• Beitrags-Kategorie:Uhren-Technik
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Hallo liebe Chrononautix-Leser, der liebe Mario hat mir schon vor einer ganzen Weile zwei Uhren zugeschickt, die er auf dem Dachboden seiner Schwiegereltern gefunden hat. Nun sollte ich sie wieder auf Vordermann bringen und dabei möchte ich gleich noch auf die Thematik eingehen, was mit unseren mechanischen Uhren passieren kann, wenn sie für eine sehr Lange Zeit nicht benutzt werden und welche Schwierigkeiten dies verursachen kann.

[Beitrag von Leon Zihang,
Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com]
Leon Zihang Uhrmacher ChronoRestore

Im folgenden Bild seht ihr die zwei Schmuckstücke, wie sie mir übergeben wurden. Es handelt sich dabei um eine vermutlich eher weniger bekannte Marke namens Freco (Frey & Co. S.A. aus Biel), die hier das ETA 1080 verbaut hat. Die zweite Uhr ist eine Stowa mit einem verbauten ETA 980. Insbesondere bei der Stowa hatte ich zum Ende hin noch einige Probleme, die ich euch später noch etwas schildern möchte.

Doch zurück zum Anfang! Um die Uhren einschätzen zu können lege ich sie immer zuerst auf die Zeitwaage (Witschi Watch Expert 4: Mit dieser Zeitwaage arbeitet der Profi). Im Bild 2 kann man die Zeitwaagen-Anzeige von der Stowa erkennen. Sie zeigt einen starken Vorgang von ca. 88 Sekunden am Tag und einen großen Abfallfehler von 2,1 Millisekunden. Die Amplitude von 240 Grad hat mich tatsächlich überrascht und ist für das Alter der Uhr wirklich annehmbar.

Im dritten Bild könnt ihr die Zeitwaagenanzeige der Freco erkennen. Hier sieht man schon an den Linien, dass die Uhr einen deutlich schwankenderen Gang besitzt. Außerdem ist der Abfallfehler mit 1,8 Millisekunden wieder recht groß und die Amplitude sehr klein.

Nachdem ich mir das Schwingsystem und den Anker angesehen habe, habe ich mich aber gegen das Verbauen einer neuen Zugfeder entschieden, weil die heutigen Nachbau-Zugfedern viel mehr Kraft besitzen. Aufgrund der vorhandenen Einstellung des Ankers könnte ich diese Mehrkraft nicht durch das Schieben der Paletten kompensieren und es könnte zum Prellen der Uhr führen. Das bedeutet, dass das Schwingsystem so weit ausschwingt, dass der Hebelstein des Schwingsystems von der anderen Seite gegen den Anker knallt. Dies könnte zu weiteren Defekten führen und das möchte ich natürlich vermeiden. Hier hoffte ich einfach auf die Wirkung der Reinigung und der neuen Uhren-Öle, dass die Amplitude wieder größer wird und das Schwingsystem damit stabiler schwingt…

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Dachbodenfund #1: Vintage-Stowa

Ich habe mir vorgenommen mit der Stowa zu beginnen und habe sie aus dem Gehäuse ausgeschalt. In den Bildern 4 und 5 könnt ihr das verbaute ETA 980 erkennen.

Hier musste ich direkt feststellen, dass die Lagerstellen des Uhrwerks sehr trocken aussehen. Auch an der markierten Stelle in Bild 5 (der Winkelhebelfeder) ist normalerweise recht viel Fett, weil hier große Kräfte wirken (Bild 6).

Diese Winkelhebelfeder hier sieht sehr trocken aus. Auch bei der weiteren Montage konnte ich an den Ankerpaletten und den Lagerstellen im Räderwerk (Bilder 7 bis 9) keine Ölreste, außer leichte Verschmierungen, feststellen.

Normalerweise hat der Anker an den Paletten eine richtige Ölspur. Die Räderwerksbrücke sollte auch wie im Bild 10 aussehen und nicht nur leichte Ölrückstände besitzen.

Ich vermutete, dass das Uhrwerk schonmal bei einem Uhrmacher war (was sich später auch bestätigte) und mit einer damals für solche Uhren üblichen Variante revidiert wurde. Diese Uhren waren schon damals nicht viel Wert und somit konnten die Uhrmacher auch nicht so viel für den Service berechnen. Deshalb wurden die Werke oft nur aus dem Gehäuse ausgebaut, Zifferblatt und Zeiger abgenommen und zuletzt der Loch- und Deckstein der Stoßsicherungen entnommen. Danach wurde das komplett montierte Uhrwerk in eine Haltevorrichtung gesteckt und durch die Reinigungsmaschine geschickt. Diese hat dann die Uhr in mehreren Reinigungs- und Spüllösungen geschwenkt und zum Schluss noch in einer speziellen Tauchschmierlösung gebadet. In der Zeit hat der Uhrmacher die Loch- und Decksteine der Stoßsicherung gereinigt und frisch geölt. Danach wurde das ganze wieder zusammengesetzt und die Uhr ist wieder an den Kunden raus gegangen. Dieses Prozedere steckt dahinter, wenn euch ältere Uhrmacher erzählen, dass sie mehrere Hundert Uhren pro Woche bearbeitet haben.

Bei einer ordentlichen Revision ist dies nicht möglich. Hier schafft man bei einfachen Werken maximal 2 bis 3 Stück am Tag. Diese beschriebene Tauchschmierung der Uhren hatte den Vorteil, dass die Uhren schnell und günstig wieder gangbar gemacht wurden. Dies war aber nur von kurzer Dauer, weil die Tauchschmierlösung so entwickelt wurde, dass sie das komplette Uhrwerk nur mit einer ganz dünnen Ölschicht benetzt. Dies konnte man auch nicht ändern, da sonst die Spirale des Schwingsystems verkleben würde oder die Hemmung nicht richtig arbeiten würde. Nur so kann ich mir den trockenen und leicht verschmierten Zustand der Stowa erklären. Da diese Schmierung nicht lange hält vermute ich, dass sie wieder recht schnell Probleme machte und der Träger keine Lust mehr darauf hatte. So wird sie auf dem besagten Dachboden gelandet sein, auf dem der gute Mario sie gefunden hat. 😉

Der Rest der Revision ist dann aber recht gut verlaufen, bis ich bei der Montage des Schwingsystems angekommen bin. Hier musste ich feststellen, dass die Spirale schon sehr viele Eingriffe erlitten hat. Die Endkurve war voller Knicke und als ich versuchte diese heraus zu bekommen, musste ich feststellen, dass die Spirale schon sehr weich war. Mit dieser Spirale werde ich also keinen ordentlichen Gang mehr hinbekommen. Bevor ich mich aber an die Ersatzteilsuche wagte, habe ich mit der Demontage und Reinigung der Freco weiter gemacht.

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Dachbodenfund #2: Freco Vintage-Uhr

In den Bildern 11 und 12 könnt ihr die Werk- und Zifferblattseite des in der Freco verbauten Kalibers ETA 1080 erkennen. Bei diesem Uhrwerk konnte man schon eher die typischen Symptome einer lange nicht mehr genutzten Uhr erkennen.

Im Bild 13 unten kann man beispielsweise die eingetrockneten/verharzten Ölstellen auf der Unterseite der Räderwerksbrücke erkennen.

Auch am Federhaus (Bild 14) ist deutlich das hart gewordene Fett in Form von schwarzen Krümeln zu erkennen.

Scheinbar hat die Uhr auch mal etwas Feuchtigkeit gezogen, was schon beim Ausschalen an der rostigen Winkelhebelschraube erkennbar war. Unter der Federhausbrücke (Bild 15) und sogar im Federhaus (Bild 16) konnte ich noch mehr der (Gott sei Dank nur oberflächlichen) Rostspuren finden.

Typisch für diese verharzten Öle und Fette ist auch, dass sie bei der Reinigung nicht vollständig weggewaschen werden. So sieht man im Bild 17 und 18 noch die Rückstände des eingetrockneten Fettes an den beiden Lagern des Federhauses.

Diese Rückstände und auch den Rost musste ich dann händisch mit einem Putzholz (so nennen wir Uhrmacher einen nicht so faserigen Zahnstocher, den wir oft für solche Reinigungszwecke benötigen) nach der Reinigung abkratzen. Danach konnte ich wieder mit der Montage und der frischen Ölung des Uhrwerks beginnen. Nachdem ich den am Anfang erkannten großen Abfallfehler etwas verbessern konnte und die Spirale wieder perfekt gerichtet habe, musste ich trotz der auf 200 Grad angestiegenen Amplitude feststellen, dass der Gang immer noch sehr instabil und schwankend ist. Bei genauerer Betrachtung der Unruhlager und Zapfen war dann auch klar warum.

Scheinbar hat die Uhr mal einen stärkeren Schlag erhalten und nun eiert der obere Zapfen der Unruh. Leider so stark, dass ich hier mit Rollieren nicht weiterkomme. Leider müssen wir mit diesem Problem leben. Deshalb habe ich die Uhr fertig eingeschalt und in die Endkontrolle gelegt. Hier versuche ich nun mit abwechselndem Liegen und Tragesimulation am Uhrenbeweger den Gang möglichst gut auszumitteln, damit die Gangabweichungen nicht so stark nach außen sichtbar werden. Dies ist ein sehr langwieriger Prozess, weil ich die Uhr immer wieder ein paar Tage testen muss, um sie dann minimal zu regulieren (Reglage). Dies wiederholt sich so oft, bis ich den bestmöglichen durchschnittlichen Gang aus der Uhr herausholen konnte.

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Abschließend nochmal zur Stowa und dem ETA 980…

Nun aber weiter zur genannten Ersatzteilsuche zum ETA 980 in der Stowa-Uhr. Leider ist ein Schwingsystem und oder Spirale bei meinen Ersatzteillieferanten nicht lieferbar. Nachdem ich noch ein paar Kontakte abgeklappert habe und mir diese leider auch nicht helfen konnten, musste das eBay herhalten. Hier bin ich auch recht schnell fündig geworden. Doch es hat sich recht schnell herausgestellt, dass es mehrere Varianten des Schwingsystems für ein ETA 980 gibt. Nun gut. Ich muss mich also erstmal mehr über das ETA 980 informieren. Wenn man einfach nur das Kaliber googelt, dann bekommt man schnell ein paar Ergebnisse. Am meisten hat mir bis jetzt immer die Seite uhrwerksarchiv.de weitergeholfen. Unter diesem Link findet man einige Informationen zu diesem Kaliber.

Da sind dann aber auch schon die ersten Probleme aufgetaucht. Scheinbar handelt es sich bei dem Werk von Mario um eine sogenannte Frankenstein-Uhr. Laut dem Uhrwerksarchiv gibt es eine neue und eine alte Version des Uhrwerks. Wenn man die dort gezeigten Bilder mit meinen Bildern 4 und 5 oben vergleicht, merkt man schnell, dass es sich bei der Federhausbrücke, dem Gesperr und dem Schwingsystem um die alte Variante handelt. Allerdings sind die Räderwerksbrücke und der Unruhkloben Teile der neuen Variante. Dies ist besonders an dem Lagerstein in der Mitte für das Minutenrad erkennbar, der in der alten Variante ein einfaches Loch-Lager in der Platine war und in der neueren bereits ein Rubin Lager verbaut wurde.

Beim Unruhkloben ist die Incabloc-Stoßsicherung bei der neuen Variante wohl das aussagekräftigste Merkmal. Allerdings erkennt man auch an den Gravuren, dass es sich um einen neueren Kloben handeln muss. Allerdings ist dieser Kloben auch wieder aus einer Zwischenzeit, weil der Kloben auf der neueren Variante des Uhrwerksarchivs bereits einen drehbaren Klötzchenträger besitzt, während der bei uns verbaute Kloben einen festen Klötzchenträger besitzt.

Das für mich größte Problem sind die unterschiedlichen Unruhen. Da ich einen Anbieter gefunden habe, der alle Varianten auf Lager hat, habe ich, aufgrund des günstigen Preises, einfach beide Unruhen für jeweils ca. 20€ bestellt. Es handelt sich natürlich nicht mehr um neue Unruhen aus alten Lagerbeständen, sondern um sogenannte Ausschlachtuhren. Viele Händler kaufen komplette Uhrwerke an, zerlegen diese und verkaufen die Einzelteile weiter. In diesem Fall weiß man natürlich nie, in welchem Zustand die Spiralen usw. sind. Deshalb bin ich schonmal froh, dass ich für so geringe Kosten gleich zwei der Schwingsysteme ergattern konnte und versuche einfach nacheinander beide zu verbauen. Dieses, welches am Ende besser läuft, das wird dann endgültig in die Uhr eingebaut.

Da die Teile aus Spanien kommen, kann es noch eine Weile dauern, bis ich hier weiter machen kann. Ich werde euch in den Kommentaren auf dem laufenden halten, wie es weitergegangen ist. 🙂

Ich hoffe dieser Einblick in die Bearbeitung der beiden Dachbodenfunde hat euch gefallen. Bei Fragen oder Rückmeldungen freue ich mich natürlich jederzeit über eure Kommentare!

Bis zum nächsten Mal!

Euer Leon von ChronoRestore!

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Konrad
3 Tage zurück

Super spannende Geschichte. Der Teil mit der Tauchschmierung war völlig neu für mich und hat meinen “Vintage – Horizont” wirklich erweitert.