Wenn es an einem nicht mangelt, dann sind es Microbrands mit Schwerpunkt auf klassische (Retro-)Diver. Am Ende des Tages hat – mit Blick auf die vielzähligen Alternativen aus aller Welt – niemand auf Lorier “gewartet”, zumal das Design nicht grade vor Innovation sprüht. Die Marke aus New York City gehört aber nicht ohne Grund zu den langjährig tätigen und etablierten Microbrands…
Eckdaten Lorier Neptune (SIII):
- Miyota 90S5 Automatikwerk (No-Date), 28800 bph
- Durchmesser 39 mm
- Gehäsuehöhe 10.3 mm + 2.4 mm für das Hesalitglas
- Horn-zu-Horn 47 mm
- Bandanstoß 20 mm, Band verjüngt sich auf 16 mm
- Gehäuse aus 316L Edelstahl
- Wasserdichtigkeit 200 Meter / 20 bar
- Verschraubte Krone
- Unidirektionale Lünette mit 120 Klicks
- Gewölbtes Hesalitglas
- Schweizer Super-LumiNova BGW9
- Preis: 499 US-Dollar = ca. 580€ inklusive Einfuhrumsatzsteuer/Zoll (Versand erfolgt aus den USA)
Lorier Neptune SIII im Test
Lorier (ausgesprochen lor-yé) ist eine ganz typische Microbrand: Hinter Lorier steckt keine Firma mit dutzenden Mitarbeitern, sondern das Ehepaar Lorenzo und Lauren Ortega aus New York City. Beide haben früher als Lehrer gearbeitet und 2018 als Kleinunternehmer zusammen mit Produktionspartnern Lorier zum Leben erweckt. Das Ziel dabei war es nach eigener Aussage “hochwertige, schöne Uhren zu demokratisieren und die klassischen Designs und den unerschrockenen Geist von Vintage-Uhren wiederzubeleben“. So weit, so unspektakulär (die Story rund um erschwingliche bzw. zugängliche klassische Designs ist – wenn man ehrlich ist – ziemlich ausgelutscht und wahrlich nichts Neues).
Das wesentliche Zugpferd der Marke Lorier ist sicherlich die Neptune. Die Taucheruhr ist dabei unverkennbar in der Retro-Ecke zu verorten – das Modell bedient sich (und daraus macht Lorier auch gar keinen Hehl) bei verschiedenen Elementen von Vintage-Klassikern der Marken Rolex, Tudor, Omega oder Blancpain.
So kommt die Lorier Neptune beispielsweise mit einer (im Verhältnis zum Gehäusedurchmesser von eher kleinen 39 mm) übergroß dimensionierten und schön griffigen Krone, angelehnt an die Rolex „Big Crown“ Submariner Ref. 6538. Die sehr schmale, klassische Taucherlünette mit Aluminium-Inlay entspricht fast 1:1 der Lünette der Omega Seamaster CK2913 (beide Ende der 50er).
Auch der Zeigersatz, ein spitz zulaufender Minutenzeiger und ein “Broad Arrow” Stundenzeiger, stammen in sehr ähnlicher Form von der CK2913 aus den 50ern. Die gedruckten Stundenindizes auf dem Zifferblatt, allen voran die keilförmigen Indizes auf 12-3-6-9 Uhr, erinnern wiederum stark an die Tudor Prince Oysterdate Submariner 79090 aus Ende der 80er Jahre oder die Blancpain Bathyscaphe MC4 aus den 60ern.
Auch das Edelstahlgehäuse stammt aus der Vintage-Ecke und erinnert an die Form klassischer “Skin Diver” (zum Beispiel Longines, Yema) mit präsenten Hörnern und einer polierten Fase, welche die sehr feine Satinierung durchbricht. Die Hörner schwingen sich dynamisch nach unten und sind durchbohrt – letzteres ist ein typisches Merkmal früherer Taucheruhren, das den Bandwechsel merkbar kratzerfreier gestaltet, da man die Federstege nicht über die Unterseite herausfriemeln muss, sondern diese einfach über die Bohrungen lösen kann (dafür braucht es theoretisch nicht mal ein Bandwechselwerkzeug – Büroklammer genügt). Die Wasserdichtigkeit des Gehäuses ist mit 200 Metern bzw. 20 bar zeitgemäß und auch für “richtige” Tauchausflüge geeignet.
Wenn man zynisch ist, könnte man sagen: Lorier hat für die Neptune am Ende des Tages einfach nur ein halbes Dutzend Vintage-Klassiker in einen Mixer geworfen und geschaut, was am Ende dabei rauskommt. Dieser Vorwurf wird allerdings keineswegs der Lorier Neptune als Ganzes gerecht, denn die US-Amerikaner haben alle Designelemente in einer überaus stimmigen Gesamtkomposition verpackt. Das Vorgehen von Lorier sprüht sicher nicht vor Innovation, aber es funktioniert. Und das meiner Meinung nach ziemlich gut.
Das Vintage-Thema fängt die Neptune ziemlich optimal ein: Auch dank des Hesalitglases, das eine wunderschöne Wölbung mitbringt – genau wie bei Taucheruhren der damaligen Zeit. Zwar ist Hesalitglas deutlich empfänglicher für Kratzer als Saphirglas, aber die Kratzer lassen sich erfahrungsgemäß problemlos mit Polywatch rauspolieren (siehe: Uhr polieren und Kratzer entfernen für kleines Geld – was taugen Cape Cod und Polywatch?). Der Einbau von Hesalitglas ist mit Blick auf die Tatsache, dass Saphirglas eigentlich der absolut gängige Standard ist, ein durchaus mutiger, aber goldrichtiger Schritt bei einer Retro-Uhr wie der Neptune (siehe auch: Saphirglas vs. K1 Mineralglas/Hardlex vs. Hesalitglas im Bruch- und Kratz-Test).
Vom Design mal abgesehen stimmt auch die Qualität: Auf Nahaufnahmen macht die Neptune einen – unter Berücksichtigung der Preisklasse – gut verarbeiteten Eindruck. Die Oberflächenbearbeitung des Gehäuses ist sehr fein und hochwertig. Der verschraubte Kronenmechanismus funktioniert butterweich, die Lünettenrastung satt. Auch das sich stark verjüngende Stahlband hat mich positiv überrascht – sowohl haptisch als auch hinsichtlich des eher ungewöhnlichen Designs, das an das Band der Vintage-Omega 300 erinnert. Nur die Schließe ist leider ziemlich klapprig und aus der Kategorie 08/15.
Lorier hat das Design der Neptune seit der Einführung der Series I (SI) im Jahre 2018 im Wesentlichen unangetastet gelassen und nur Details verändert. So erfolgte zum Beispiel die Ergänzung einer dreistufigen Feinjustierung in der Schließe (leider nicht werkzeuglos). Die bald käuflich erwerbbare Series IV bekommt außerdem einen leicht geänderten Zeigersatz und ein abgewandeltes Band. Details, Details – wie gesagt.
Die wichtigste Änderung gegenüber der Series I betrifft ein Upgrade des Innenlebens von einem Seiko NH35A hin zu einem Miyota 90S5 Automatikwerk – eine sehr gute Entscheidung, denn das Miyota-Kaliber (Citizen-Gruppe) kann es problemlos mit Schweizer Konkurrenten aus dem Hause ETA oder Sellita aufnehmen und bringt gegenüber dem NH35 einige handfeste Vorteile wie eine höhere Frequenz (28.800 bph) und damit eine langfristig höhere Ganggenauigkeit mit. Auch, dass die Wahl auf ein No-Date-Kaliber fiel, war mit Blick auf die Symmetrie des Zifferblattes und im Sinne des Vintage-Charakters eine sehr gute Entscheidung. Bei der Neptune Series IV ist das Miyota 90S5 ebenfalls wieder mit an Bord.
Lorier macht in der Summe vieles richtig. Alles in allem verwundert es nicht, dass die US-Amerikaner (zumindest für eine Microbrand) eine doch durchaus beachtliche Halbwertszeit im hart umkämpften Markt für erschwingliche (Retro-)Taucheruhren aufweist und die Neptune schon in einer (derzeit ausverkauften) dritten Auflage (Series III) lanciert wurde. Die Series IV steht wenig überraschend bereits in den Startlöchern (August/September 2022).
Wem die mangelnde Selbstständigkeit im Design nichts ausmacht und wem der Designmix aus Omega, Rolex, Blancpain & Co. gefällt, der darf bedenkenlos zuschlagen. Man beachte allerdings, dass durch den Import aus den USA noch 19% Einfuhrumsatzsteuer hinzukommen, sodass der Preis für die Neptune Series IV umgerechnet rund 580€ betragen wird. Das ist die Preiskategorie, in der sich der wohl unangefochtene, Hommagen-spezialisierte Microbrand-Platzhirsch Steinhart aus der Nähe von Augsburg pudelwohl fühlt – und man muss einfach nüchtern betrachtet sagen, dass Steinhart in dieser Preisklasse noch mal eine Schippe besser im Detail verarbeitet ist und das merkbar bessere Preis-Leistungs-Verhältnis mitbringt (siehe zum Beispiel Review der Steinhart Ocean One Double-Green Keramik 42).
Als weitere Alternative sei die deutsche Microbrand Circula genannt, die zwar etwas hochpreisiger positioniert ist, das Modell SuperSport beispielsweise ist für rund 700€ aber auch deutlich aufwendiger verarbeitet und kommt mit einem Schweizer Sellita SW200-1 – das ist zwar technisch nicht unbedingt besser als die Miyota 9000er Serie, erfahrungsgemäß aber hinsichtlich eines eventuellen Weiterverkaufs vorteilhafter. Und das Wichtigste: Die Circula SuperSport bringt – anders als Lorier und Steinhart – einige eigenständige Designmerkmale mit (Test: Circula SuperSport Supercompressor-Uhr).
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Eine schöne Ur, wie ich finde, besonders mit dem Plexi, trotzdem würde ich bei 600€ eher zu einer Glycine Combat Sub greifen, würde ich einer Microbrand einfsch vorzirhen.