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Zehn nach Zehn – die Stellung hat quasi jeder drauf. Und nein ich rede nicht von der neuesten Stellung aus dem Kamasutra, sondern von der Zehn nach Zehn-Position (oder wahlweise, wenn man Stunden- und Minutenzeiger tauscht, Zehn vor Zwei) in Armbanduhrenwerbung und auch der Armbanduhrenfotografie im Allgemeinen. Auch in Schaufenstern sind Uhren sehr häufig auf Zehn nach Zehn eingestellt. Natürlich halte auch ich mich in meinen Uhren-Tests, wenn ich eigene Fotos mache, Pi mal Daumen an diese Zeigerstellung, allein schon aus ganz pragmatischen Gründen, damit wesentliche Zifferblattelemente wie das Logo oder das Datumsfenster nicht verdeckt werden (okay, streng genommen zeigen Uhren in Anzeigen & Co. meistens nicht exakt Zehn nach Zehn bzw. Zehn vor Zwei an, sondern meistens plus-minus zwei Minuten, damit die jeweiligen Indizes oder Ziffern nicht von den Zeigern verdeckt werden).

Doch was steckt sonst noch hinter dieser Zeigerstellung?

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Circula DiveSport in (ungefähr) der Zehn nach Zehn-Stellung

Häufig liest man, dass diese spezielle Zeigerposition auf den Uhrenhersteller Seiko in den 60ern zurückgeht (so gesehen beispielsweise bei GQ). Das ist aber völliger Humbug: Eine kurze Recherche in alten Uhren-Anzeigen belegt, dass diese Position auch schon ab den 1910er Jahren durchaus verbreitet war (wenngleich auch andere Stellungen nicht unüblich waren).

Unten sieht man zwei Anzeigen von Rolex aus dem Jahre 1920 – zumindest bei den Armbanduhren ist die Zehn vor Zwei-Position der Zeiger deutlich erkennbar. Bei den Taschenuhren erscheint die Zeigerposition etwas willkürlich, Rolex hat aber offenbar auch drauf geachtet, dass die kleine Sekunde nicht verdeckt wird.

Hier ein weiterer Nachweis – Anzeigen aus den 1910er Jahren von den Schweizer Luxusuhrenherstellern Zenith und Omega sowie den Gebr. Thiel (Ruhla, Thüringen):

Omega 1911 54
Zenith 1910 158
Thiel 1914 3

Die älteste Anzeige mit der bekannten Position, die ich recherchieren konnte, stammt sogar aus dem Jahre 1899 – und ist vom damals US-amerikanischen Uhrenhersteller Hamilton (heute Teil der Schweizer Swatch Group):

Hamilton 1899 29

Über die Jahrzehnte setzte sich die Zehn vor Zwei– bzw. Zehn nach Zehn-Position zunehmend durch. Heute ist sie allgegenwärtig.

Pareidolie als Grund für Zehn nach Zehn bei Uhren?

Häufig wird vermutet, dass Menschen hinter der Zeigerposition Zehn nach Zehn bzw. Zehn vor Zwei (unbewusst) ein lächelndes Gesicht erkennen und dadurch positiver beim Uhrenkauf gestimmt sind, was wiederum der letzte Funke sein kann, um einen Kauf zu tätigen.

Diese Hypothese ist erst mal nicht weit hergeholt: In der Fachsprache heißt dieser Effekt Pareidolie (von “Para” aus Griechischen für “neben” oder “gegen” und “Eidolon” für “Bild” oder “Form”). Und das kennt vermutlich fast jeder: Plötzlich sieht man irgendwo ein Gesicht, wo eigentlich gar keines ist. Forscher beschäftigen sich seit Jahren mit dem Phänomen: Pareidolie erklärt, warum Menschen beispielsweise in Wolken, Steinen oder Baumrinden menschliche Formen zu erkennen glauben. Verantwortlich dafür ist die Autovervollständigung in unserem Gehirn: Um all die Eindrücke, die täglich auf uns einwirken, verarbeiten zu können, ist es darauf ausgerichtet, Dinge wiederzuerkennen. So können wir Situationen schneller einordnen und entsprechend reagieren.

Das wohl bekannteste Pareidolie-Beispiel ist das “Gesicht auf dem Mars”: Die NASA-Sonde “Viking 1” hatte 1976 Fotos von der Oberfläche des Roten Planeten gemacht. Auf einem der Bilder war deutlich ein Gesicht zu erkennen, was Verschwörungstheoretiker als Beweis für intelligentes Leben auf dem Mars sahen.

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Das berühmte „Marsgesicht“, aufgenommen von der Raumsonde Viking 1, Bild: NASA

Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass man sich schon damals, im 19. Jahrhundert, Gedanken über die Zeigerposition in Hinblick auf Pareidolie-Effekte gemacht hat – jedenfalls nicht bewusst. Vielmehr glaube ich, dass man schon damals erkannt hat, dass die Stellungen Zehn nach Zehn und Zehn vor Zwei einfach intuitiv gut aussehen.

Doch was sagt die moderne Wissenschaft zur Zehn nach Zehn-Zeigerposition von Uhren und der Pareidolie-Theorie?

Im akademischen Journal Frontiers In Psychology erschien im Jahre 2017 eine Studie mit dem Titel „ Warum ist 10 nach 10 die Standardeinstellung für Uhren in der Werbung? Ein psychologisches Experiment“. (Originaltitel: Why Is 10 Past 10 the Default Setting for Clocks and Watches in Advertisements? A Psychological Experiment).

Im ersten Experiment wurden den Teilnehmern nacheinander zwanzig verschiedene Uhren gezeigt, jede mit einer der folgenden Zeiteinstellungen:

  • (A) 10:10, was einem lächelnden Gesicht ähnelt; 
  • (B) 8:20, was einem traurigen Gesicht ähnelt, und
  • (C) 11:30 als neutrale Zeiteinstellung.

Die Studie ergab, dass „…Uhren, die auf 10:10 Uhr eingestellt waren, einen deutlich positiven Effekt auf die Emotionen des Betrachters und die Kaufabsicht zeigten. Uhren, die auf die entgegengesetzte Position 8:20 Uhr eingestellt waren, zeigten jedoch keinen Einfluss auf die Emotionen oder die Absicht zu kaufen.”

image
Ausschnitt aus der Studie

Und ich zitiere weiter: “Diese Studie liefert zum ersten Mal empirische Beweise für die Annahme, dass die Verwendung von Uhren mit einer Zeiteinstellung, die einem lächelnden Gesicht ähnelt (wie 10:10), die emotionale Reaktion der Beobachter und ihre Bewertung einer gesehenen Uhr positiv beeinflussen kann, obwohl ihnen nicht bewusst ist, dass die angezeigte Zeiteinstellung diesen Effekt hervorruft.“

Äußerst spannende Erkenntnisse wie ich finde! Nun kann man natürlich darüber streiten, ob ein Uhrenfreund zur nächsten Luxusuhr für mehrere Tausend Euro greift, nur, weil die Zeiger eine Art Lächeln andeuten. Am Ende des Tages nutzen die Hersteller bzw. Marken aber natürlich alle erdenklichen Mittel, um den finalen Kaufreflex auszulösen, damit Uhrenfreunde zu dieser oder jener Uhr greifen – und die Zehn nach Zehn-Position gehört nun einfach zum absoluten Standard…

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Michael M. (ja genau, der aus W. an der W. in NRW
5 Monate zurück

Vor vielen hundert Jahren, ich war noch jung, erlernte meinen ersten Beruf und ging auch zur Berufsschule. In meiner Klasse war ein sehr nettes Mädele (junge Frau), die bei einem bekannten Juwelier eine Ausbildung machte. Und irgendwann kamen wir irgendwie auf genau dieses Thema. Und da hat sie mir die Geschichte von der lächelnden Uhr erzählt. Und den positiven Eindruck auf den Betrachter. In all den vielen Jahren, die folgten, habe ich diese Geschichte nie vergessen und auch immer wieder überprüft. Und Du hast es ja in Deinem Artikel noch einmal beschrieben. Es ist sehr naheliegend, daß es stimmt. Auf dem Zifferblatt sind (normalerweise) alle Funktionen gut zu erkennen, nichts wird verdeckt und die Uhr lächelt Dich an. Mehr kann man nicht erwarten.

Kein Artikel, den man UNBEDINGT gelesen haben muss, aber ich freue mich, daß Du Dich auch eines kleinen Nischenthemas angenommen hast. Und bei mir alte Filme reaktiviert wurden. Danke.🙏🏻

Karsten
7 Monate zurück

Aus einem so langweiligen und banalen Thema Zeigerstellung einen so interessanten Bericht zu machen ist schon eine hohe Kunst. Bemerkenswert, wie gut dieser und auch die anderen Berichte recherchiert sind. Ein großes Dankeschön hierfür.

PS: Ich hoffe, es gibt keine Rechtschreibfehler in meinem Kommentar.

Frank T. aus MZ
9 Monate zurück

Bei meinen Wristshots für die WATCHLOUNGE achte ich auch immer auf die Zeigerstellung 😃. Die besitzt schon deutlich Einfluss auf das Erscheinungsbild einer Uhr.
Schönes Wochenende!

Konrad
9 Monate zurück

Guten Abend Mario,
Dein Beitrag war wie üblich informativ. Allerdings frage ich mich, warum Du lang und breit über die Hintergründe der 10:10 Zeigerstellung schreibst aber augerechnet, das lustigste “Uhrengesicht” [letztes Bild] mit Zeigerstellung 13:50 wiedergibst. Gibt es dafür einen einen tieferen Grund?

Konrad