Ich erinnere mich noch an die anfänglichen Diskussionen über Smartwatches: Wer soll denn auf einem so kleinen Display beispielsweise sinnvoll Emails lesen wollen? Bei Äußerungen wie diesen gerät man ins Schmunzeln mit Blick auf die Seiko TV Watch mit Mini-Display, die nach langjähriger, millionenschwerer Entwicklungszeit im Jahre 1982 vorgestellt und 1984 vom Guiness Buch der Rekorde als kleinster Fernseher der Welt geadelt wurde.
Ob die Wächter der Rekorde dabei auch das nicht gerade zierliche Kästchen mit Empfangselektronik (74.5 x 19 x 125 mm) berücksichtigt haben, das man per Kabel mit der Seiko-Uhr verbinden musste, um ein TV-Signal zu bekommen?
Nun, sei’s drum, denn trotz dieses „kleinen Details“ ist die Seiko TV Watch ein etwas kurios wirkendes Vintage-Relikt aus der Kategorie „zurück in die Zukunft“, das auch im Jahre 2022 noch rückwirkend eine nähere Betrachtung verdient…
Rund 100.000 Yen (unter Berücksichtigung von Inflation heute rund 1400€) mussten japanische Kunden damals auf den Tisch legen, wenn sie immer und überall Fernsehen mit der Seiko TV Watch (japanische Ref. DXA001 bzw. DXA002) schauen wollten. Beim Markteintritt in den USA anno 1983 rief Seiko 495$ auf (Ref. T001-5019). Seiko pries dabei einen durchgängigen TV-Genuss von bis zu 5 Stunden an.
Spannend: Die Anzeige unten verdeutlicht die Zielgruppe; sie zeigt neben einem Angler eine Schülerin, die an der Haltestelle noch ein bisschen Fernsehen schaut, bevor der Bus kommt – wer derart aufgerüstet in die Schule zog, betrieb allerdings ein riskantes Spiel: der Grat zwischen Coolness und Peinlichkeit war damals extrem dünn, teure Apparate wie die Seiko TV Watch zogen unweigerlich den Sozialneid auf sich.
Mal von der Diskussion abgesehen wie sinnvoll es nun ist beim Angeln Fernsehen gucken zu müssen: Um auf dem grade mal 1,2 Zoll großen LCD-Display der Seiko TV-Uhr etwas erkennen zu können, braucht man schon etwas Fantasie – das Display ist nicht nur winzig, sondern auch extrem kontrastarm. Zum Vergleich: Die Apple Watch Series 8 kommt mit 1,99 Zoll OLED-Display.
Auch Fernsehen in Farbe war nicht möglich mit der Seiko TV Watch: Die bewegten Bilder auf der Uhr waren seltsam blau-weiß (Farbfernsehen war bereits ab Ende der 60er in Deutschland möglich, nur gab das eben das Display der Seiko TV Watch nicht her). Immerhin: Im Jahr 1983 konnte Seiko die Technologie der TV-Uhr nutzen, um innerhalb des Konzerns das weltweit erste Farb-Flüssigkristalldisplay zu entwickeln. Dieses Farb-LCD wurde später auf dem Color Pocket TV von Epson verwendet (im November 1985 fusionierten die Suwa Seikosha Co., Ltd. und die Epson Corporation zur Seiko Epson Corporation).
Achja, und nicht zu vergessen: Die Seiko TV Watch brachte auch Standard-Funktionen klassischer Digitaluhren mit, also (na klar) Zeitanzeige, Datum/Wochentag, Stundensignal, Stoppuhr mit Rundenzeitanzeige und eine Weckerfunktion. Science-Fiction pur! 😉
Die Seiko TV-Uhr kann in Verbindung mit dem externen Receiver-Kasten, der mit zwei AA-Batterien oder über einen AC-Adapter Saft bekommt, alle UHF- und VHF-Kanäle empfangen – theoretisch jedenfalls, denn man wird heutzutage nicht mehr als ein weißes Rauschen bekommen, da die Sender nicht mehr analog, sondern digital ausstrahlen.
Immerhin: Der UKW-Rundfunk, also der „klassische“ Rundfunk auf Basis von Ultrakurzwelle (UKW), wird ebenfalls von der Seiko TV-Uhr unterstützt und sollte nach wie vor funktionieren: Die Ausstrahlung von Radioprogrammen in Deutschland erfolgt im Frequenzbereich zwischen 87,6 und 107,9 MHz.
Die Seiko TV-Uhr in James Bond 007 – Octopussy
Die Seiko TV-Uhr erfreut sich bis heute unter Sammlern großer Beliebtheit. Und sie ist extrem selten in gutem Zustand und im Full Set mit allem technischen Zubehör zu bekommen. Die Preise bewegen sich entsprechend schnell mal Richtung 1000€ aufwärts.
Das liegt sicherlich auch am Auftritt der Uhr am Arm von Roger Moore als James Bond 007 in Octopussy, kurz nachdem er das Ortungsgerät seiner Seiko G757 getestet hat.
007: „What’s that?“
Q: Oh, that’s the latest Liquid Crystal TV.
Nun ist Octopussy sicherlich nicht grade der beste Bond aller Zeiten, dennoch ist es spannend zu sehen wie Q die Seiko TV-Uhr fiktiv gepimpt hat, um einen Blick auf die Bilder von Überwachungskameras erhaschen zu können – sogar in Farbe und natürlich ohne nervigen Receiver-Klotz.
Eine Szene ist dabei besonders bekannt (und die würde heute sicher einen #metoo-Shitstorm verursachen): Bond zoomt mit einer großen Kamera auf den Busen einer der Labormitarbeiterinnen und sagt trocken:
007: „Perfect image, Q!“
Daraufhin Q nüchtern: „Really, 007, I haven’t time for your adolescent antics!“
Die Seiko TV Watch kommt auch in der letzten Szene des Films zum Einsatz, als Bond und Octopussy den Palast von Hauptantagonist Kamal Khan angreifen. Bond und Q schweben dabei in einem Heißluftballon Richtung Ziel, wobei Bond die Seiko TV-Uhr am Handgelenk trägt. Die Uhr empfängt Aufnahmen von Kameras, die am Heißluftballon montiert sind, sodass 007 sehen kann, was während des Angriffs vor sich geht. Im Abspann des Films wird „Seiko Time (UK) Ltd.“ als einer der Partner genannt.
Den Geheimagenten-Kinoauftritt hat Seiko natürlich auch für einen Werbespot genutzt:
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Schön geschrieben und hübsch bebildert, aber ein paar Quellenangaben wären schon gut gewesen. Gruß Frank (www.taschenfernseher.de)
Klasse Formulierung „der Grad zwischen Coolness und Peinlichkeit war damals extrem dünn“. ich denk aber dieser Grat schreibt sich mit T. 😉
Vielen Dank für diese kurzweilige Zeitreise. Das hätte, meiner Ansicht nach, das Zeug für eine eigene Kategorie in deinem Blog. „Meilensteine der Uhrengeschichte“ oder Ähnliches. Weiter so.