Das sogenannte Sektorenzifferblatt ist ein echter Klassiker in der Welt der Uhren. Frühe Beispiele finden sich bei Taschenuhren aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. In den 1910er, 20er und 30er Jahren kamen solche Uhren zunächst von Herstellern wie Longines, Jaeger-LeCoultre und Patek Philippe. Der Zeitraum ist kein Zufall: Die Art-Déco-Bewegung, die ihre Hochphase in den 1920er Jahren hatte und die geometrische Formen, klare Linien, Ordnung und Symmetrie betonte, beeinflusste zweifellos das Design von Sektorenzifferblättern.
Die noch junge Microbrand Branch Horology aus Kanada setzt für ihr Einstandsmodell auf genau solch ein klassisches Sektorenzifferblatt in Verbindung mit einem Schweizer Sellita-Kaliber und einem Durchmesser, über den sich Uhrenfreunde mit schmalen Handgelenken freuen dürften – schauen wir mal genauer hin.
Tipp: Das Review gibt es auch in bewegten Bildern auf YouTube:


Eckdaten Branch The Sector:
- Made in Canada
- Gehäuse aus 316L Edelstahl
- 36 mm Durchmesser
- 10,5 mm Höhe
- 42,5 mm Horn-zu-Horn
- Versilbertes Zifferblatt
- Thermisch gebläute Zeiger
- Schweizer Sellita SW210-1 Handaufzugskaliber
- Stark gewölbtes Acrylglas
- Wasserdichtigkeit 3 bar / 30 Meter
- Verschiedene Lederbandoptionen von Veblenist in Chicago, 19 mm Anstoßbreite
- 669€ inkl. Versand über Branchhorology.com, zzgl. Zoll/Einfuhrumsatzsteuer = effektiv knapp 800€.
Über Sektorenzifferblätter
In zahlreichen Quellen gibt es auch Hinweise auf Schützengrabenuhren (Trench Watches) aus dem Ersten Weltkrieg mit Sektorenzifferblatt – aber wirkliche Belege dafür finden wir nicht. Zwar hatten Schützengrabenuhren oft eine Eisenbahnminuterie, das machte diese Blätter aber noch lange nicht zu Sektorenzifferblättern im klassischen Sinne, die viele weitere ganz typische Merkmale mitbringen, die auch von Branch Horology aufgenommen werden (dazu gleich mehr).

Noch ein paar Worte zur geschichtlichen Einordnung: Sektorenzifferblätter tauchten nach Taschenuhren später natürlich auch bei Armbanduhren auf und erfreuten sich zunehmend großer Beliebtheit. Das „Who is Who“ der Schweizer Uhrenindustrie war bei diesem Trend mit am Start, darunter Longines, Omega, Rolex, Patek Phillippe, Breguet und IWC. Konkrete Beispiele waren die Omega, Ref. CK 859, hergestellt ab 1938, oder die Patek Philippe Calatrava Referenz 96, eingeführt 1932. Ab den 50ern ebbte der Hype dann langsam wieder ab. Sektorenzifferblätter feierten ein Comeback, als Patek Philippe die 5296 Calatrava, anno 2005 mit einem solchen ausstattete. Heute führen einige namhafte Hersteller Sector Dial-Uhren wieder im Sortiment, darunter auch Longines oder Raymond Weil mit der Millésime Automatic Small Seconds – und eben die Microbrand Branch Horology.



Branch Horology The Sector im Test
Zunächst noch ein paar Worte zu Branch Horology, die mehr oder weniger eine klassische Microbrand-Story ist: Der kanadische Gründer verbrachte nach eigenen Aussagen seine Teenagerjahre unter anderem damit, an alten Flohmarktuhren herumzubasteln. Mit zunehmender Erfahrung wagte er sich irgendwann an die Restaurierung von Vintage-Uhren und den Handel mit diesen. Währenddessen gewann der Markt für Vintage-Uhren mehr und mehr an Popularität und die Preis explodierten, weshalb die Idee für erschwingliche Uhren im Vintage-Stil entstand.
Das Modell The Sector ist das Einstandsmodell von Branch Horology – und wie der Name es ja schon mit wenig Interpretationsspielraum andeutet, hat es als Gesicht ein Sector Dial an Bord, mit wesentlichen bzw. charakteristischen Merkmalen der Sektorenzifferblätter, also einer Sekundeneinteilung am äußeren Rand gefolgt von einer Minuterie weiter innen und wiederum gefolgt von einer Stundeneinteilung.

Bei der Branch The Sector bilden Minuten und Stunden eine optische Einheit (einen Sektor) durch eine radial gebürstete Textur auf weiß-mattem Hintergrund. Davon optisch dezent getrennt, ebenfalls durch eine radial gebürstete Textur, befindet sich die Sekundeneinteilung (ein weiterer Sektor) am äußeren Rand.
Das Blatt ist versilbert und die für Sektorenzifferblätter typischen, über eine Art „Fadenkreuz“ verbundenen arabischen Ziffern 12-3-6-9 sowie die Indexe sind knackscharf mit Tampondruck umgesetzt. Geschützt wird das Blatt durch einen klaren, matten Lack, um Anlaufen zu verhindern.
Insgesamt ist auf dem Zifferblatt für eine Uhr mit „dressigem“ Charakter relativ viel los (zum Beispiel im Vergleich zu Uhren mit Bauhaus-Design oder konkret beispielsweise der Nomos Tangente neomatik 39 platingrau). Dennoch wirkt alles sehr aufgeräumt und dank hundertprozentiger Symmetrie perfekt ausbalanciert. Gut in dem Zusammenhang finde ich auch, dass das Markenlogo sehr dezent ist und ansonsten keinerlei weitere Schriften die Gesamtkomposition stören (wie Beispiel „Manual Wound“ oder dergleichen). Alles in allem ist das Zifferblatt für diese Preisklasse überdurchschnittlich präzise und hochwertig verarbeitet und sieht durch die verschiedenen Oberflächenbearbeitungen dabei auch richtig gut aus – ein Zifferblatt mit dem gewissen Wow-Faktor.



Abgerundet wird das Blatt von klassischen, schlanken Zeigern in einer Art „Feuille“-Form, die sehr elegant daher kommen und die elegante, „dressige“ Optik abrunden. Sekundenzeiger und Minutenzeiger sind mit gebogenen Spitzen versehen, um Parallaxe in Verbunding mit dem stark gewölbten Glas zu vermeiden. Die Zeiger sind ferner thermisch, also unter Einsatz von Hitze, gebläut worden, wodurch das ansonsten monochrome Erscheinungsbild des Blattes bei direktem Lichteinfall einen willkommenen, dezenten Farbtupfer bekommt.


Die Branch The Sector kommt mit einem schlichten, flachen Gehäuse mit griffiger Krone. Die Lünette ist auf Hochglanz poliert und steht damit im Kontrast zum ansonsten markant gebürsteten Gehäuse. Etwas überrascht war ich mit Blick auf den Gehäuseboden, der nicht mal eine Gravur mit Hinweis auf die Wasserdichtigkeit oder dergleichen beinhaltet – sehr ungewöhnlich! Apropos Wasserdichtigkeit: Die fällt mit 3 bar nicht grade üppig aus – vor dem Duschen, Baden oder gar dem Schwimmen sollte man die Uhr also definitiv abnehmen. Da wäre etwas mehr durchaus wünschenswert gewesen.




Vintage-inspirierte Uhren sind nicht zwangsläufig auch Vintage-mäßig dimensioniert. Uhrenfreunde mit kleinen bis mittelgroßen Handgelenken dürften sich aber freuen, denn die Branch The Sector hat einen kleinen Durchmesser von 36 mm, ein kompaktes Horn-zu-Horn-Maß von 42,5 mm und eine Höhe von 10,5 mm (als Referenz: mein Handgelenk ist mit 19 cm eher groß und da wirkt die Uhr – leider – etwas verloren). Schade nur, dass die Bandanstoßbreite mit 19 cm ungrade ist – dadurch wird die Auswahl von Bändern bei Drittanbietern deutlich einschränkt.


In der Branch Horology The Sector tickt das Schweizer Handaufzugskaliber Sellita SW210-1, das mit 28.800 bph schlägt und über eine Gangreserve von 42 Stunden verfügt – mit Blick auf den Preis, den Branch aufruft, bringt das SW210 nochmal ein gutes Preis-Leistungs-Argument mit. Vor allem aber baut das SW210 durch die Handaufzugskonstruktion auch flacher als die Automatikpendants (3,35 mm vs. 4,60 beim SW200), was mit Blick auf den kleinen Durchmesser von 36 mm absolut Sinn ergibt, um entscheidende Millimeter einzusparen, damit das Modell nicht zu hoch baut und damit pummelig wirkt.
Zur Gesamthöhe sei auch noch angemerkt, dass diese zu einem gewissen Teil vom stark hochgewölbten Glas herrührt, das die Retro-Optik des Modells unterstreicht. Das Glas ist dabei aus Acryl – so ähnlich, wie wir es beispielsweise bei der Omega Speedmaster Professional Moonwatch vorfinden. Acrylglas spiegelt kaum und ist durch seine Elastizität weitgehend bruchfest – aber es ist gleichzeitig auch sehr weich und daher ziemlich anfällig für Kratzer. Jeder, der schon mal Bilderrahmen von IKEA in der Hand hatte, weiß wovon ich Rede. Dennoch feiere ich es, wenn sich Uhrenhersteller trauen Kunststoffglas in bestimmten Modellen zu verbauen: Das liegt zum einen am Vintage-Charme von Kunststoffgläsern, da die Optik wärmer als bei Saphir- oder Mineralglas rüberkommt. Und der Nachteil der Kratzeranfälligkeit wird dadurch ein Stück weit relativiert, dass sich feinere Kratzer problemlos mit Polywatch entfernen lassen.


Abschließende Gedanken
Uhren mit Sektorenzifferblatt sind dank gradlinigem, symmetrischem Design ein gutes Beispiel für echte Klassiker, die auch heute noch wunderbar funktionieren. Insofern hat Branch aus Kanada hier einen echten Nerv getroffen, denn Alternativen zwischen 500 und 1000€ mit mechanischem Innenleben sind rar gesät. Am ehesten kommt noch die Baltic MR Roulette in Betracht für knapp 650€ inkl. Steuern mit chinesischem Mikrorotorkaliber.
Summa summarum ist Branch für Retro-Liebhaber und Uhrenfreunde mit schmalen Handgelenken durchaus ein kleiner Geheimtipp: Die Microbrand aus Kanada ist in unseren Gefilden noch nicht so bekannt, hinsichtlich Preis-Leistungsverhältnis (Schweizer Sellita SW210, grandioses Zifferblatt) aber ziemlich attraktiv. 669€ inkl. Versand aus Kanada über Branchhorology.com sind fällig, allerdings kommen noch Zoll/Einfuhrumsatzsteuer hinzu, sodass man effektiv bei knapp unter 800€ landet.

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Schön gemacht, aber -wie so oft- im Detail nicht zu Ende gedacht, sondern stumpf die Retro-Vorbilder kopiert:
Der herausragende Vorteil der Sector-Dials ist/war ja nun die exakte Ablesbarkeit hinsichtlich Stunde, Minute und Bruchsekunde. Bei einer alten Patek-Philippe mit 18.000 A/h (5 A/s) sind die 4 Teilstriche zwischen den Minuten/Vollsekundenindizes korrekt.
Beim Sellita mit 28800 A/h (8 A/s) trifft der Sekundenzeiger die Teilstriche nicht.
In der Praxis und aufgrund der fließenden Bewegung vermutlich irrelevant. Es wäre aber mal erfrischende Liebe zum Detail gewesen, die zeigt, dass der Markengründer hier tatsächlich seiner Leidenschaft folgt und nicht das nächste Retro-Produkt zusammenbaut, um auf diesen (langsam auch wirklich abgefahrenen) Zug aufzuspringen.