Ich muss zugeben, dass ich Lilienthal Berlin zunรคchst in die Schublade mit Marken stecken wollte, die ich normalerweise meide. Mit der Zeitgeist Automatik hat Lilienthal Berlin aber ein Modell im Portfolio, welches ich aufgrund der Eckdaten (Sellita SW200 Automatik, Saphirglas, verschraubter Glasboden, Made in Germany etc.) und des Preises (ab 589โฌ) spannend fand. Schauen wir uns das Modell also mal genauer an…
Eckdaten der Lilienthal Berlin Zeitgeist Automatik Silver:
- Sellita SW200 Automatikwerk
- Saphirglas
- Galvanisiertes, matt gestrahltes Zifferblatt
- Durchmesser 42,5 mm, Hรถhe 10 mm
- Wasserdichtigkeit 5 bar / 50 Meter (spritzwassergeschรผtzt)
- Made in Germany
- Verschraubter Sichtboden
- UVP: ab 589โฌ
Test: Lilienthal Berlin Zeitgeist Automatik-Uhr
„LUXUS MIT LIFESTYLE-APPEAL“ heiรt es unter anderem auf der Website von Lilienthal Berlin. Um Uhren, die so beworben werden, mache ich normalerweise einen groรen Bogen: Grade im Bereich minimalstischer Uhren gibt es viele Marken, die mit Schlagworten wie diese um sich schmeiรen und letztendlich nur den x-tausendsten 08/15 Daniel Wellington-Abklatsch an Mann bzw. Frau bringen wollen.
Meine Vorurteile gegenรผber der Anfang 2016 gegrรผndeten Berliner Uhrenmarke wurden dann aber aus zwei Grรผnden zerstreut: Zum einen haben die Berliner mit der Zeitgeist Automatik ein Modell im Angebot, welches aufgrund der Eckdaten und des Preises (ab 589โฌ) auf den ersten Blick wie ein stimmiges Gesamtpaket mit gutem Preis-Leistungs-Verhรคltnis wirkt. Zum anderen ist das puristische Design zwar auch nichts weltbewegend neues, aber immerhin noch eigenstรคndig genug, um sich von den Kapten & Son– bzw. Daniel Wellington-Klonen dieser Welt abzugrenzen. Auch ein paar Design-Awards konnte Lilienthal Berlin abstauben, so zum Beispiel den unabhรคngigen iF Design Award.
Designtechnisch fรคllt bei der Lilienthal Berlin Zeitgeist Automatik in der „Silver“-Variante insbesondere die gelungene Komposition aus Zifferblattfarbe und grรคulich-mattem Gehรคusefinish ins Auge – die Farben ergรคnzen sich perfekt, alles wirkt wie aus einem Guss. Die Zifferblattfarbe geht dabei eher ins creme- bzw. champagnerfarbene, zeigt aber je nach Lichteinfall auch immer wieder andere Facetten. Der Farbton verleiht der Zeitgeist Automatik (im Gegensatz zur eher modernen „Black“-Variante) einen gewissen Retro-Charme…
Das Zifferblatt-Design wirkt durch die die kleinen Minuten-Ziffern und -Indizes sehr dezent. Die Detailverarbeitung ist zwar lange nicht so aufwendig wie zum Beispiel bei der kรผrzlich von mir getesteten FineWatchesBerlin TEUFELSBERG (mit applizierten Indizes und Logos), qualitativ gibt es aber nichts auszusetzen: Die Drucke der Lilienthal Berlin Zeitgeist Automatik erscheinen auch bei Nahaufnahmen sehr sauber. Der mittig laufende schmale „Graben“, der symmetrisch durch das Lilienthal Berlin-„B“, das Datumfenster und die feinen Schriftzรผge „Zeitgeist“ und „Automatik“ durchbrochen wird, sorgt fรผr etwas Abwechslung.
Auch das matt sandgestrahlte Gehรคuse ist tadellos verarbeitet. Augenscheinlich ist vor allem die vollstรคndige Gehรคuseintegration der Krone – ein Designelement, welches man nicht oft vorfindet, aber natรผrlich sehr gut zum minimalistischen Design der Zeitgeist Automatik passt…
Uhren in minimalistischem Design kommen (leider!) selten รผber einen Durchmesser von 40 mm. Die Bauhaus-Uhren von NOMOS Glashรผtte beispielsweise gelten schon mit einem Durchmesser von 38 mm als Grรถรe L, ein Durchmesser von 40 mm sei XL. Die grรถรeren NOMOS-Modelle sind auรerdem gleich um ein vielfaches teurer – fรผr mich persรถnlich kaum nachvollziehbar.
Gut: Mit einem Durchmesser von 42,5 mm kommt die Lilienthal Berlin Zeitgeist in einer sportlicheren Uhrengrรถรe, die fรผr das durchschnittliche Mรคnnerhandgelenk dennoch gut passen dรผrfte. Zum Vergleich: Mein Handgelenkumfang betrรคgt ca. 19 cm…
Die Zeitgeist wirkt ohnehin eher kleiner am Handgelenk als es die nominelle Grรถรe vermuten lรคsst. Das liegt zum einen an dem dezenten Zifferblatt und zum anderen an den filigranen Hรถrnern (Bandanstoร: 20 mm) sowie der geringen Bauhรถhe (10 mm). Ein weiterer Faktor ist die komplett in das Gehรคuse versenkte Krone – das erhรถht auch den Tragekomfort, da sich die Krone nicht unangenehm in den Handrรผcken bohren kann.
Auch das sehr weiche, natรผrlich riechende Lederband trรคgt zum guten Tragekomfort bei. Man beachte auch die feinen Ziernรคhte, die den hellblauen Farbton des Sekundenzeigers aufnehmen. Praktisch ist auch das Schnellwechselsystem des Lederbandes, mit dem man einen Bandwechsel problemlos ohne Werkzeug (und damit reduziertem Risiko fรผr Kratzer) รผber die Bรผhne bringen kann.
In der Lilienthal Berlin Zeitgeist Automatik tickt das beliebte Schweizer Sellita SW200 Automatikwerk mit 38 Stunden Gangreserve. Das Werk ist ein Nachbau des aus dem Patentschutz gelaufenen, millionenfach verbauten ETA 2824 und gilt als robust und zuverlรคssig. Viele kleinere Hersteller und Micro-Brands verbauen das Sellita SW200 in Modellen ab rund 500โฌ (zum Beispiel Junkers oder Direnzo). Aber auch groรe bekannte Hersteller wie TAG Heuer zรคhlen zu den Kunden von Sellita und verbauen das Schweizer SW200 Automatikwerk in Modellen mit Preisen um die 2000โฌ („getarnt“ unter dem TAG Heuer-eigenen Namen Calibre 5).
Der im Uhrencluster La Chaux-de-Fonds ansรคssige Hersteller Sellita hat wahrscheinlich kรผrzlich die Sektkorken knallen lassen: Mit der Ankรผndigung der Swatch-Gruppe (der Mutterkonzern hinter ETA) im Mรคrz 2019 keine ETA-Werke mehr an die groรen Konkurrenten LVMH (u.a. TAG Heuer) und Richemont (u.a. Panerai) liefern zu wollen, wird Sellita voraussichtlich zur Alternative Nummer 1 fรผr viele Hersteller.
Natรผrlich habe ich auch das Sellita SW200 in der Lilienthal Berlin Zeitgeist Automatik hinsichtlich Ganggenauigkeit geprรผft. Das von den Berlinern verbaute SW200 in der Qualitรคtsstufe „Standard“ lรคuft laut Sellita-Spezifikation in einem Bereich von -12 bis +12 Sekunden pro Tag. Die tatsรคchliche Gangabweichung, gemessen mit dem Frederique Constant Analytics Clip, betrรคgt +7 Sekunden pro Tag – ein ordentlicher Wert, der sich zwar noch im Rahmen der besseren Qualitรคtsstufe Spรฉcial (Elaborรฉ) befindet, gleichzeitig aber etwas Luft nach oben hat.
Ausgeliefert wird die Lilienthal Berlin Zeitgeist Automatik in einer eher unspektakulรคren Pappschachtel mit einer Garantiekarte (inklusive Seriennummer) und ein paar Lifestyle-Postkarten. Da ich kein Fan aufwendiger (und damit preistreibender) Uhrenboxen oder sontigem Zubehรถr-Schnickschnack bin kann ich dazu nur sagen: Dit is mir schnurz piepe ๐
Fazit zur Lilienthal Berlin Automatik-Uhr
Lilienthal Berlin liefert mit der Zeitgeist Automatik ein durchaus stimmiges Gesamtpaket ab: Die qualitative Verarbeitung, die Haptik und die Eckdaten (Saphirglas, Schweizer Sellita SW200 Automatikwerk etc.) lassen den Preis in Hรถhe von 589โฌ (fรผr die Silver-Variante) als angemessen erscheinen. Wer eine Automatik-Uhr ohne viel Schnickschnack in sportlicher Grรถรe sucht, der wird seine Freude an der Lilienthal Berlin Zeitgeist Automatik finden.
Lilienthal Berlin hat neben der Zeitgeist Automatik auch noch gรผnstigere Einstiegsmodelle in vielen verschiedenen Farbvarianten im Portfolio (zum Beispiel die Lilienthal Berlin Urbania oder die L1) – mit Preisen ab ca. 170โฌ bekommt man allerdings nur (gehรคrtetes) Mineralglas und ein unspektakulรคres Quarzwerk (immerhin vom Schweizer Hersteller Ronda). Als Fan mechanischer Uhren muss ich daher ganz klar sagen, dass ihr statt zu den Lilienthal Berlin-Quarzern lieber zur Zeitgeist Automatik greifen solltet. Ganz getreu dem Berliner Motto: Lieber ’n bissken mehr, aber dafรผr wat Jutet.
Die Lilienthal Berlin Zeitgeist Automatik ist auch offiziell bei Amazon erhรคltlich – neben der hier getesteten „Silver“-Edition auch in der etwas teureren „Black“-Variante…
Alternativen zu Lilienthal Berlin
Wer immer wieder neue Details auf seiner Uhr entdecken will, der darf einen Blick auf eine ganz neue Berliner Uhrenmarke werfen: FineWatchesBerlin liefert mit seinem Debut eine minimalistische Uhr ab, die deutlich aufwendiger verarbeitet ist als die Lilienthal Berlin Zeitgeist Automatik. So kommen beispielsweise applizierte Indizes und Logos zum Einsatz. Die FineWatchesBerlin TEUFELSBERG ist allerdings mit knapp 700โฌ spรผrbar teurer und bietet zwar ein solides, aber nicht mehr ganz zeitgemรครes Automatik-Innenleben in Form des japanischen Miyota 8218 Automatikerkes…
Als weitere Alternative kommen auch die gรผnstigen Einstiegsmodelle von Junkers in Frage: Das Bauhaus-Modell 6056-5 beispielsweise kommt mit einem Schweizer ETA 2824-2 Automatikwerk, beigem Zifferblatt, 40 mm Durchmesser und charmantem Retro-Hesalitglas. Der Preis: ebenfalls sehr faire 479โฌ.
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Lilienthal Berlin??? Allein dieser Name klingt schon so schrecklich wichtigtuerisch. Und dafรผr 500 Euro??? Pfffff. Never.
Guter Test, danke. Kurze Anmerkung zu den immer wieder erwรคhnten „Bauhaus-Uhren“. Im Grunde nur ein Marketing-Trick, mit diesem Namen zu werben. Denn spezifische Uhren wurden nie am Bauhaus entworfen (https://www.sueddeutsche.de/stil/armbanduhr-bauhaus-rolex-stil-geschichte-mode-1.4396820). Alle Bauhaus-Modelle am Markt weisen in ihren Texten dezent auf den Bauhaus-Stil und den Bauhaus-Einfluss hin. Oder man erwรคhnt, wie bei Junkers, Max Bill als Anregung fรผr die gleichnamige „Bauhaus“-Uhr.
Danke fรผr deine ergรคnzenden Gedanken, Rainer!
Die Bauhaus-Uhren haben es inzwischen alle schwer bei mir. Zum einen hab ich schon eine (Tissot 1853) und zum anderen sind es mittlerweile einfach zu viele. Aus Differenzierungsgrรผnden dann jedoch wieder „mehr Zeugs“ aufs Zifferblatt zu drucken und Gimmicks einzufรผgen, das widerspricht bei mir dann doch wieder dem Bauhaus-Gedanken, so dass am Ende nicht mehr viel รผber bleibt als „Idee erkannt – und dann vor lauter ‚aber ich bin anders!‘ vermurkst“. Ich schliesse mich hier dem Thomas an: nicht mein DIng.
Danke fรผr deine Gedanken Rene!
Lieber Mario, vielen Dank fรผr den gelungenen Artikel.
Ich persรถnlich finde die Lilienthal viel schicker als die FWB. Der โSandwichโ-Graben, die Minutenskala, der blaue Sekundenzeiger und die versenkte Krone, zusammen mit der sportlichen Grรถรe, wirken viel stimmiger, als die vielen Details der FWB. Als Alternative hรคtte ich hier wohl auch eher auf Sternglas verwiesen. Die FWB sehe ich eher irgendwo in Richtung Laco angesiedelt.
Auch das (mich) an die Architektur Erich Mendelsohns erinnernde Logo ist sehr gelungen. Schรถne Uhr, die den Spagat zwischen Anzug und Freizeit ganz gut zu bewรคltigen scheint.
Hab mir gerade noch deren Webseite angeschaut. Die anderen Modelle sind recht hรผbsch…
Stimmt, Sternglas wรคre auf jeden Fall eine passende Alternative in diesem Dunstkreis. Leider auch mit dem etwas betagten Miyota 8…
Erinnert mich irgendwie an die Uhr, die an der Kรผchenwand des Studentenwohnheimes hing. Weil ich die nie richtig ablesen konnte bin ich zur ersten Vorlesung auch immer zu spรคt gekommen. Kann aber auch sein, dass ich einfach noch zu mรผde war zu solch frรผher Stunde.
Also: Nicht mein Geschmack – aber wieder gut geschrieben.
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