Hallo liebe Uhrenfreunde! Vor kurzem war ich auf einem Community Treff von den Youtubern Flomp89 und Watchmaxe. Hier durfte ich den anwesenden Uhrenfreunden ein paar interessante Informationen mitgeben. An diesem Nachmittag hatte ich meine Zeitwaage (Abbildung 1: Witschi Watch Expert 4) und das Entmagnetisiergerรคt (Abbildung 2: Antimag 2) dabei, damit wir die Gangwerte der Besucher mal etwas genauer unter die Lupe nehmen konnten. ๐
Dort ist mir aufgefallen, dass immer wieder รคhnliche Fragen zu den Zeitwaagenwerten gestellt wurden und nicht wirklich klar war, was die einzelnen Werte der Zeitwaage bedeuten. Deshalb mรถchte ich heute mal wieder zurรผck zu den Grundlagen gehen und euch die Anzeigen und Werte, die eine Zeitwaage ausgibt, nรคherbringen.
Tipp: Dieses Thema behandeln Uhrmacher Leon und ich auch im ChronoBros-Livestream!
[Beitrag von Leon Zihang, Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com] |
Witschi Watch Expert 4: Mit dieser Zeitwaage arbeitet der Profi
Die in Abbildung 1 unten sichtbare Zeitwaage besitzt ein recht groรes Touchdisplay und die Vorrichtung, in die die Uhr eingespannt ist, ist im Grunde genommen nichts anderes als ein Mikrofon.
Dieses Mikrofon nimmt, einfach gesagt, das Tick Tack unserer Uhr auf. Wenn man bei dem Tick Tack etwas genauer hinhรถrt, handelt es sich dabei um genau 5 Schlรคge/Tรถne, die von der Zeitwaage erfasst werden (Abbildung 3).
Diese Schlรคge kann man einfach unterteilen (Abbildung 4):
1. Schlag: Die Unruh schwingt in die Ankergabel ein und schlรคgt gegen den Anker.
2. Schlag: Das Hemmrad rutscht mit seinem Zahn von der Ruheflรคche der Ankerpalette ab und schlรคgt gegen die Hebeflรคche der Ankerpalette.
3. Schlag: Der Anker schlรคgt um und schlรคgt von hinten gegen den Hebelstein der Unruh (In dieser Phase wird dem Schwingsystem auch seine Kraft zugefรผhrt).
4. Schlag: Das Hemmrad dreht sich um einen Zahn weiter und schlรคgt gegen die zweite Palette des Ankers.
5. Schlag: Der Anker kommt in seiner Endlage an und schlรคgt gegen seine Endposition
Diese fรผnf Schlรคge werden von dem Mikrofon der Zeitwaage erfasst und der zeitliche Abstand zwischen diesen Schlรคgen gemessen. Daraus werden dann alle Werte wie Amplitude, Gangabweichung und Abfallfehler berechnet (dazu gleich mehr).
In Abbildung 5 findet ihr einen Screenshot eines solchen Bildschirms einer Zeitwaage in dem ich einige Werte eingerahmt und nummeriert habe, welche ich nun etwas nรคher erรถrtern mรถchte.
[ 1 ] Gangabweichung (Englisch: โRateโ):
Ganz oben Links im Eck (Feld 1) findet ihr die Angabe der Gangabweichung mit der Einheit โSekunden pro Tagโ (โs/dโ). In unserem Fall betrรคgt die derzeitige Abweichung -0,4 s/d. Das bedeutet, dass diese Uhr in diesem Zustand in 24 Stunden ca. 0,4 Sekunden nach gehen wird. Aber Obacht! Das ist eine Momentaufnahme. รber diese genannten 24 Stunden kรถnnen wieder viele รคuรere, als auch innere Einflรผsse wie die รnderung der Temperatur oder das Nachlassen der Federspannung, den Gang verรคndern. Die Zeitwaage ist und bleibt ein Werkzeug zur groben Reglage fรผr uns Uhrmacher. Die eigentliche Reglage wird dann in der Endkontrolle รผberprรผft und notfalls korrigiert. Mehr zu den stรถrenden Einflรผssen auf den Gang einer mechanischen Armbanduhr findet ihr in dem Bericht: Stรถรe, Temperaturschwankungen & Co.: Stรถrfaktoren fรผr die Gangwerte einer mechanischen Uhr [Teil 1] und Stรถrfaktoren fรผr die Gangwerte einer mechanischen Uhr: die Kompensation [Teil 2].
Der Gang kann entweder รผber die Verschiebung des Rรผckers am Schwingsystem oder durch die Verรคnderung der Masseverteilung reguliert werden. Fรผr die Verรคnderung der Masseverteilung kรถnnen Masseschrauben an der Unruh ein- und ausgedreht werden. Somit verschiebt sich die Masse ins Zentrum oder nach auรen. Wie eine Balletttรคnzerin dreht sich die Unruh dann schneller oder langsamer. Mehr zur Reglage von mechanischen Armbanduhren findet ihr in diesem Beitrag: Reglage: Ganggenauigkeit einer Automatikuhr einstellen โ der Uhrmacher als Herzchirurg
[ 2 ] Abfallfehler (Englisch: โBeat Errorโ):
Den Abfallfehler findet Ihr im Feld 2 der Abbildung 5. Dieser wird in ms (Millisekunden) angegeben. Der Abfallfehler wirft bei euch vermutlich die meisten Fragen auf. Deshalb muss ich hier etwas weiter ausholen. Im Idealfall sollten die Lagerstellen des Hemmrades, Ankers und Schwingsystem bei den meisten Uhrwerken in einer Linie Liegen (Abbildung 6).
Wenn sich der Hebelstein des Ankers in der Ruhestellung auch genau auf dieser Linie befindet, dann zeigt die Zeitwaage als Abfallfehler 0,0 an. Sobald dieser aber minimal abweicht, wird ein Abfallfehler abweichend von 0,0 angezeigt. Ist dies der Fall, bedeutet das, dass die Schwingung in eine Richtung grรถรer ist als in die andere. Dies sorgt wieder fรผr Unregelmรครigkeiten in der Schwingung des Schwingsystems und kann somit Einfluss auf den Gang haben. Der Abfallfehler kann รผber Verdrehen des Klรถtzchentrรคgers am Schwingsystem eingestellt werden, weil hier einfach die komplette Spirale mit Schwingsystem unter dem Unruhkloben verdreht wird und somit der Hebelstein, der sich unten an der Unruh befindet, in die Flucht von Unruhlager, Ankerlager und Hemmradlager gebracht werden kann.
Leider gibt es beim Abfallfehler keinen positiven oder negativen Wert. Man muss also erstmal ausprobieren in welche Richtung der Klรถtzchentrรคger verschoben werden muss. Bei Unruhkloben mit festem Klรถtzchentrรคger mรผsste das Schwingsystem vom Werk abgeschraubt werden und die Spirale auf der Unruhwelle verdreht werden, damit sich unter der nicht verschiebbaren Spirale die Unruh mit dem Hebelstein verdrehen kann.
In der Praxis sollte der Abfallfehler im Durchschnitt von allen 6 Lagen der Uhr bei maximal 0,3 liegen. Dies ist auch recht oft mรถglich. Der Abfallfehler kann aber durch eine schlechte Lage der Spirale beeinflusst werden. Wurde also schon oft oder schlecht an der Spirale gearbeitet, so kann es zu einem grรถรeren Abfallfehler fรผhren. Gerade bei recht alten Uhren kann es schonmal vorkommen, dass man den Abfallfehler bewusst abweichend von 0,0 stellt, damit die Uhr einen ordentlichen Gang aufweist. Meiner Erfahrung nach ist der Wert von maximal 0,3 eine Orientierung und darf abweichen, wenn es dem Gang zu Gute kommt. Dies kann aber wieder andere Probleme mit sich bringen, die erst beim kompletten Ablauf der Uhr ersichtlich werden. Man sollte also immer einen mรถglichst kleinen Abfallfehler anstreben, aber wie gesagt, ist er nicht entscheidend um einen guten Gang zu ermรถglichen.
[ 3 ] [ 4 ] Schlagzahl und Hebungswinkel:
Weiter unten am Display der Zeitwaage in Feld 3 von Abbildung 5 findet man die Schwingungszahl. Diese wird in b/h (โbeats per hourโ oder auf Deutsch โHalbschwingungen pro Stundeโ) angegeben. Wenn der Modus der Zeitwaage auf โAutomatischโ steht wird diese Schlagzahl von der Zeitwaage automatisch erkannt.
Der daneben liegende Hebungswinkel im Feld 4 von Abbildung 5 beschreibt den Winkelbereich, in dem die Hebung stattfindet. Also der Anteil der Schwingung, in dem das Schwingsystem im Eingriff mit dem Anker steht. Dieser Hebungswinkel ist konstruktiv bedingt und muss von Uhrwerk zu Uhrwerk vom Uhrmacher eingestellt werden. Dieser steht meist in der technischen Dokumentation der Werke.
[ 5 ] Amplitude:
Der richtige Hebewinkel ist wichtig, damit die Zeitwaage die richtige Amplitude berechnen kann. Wie oben erwรคhnt, nimmt die Zeitwaage nur die zeitlichen Abstรคnde zwischen den einzelnen Schlรคgen der Hemmung auf. Mit diesen Zeiten und dem dabei zurรผckgelegten Weg, also dem richtig angegebenen Hebewinkel, wird die Amplitude des Schwingsystems berechnet und im Feld 5 von Abbildung 5 angezeigt. Nur wenn der richtige Hebewinkel angegeben ist, kann die richtige Amplitude berechnet werden. Die Amplitude sollte bei neuen Uhren in den Zifferblattlagen (Zifferblatt oben, Zifferblatt unten) im Bereich zwischen 270ยฐ bis 310ยฐ liegen.
Wenn die Amplitude darunter liegt, ist das kein Weltuntergang, aber damit kรผndigt sich oft eine benรถtigte Revision an oder das Uhrwerk ist einfach schon etwas รคlter und der Verschleiร nagt etwas an den Teilen. Grรถรer als 320ยฐ sollte die Amplitude aber nicht werden, da sich das Schwingsystem in diesem Fall schon so weit dreht, dass der Hebelstein schon fast eine komplette Umdrehung ausgefรผhrt hat und somit schon fast von der anderen Seite gegen den Anker schlรคgt. Dieses Phรคnomen nennt man โPrellenโ. Im schlimmsten Fall hat das Schwingsystem so viel Schwung, dass es sich selbst den Hebelstein abschlรคgt, weil es von der falschen Seite gegen den Anker schwingt.
Wenn man die Uhr in die Hรคngelagen, also Krone oben, unten, links und rechts bewegt, darf die Amplitude bei neuen Werken um ca. 30ยฐ bis 40ยฐ abfallen. Beim Einschalten einer Chronofunktion, zum Beispiel, darf aufgrund der zusรคtzlichen Belastung des Basiswerks die Amplitude auch um ca. 30ยฐ bis 40ยฐ abfallen.
Alle hier angegebenen Werte sind wieder nur theoretische Werte und sollten zur Orientierung dienen. In der Praxis sieht das oft anders aus und sehr alte Uhren kรถnnen selbst mit neuen Zugfedern auf maximal 240ยฐ gebracht werden. Die Werte beziehen sich auf neue Werke, die noch nicht allzu lange laufen. Wann eine Revision fรคllig wird, kann man hier leider auch nicht genau sagen. Sobald die Amplitude in den Zifferblattlagen in Richtung 250ยฐ geht, sollte man mal รผber eine Revision nachdenken. Allerdings hatte ich auch schon Uhren, die 300ยฐ Amplitude aufwiesen und im Werk aber schon starke Verschleiรspuren gezeigt haben.
Sonstige Einstellungen
Nun aber wieder zurรผck zu dem, was uns die Zeitwaage anzeigt! Hier haben wir auf der rechten Seite noch einige Einstellungen, die wir vornehmen kรถnnen. Mit dem obersten Taster wird die Messung pausiert bzw. gestartet. Darunter kรถnnen wir die Messung komplett neu starten und alle vorherig gemessenen Werte werden gelรถscht.
Mit dem dritten Feld kann man die Empfindlichkeit des Mikrofons einstellen. Auf dem Auto Modus macht es seine Arbeit ganz gut. Nur selten muss man hier bei Stรถrgerรคuschen mal korrigieren und die Empfindlichkeit etwas runter nehmen. รber den 4. Taster von oben kann man den Lautsprecher ein oder ausschalten. Hier werden einfach die Tรถne, die das Mikrofon aufnimmt รผber einen Lautsprecher ausgegeben. Mit dem darunter liegenden Feld kann man durch Drรผcken einen Ausdruck auf einem angeschlossenen Drucker auslรถsen oder wie in diesem Fall einen Screenshot von dem angezeigten Bildschirm machen.
Mit dem 7. Feld von oben kann die Vergrรถรerung der gezeichneten Linie in der Mitte des Bildschirms eingestellt werden. Hierzu verliere ich gleich noch ein paar Worte. Mit dem darunter liegenden Feld kรถnnen wir die Sekunden einstellen, aus denen der Durchschnitt der Messerwerte berechnet werden soll. Hier sind ca. 8 Sekunden eine angenehme Wahl. Das letzte Feld enthรคlt noch ein paar allgemeine Einstellungen, auf die ich nicht nรคher eingehen mรถchte.
In dem groรen Feld in der Mitte werden einfach nur die Tรถne, die das Mikrofon aufnimmt, bildlich dargestellt. Wenn diese Linie nach oben lรคuft, weist die Uhr einen positiven Gang auf, wenn die Linie langsam nach unten wandert, weist die Uhr einen negativen Gang auf und geht somit nach. Je breiter die Linie ist, desto grรถรer ist der Abfallfehler.
In dem Bereich unter dem Feld wird angezeigt in welcher Lage sich die Uhr befindet. Dies setzt allerdings voraus, dass die Uhr richtig in das Mikrofon eingespannt wurde. Das Mikrofon kann also seine Lage erkennen und gibt diese an die Zeitwaage weiter.
Das letzte Feld, das noch รผbrig ist, ist der Testmodus. Hier kann man einstellen, ob es sich um eine Standard-Hemmung oder, zum Beispiel, die Audemars Piguet-Hemmung oder eine Co-Axial-Hemmung (Omega) handelt.
Jetzt sollten wir soweit alles auf der Zeitwaage besprochen haben. Ich hoffe, dass ich mit diesem Bericht ein paar Unklarheiten klรคren konnte und freue mich natรผrlich jederzeit รผber Rรผckmeldungen in den Kommentaren. ๐
Liebe Grรผรe!
Euer Leon von ChronoRestore
Wenn dir dieser Artikel gefallen hat, freue ich mich รผber ein Like bei Facebook, Instagram, YouTube oder
Auch รผber WhatsApp kannst du immer auf dem neuesten Stand bleiben – jetzt abonnieren:
Darรผber hinaus freue ich mich รผber Kommentare immer sehr (Kommentare werden in der Regel innerhalb kurzer Zeit geprรผft und freigeschaltet). Vielen Dank!
Hallo Mario,
danke fรผr die prompte Antwort und den verlinkten Test.
Schade dass Ihr kein Android Gerรคt hattet fรผr den Test mit
Watch Accuracy Meter.
Ca. 80% der Handys sind mit Android.
Vielleicht bekommt Ihr mal ein Android Handy in die Hand
und kรถnntet die App kurz aufspielen und den Test ergรคnzen.
LG
Wolfgang
Hallo Leon,
auch ich benutze Watch Accuracy Meter und ich wรผrde mich der Frage von Michael anschlieรen.
LG
Wolfgang
Hi Wolfgang, dazu gibt es nun einen brandneuen Artikel von Leon ๐
https://chrononautix.com/app-zeitwaagen-timegrapher-clock-speed-twelve/
Hallo Mario,
wie gewohnt – eine sehr umfangreiche Erlรคuterung zu dem Thema. Danke dafรผr. ๐
Nun meine Frage: Es gibt in den App-Stores verschiedene Gangabweichungs-Apps. Hab ein wenig rumprobiert und spiele jetzt mit der App Watch Accuracy Meter. Mich wรผrde interessieren, ob eine Profizeitwaage auf die gleichen Ergebnisse wie diese einfache, kostenfreie App kommt?
Vieleicht kannst Du das mal prรผfen, da ich mir kein Profigerรคt zulegen will. Ist vermutlich auch fรผr viele andere uhrenbegeisterte ยดSpielkinderยด interessant.
Beste Grรผรe
Michael
Hey Michael,
vielen lieben Dank fรผr diese interessante Frage! ๐
Tatsรคchlich habe ich mich mit den App Zeitwaagen noch nie beschรคftigt.
Ich probiere das ganze mal aus und melde mich wieder. Bitte gib mir ein bisschen Zeit dafรผr. ๐
Hier gleich noch die Frage: Welche Apps gibt es denn noch auรer die Watch Accuracy Meter?
LG
Leon
Hallo Leon,
Zuerst mal sorry fรผr die verkehrte Ansprache, der Artikel war ja von Dir!
Zu Deiner Frage: Einfach mal im Play Store „Zeitwaage“ eingeben. Dann bekommst Du einige Vorschlรคge.
Viel Spaร beim ausprobieren und ich freue mich auf eine Rรผckmeldung.
Grรผรe
Michael