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Diese Liaison könnte kaum besser passen: Aristo Vollmer trifft auf „NOS“-Mechanik der Pforzheimer Uhren-Rohwerke (PUW).

Die heutige Firma Aristo Vollmer hat ihre Wurzeln in Pforzheim seit 1922, als die Ernst Vollmer Uhrband-Manufaktur in Birkenfeld ins Leben gerufen wurde. Ziemlich genau 10 Jahre nach der Firmengründung traten auch die Pforzheimer Uhren-Rohwerke an den Markt heran.

Als ich Anfang 2024 bei Aristo Vollmer vor Ort war, berichtete mir der Geschäftsführer Hajo Vollmer, dass er immer wieder auch NOS-Kaliber („New Old Stock“) aufkauft, also neue Kaliber aus altem Lagerbestand – ein spannender Ansatz, den nur sehr wenige Hersteller gehen, weshalb man dies durchaus als Alleinstellungsmerkmal betrachten kann. Der neuste Werkefund von Hajo Vollmer, der 1998 von der Familie Epple die Markenrechte an Aristo erwarb, sind 35 Stück des PUW 1463 Automatikkalibers aus dem Jahr 1970. Und diese erhalten anno 2025 Einzug in ein neues Modell im Design historischer RLM-Uhren.

Tipp: Es gibt auch ein Video-Review zur Uhr.

Eckdaten Aristo Ref.-Nr. 7H1463-L:

  • Made in Pforzheim
  • Gehäuse aus Edelstahl satiniert
  • Wasserdichtigkeit 5 bar / 50 Meter
  • Durchmesser 42 mm
  • Höhe 10,5 mm
  • Horn-zu-Horn 49,5 mm
  • Saphirglas
  • Leuchtziffern- und Zeiger im Stil der RLM-Uhren
  • Pforzheimer Automatic-Werk PUW 1463 von 1970, 25 Steine, 18.000 A/h, Gangreserve 40 h, limitiert auf 30 Stk.
  • Listenpreis 790€ (am Leder)
  • Erhältlich direkt über Aristo (Erbprinz-Uhrenshop)

Eine kleine Geschichtsstunde zu P.U.W. (Pforzheimer Uhren-Rohwerke GmbH)

So gut wie alle heute noch tätigen deutschen Uhrenhersteller wie Sinn, Laco, Stowa, Junghans & Co. setzen auf bewährte Schweizer Kost aus dem Hause Sellita und schalen diese „nur“ ein (mal mit mehr, mal mit weniger Modifikationen). Ausnahmen bestätigen die Regel: Insbesondere im sächsischen Glashütte purzeln noch mechanische Werke „Made in Germany“ aus der Produktion, zum Beispiel bei NOMOS Glashütte. Natürlich werden aber dort nicht mal ansatzweise die Produktionszahlen der Standardkaliber-Dauerbrenner wie Sellita SW200-1 & Co. erreicht.

Kurzum: Mechanische Uhrwerke aus deutscher Produktion? Das war im Wesentlichen leider ein mal! War die deutsche Produktion von Standardkalibern vor mehreren Jahrzehnten noch eine durchaus ernstzunehmende Konkurrenz für die Schweizer, so muss man heute leider festhalten, dass im Prinzip überhaupt nichts mehr übrig ist von diesem deutschen Industriezweig, der in gewissen Zeiträumen eine durchaus beachtliche Größe hatte.

Das ist definitiv sehr schade, denn Werke aus deutscher Produktion konnten es durchaus mit den Schweizern aufnehmen – so zum Beispiel die als robust und zuverlässig geltenden mechanischen Kaliber von der Pforzheimer Uhren-Rohwerke GmbH (kurz: PUW oder P.U.W.), einem der größten deutschen Uhrwerkehersteller – lang lang ist’s her!

PUW-Werbung 1966

Gegründet wurde P.U.W. bereits 1932 vom Uhrmachermeister Rudolf Wehner. Das Kaliber PUW 500 war das erste Kaliber aus der Goldstadt und der Startschuss für eine größere Unabhängigkeit von den Schweizer Herstellern.

Während des zweiten Weltkrieges wurde PUW zwangsweise zum Rüstungsbetrieb umfunktioniert und musste primär Zeitzünder herstellen. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde der Betrieb bei einem alliierten Bombenangriff auf Pforzheim völlig zerstört. Rudolf Wehner baute die Produktion allen Widrigkeiten zum Trotz aber in den folgenden Jahren wieder auf – PUW wurde erfolgreicher denn je und avancierte zum größten Uhrenrohwerkehersteller in Nachkriegs-Deutschland. Im Jahre 1948 rief PUW-Gründer Rudolf Wehner außerdem zusätzlich die Uhrenfabrik „Porta“ ins Leben, die Komplettuhren fertigte, die ausnahmslos von PUW-Werken angetrieben wurden. 1950 legte Wehner die beiden Betriebe, Porta und PUW, zusammen – wenig überraschend in Pforzheim.

Die Geschäfte liefen gut. So gut, dass Ende der 60er Jahre PUW immerhin rund 600 Mitarbeiter zählte und bis in die späten 70er Jahre insbesondere Lieferant für fast alle Pforzheimer Uhrenhersteller war – darunter, na klar, auch Aristo (hier ein Netzfund).

Über die Jahrzehnte, vor dem Hintergrund der Quarzkrise, schrumpfte die Mitarbeiterzahl aber stetig. 1979 wurde die Produktion der Automatik- und Handaufzugskaliber aus Pforzheim gar komplett eingestellt, um sich auf die Herstellung von Quarz-Werken über die Tochterfirma Porta Mikromechanik AG zu konzentrieren.

Immerhin 18.000 batteriebetriebene Rohwerke verließen 1983 täglich die Pforzheimer Produktion. Damit war PUW als einziger deutscher Produzent von Armbanduhrwerken übrig geblieben. Für Porta-Geschäftsführer Klaus Wehner war es „das Ende einer Epoche“.

PUW-Werbung 1969 – die Automatikserie „Autorotor“ zählt zu den erfolgreichsten Uhrwerken aus dem Hause PUW

Dennoch: Gegen die übermächtige Konkurrenz aus Fernost (Seiko, Casio, Citizen), hatte Wehner keine Chance: Die Verluste zwangen auch PUW einige Jahre später in die Knie: 1990 wurde der Pforzheimer Traditionshersteller von der Schweizer SMH (heute Swatch-Group) übernommen. Mittlerweile ist PUW sogar ganz verschwunden…

PUW-Werbung 1971

Aristo trifft PUW

Bei den von Aristo eingekauften Kalibern handelt es sich um Lagerbestände des PUW 1463, vormontiert und in Originalverpackungen. Die sogenannten „New Old Stock“-Uhrwerke (kurz „NOS“) werden dabei im Hause Aristo komplett in ihre Bestandteile zerlegt und laufen dann durch das Reinigungsgerät. Dabei werden alle Metallteile entfettet und eventuelle Oberflächenoxydationen entfernt. Anschließend erfolgt die Montage, das Ölen und Schmieren der Lager und aller beweglichen Teile. Anschließend wird das Werk auf der Zeitwaage einjustiert und in den unterschiedlichen Lagen reguliert (Reglage).

Die PUW-Werke sind zu 100% in Deutschland gefertigt und nach meinen Recherchen vielleicht kein Wunderwerk der Technik, brauchen sich aber hinsichtlich Zuverlässigkeit und Robustheit nicht zu verstecken. Zitat Hajo Vollmer: „Wir haben im Museum 40 Jahre alte Uhren mit unterschiedlichen PUW-Werken, die sofort anlaufen und dies, obwohl man seinerzeit nur mineralische Schmierstoffe hatte.“

Mit 18.000 bph ist die Frequenz des PUW-kalibers allerdings deutlich unter den heute gängigen 21.600 bzw. 28.800 angesiedelt, weshalb der zentrale Sekundenzeiger nicht ganz so weich seine Bahnen zieht. Optisch ist das Kaliber außerdem völlig undekoriert und damit kein Augenschmaus – und dennoch finde ich es gut, dass Aristo das Kaliber durch einen Glasboden zur Schau stellt, denn technikbegeisterte Uhrenfreunde werden sicherlich gerne den direkten Vergleich mit einem SW200 oder dergleichen ziehen wollen.

Wegen eventueller Reparaturen, Ersatzteile oder einer irgendwann mal fälligen Revision muss man sich übrigens beim Kauf einer Aristo mit PUW-Kaliber – obwohl die PUW-Werke ja gar nicht mehr produziert werden – keine Gedanken machen: Auf Nachfrage bestätigte mir Hajo Vollmer, dass er genug Ersatzteile an Lager hat, um bei eventuell nötigen Reparaturen gewappnet zu sein. Auch nach dem Garantie- bzw. Gewährleistungszeitraum sind zum Beispiel kostengünstige Revisionen kein Problem. Aristo hält ferner auch einige komplette Reservewerke an Lager.

Design im RLM-Stil

Das PUW 1463 ist eigentlich ein sogenanntes „Day Date“-Kaliber – beim Design der neuen Uhr wurde aber seitens Aristo bewusst auf den Kalendertag verzichtet, da dieser seinerzeit noch keine Schnellschaltung an Bord hatte und ein Verstellen daher ziemlich mühselig ist (davon mal abgesehen hätte ein Wochentag wohl auch nur gestört – im Prinzip hätte ich persönlich auch auf das Datum verzichten können).

Ansonsten entspricht der klare Zifferblattaufbau dem der sogenannten RLM-Uhren im Zweiten Weltkrieg, die im Sinne von Dienstuhren für das Personal in luftigen Höhen und für das „erdgebundene“, administrative Personal am Boden beschafft wurden (z.B. für die Mitarbeiter der Personal- und Einsatzplanung, Treibstoffbeschaffung, Logistik, Routenplanung und der Navigationsvorbereitung).

Die damals an das Bodenpersonal ausgegebenen RLM-Uhren entsprachen im Wesentlichen den Uhren, die auch beim Heer zum Einsatz kamen. Unterschieden werden konnten die Uhren durch entsprechende Gravuren auf dem Gehäuseboden: Uhren mit der Gravur „D“ für Dienstuhr und (häufiger) „RLM“ für Reichsluftfahrtministerium sind eindeutig der Luftwaffe zuzuordnen. Uhren mit der Gravur „D.H.“ wiederum sind eindeutig dem Heer zuzuordnen („Dienstuhr Heer“). Lieferanten für die Luftwaffen-RLM-Uhren, also für das Bodenpersonal der Luftwaffe, war (und da schließt sich der Kreis) unter anderem die Aristo-Gründerfamilie Epple.

Das Zifferblatt ist absolut schnörkellos, mit arabischen Stundenziffern und einer Eisenbahn-Minuterie, d.h. einer Einteilung der Minuten am äußeren Rand des Zifferblattes, die an Eisenbahnschienen erinnert. Das alte Aristo-Schriftlogo mit dem ründlichen „A“ auf „12 Uhr“ ist nah am Original. Gut: Während die Vorlage schwierig unterscheidbare Zeigerlängen hatte, sind Minuten- und Stundenzeiger des neuen Aristo-Modells mit PUW-Kaliber deutlich besser zu differenzieren.

Der größte Unterschied ist, dass die neue Uhr im Sinne von Form Follows Function keine kleine Sekunde an Bord hat, da das verbaute PUW-Kaliber dieses einfach nicht bietet.

Die RLM-Uhren der 1940er kamen damals mit ca. 35mm Durchmesser – heute ist das eher der Kategorie Damenuhren zuzuordnen. Die Neuauflage von Aristo ist mit 42mm (Horn-zu-Horn: 49,5 mm) schon deutlich zeitgemäßer dimensioniert. Die Höhe ist mit 10mm gleichzeitig „hemdärmelfreundlich“. Auch das je Seite einfach genietete, angenehm weiche Band zahlt auf den hohen Tragekomfort ein. Die Wasserdichtigkeit in Höhe von 5 bar bzw. 50 Meter (Uhr darf beim Duschen am Arm bleiben) hätte allerdings gerne etwas höher ausfallen dürfen.

Abschließende Gedanken

Das Label „Made in Pforzheim“ auf Zifferblatt und Gehäuseboden der neuen Aristo-Uhr könnte summa summarum kaum treffender sein – mehr Wertschöpfung auf Pforzheimer Boden geht fast nicht, denn wie ich auch bei meinem Besuch in Pforzheim Anfang 2024 live miterleben konnte, findet im Hause Aristo Vollmer eine Fertigungstiefe statt, die man heute nicht mehr oft antrifft. Und das PUW-Kaliber ist in der Hinsicht nochmal das i-Tüpfelchen, wenngleich solche NOS-Kaliber immer wieder für hitzige Diskussionen unter Uhrenfreunden sorgen („in a nutshell“: Die einen finden’s Klasse, da man sich ein Stück Geschichte an den Arm schnallen kann, die anderen sehen nur die pragmatischen Vorteile bei moderneren Kalibern wie dem SW200-1 wie z.B. eine höhere Frequenz).

Gleichzeitig muss man fairerweise auch sagen, dass die in der Vergangenheit von mir bereits unter die Lupe genommenen Aristo-Modelle mit NOS-Kalibern zu Preisen ab 690€ (Aristo Vintage 42 Beobachter mit  Record 1959-2 und Aristo RLM mit 70er NOS-Kaliber von France Ebauches) das etwas bessere Preis-Leistungs-Verhältnis mitbringen – die neue RLM-Uhr mit PUW-Kaliber ist 100€ teurer (ab 790€). Der Grund dafür ist laut Aristo aber u.a. der höhere Einkaufspreis in Verbindung mit einem höheren Aufwand dafür die Kaliber wieder „flott“ zu machen. Dennoch: Wer sich ein Stück Pforzheimer Geschichte nach Hause holen, der sollte sich die neue RLM-Uhr mit PUW-Kaliber genauer anschauen.

Tipp: Es gibt auch ein Video-Review zur Uhr.

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