Die Crowdfunding-Plattform Kickstarter.comย wรคchst von Jahr zu Jahr: Anfang 2016 wurden bereits รผber 100.000 Projekte erfolgreich finanziert – darunter Filme, Bรผcher, Spiele, Mode etc. Auch neue Uhren-Projekte findet man gefรผhlt fast tรคglich auf der Plattform vor. Der Zweck von Kickstarter ist simpel: Unternehmer (meistens Kleinstunternehmen) haben รผber die Plattform die Mรถglichkeit ihre Ideen einem breiten Publikum zu prรคsentieren und Geld fรผr ihr konkretes Projekt einzusammeln. Denn: Natรผrlich hat eine neue Uhrenmarke in aller Regelย nicht mal ansatzweise dieย Finanzkraftย eines etablierten Konzerns (Swatch, Richemont & Co.), weshalb viele Unternehmer in der Grรผndungsphase auf die Macht desย Crowdfundingsย via Kickstarter.com setzen.
Nice-to-know: Dieย Pebble Smartwatchย ist das mit Abstand erfolgreichste Projekt auf Kickstarter โ unglaubliche 20 Millionen US-Dollar wurden eingesammelt. รblicherweise bewegen sich die Finanzierungsziele der Unternehmen bei Uhren im Bereich mehrerer zehntausend Euro.
Vor einiger Zeit wurde mir der Prototyp der Kickstarter-Kampagne von Direnzoย vorรผbergehend fรผr ein Review zur Verfรผgung gestellt. Da mir das Modell ziemlich gut gefallen hat, habe ich mich auch dazu entschlossen, die entsprechende Kickstarter-Kampagne zu unterstรผtzen. Aus diesem Grund mรถchte ich anhand dieses Beispieles die gรคngigsten Fragen zur Plattform Kickstarter.com beantworten.
„Alles oder Nichts“ – so funktionieren Kickstarter-Kampagnen (Bezahlung, Rabatt, Zoll & Co.)
Der Vorteil einer Finanzierung รผber Kickstarter fรผr die Unternehmer ist schnell erklรคrt: Startkapital ist nur noch bedingt nรถtig und anhand desย Erfolges der Kickstarter-Kampagne lรคsst sich schon vor der eigentlichen Produktion abschรคtzen, ob das Konzept gut ankommt oder zumย Rohrkrepiererย mutiert. Das ist sozusagen Marktforschung im 21. Jahrhundert ๐
Die Unternehmer mรผssen sich dabei aber ordentlich ins Zeug legen, um die Projekte den potentiellen Unterstรผtzern schmackhaft zu machen: Eine (gute)ย Kampagnen-Seite beinhaltet in der Regel…
- die Entstehungsgeschichte der Uhr von der Idee รผber die ersten Skizzen bis hin zum fertigen Design,
- sympathische Bilder des Unternehmers,
- Hinweise auf erste Reviews und Berichte รผber die Kampagne
- eine Projekt-Roadmap inklusive geplanter Liefertermin,
- umfangreiche Beschreibung der Produktmerkmale
- und natรผrlich hochauflรถsende (Lifestyle-)Fotos eines Prototypen (ausschlieรlich am Computer generierte Bilder kommen logischerweise nicht so gut an) …
…sind sicherlich nicht zu verachtende Erfolgsfaktoren, um einem Projekt „ein Gesicht“ zu geben, welchem die Unterstรผtzer vertrauen schenken mรถchten (und Vertrauen ist, wie wir im nรคchsten Kapitel sehen werden, gar nicht so unwichtig). Hier einige Impressionen aus der Direnzo-Kickstarter-Kampagne:
Natรผrlich haben nicht nur Unternehmer Vorteile von Kickstarter: Unterstรผtzt man ein Kickstarter-Projekt als sogenannter „Backer“ (Unterstรผtzer) mit einem bestimmten Mindest-Betrag (z.B. 200โฌ), gibt es als Dankeschรถn in der Regel die angepriesene Uhr. Bei der Kickstarter-Kampagne von Direnzo beispielsweise konnten Unterstรผtzer die angebotene Uhr fรผr 270 CHF kaufen (der spรคtere UVP liegt bei deutlich hรถheren 420 CHF).
Mit anderen Worten kann man zwar auch geringere Betrรคge (z.B. 10โฌ) spenden, man erhรคlt dann aber hรถchstens ein kleines Dankeschรถn-Prรคsent (oder meistens gar nix ). Spannender fรผr Schnรคppchenjรคger wie mich sind natรผrlich die Rabatte fรผr die Uhren, welche sich im Bereich von bis zu 50% bewegen kรถnnen.
Die Rabatte sind dabei in der Regel gestaffelt, d.h. es gibt nur ein begrenztes Kontingent an Uhren zu einem bestimmten Vorzugspreis. Bei der Direnzo-Kickstarter-Kampagne beispielsweise standen 75 Uhren mit einem Rabatt von 35% zur Verfรผgung. Weitere 75 Uhren standen mit einem Rabatt von nur noch 30% zur Verfรผgung (und so weiter). Das soll einen Anreiz schaffen, ein Projekt in einem mรถglichst frรผhen Stadium zu unterstรผtzen…
Das Risiko hรคlt sich fรผr den Unterstรผtzer (zunรคchst) in Grenzen: Wird der vom Unternehmer aufgerufene Ziel-Geldbetrag (in der Regel 10.000โฌ aufwรคrts) nicht erreicht, sind die Unterstรผtzer auf der sicheren Seite โ dann nรคmlich geht derjenige, der eine Kampagne ins Leben gerufen hat, komplett leer aus (Alles oder Nichts). Laufzeiten und Finanzierungsziele variieren relativ stark, bewegen sich aber meistens im fรผnfstelligen Bereich…
Ein kleiner Hinweis: Bitte beachtet, dass die Versandkosten in der Regel noch oben drauf kommen – und das kann bei auslรคndischen Kampagnen gar nicht mal so wenig sein:
Natรผrlich muss man als Unterstรผtzer auch im Hinterkopf behalten, dass man bei Uhren von Unternehmen, die von Lรคndern auรerhalb der Europรคischen Union verschicken, Zoll und 19% Einfuhrumsatzsteuer zu berappen hatย โ und zwar nicht nur auf den (Netto-)Warenwert, sondern auch auf die Versandkosten. Die Einfuhrumsatzsteuer wird in der Regel zusammen mit denย Zollgebรผhrenย erhoben:
รbersteigt der Warenwert 150,- Euro, so sind die Waren nicht mehr Zollfrei und es ist neben der Mehrwertsteuer noch zusรคtzlich ein prozentualer Zollsatz auf den Wert der Kaufpreises (also inkl. den Versandkosten) zu bezahlen. Der Zollsatz variiert in Abhรคngigkeit von den Produkten.ย [โฆ]
Bei Uhren sind die Zollgebรผhren allerdings ein Tropfen auf dem heiรen Stein:ย Maximal 80 Centย (!) sind fรคllig.
Hier noch eine kurze Beispielrechnung:
Uhr 500โฌ + Versandkosten 20โฌ = Bemessungswert 520โฌ
520โฌ + 19% + 0,80โฌ = knapp 620โฌ
Eine „รber“-Finanzierung von Kickstarter-Projekten ist natรผrlich auch mรถglich. Im Falle von Direnzo lag das Ziel bei 20.000 CHF, welches in nur wenigen Stunden erreicht wurde. Um einen zusรคtzlichen Anreiz fรผr weitere Unterstรผtzer zu bieten, gibt es die sogenannten Stretch Goals: Die Unternehmen locken hierbei mit zusรคtzlichen Modell-Varianten (z.B. Ziffernblatt) oder Gratis-Beigaben, um es auch den bisherigen Unterstรผtzern schmackhaft zu machen, das Projekt in den sozialen Netzwerken zu verbreiten.
Die Zahlung bei Kickstarter ist denkbar einfach, allerdings nur mit Kreditkarte mรถglich – in Anbetracht der geringen Kreditkarten-Dichte in Deutschland durchaus ein Problem. Tipp: Eine dauerhaft kostenlose Kreditkarte gibt es bei der Direktbank DKB (auch das Konto selbst ist natรผrlich komplett kostenlos).
Gut: Erst nach Ablauf der Kampagne (z.B. 30 Tage) und erfolgreicher Finanzierung wird die Kreditkarte belastet. Man kann die Beitragshรถhe auch nachtrรคglich jederzeit รคndern oder sogar komplett zurรผckziehen (unter „deinen Beitrag verwalten“, wenn man eingeloggt ist).
Keine Ware erhalten? Kritik an Kickstarter – Risiko Nichterfรผllung
Wie bereits erwรคhnt, ist man als Unterstรผtzer (zunรคchst) auf der sicheren Seite, da Projekte nur finanziert werden, wenn der Mindest-Finanzierungsbetrag erreicht wird. Dennoch: Laut Kickstarter Fulfillment Report liefert jedes zehnte, eigentlich erfolgreich finanzierte Projekt keine Belohnung aus.ย Statistisch betrachtet betrifft das zwar hauptsรคchlich Projekte mit einem Finanzierungsziel von unter 1000 US-Dollar, eine Quote von fast 10% empfinde ich persรถnlich dennoch als ziemlich hoch. Das eigentlich schlimme daran: Nur 13% der Unterstรผtzer erhielten in diesen Fรคllen eine Rรผckerstattung.
Unterscheiden muss man zwischen Projekten, die aufgrund betrรผgerischer Absichten keine Belohnung ausliefern, und solchen, die aus sonstigen Grรผnden das Projekt einfach nicht fertigstellen konnten. Dennoch: Bitter ist es natรผrlich so oder so, wenn die Kohle futsch ist – da man auf Kickstarter nur mit Kreditkarte zahlen kann, hat man leider auch keine Kรคuferschutz-Ansprรผche wie das zum Beispiel bei PayPal der Fall wรคre. Auch eine Kreditkartenrรผckbuchung (Chargeback) dรผrfte nach der monatelangen Wartezeit nicht mehr mรถglich sein.
Darรผber hinaus ist auch der rechtliche Weg รผber Sammelklage oder dergleichen ist wohl eher in den wenigsten Fรคllen finanziell sinnvoll. Der Hintergrund: Crowdunding-Plattformen sind rechtlich keine Online-Shops, sondern vielmehr eine Quelle fรผr Risikokapital. Entsprechend gelten auch die รผblichen rechtlichen Rahmenbedingungen wie Rรผcktritt vom Kaufvertrag nicht.
Im Zweifelsfall ist von Kickstarter leider auch keine Hilfe zu erwarten – das Unternehmen sieht sich als reiner Plattform-Betreiber und schlรคngelt sich aus der Verantwortung heraus:
Ist […] eine 9 %-Fehlschlagsrate akzeptabel fรผr die Community? Wir denken schon! Aber wir verstehen auch, dass dieses Risiko manch einen davon abhรคlt, an unseren Projekten teilzunehmen, und wir respektieren das. Wir mรถchten, dass die Funktionsweise von Kickstarter absolut transparent ist: Kickstarter ist kein Geschรคft, sondern eine Plattform zur Umsetzung kreativer, innovativer Ideen. Und wie bei allem, was Kreativitรคt und Innovation beinhaltet, gibt es auch hier Risiken und Fehlschlรคge.
Schlecht verdient Kickstarter sicherlich nicht mit dem Plattform-Konzept – folgende Gebรผhren muss der Kampagnen-Starter zahlen:
- Bearbeitungsgebรผhr Kickstarter: 5 % des Gesamtbetrags der Finanzierungsbeitrรคge
- Zahlungsabwicklungsgebรผhren: 3% +ย 0,20 โฌย pro Finanzierungsbeitrag
Ein Beispiel: Fรผr die รผberaus erfolgreiche Uhren-Kampagne von Code41 (Goldgena) konnte Kickstarter eine Gebรผhr von รผber 43.000 CHF in Rechnung stellen.
Warum Kickstarter nicht zumindest ein kleines Fangnetz fรผr auf den Leim gegangene Unterstรผtzer baut (z.B. 50% Rรผckerstattung bei Nichterfรผllung), erschlieรt sich mir leider nicht. Schlieรlich wรผrde die zusรคtzliche Sicherheit der Plattform-Nutzung fรผr ein deutlich grรถรeres Vertrauen sorgen und mehr potentielle Unterstรผtzer anziehen.
Vor diesem Hintergrund sollte man sich also natรผrlich sehr genau รผberlegen, ob man ein gewisses Risiko bei der Unterstรผtzung eines Kickstarter-Projektes eingehen kann und will. Insbesondere bei Uhrenmarken, die in der Vergangenheit schon erfolgreich Kickstarter-Projekte abgewickelt und Uhren ausgeliefert haben, kann man aber davon ausgehen, dass genรผgend Erfahrung fรผr einen weiteren Erfolg vorhanden ist. Dennoch gilt: Augen auf beim Uhrenkauf!
Kickstarter-Kritik: รberraschungsei oder allerlei Einheitsbrei?
Die Unternehmer hinter den Uhrenmarken, die bei Kickstarter aus dem Boden gestampft werden, beschrรคnken sich in aller Regel auf das Design der Modelle – Investitionen in Werkzeugmaschinen, die Fixkosten fรผr Personalย etc. pp.ย zahlen sich schlieรlich nicht aus der Portokasse. Das ist ein durchaus gรคngiger Ansatz vieler kleinerer Uhrenmarken (Micro-Brands) und grundsรคtzlich natรผrlich nicht verwerflich.
Das Problem, welches ich mit der zunehmenden Anzahl von Projekten im Bereich Uhren allerdings sehe: Die Uhrenkomponenten der Modelle aus verschiedenen Kickstarter-Kampagnen stammen unter Umstรคnden aus derselben Fabrik – oftmals in Fernost. Das ist an sich kein Problem, solange die Qualitรคt stimmt. Dennoch besteht langfristig die Gefahr, dass ein Einheitsbrei an Uhren entsteht, z.B. mit sich stark รคhnelnden Gehรคuseformen und dergleichen.
Darรผber hinaus dauert es nach der Beendigung einer Kickstarter-Kampagne meistens mehrere Monate bis die Uhren tatsรคchlich beim Unterstรผtzer ankommen. Die Qualitรคt, die man dann in den Hรคnden hรคlt, entspricht dann hoffentlich der erwarteten. Denn: Oftmals existieren bei Verรถffentlichung der Kampagne noch keine handfesten Reviews, sondern nur wiedergekaute Pressemeldungen mit viel BlaBla. Mit anderen Worten kann man sich als Unterstรผtzer in aller Regel nur im guten Glauben auf die Bilder und die angepriesene Qualitรคt auf der Kampagnen-Seite verlassen.
Eine Ausnahme bildete hier STERNGLAS: Der Kopf hinter der Uhrenmarke organisierte im Vorfeld der Kickstarter-Kampagne einen sogenannten Pop-Up-Store in Hamburg, wo Interessierte vorab die Prototypen anfassen konnten. Eine tolle Idee, die aber natรผrlich nur regional begrenzt funktioniert.
Mehr รผber Micro-Brands, die oftmals mit der Hilfe von Kickstarter zum Leben erweckt werden, gibt’s in diesem Artikel:
https://chrononautix.com/micro-brands-uhren-marken-bestellung-ausland-ruecksendung-widerruf-garantie-gewaehrleistung-zahlungsarten-preis-leistung-paypal/
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Toller, informativer Artikel.
Die Idee mit der 50%-Rรผckerstattung bei fehlgeschlagenen Projekten finde ich gut, sie ist aber nicht machbar. Wรคren alle Projekte finanziell gleich, mรผรte bei 10% der gescheiterten Projekte Kickstarter die Hรคlfte der Summe rรผckerstatten, das sind 5%, d.h. ihre Provision aus allen Projekten, also auch aus den erfolgreich durchgefรผhrten. Sie wรผrden also nichts verdienen.
Aber es gibt nicht nur kleine Projekte, die fehlschlagen, es gibt auch groรe.
Coolest Cooler sammelte 13 Millionen USD, statt der geforderten 50.000. Natรผrlich kann man nicht 26000 Kรผhltaschen zu dem Termin liefern, der fรผr die Lieferung von 1000 Kรผhltaschen vorgesehen war. Das fiel weder dem Creator noch den Backern auf. In den Kommentaren gestellte Fragen wurden mit Videos beantwortet, nicht mit Text. Ein Teil der Kรผhltaschen wurde mit 2 Jahren Verspรคtung geliefert, danach tauchte die Kรผhltasche im Handel auf, und ich glaube, es wurde Geld gefordert, um weitere noch ausstehende Kรผhltaschen an Backer schicken zu kรถnnen. Die Qualitรคt war auch unterirdisch.
Preisfrage: Inwieweit ist dieses Projekt gescheitert?
Die Frage ist einfach zu beantworten, wenn nichts geliefert wurde, oder zu 100% fabrikneuer Schrott. Bei Abstrichen in der Stรผckzahl oder Qualitรคt wirds schwierig.