Hallo Liebe Chrononautix-Leser, heute mรถchte ich euch ein sehr wichtiges Thema etwas nรคherbringen: Die Hemmung! Genauer gesagt, die Schweizer Palettenankerhemmung. Die Hemmung ist nรคmlich eine der einflussreichsten Baugruppen auf die Ganggenauigkeit der Uhr. In diesem Bericht mรถchte ich euch die Grundlagen erklรคren. Dazu gehรถren die Aufgaben der Hemmung, ein wenig Geschichte, der Aufbau und zum Schluss die Funktion der Schweizer Palettenankerhemmung. Ich rede also nicht lang drum rum und wir beginnen mit den Aufgaben!
Aufgaben der Hemmung einer mechanischen Uhr
Die Hemmung wird vom Schwingsystem mit zeitgleichen Schwingungen gesteuert. Gleichzeitig sorgt die Hemmung fรผr den zeitรคquivalenten Ablauf des Rรคderwerks und auch des Zeigerwerks. Somit gelangen wir direkt zu den zwei Aufgaben der Hemmung. Diese soll nรคmlich den unkontrollierten Ablauf des Rรคderwerkes sperren. Wenn wir eine mechanische Uhr nรคmlich bis zur Hemmung komplett aufbauen, den Anker aber noch nicht einbauen und gleichzeitig versuchen die Uhr aufzuziehen, dann wird die Energie, die wir durch das Aufziehen in das Federhaus schicken, gleich wieder รผber das Rรคderwerk entladen. Das Rรคderwerk dreht dann frei durch. Doch nicht nur das! Die Hemmung sorgt, wie oben beschrieben, gleichzeitig fรผr den zeitรคquivalenten Ablauf des Rรคderwerks. Mit Hilfe des Schwingsystems, welches den Anker immer wieder von einer zur anderen Seite wirft, wird das Rรคderwerk in gleich groรen Winkelbewegungen voran bewegt. Wenn man genau hin schaut, erkennt man dies bei mechanischen Uhren am Sekundenzeiger, welcher statt einer schleichenden Bewegung ganz viele kleine Schritte ausfรผhrt. Weiterhin wird die Hemmung dafรผr verwendet, um dem Schwingsystem impulsartig neue Kraft zuzufรผhren, um die Schwingung aufrecht zu erhalten. Wie sie dies bewerkstelligt, erfahrt ihr weiter unten, wenn ich die Funktion der Hemmung beschreibe. Zu guter Letzt wird durch die Hemmung die Drehbewegung der Rรคder aus dem Rรคderwerk in eine schwingende Bewegung fรผr die Unruh umgewandelt.
Die Hemmung wirkt also als Gesperr bzw. als Bindeglied zwischen Rรคderwerk und Schwingsystem. Aufgrund der impulsartigen Kraftรผbertragung wรคhrend einer Halbschwingung des Schwingsystems, steht sie mit dem Schwinger 2x in Kontakt und รผbt somit auch 2x Einfluss auf die Schwingung aus. Wenn man dies bei der heute typischen Schwingungszahl von 28800 Halbschwingungen pro Stunde hochrechnet, dann รผbt die Hemmung genau 1.382.400 mal in 24 Stunden Einfluss auf die Schwingung und somit das Gangverhalten der Uhr aus. Damit ist die Hemmung einer der grรถรten Einflรผsse fรผr den Gang der Uhr!
Geschichte
Ungefรคhr im 13. Jahrhundert wurden die ersten Rรคderuhren und damit die ersten Hemmungen gebaut. Seit dieser Zeit sind Uhrmacher stรคndig bemรผht die Hemmung als eine Baugruppe, die maรgebend Einfluss auf das Gangergebnis nimmt, weiterzuentwickeln, zu verbessern oder neu zu erfinden (รผber 80 Hemmungen sind bekannt, stetig kommen Neuentwicklungen dazu, aber nur wenige haben sich durchgesetzt).
Die Palettenankerhemmung, die in ihrer einfachsten Art bereits 1750 von Albert Dessay und Thomas Mudge verwendet wurde, fand gegen 1825 – 1850 ihre heutige, fast endgรผltige Form und Funktion.
In dieser Zeit entwickelten gleich drei groรe Uhrmacher, nรคmlich Antonie Tavan, Ferdinand Adolph Lange und Moritz Groรmann, die Schweizer und die Glashรผtter Palettenankerhemmung. Die Schweizer Palettenakerhemmung ist die heute meist verbaute und bekannteste Hemmung. Ein Bild davon findet ihr in Abbildung 1.
Beide Hemmungen, auch als Kolbenzahnankerhemmung bezeichnet, gehรถren zur Gruppe der freien Hemmungen. Dies beschreibt das Zusammenspiel der Hemmungsbestandteile mit denen des Schwingsystems, wรคhrend das Schwingsystem seinen Ergรคnzungsbogen schwingt. Im Falle der Palettenakerhemmung schwingt die Unruh ihren Ergรคnzungsbogen vรถllig frei und hat keinen Kontakt zum Anker.
Aufbau der Schweizer Palettenankerhemmung
Weiter gehtโs mit dem Aufbau der Palettenankerhemmung. Diese besteht aus genau 3 Komponenten: Dem Hemmrad (oder auch Ankerrad), dem Anker und der Unruh bzw. einem Anbauteil an der Unruh, nรคmlich dem Plateau (oder auch Doppelrolle genannt).
Wir beginnen mit dem Ankerrad, welches sich in Abbildung 1 ganz links befindet.
Das Ankerrad der Schweizer Ankerhemmung besitzt meist 15 Zรคhne (selten auch mal 21 Zรคhne) und wird meist aus gehรคrtetem Stahl gefertigt. Die Zรคhne sind von unten leicht angefast und somit schmaler, um die Reibung zu minimieren. Zusรคtzlich sind die Hebeflรคche und die Ruheflรคche poliert, was auch zu einer zusรคtzlichen Reibungsminimierung fรผhrt. Der Ankerradzahn wird wegen seiner Form auch als Kolbenzahn bezeichnet. In Abbildung 2 kรถnnt ihr die Bezeichnung der einzelnen Flรคchen eines solchen Ankerrades erkennen.
Nun geht es auch schon weiter mit dem Herzstรผck der Hemmung: Der Anker. Seinen Aufbau und die Benennung aller Komponenten kรถnnt ihr in Abbildung 3 erkennen. Er besitzt zumeist einen ungleicharmigen Ankerkรถrper. Dies ist dadurch bedingt, dass die Hebeflรคchen den gleichen Abstand vom Ankerdrehpunkt besitzen sollen. Der Ankerkรถrper wurde einfach auf die Ankerwelle aufgepresst und besteht ebenfalls meist aus Stahl (selten aus Messing oder Gold). Die Ankerpaletten bestehen aus synthetisch gezรผchtetem Rubin und wurden mit Hilfe von Schellack in die Klauen des Ankers eingelackt.
Ein wichtiger Teil des Ankers ist auch die Ankerbegrenzung. Diese ist notwendig, um den Anker in seiner Winkelbewegung in beide Richtungen zu beschrรคnken und dafรผr zu sorgen, dass die Unruh, wenn sie aus ihrem Ergรคnzungsbogen zurรผckschwingt, problemlos in die Ankergabel einschwingen kann, ohne, dass sie irgendwo hรคngen bleibt. Fรผr diese Begrenzung gibt es zwei Varianten. Die erste sind feste Ankerbegrenzungen, welche durch eine Einfrรคsung in der Werksplatine dargestellt werden (Abbildung 4).
Diese haben den Nachteil, dass sie nicht verรคnderlich sind und somit keine Einstellung der Ankerbegrenzung zulassen. Die zweite Variante sind zwei Begrenzungsstifte, welche man vom Anker weg- oder hinbiegen kรถnnte, um Einstellungen daran vornehmen zu kรถnnen (Abbildung 5).
Der dritte und letzte Teil der Hemmungsbaugruppe wird von dem Plateau eingenommen (Abbildung 6). Das Plateau wird von unten auf die Unruh gesteckt und dreht sich deshalb mit der Unruh mit. An dem Plateau befindet sich ein Hebelstein aus Rubin, welche immer in die Ankergabel eingreift und den Anker mit auf die andere Seite bewegt. Somit wird das Rรคderwerk um eine kleine Winkeldrehung weiterbewegt und die Unruh kann ihren nรคchsten Ergรคnzungsbogen in die andere Richtung ausfรผhren. Das Plateau selbst besteht meist aus Messing, Glucydur oder Stahl und der Hebelstein aus synthetischem Rubin.
Funktion der Schweizer Palettenankerhemmung
Da wir nun den Aufbau der Schweizer Palettenankerhemmung besprochen haben, kรถnnen wir mit der Funktion bzw. dem Ablauf der Hemmung weiter machen.
Bei jeder Halbschwingung wiederholen sich die Einflรผsse der Hemmung auf das Schwingsystem. Deshalb werden wir auch nur eine dieser Halbschwingungen des Schwingsystems durchsprechen. Die Hemmungsteile befinden sich eigentlich die meiste Zeit in Ruhe und nur wรคhrend des Hebungswinkels befinden sich alle Teile der Hemmung in Bewegung. Im Ergรคnzungsbogen des Schwingsystems bewegt sich immer nur das daran befindliche Plateau und der Anker sowie das Hemmrad sind in Ruhe. Vom Hebungswinkel haben bestimmt schon einige von euch gehรถrt. Er beschreibt den Bereich wรคhrend einer Halbschwingung, wo die Ellipse in Kontakt mit der Ankergabel steht und der Anker von der einen Ankerbegrenzung zur Anderen wandert (Abbildung 7). Er wird in Grad angegeben. Die Zeitwaage benรถtigt die Grรถรe des Hebewinkel, um die richtige Amplitude des Schwingsystems berechnen zu kรถnnen.
Nun wird es etwas komplexer und ich benรถtige euer Mitdenken, damit ihr auch wirklich alle Phasen der Hemmung verstehen kรถnnt.
Die erste Phase ist die sogenannte Ruhephase. Hier liegt der Anker an einer Ankerbegrenzung an (in unserem Fall an der Linken, Abbildung 8 ganz links), das Hemmrad liegt mit seinem Zahn A an der Ruheflรคche der Ankerpalette an und das Schwingsystem befindet sich im Ergรคnzungsbogen (also nicht im Eingriff mit dem Anker). In der Ruhephase bewegt sich also nur das Schwingsystem mit dem daran befindlichen Plateau.
Die Phase der Auslรถsung beginnt, wenn der Hebelstein des Plateaus in die Ankergabel einschwingt und den Anker von links nach rechts zu bewegen beginnt (Abbildung 8 Mitte). Gleichzeitig rutscht der Hemmradzahn A รผber die Ruheflรคche der Palette, bis er am รbergang von Ruheflรคche zu Hebeflรคche angekommen ist (Abbildung 8 rechts). An diesem Eck der Ankerpalette endet dann auch die Phase der Auslรถsung. In dieser Phase der Auslรถsung wird das Schwingsystem von der Hemmung gebremst, weil es den Anker aus der Ruheposition herausheben muss.
Die nรคchste Phase ist die Impuls- oder auch Hebungs-Phase (Abbildung 9). In dieser Phase drรผckt der Hemmradzahn A von unten gegen die Hebeflรคche des Ankers. Die Drehbewegung kommt von der Kraft des Federhauses รผber das Rรคderwerk bis zum Hemmrad. Deshalb mรถchte sich das Hemmrad immer nach rechts drehen. Wรคhrend der Hemmradzahn A gegen die Hebeflรคche gedrรผckt wird, wird die Ankerpalette natรผrlich nach oben gedrรผckt. Dies bewirkt, dass die Ankergabel von links nach rechts geschwenkt wird und nun von links gegen den Hebelstein des Plateaus drรผckt (Abbildung 9 Mitte). Dies passiert so lange, bis der Hemmradzahn A an der Spitze der Ankerpalette angekommen ist und der Hemmradzahn unter der Palette durchrutscht (Abbildung 9 rechts). Dies ist dann das Ende dieser Hebungs-Phase. In dieser Phase wird dem Schwingsystem Kraft zugefรผhrt. Es wird nรคmlich von der Ankergabel von hinten angeschubst und somit sorgt die Hemmung dafรผr, dass die Schwingung der Unruh immer aufrechterhalten wird und sie nicht einfach nach ein paar Schwingungen stehen bleibt.
Nun sind wir auch schon in der letzten Phase eines Hemmungsdurchlaufs angekommen: Die Sicherheitsphase (Abbildung 10). Diese Phase beginnt mit dem sogenannten Fall (Abbildung 10 links). Der Hemmradzahn A fรคllt von der linken Palette des Ankers ab (rutscht unter der Palette durch) und das Hemmrad dreht sich so lange weiter, bis der Hemmradzahn B an der Ruheflรคche der rechten Palette ankommt und abgebremst wird (Abbildung 10 mitte).
An dieser Stelle erkennt man aber, dass die Ankergabel noch nicht vollstรคndig an der rechten Ankerbegrenzung angekommen ist. Dafรผr sorgt nun wieder die Kraft des Hemmrades. Das Hemmrad drรผckt nรคmlich weiterhin auf die Ruheflรคche der Rechten Ankerpalette. Diese Kraft wirkt in einem ganz speziellen Winkel auf die Ruheflรคche, sodass die Palette voll automatisch in Richtung des Hemmrades geschoben wird. So wird die Ankergabel auch noch das letzte Stรผck bis an die Ankerbegrenzung herangedrรผckt. Dieses Stรผck, das der Hemmradzahn noch weiter auf der Ruheflรคche entlang rutscht, nennt man den โverlorenen Wegโ, weil dieser nur der Sicherheit dient und wieder Kraft des Schwingsystems benรถtigt wird, um den Anker aus dieser Position wieder herauszuheben. Im rechten Bild auf Abbildung 8 sieht man dann auch, wie das Schwingsystem wieder in den Ergรคnzungsbogen geht und nun in Ruhe seine Schwingung ausfรผhren kann. Wenn das Schwingsystem aus dem Ergรคnzungsbogen zurรผckkommt, dann beginnt der gleiche Ablauf nochmal, nur in die andere Richtung.
Ich glaube man konnte sehen, dass die Hemmung durch das Abbremsen und Anschubsen des Schwingsystems einen Maรgebenden Einfluss auf die Schwingung der Unruh hat. Hier muss also wirklich alles passen und die Einstellungen der Hemmung mรผssen absolut perfekt sein.
Welche Einstellungen das sind und worauf wir Uhrmacher bei der Hemmung alles achten mรผssen, das erfahrt ihr im nรคchsten Bericht aus dem Technik Bereich. ๐
Euer Leon von ChronoRestore
P.S.: Ich freue mich natรผrlich jederzeit รผber eure Rรผckmeldungen in den Kommentaren!