Wenn die NASA Ausrรผstungsgegenstรคnde erwerben will, wird in aller Regel (รคhnlich wie beim Militรคr) erst einmal ein sehr detailliertes Lastenheft zu Papier gebracht, das sรคmtliche Anforderungen haarklein beschreibt – egal, ob es sich nun um einen Raketenantrieb oder einen Raumanzug handelt. Hรคufig werden die Anforderungen auch รผber eine Ausschreibung kommuniziert – so wie beim neuen NASA-Weltraumklo, das auch auf dem Mond funktionieren soll (nein, kein Scheiร).
Bei der Omega Speedmaster Professional Moonwatch lief das, damals in den 60er Jahren, etwas anders ab – der Chronograph wurde zunรคchst inoffiziell als private Anschaffung von Astronauten getragen bis dann eine ganz normale „Katalog“-Speedmaster zur offiziellen NASA-Uhr wurde. Ende der 60er folgte ein Geheimprojekt zwischen NASA und Omega – das Alaska Projekt, aus dem spezielle Prototypen hervorgegangen sind. Und die landete auch im Weltraum, kurioserweise allerdings an den Armen russischer Kosmonauten, inmitten des Kalten Krieges…
INHALT
Omega: So kam es zum Alaska Project
Ursprรผnglich hat Omega die Speedmaster in den 50er Jahren entwickelt, um beispielsweise die (irdische) Zeitmessung beim Sport zu unterstรผtzen und das Image als Official Timekeeper der Olympischen Spiele zu untermauern. Auch wenn der Beiname โMoonwatchโ heute fest zur Omega Speedmaster Professional gehรถrt, so war der Chronographen-Klassiker ursprรผnglich nicht als offizielle Weltraum-Uhr der NASA vorgesehen. Die Mondlandung war erst recht ein vรถllig absurder Gedanke.
Die Omega Speedmaster, die Wally Schirra, einer der ersten Astronauten der Menschheitsgeschichte, auf der Mercury-Atlas 8-Mission getragen hat, war tatsรคchlich eine rein private Anschaffung und nicht offiziell von der NASA freigegeben. Erst die ab 1964 in Serie produzierte Omega Speedmaster mit der Referenz 105.003 wurde nach einer Vielzahl bestandener Tests zur offiziellen Uhr der NASA-Astronauten getauft (โflight qualified for all manned space missionsโ).
Zwar hatte die NASA damals ebenfalls ein Lastenheft formuliert, die Speedmaster 105.003 war allerdings keine Sonderanfertigung oder dergleichen, sondern wurde ganz regulรคr im Omega-Katalog aufgefรผhrt. Oder mit anderen Worten: Die fรผr Otto-Normal-Kunden erhรคltliche Speedmaster 105.003 war „von Haus aus“ so robust, dass sie alle NASA-Tests bestand (z.B. Vibrationen, Temperaturschwankungen, Schlรคge, Beschleunigung).
Dennoch tรผftelten die klugen Kรถpfe bei Omega ab 1968 (also rund ein Jahr vor der Mondlandung) in enger Abstimmung mit der NASA an weiteren Verbesserungen, um die „perfekte“ Weltraum-Uhr zu schaffen. Der Codename dafรผr: Alaska. Und nein, der Name hatte nichts mit dem gleichnamigen US-Bundesstaat nordwestlich von Kanada zu tun, sondern war einfach der Omega-interne Top Secret-Projektname fรผr alles, was die NASA betraf…
Omega Alaska I Project
Der allererste Prototyp, die Speedmaster Alaska I (Ref. 5-003) wurde 1969, im Jahr der Mondlandung, entwickelt – sowohl Neil Armstrong als auch Buzz Aldrin trugen bei der Apollo 11-Mondlandemission aber nicht etwa den Alaska I-Prototypen, sondern den in Serie produzierten, fรผr jedermann kรคuflich erwerbbaren Nachfolger der Referenz 105.003, die Referenz 105.012.
Charakteristisch fรผr die Alaska I-Speedmaster war insbesondere das schneeweiรe Zifferblatt mit knallig-orangen Zeigern, die an die Gemini-Raumkapseln erinnern. Die weiรe Farbe sollte die Sonne besser reflektieren, zusรคtzlich kam eine Zinkoxid-Beschichtung zum Einsatz, um die Widerstandsfรคhigkeit gegenรผber Sonnenlicht weiter zu verbessern.
Ins Auge sticht auch das mit 46 mm Durchmesser รผbergroรe, kissenfรถrmige Gehรคuse aus Titan, welches das Kaliber 861 (Nachfolger des Cal. 321) beherbergte. Heute ist Titan in der Uhrenproduktion ganz normal, damals war das besonders leichte und harte Material aber eine echte Besonderheit – die Verwendung in der Produktion galt als schwierig, weshalb man auf Militรคrtechnologie zurรผckgreifen musste. Laut Omega war der Alaska-Speedmaster-Prototyp die allererste Uhr รผberhaupt, die in einem Titangehรคuse kam.
Die wesentliche, auf den ersten Blick ziemlich kuriose Eigenschaft der Alaska I-Speedmaster war aber ein abnehmbarer Auรenmantel aus rot eloxiertem Aluminium. Dieser Schutzmantel, auch Thermalschild genannt, sollte ebenfalls das Sonnenlicht fernhalten und dadurch das mechanische Innenleben vor Hitze schรผtzen. Denn merke: Mangels einer „richtigen“ Atmosphรคre sind die Temperaturunterschiede an der Mondoberflรคche zwischen der Tag- und Nachtseite extrem: Im Sonnenlicht kann es bis knapp 130 Grad Celsius heiร werden, im Dunkeln bis zu -160 Grad Celsius.
Omega Alaska II Project
Das Alaska I Project wurde im Jahre 1971 eingestellt, aber bereits im Jahre 1972 in Form eines zweiten Prototypen, Alaska II (Referenz ST 145.022), wiederbelebt: Die Tachymeterskala wich einer im All deutlich nรผtzlicheren Minutenskala, das auf 42 mm geschrumpfte Gehรคuse (dieses mal nicht aus Titan, sondern aus Stahl) wurde komplett sandgestrahlt, um sรคmtliche Reflexionen zu vermeiden. Auch das rote Thermalschild und das weiรe Zifferblatt mit Zinkoxid-Beschichtung waren wieder mit an Bord. In der Summe folgte die Optik der Alaska II-Speedmaster deutlich mehr der „normalen“ Speedmaster-Reihe.
Offenbarwurden nur eine Handvoll Prototypen der Alaska II-Speedmaster hergestellt – im Jahr 2016 wurde einer davon fรผr sage und schreibe 156.000 CHF (damals ca. 145.000โฌ) beim Auktionshaus Phillips versteigert.
Im Jahre 2008 lancierte Omega eine auf 1970 Stรผck limitierte Neuauflage der Alaska II-Speedmaster unter der Referenz 311.32.42.30.04.001. Das Gehรคuse ist wie das Vorbild, der Alaska II-Prototyp, aus Edelstahl. Der Durchmesser entspricht mit 42 mm ebenfalls dem Original. Mit dabei natรผrlich: Das Thermalschild. Wer heute eine gebrauchte Alaska II-Neuauflage kaufen will, muss aber ziemlich tief ins Portemonnaie greifen: die Preise sind stark angestiegen, unter 12.000โฌ ist kaum was zu machen:
Omega Alaska III Project
Mit den Alaska III-Prototypen im Jahre 1978 kehrte Omega von der Idee eines weiรen Zifferblattes ab – der Prototyp kam mit einem satinierten Edelstahlgehรคuse mit 42 mm Durchmesser, Handaufzugskaliber 861 und einer Besonderheit, die man nur bei genauerem Hinsehen erkennen kann: Groรe, radial angeordnete Ziffern auf den Totalisatoren, welche die intuitive Ablesbarkeit bei EVA (extra–vehicular activityโ also Weltraumspaziergรคngen) verbessern sollten.
Mehrere Dutzend der Alaska III-Speedmaster wurden von der NASA bei Omega geordert, um die Astronauten auf dem Space Shuttle-Programm mit Zeitmessern zu unterstรผtzen. Notiz am Rande: Wegen Importbeschrรคnkungen mussten verschiedene Komponenten der Alaska III-Speedmaster in den USA gefertigt werden. Der Swiss Made-Schriftzug fehlt daher auf der Alaska III-Speedmaster.
Die Alaska III-Speedmaster wurde lange Zeit insbesondere auf den Space Shuttle-Missionen der NASA getestet – bis das Modell in den spรคten 90ern von der Omega X33 ersetzt wurde. Die Omega X33 wiederum kam erst kรผrzlich bei der SpaceX Demo-2-Mission offiziell zum Einsatz…
Omega Alaska IV Project
Fans mechanischer Uhren mรผssen jetzt ganz tapfer sein: Mit der Omega Speedmaster Alaska IV, basierend auf der Referenz 186.0004, folgte Omega dem Quarz-Trend und entwickelte einen Prototypen mit LCD-Display fรผr die Space Shuttle-Mannschaft.
Das Quarzwerk 1620, eine Gemeinschaftsentwicklung von Omega und SSIH (Vorgรคnger der heutigen Swatch Group), hatte eine Ganggenauigkeit von +/-5 Sekunden pro Monat – gegenรผber der Gangabweichung mechanischer Uhren war das natรผrlich phรคnomenal und fast schon High-Tech.
Fรผr den Alaska IV-Prototypen nahm Omega eine wichtige Verรคnderung vor: Unter der Bezeichnung Quarz Cal. 1621 ergรคnzten die Schweizer mit Tritiumgas gefรผllte Rรถrchen hinter dem LCD-Display, um fรผr die Beleuchtung zu sorgen, da die Mini-Glรผhbirnen des Serienmodells als potentielles Sicherheitsrisiko von der NASA beurteilt wurden.
Insgesamt 12 Prototypen der Alaska IV-Speedmaster wurden an die NASA geschickt, damit diese an Bord der Space Shuttles getestet werden konnten.
Omega Alaska Project-Speedmaster im Weltraum?
Die Alaska-Speedmaster sollten auf echten Weltraummissionen wie Apollo 18 auf Herz und Nieren getestet werden – eigentlich jedenfalls. Da Apollo 18 und weitere Missionen ab 1970 aber aus Kostengrรผnden abgesagt wurden, kamen die Alaska-Speedmaster nie รผber den Prototypen-Status hinaus.
Zwei Alaska Project-Speedmaster fanden trotzdem ihren Weg ins Weltall – allerdings nicht im Rahmen des NASA-Raumfahrtprogramms, sondern auf der Sojus 25-Mission, einem am 9. Oktober 1977 gestarteten Flug eines sowjetischen Sojus-Raumschiffs zur sowjetischen Raumstation Saljut 6. Es gibt Bildmaterial, das eindeutig Kosmonauten mit Alaska-Speedmaster-Chronographen kurz nach ihrer Landung auf der Erde zeigt. Genauer: Offenbar haben Kommandant Kovalyonok und Bordingenieur Ryumin zusรคtzlich zu ihrer Poljot 3133-Armbanduhr die Omega Alaska II-Speedmaster mit dem markanten Thermalschild neben dem Manometer ihres KV01 Sokol-Raumanzugs im Weltraum getragen.
Uhren aus einem NASA-Geheimprojekt am Arm russischer Kosmonauten? Das dรผrfte den USA inmitten des Kalten Krieges mit der Sowjetunion sicher nicht geschmeckt haben und klingt fast schon nach einem Spionagethriller.
Doch wie kam es dazu? Tatsรคchlich hatte die NASA, wie oben bereits erwรคhnt, die Idee einer speziellen Alaska-Speedmaster zunรคchst begraben, da die Raumfahrtbehรถrde doch keine „Extrawurst“, sondern kommerzielle Uhren haben wollte, die auch fรผr Otto-Normal-Uhrenfreunde erhรคltlich waren, sich bewรคhrt hatten und deutlich gรผnstiger waren (und so kam es ja auch). Die Prototypen mit dem roten Thermalschild wurden daher nicht lรคnger benรถtigt.
Ein Jahr Nachforschung, unendliche Stunden im Archiv und Hunderte Dokumente spรคter fand der Omega-Markenhรผter Petros Protopapas heraus, dass es ein Omega-Importeur war, der die Omega Alaska Project-Prototypen Anfang der Siebziger ganz regulรคr an die russische Raumfahrtbehรถrde verkauft hatte – das Geschรคft lief alles andere als im Geheimen ab, wie die Archivunterlagen dokumentieren…
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Toll recherchierter Beitrag, Mario! Bei den genannten Preisen nehme ich jedoch lieber eine Moonswatch *wegduck * ๐
Von Kleinanzeigen? ๐
Wie gewohnt, wieder mal ein sehr informativer Artikel. Macht richtig Spass!
Spannend.. da googelt man schon so viel zur Speedy und lieรt bei dir trotdem noch etwas neues.