des Uhrwerks. Über Eine Seite des Poinçon de Genève (poincondegeneve.ch) lässt sich die Authentizität einer Uhr mit Genfer Siegel überprüfen.

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Maximilian
1 Monat zurück

Was die Ganggenauigkeit angeht, ist das doch wohl ein Witz? 1 Minute in einer Woche Veränderung?
Kein Wunder, dass PP da weg ist. Staune nur über VC. Welche Abweichung sichern die denn für ihre heiß begehrte und hoch spekulierte Overseas zu?