Hallo liebe Uhrenfreunde! Heute mรถchte ich mich einem Thema widmen, das nicht direkt mit der Funktion eines Uhrwerks zu tun hat, sondern eher mit der Produktionsweise und der รsthetik einer Uhr – es soll um die Dekorationen oder auch Finissage des Uhrwerks gehen.
Die Dekoration und Finissage von Uhrwerken sind wesentliche Aspekte der Uhrmacherkunst. Diese Techniken verleihen den Uhrwerken nicht nur รคsthetische Schรถnheit, sondern tragen auch zur Veredelung und zum Werterhalt der Zeitmesser bei. In diesem Beitrag werden wir die Dekorationstechniken Streifenschliff, Sonnenschliff, Anglierungen und Perlage detailliert kennenlernen. Wir werden auรerdem die Herstellungsverfahren, die erforderlichen Werkzeuge und den Aufwand, der fรผr die jeweilige Technik benรถtigt wird, erlรคutern…
[Beitrag von Leon Zihang, Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com] |
#1 Streifenschliff / Genfer Streifen
Der Streifenschliff, auch bekannt als Cรดtes de Genรจve, ist eine der bekanntesten Dekorationstechniken in der Uhrmacherei. Diese Technik besteht aus parallel verlaufenden Linien oder Streifen, die auf Platinen, Brรผcken und anderen flachen Oberflรคchen des Uhrwerks angebracht werden. Mittlerweile findet man diesen Schliff auch auf sehr gรผnstigen und somit auf fast jedem Uhrwerk. Wenn man hier aber etwas genauer hinsieht, dann erkennt man einen deutlichen Unterschied zwischen den Qualitรคten des Schliffs.
Um den Schliff auf die Brรผcken zu bekommen, muss das Bauteil erstmal vรถllig plan auf einer Schiebevorrichtung platziert werden. Von oben kommt dann eine leicht geneigte Bohrspindel, in die ein Schleifteller eingespannt ist. Der Schleifteller ist mit einem ganz feinen Schleifstaub, wie zum Beispiel sogenannte Diamantine, benetzt. Nun wird die Bohrspindel ausgefahren und mit leichtem Druck von oben wird das beweglich gelagerte Werkstรผck darunter in linearen Bewegungen hin und her geschoben.
Um so einen ordentlichen und gleichmรครigen Schliff zu erreichen, benรถtigt es ein groรes Maร an Erfahrung, da die Streifen natรผrlich alle gleich aussehen sollen. Auch die Drehzahl, der Druck und die lineare Bewegung des Bauteils haben Einfluss auf das Aussehen. Im Grunde genommen werden also feine, leicht geneigte Flรคchen in die Oberflรคche des Bauteils geschliffen. Die Anfertigung eines solchen Streifenschliffs kann man sehr schรถn in folgendem Video ab Sekunde 27 von dem Uhrenatelier Akrivia sehen, welche meiner Meinung nach auf traditionelle Art und Weise wunderschรถne Dekorationen auf ihre Uhrwerke zaubern.
#2 Sonnenschliff
Der Sonnenschliff, auch Soleillage genannt, erzeugt eine strahlenfรถrmige Musterung, die von einem zentralen Punkt ausgeht. Diese Technik wird hรคufig auf Zifferblรคttern und rotierenden Teilen, wie dem Federhaus oder besonders oft auf dem Sperrrad, angewendet.
Ich beschreibe das Vorgehen einfach mal anhand des Sperrrades: Das Sperrrad wird meist mit Wachs auf eine plane Flรคche geklebt, welche in der Drehmaschine eingespannt ist. So kann man sicher gehen, dass die komplette Oberflรคche frei ist und bei diesem flachen Werkstรผck nichts im Weg steht. Von der gegenรผberliegenden Seite wird eine, mit Diamantine benetzte, Schleifscheibe an die Oberflรคche des Sperrrades herangefรผhrt. Nun werden sowohl das aufgeklebte Sperrrad als auch die Schleifscheibe in Drehung versetzt. Die Schleifscheibe dreht sich dabei um eine zum Sperrradmittelpunkt versetzte Achse. Das Sperrrad und die Schleifscheibe drehen sich exzentrisch zueinander. Nun wird die Schleifscheibe nur noch gegen die Oberflรคche des Sperrrades gedrรผckt. Et Voila: Der Sonnenschliff ist fertig. Aber Achtung! So einfach, wie sich das Ganze auch anhรถrt: Die Drehgeschwindigkeiten, der ausgeรผbte Druck und der Versatz der beiden Achsen sind entscheidend fรผr ein gutes Ergebnis und benรถtigen wieder sehr viel an Erfahrung.
#3 Anglierte Kanten
Gleich mal vorweg: Ich habe sie in der Ausbildung absolut gehasst! Anglierungen, auch als Fasen bekannt, beziehen sich auf das Abkanten und Polieren der Kanten von Uhrwerkskomponenten im Winkel von exakt 45 Grad. Diese Technik verleiht dem Uhrwerk ein hochwertiges Aussehen, indem die Form eines Teils durch das Spiel von Licht und Schatten betont wird, und dient gleichzeitig dem Schutz der Kanten vor Beschรคdigungen.
Um diese Anglierungen beispielsweise an die Brรผcken des Uhrwerks zu bekommen, muss man zuerst mit einer Feile eine kleine Fase an alle Kanten des Bauteils feilen. Diese Fase komplett umlaufend gleichmรครig hinzubekommen, ist schon eine absolute Kunst.
Das, was als nรคchstes kommt, ist aber noch viel schlimmer! Das Anglieren selbst. Um einen Schutz der Kanten zu erlangen, muss die Fase nicht mit einem kleinen Holz und feinem Schleifpulver poliert werden (wie im Video von Akrivia), sondern mit einem sogenannten Angliermesser. Bei der Variante mit dem Schleifpulver wird ganz wenig Material von der Fase abgetragen, bis alle Unebenheiten beseitigt sind und die Oberflรคche fรผr das menschliche Auge als glatt und poliert erkannt wird. Beim traditionellen Anglieren, bei dem die Fasen auch einen Schutz vor Beschรคdigungen erhalten soll, muss die Oberflรคche aber nicht abgetragen, sondern verdichtet werden.
Hierfรผr fรคhrt man mit dem Angliermesser, welches ein Spitz zulaufender Zylinder aus gehรคrtetem Stahl mit glatt polierten Oberflรคchen beschreibt, รผber die Werkteilkanten. Mit den polierten Flรคchen fรคhrt man nun mit hohem Druck รผber die Fasen des Bauteils und glรคttet damit die Oberflรคche. Je lรคnger man dies macht, umso glatter und polierter erscheint einem die Oberflรคche.
Jeder, der schon einmal probiert hat mit einer harten, glatten und runden Oberflรคche mit viel Druck รผber eine andere runde Oberflรคche zu gleiten, der weiร bestimmt, wie schnell sich die Druckenergie entfalten kann und wie schnell man mit der Spitze des Angliermessers รผber die Oberflรคche der Brรผcke kratzt. So habe ich mir sehr sehr viele Bauteile, die schon fast fertig waren, vollstรคndig zerstรถrt. Diese Art des Anglierens hat mich in der Ausbildung zur Weiรglut gebracht. Das ist wirklich nichts fรผr Menschen mit dรผnnem Geduldsfaden!
#4 Perlage
Zu guter Letzt mรถchte ich euch noch etwas รผber die Perlage erzรคhlen. Diese findet man als Uhrenfreund meist zwischen den einzelnen Brรผcken auf der Oberflรคche der Hauptplatine des Uhrwerks – viele kleine geschliffene Kreise, die sich gegenseitig รผberlappen. Diese Art der Verzierung wird sehr gerne aufgrund ihrer texturierten und ansprechenden Optik hergenommen. Nicht selten wird aber gerne mal an der damit verbundenen Arbeit gespart und eben nur die fรผr den Kunden sichtbaren Bereiche perliert. Bei hochkarรคtigen Marken, wie eben Glashรผtte Original und vielen anderen, werden auch die Bereiche, die sich unter den aufgeschraubten Brรผcken befinden und somit nicht sichtbar sind, trotzdem perfekt perliert.
Auch hier wird das zu bearbeitende Bauteil auf eine plane Flรคche gestellt. Von oben kommt eine Bohrspindel, in die ein Werkzeug eingespannt ist, welches an seiner Spitze eine kleine Gummikugel besitzt. Diese Gummikugel wird nun auch wieder mit einem Schleifpulver benetzt und immer kurz auf die Werkstรผckoberflรคche gedrรผckt.
Dabei entstehen die feinen runden Schleifmuster. Knapp daneben wird dann der nรคchste Punkt gesetzt, damit sich die Schleifmuster immer wieder รผberlappen. Bei dieser Technik wird das Werkstรผck komplett frei gefรผhrt und man muss im Gefรผhl haben, an welche Stelle man den nรคchsten Kringel setzt, damit man ein immer gleich aussehendes Muster erhรคlt. Auรerdem muss aufgrund der Gummikugel, welche die Kreise in die Oberflรคche schleift, immer der gleiche Druck auf das Werkstรผck ausgeรผbt werden, da die Kreise sonst unterschiedliche Grรถรen erhalten. Die Perlage ist auch eine sehr hohe Kunst, die ein groรes Maร an Prรคzision und Gleichmรครigkeit benรถtigt.
Als kleiner Funfact zum Schluss: Die meisten Dekorationen wurden damals entwickelt, um Unebenheiten in den Oberflรคchen der Brรผcken und Platinen zu vertuschen.
Zu damaligen Verhรคltnissen war es kaum mรถglich Werkstรผckrohlinge mit einer gleichmรครigen Oberflรคche herzustellen. Wรคhrend man heute die fertigen Teile einfach nur aus der Frรคsmaschine nehmen muss, mussten damals viele Arbeitsgรคnge mit mehrmaligem Umspannen vollfรผhrt werden, um eine Rรคderwerksbrรผcke anzufertigen. Darunter haben natรผrlich die Oberflรคchen der Brรผcken Unebenheiten erhalten. Um diese zu vertuschen, wurden sie einfach mit solchen Dekorationen รผberdeckt bzw. entfernt.
Ich hoffe, der kleine Exkurs in die รsthetik der Uhrmacherei hat euch gefallen. Wie immer freue ich mich รผber Rรผckmeldungen in den Kommentaren!
Bis Bald!
Euer Leon von ChronoRestore!
Interessanter Beitrag. Wie nennt sich die Dekoration bspw. auf einer Omega SMP mit den radialen breiten Streifen, in denen zusรคtzlich ein Sonnenschliff (?)ist?
Hey Alexander,
der wie ich finde unglaublich schรถne und innovative Schliff des Omega Kaliber 8500 besitzt keinen direkten eigenen Namen. Er wird aber als โSonnenstrahlfรถrmiger Streifenschliffโ bezeichnet. Im Endeffekt ist das auch nichts anderes als ein bogenfรถrmig aufgebrachter Streifenschliff. ๐
LG Leon