Alle Jahre wieder: Auch 2023 fand die Studie zur Uhrenindustrie vom Beratungshaus Deloitte in Form einer breiten Meinungsumfrage statt, die unter Branchenexperten in der Schweiz und Endkunden in den wichtigsten Lรคndermรคrkten durchgefรผhrt wurde – und das bereits zum zehnten mal.
Insgesamt wurden 75 Fรผhrungskrรคfte der Uhrenindustrie (die unabhรคngige Marken, Konzerne, Subunternehmer und Einzelhรคndler reprรคsentieren) befragt (“Industry View”).ย Als zweites Puzzleteil wurde eine weitere Umfrage unter 6.045 Verbrauchern in zwรถlf Lรคndern durchgefรผhrt (“Consumer View”), und zwar im heimischen Schweizer Markt und den wichtigsten Exportmรคrkten fรผr Schweizer Uhren: China, Frankreich, Deutschland, Hongkong, Italien, Japan, Singapur, die Vereinigten Arabischen Emirate, das Vereinigte Kรถnigreich, die Vereinigten Staaten und Indien.
Schauen wir uns die wesentlichen Erkenntnisse an…
1. (Etwas) weniger Optimismus fรผr die nรคchsten 12 Monate
Die Schweizer Export-Statistik im Bereich Uhren kann sich sehen lassen: Nach einem erfolgreichen Jahr 2022, in dem die Uhrenexporte auf ein Allzeithoch von 24,8 Milliarden Franken gekrabbelt sind (+14% gegenรผber Vor-Pandemie-Zeiten), setzte sich das starke Wachstum in den wichtigsten Exportmรคrkten in den ersten Monaten des Jahres 2023 fort – โโtrotz der hohen Inflationsraten und eines starken Schweizer Frankens, der Schweizer Uhren fรผr internationale Kunden teurer macht. Zuletzt war die Tendenz im 12-Monatsmittel allerdings leicht rรผcklรคufig.
Interessant ist auch die Darstellung des Zeitverlaufs in 1000 Stรผck und Millionen CHF, im Vergleich zwischen Quarz und Mechanik: Quarz-Uhren spielen nach wie vor eine durchaus ernstzunehmende Rolle in der Schweizer Uhrenindustrie. Der Preistrend ist aber sowohl in der Quarz- als auch in der Mechanik-Welt identisch: Die mengenmรครigen Steigerungsraten sind deutlich geringer als die wertmรครigen – ein Indiz dafรผr, dass der Stรผckpreis steigt.
Auf die Frage nach der Entwicklung fรผr die kommenden 12 Monate antwortete die Mehrheit der Schweizer Uhrenmanager in der Deloitte-Studie, dass sie รผberwiegend optimistisch mit Blick auf die Schweizer Wirtschaft, die Haupt-Exportmรคrkte und die Schweizer Uhrenindustrie im Speziellen seien.ย
Es gibt aber auch Bedenken: Die meisten Fรผhrungskrรคfte nannten die geopolitische Unsicherheit (84 %), gefolgt von der Inflation und den damit einhergehenden gestiegenen Lebenshaltungskosten (je 69 %). Fรผr das kommende Jahr sehen Fรผhrungskrรคfte den Mangel an qualifiziertem Personal als wesentlichen Risikofaktor.
Darรผber hinaus gaben Manager von Komponentenlieferanten an, dass sie sowohl die Produktionskapazitรคt als auch die Anzahl der Mitarbeiter in der Schweiz weiter erhรถhen wollen. Sigatec und Mimotec, beide Teil der Acrotec-Gruppe, haben ihre Einrichtungen bereits Anfang des Jahres erweitert um der steigenden Nachfrage im Bereich der Silizium-Mikromechanik bzw. Mikrogetriebe gerecht zu werden. Gleichzeitig wรคchst die Sorge wegen steigender Personal- sowie Rohmaterialkosten.
Offensichtlich herrscht (zumindest bei den Luxusuhrenherstellern) in jedem Fall noch genug Optimismus, um Expansionen voranzutreiben:
- Ende letzten Jahres gab es eine Ankรผndigung รผber die neue Rolex-Manufaktur mit einem Investitionsvolumen von einer Milliarde Francs, die 2029 in Bulle (Kanton Freiburg) fertiggestellt werden soll.
- Audemars Piguet erweitert seine Einrichtungen in Le Brassus, Le Locle und Meyrin, um der um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden und die Produktionskapazitรคten zu erweitern. Die Erweiterung von Meyrin beispielsweise, deren Fertigstellung fรผr 2025 geplant ist, wird die Produktion von Gehรคusen und Armbรคndern und ein Technologiezentrum beherbergen.
- Die in La Chaux-de-Fonds ansรคssige Marke Greubel Forsey erweitert die Produktionsflรคchen und den Platz fรผr Forschung und Entwicklung um das dreifache. Kostenpunkt: CHF 20 Millionen. Die Fertigstellung ist fรผr das Jahr 2026 geplant.
Die Expansionen รผberraschen nicht, denn der Wartelisten-Wahnsinn vertreibt viele Kunden: Wie der Blick auf die Statistik unten zeigt sagen immerhin 21% der Endkunden, dass sie nicht lange auf eine Luxusuhr warten wollen und stattdessen auch gerne mal zu einer anderen Marke als geplant greifen (30%).
Spannend ist auch, dass viele groรe Hersteller ihre Abhรคngigkeit von Lieferanten reduziert haben: Im Juni 2023 erwarb beispielsweise Louis Vuitton drei Lieferanten, um sie in die La Fabrique du Temps zu integrieren. Der direkte Zugriff auf die Zulieferer…
- Art & D, ein Hersteller Hersteller von Uhrenkomponenten und Edelsteinfassungen,
- H2L, ein Hersteller von Uhrengehรคusen und anderen Komponenten, und
- Microedge, ein Hersteller von Dekorationen fรผr Uhrwerke…
gibt Louis Vuitton mehr Liefersicherheit fรผr die Herstellung eigener
Zifferblรคtter, Gehรคuse und Uhrwerke sowie dekorativer Elemente.
Hublot, eine weitere Marke innerhalb des LVMH-Konzerns, hat eine 70%-ige Beteiligung an Ecco Watch Co. erworben, einem 1977 gegrรผndeten sรผdkoreanischen Keramik-Hersteller. Im September 2022 wurde Patek Philippe Anteilseigner von Salanitro S.A., einer der grรถรten Zulieferbetriebe der Uhrenindustrie im Kanton Genf – hier lassen Uhrenhersteller von Rang und Namen ihre Modelle mit Diamanten und anderen Edelsteinen besetzen.ย
2. Das persรถnliche Erlebnis wird wieder wichtiger
Eine weitere Erkenntnis aus der Deloitte-Studie 2023 ist, dass trotz des Aufschwungs im Online-Handel (41% der Endkunden kaufen neue Uhren mit hoher Wahrscheinlichkeit online), 62 Prozent der Marken bzw. Hersteller davon ausgehen, dass der klassische Verkauf รผber stationรคre Geschรคfte in den nรคchsten fรผnf Jahren nach wie vor dominieren wird. Generell gilt dabei: Je teurer die Uhr, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Kunde sie offline kauft.ย
Das deckt sich zwar auf den ersten Blick mit der Aussage der Endkunden, von denen 52% neue Uhren mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem Ladengeschรคft kaufen, der Trend zeigt aber ganz klar in Richtung online (Bereitschaft Kauf im Ladengeschรคft gegenรผber 2022 um 6 Prozentpunkte zurรผckgegangen). Denn es ist nicht auรer Acht zu lassen, dass online kaufende Kunden das vor allem aus einem Grund machen: Wegen der gรผnstigeren Preise bei Luxusuhren-Online-Shops wie Uhren2000, Chronext, Watchdeal, Uhren Miquel, van Houten oder Uhrinstinkt. Das ist auch der Grund warum viele zu Pre-owned Watches greifen. Vor allem deutschen Endkunden ist dabei ein gutes Preis-Leistungsverhรคltnis wichtig wie ein Blick auf die Zahlen und Darstellungen unten verrรคt.
Rabatte und geringere Preise schmecken den Marken natรผrlich nicht, weshalb diese versuchen ihre Einzelhandelsaktivitรคten vor allem auf Monobrand-Stores auszuweiten, also in der Regel von den Marken selbst betriebenen Einzelhandels-Geschรคften: Immerhin 60% der befragten Marken wollen in den nรคchsten 12 Monaten mindestens einen neuen Monobrand-Store erรถffnen.
Schon in den letzten 12 Monaten gab es einen regelrechten Boom bei Erรถffnungen von Monomarken-Boutiquen fรผr Schweizer Marken auf der ganzen Welt:
- Chopard, H. Moser & Cie. und IWC Schaffhausen in Shanghai
- Jacob & Co. und Zenith in Riyadh
- Panerai und TAG Heuer in New York
- Breitling hat seit 2021 mehr als zwei Dutzend Boutiquen in Stรคdten wie Hyderabad, Salt Lake City und Sapporo, erรถffnet
- Longines, das seit รผber einem Jahrhundert in Indien verkauft verkauft, erรถffnete sein erstes eigenes Monomarkengeschรคft in Neu-Delhi im Jahr 2023 – zusรคtzlich zu seinen 80 Verkaufsstellen รผber Konzessionรคre (gleich mehr รผber Indien im Speziellen).
Die Entwicklung verwundert keineswegs: Schlieรlich kรถnnen die Marken mit Monobrand-Stores logischerweise die Hรคndlermarge selbst einsacken und gleichzeitig das Kundenerlebnis viel besser selbst steuern.
Auch Popup Stores, also nur fรผr einen sehr kurzen Zeitraum รถffnende Geschรคfte, werden offenbar immer wichtiger:
- Omega hat diesen Sommer mit seinen vier temporรคren Boutiquen in Forte dei Marmi, Mykonos, Saint Tropez und San Diego fรผr die neuen Seamaster-Modelle geworben.
- Sowohl Longines als auch Breitling haben auf Sylt fรผr ihre sommerlichen Modelle beworben (jeweils mit einer speziellen Sylt-Edition).
- Bis November 2023 kรถnnen Besucher in Thailands Hauptstadt Bangkok den allerersten Pop-up-Store von Blancpain besuchen.
So stark wie kaum eine andere Branche litt die Messewirtschaft unter den Corona-Maรnahmen. Viele der betroffenen Gesellschaften schrieben tiefrote Zahlen. Nun stehen die Zeichen wieder auf Erholung: So schnell das Geschรคft verschwunden ist, so schnell kehrt es aktuell auch wieder zurรผck – auch im Bereich Uhren: Neun von zehn Fรผhrungskrรคften halten Uhrenmessen fรผr entscheidend, um mit potenziellen Kunden in Kontakt zu treten und ihr Publikum zu vergrรถรern.ย Rein digitalen Messen wird kaum Bedeutung zugeschrieben.
3. Indien als groรer Wachstumsmarkt
In der Liste der Hauptmรคrkte fรผhrt der Verband der Schweizer Uhrenindustrie FH Indien nicht auf – noch: Die Deloitte-Studie kommt zu der Erkenntnis, dass Fรผhrungskrรคfte der Uhrenindustrie Indien als einen Markt mit unglaublichem Potenzial fรผr die kommenden Jahre betrachten.
In den ersten acht Monaten des Jahres 2023 verzeichnete Indien einen รผberdurchschnittlichen Umsatzanstieg auf 133,7 Millionen CHF – das sind plus 18,5 Prozent gegenรผber dem Vorjahreszeitraum und eine Steigerung von fast 60% im Vergleich zu den ersten acht Monaten des Jahres 2021.
In der aktuellen Statistik liegt Indien beim Wert der Schweizer Uhrenexporte weltweit nur auf Platz 22, doch die Branche geht davon aus, dass sich dies รคndern wird: Indien kรถnnte innerhalb eines Jahrzehnts mit รผber 400 Millionen CHF in die Top 10 der grรถรten Exportmรคrkte der Schweiz aufsteigen.
Das verwundert auch mit Blick auf die langfristigen BIP-Prognosen der OECD nicht, in denen Indien sogar die USA รผberholt (wenngleich man natรผrlich berรผcksichtigen muss, dass Indien derzeit eine um Faktor 4 grรถรere Bevรถlkerung hat als die USA).
Doch was steckt hinter dem Wachstum? Die Antworten der Verbraucher geben Hinweise:ย Von den befragten indischen Endkunden gaben satte 94 Prozent an, eine Uhr zu tragen – eine mehr als beachtliche Quote, die sonst nur noch in den Vereinigten Arabischen Emiraten erreicht wird.ย Der Run auf Gold, Schmuck und Uhren – das hat kulturelle Hintergrรผnde: Indien sorgt fรผr ein Fรผnftel der globalen Gold-Nachfrage, nirgendwo wird so viel fรผr Schmuck ausgegeben wie hier. Bei Hochzeiten werden Brรคute mit Vermรถgen ausstaffiert.
Die Verbraucherbasis in Indien ist nicht nur groร, sondern auch zunehmend wohlhabend und wertschรคtzend gegenรผber Luxus – und den Bedarf decken qualitativ hochwertige Handelsketten wie Kapoor Watch oder Ethos Watches.
Auch der wichtigste asiatische Markt China (vor Hong Kong, Japan und Singapur) verzeichnete zwar ein beachtliches Wachstum von 9,3 Prozent, aber die Exporte liegen immer noch 7,5 Prozent unter dem Niveau von 2021.ย Ein weiterer Ankerpunkt im asiatischen Markt dรผrfte fรผr die Schweizer Uhrenindustrie daher extrem wichtig sein, denn die Meinungen รผber das zukรผnftige Wachstum in China sind unter Branchenexperten sehr unterschiedlich.
4. Nachhaltigkeit von zunehmender Bedeutung
Wie in den vergangenen Jahren bleibt Nachhaltigkeit fรผr die Uhrenindustrie von entscheidender Bedeutung: รber zwei Drittel der befragten Uhren-Manager gaben an, dass Nachhaltigkeit Teil ihrer Unternehmensstrategie ist und sie entsprechende Investitionen tรคtigen.ย Fรผr Marken werden zertifiziertes ethisches Gold (86 %), recycelte Materialien, z.B. recycelter Edelstahl (76 %) und Lederalternativen (74 %) in den nรคchsten fรผnf Jahren entweder eine sehr wichtige oder eine wichtige Rolle spielen.
Das gefรคllt auch den Verbrauchern, denn vor allem die jรผngere Generation legt verstรคrkt Wert auf Nachhaltigkeit gegenรผber Markenimage: 34 Prozent aller befragten Endkunden wรผrden sich eher fรผr eine Uhr einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Marke entscheiden, nur 25 Prozent bevorzugen eine Marke, die vor allem auf ihr Image setzt (allerdings mรถchte ich an dieser Stelle die Fragestellung kritisch hinterfragen, denn ein Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit kann sicherlich auch das Image einer Marke verbessern).
Es gibt aber deutliche Unterschiede in den Lรคndern: Nachhaltigkeit ist wichtiger als Markenimage fรผr Befragte in den USA (51 % vs. 19 %) und die VAE (38 % vs. 29 %), wohingegen in China das Markenimage ein grรถรerer Anziehungspunkt war als Nachhaltigkeit (43 % vs. 35 %) – Uhren und Schmuck gelten dort offenbar weiterhin als wichtige Statussymbole. Befragten in Europa waren Markenimage und Nachhaltigkeit relativ egal, wenn ihnen eine bestimmte Uhr gefรคllt.
รbrigens: Man darf bei dem Thema Nachhaltigkeit durchaus kritisch sein – mehr: Nachhaltige Uhren: Der Tropfen auf dem heiรen Stein?
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Irre Preise fรผr Massenware. Was hier teilweise fรผr 3-Zeigeruhren aufgerufen wird ist schon abartig. Oris spannt da den Bogen besonders. Mal schauen wie lange das noch gut geht.
Danke fรผr diese interessante Statistik, Mario๐! In den letzten Jahren wurden die fรผr Armbanduhren aufgerufenen Preise ja immer ambitionierter.