In den letzten beiden Beitrรคgen (Stรถรe, Temperaturschwankungen & Co. und Kompensation) haben wir uns angeschaut, welche Umwelteinflรผsse Auswirkungen auf die Ganggenauigkeit unserer Armbanduhren haben kรถnnen und wie wir Uhrmacher versuchen, diese zu kompensieren. Dabei haben wir auch รผber den Schwerpunktfehler der Unruh gesprochen: Dieser hat nur in den Hรคngelagen der Uhr Einfluss auf die Gangwerte. Auรerdem ist fรผr seine Auswirkung auf den Gang entscheidend, an welcher Stelle des Schwingsystems der Schwerpunktfehler liegt.
Um die aus dem Schwerpunktfehler resultierende Gangabweichung zu verhindern, werden die Unruhen statisch und dynamisch ausgewuchtet. Allerdings haben schon kleinste auรermittige Schwerpunkte, die beim Auswuchten nicht mehr entfernt werden kรถnnen, Einfluss auf den Gang. Aus diesem Grund wurden Drehhemmungen wie das Tourbillon erfunden.
Wie diese funktionieren und welche Auswirkungen sie haben, erklรคre ich euch in diesem Beitrag…
[Beitrag von Leon Zihang, Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com] |
Drehhemmungen: Das Tourbillon
Drehhemmungen werden zur Beseitigung von Gleichgewichts- bzw. Lagefehlern der Unruh genutzt. Dabei beruft man sich auf den einfachen Gedanken, dass eine Uhr, die sich in einer Hรคngelage befindet, einen konstanten Gang aufweist, wenn sich der Schwerpunktfehler um die Unruh herumdreht. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass der Schwerpunktfehler beim Stillstand der Uhr gemessen wird. Mit der Drehung des Schwerpunktes ist also nicht die normale Schwingung der Unruh gemeint.
Dazu ein Beispiel: Wir betrachten eine Uhr in der Position โKrone obenโ und haben beim Prรผfen festgestellt, dass sich der Schwerpunktfehler genau unterhalb der Unruhachse befindet. Dies fรผhrt zu einem Nachgang unserer Uhr. Wenn wir nun die Uhr umdrehen, also in die Lage โKrone untenโ bringen, befindet sich der Schwerpunktfehler oberhalb der Unruhachse und sorgt fรผr einen Vorgang der Uhr. Wenn sich die Uhr beispielsweise eine Minute lang in der Lage โKrone obenโ und danach genau eine Minute lang in der Lage โKrone untenโ befindet, gleichen sich die Gangabweichungen gegenseitig aus und die Uhr zeigt insgesamt die genaue Zeit an (siehe Abbildung 1).
Da es unmรถglich ist, dass sich die komplette Uhr beim Tragen immer gleichmรครig dreht und somit den Schwerpunktfehler ausgleicht, hat man dafรผr gesorgt, dass sich der ausschlaggebende Teil (Unruh und die komplette Hemmung) in der Uhr dreht und stรคndig seine Lage verรคndert.
Dieses Prinzip der Drehhemmungen wurde in Taschenuhren genutzt, da diese frรผher fast ausschlieรlich in einer Lage (โKrone obenโ) getragen wurden. Die Uhr befindet sich also in der Brusttasche in der Lage โKrone obenโ: in der Uhr dreht sich die Unruh und ihre Hemmung in einer gleichmรครigen Geschwindigkeit. Dabei befindet sich der Schwerpunktfehler immer wieder an einer anderen Stelle und die Gesamteinflรผsse sind รผber eine gesamte Drehung gleich Null. Die Auswirkung des Schwerpunktfehlers wurde also vollstรคndig kompensiert.
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Heute findet man die Drehhemmungen, speziell das Tourbillon (frz. fรผr Wirbelwind), in Armbanduhren vieler namhafter Uhrenhersteller. Dort zeigen sie jedoch nie den gewรผnschten Effekt, da die Uhr mit den Bewegungen des Trรคgers ihre Lage zu oft รคndert. Aus diesem Grund sind sie heutzutage eher โnurโ ein Beweis von komplexer Uhrmacherkunst – meistens zu horrenden Preisen.
Tourbillon & Co.: Historische Arten von Drehhemmungen
1795 hat Abraham-Louis Breguet das Tourbillon erfunden. Dieses besitzt den Vorteil, dass es den bestmรถglichen Ausgleich ermรถglicht, da es sich um die Unruhachse dreht. Der Nachteil ist, dass es sehr aufwรคndig und dadurch auch teuer in der Herstellung ist. Die Dauer einer vollstรคndigen Umdrehung betrรคgt dabei eine Minute.
Kurz darauf wurde das Halb-Tourbillon entwickelt, welches den zweitbesten Ausgleich der Fehler ermรถglicht. Allerding hat dieses eine Umdrehungsdauer von 5-6 Minuten, weshalb es noch aufwรคndiger als das Tourbillon ist und durch die lange Umdrehungsdauer anfรคlliger fรผr Lagenรคnderungen ist.
Zu guter Letzt wurde 1892 โdas Karussellโ von Bahne Bonniksen entwickelt. Der Vorteil ist, dass es deutlich robuster, einfacher herstellbar und gรผnstiger als das Tourbillon war. Allerdings kommt es nicht ganz an die Ausgleichsgรผte des Tourbillon heran, da es sich nicht um die Achse des Schwingsystems dreht und eine Umdrehungsdauer von ca. 1 Stunde besitzt.
Tourbillon und Karussell: Kraftverlรคufe
In Abbildung 2 unten kรถnnt ihr den schematischen Aufbau eines Tourbillons sehen. Die Kraft kommt natรผrlich aus dem Rรคderwerk der Uhr. Hier greift das Kleinboden โKBโ in das Sekundentrieb โSTโ ein. Auf diesem Sekundentrieb ist der Tourbillonkรคfig โDGโ fest aufgesetzt und wird von dem Kleibodenrad โKBโ in Drehung versetzt. In diesem Kรคfig wird zentrisch die Unruh โUโ gelagert. Auรerdem befindet sich dort noch der Anker โASโ und das Hemmrad โGRโ. Das Hemmrad schaut mit seinem Trieb โGTโ nach unten aus dem Kรคfig heraus und greift in ein feststehendes Rad ein.
Dadurch, dass der Kรคfig fest mit dem Sekundentrieb verbunden ist, mรถchte sich der gesamte Kรคfig aufgrund der Kraftzufuhr aus dem Kleibodenrad drehen. Da das Hemmrad auf dem Kรคfig gelagert ist, muss sich dieses mitdrehen und rollt sich auรen an dem feststehenden Rad ab. So erhรคlt das Hemmrad seine Drehbewegung und gibt die Kraft รผber den Anker an das Schwingsystem weiter. Durch das Abrollen des Hemmrades dreht sich nun der komplette Kรคfig und damit die Unruh sowie ihre Hemmung auch.
Da es recht schwierig ist, das Ganze statisch nachzuvollziehen, konnte ich eine Animation des fliegenden Tourbillon von Glashรผtte Original finden. Die Qualitรคt des Videos ist nicht die Beste, es reicht aber aus, um die Mechanik des Systems zu verstehen:
In Abbildung 3 kรถnnt ihr nun die schematische Darstellung eines Karussells sehen. Das Karussell muss man sich so vorstellen, wie es der Name schon sagt. Es ist eine drehende Platte, auf der sich das komplette Schwingsystem mit seiner Hemmung befindet. Die Kraftรผbertragung kommt wieder aus dem Rรคderwerk. Das Minutenrad โMRโ treibt das Kleinbodentrieb โKBTโ an. Dieses greift direkt in das Drehgestellrad โDGRโ ein und versetzt dieses in Drehung. รber das Kleinbodenrad โKBRโ wird das Sekundentrieb โSTโ und Sekundenrad โSRโ angetrieben. Das Sekundentrieb leitet dabei seine Kraft von unten durch das Zentrum des Drehgestellrades โDGRโ in das gesamte Drehgestell โDGโ. Auf diesem Drehgestell und Drehgestellrad sind nun Hemmrad, Anker und Unruh gelagert. Die Kraft wird also von dem Sekundenrad โSRโ, an das Hemmrad-Trieb โGTโ, รผber das Hemmrad โGRโ und den Anker โHAโ, an die Unruh โUโ weitergegeben. In diesem Fall wird die drehende Komponente, das Karussell, nicht von der Hemmung, sondern direkt aus dem Rรคderwerk, dem Kleinbodenrad, angetrieben. Nur deshalb ist hier diese langsame Umdrehungsdauer von einer Stunde gegeben. Wie bereits erwรคhnt, wird die Unruh hier auรermittig des Karussells gelagert, weil das Zentrum schon von dem oberen Lager des Sekundenrades blockiert wird. Durch diese auรermittige Lagerung ist der Schwerpunktfehler nicht immer die gleiche Dauer an jeder Stelle. Deshalb ist das Karussell zwar die gรผnstigste, aber nicht die beste Kompensation des Schwerpunktfehlers der Unruh.
Tourbillon heute: Ein Anachronismus
Wie ich es schon ganz am Anfang erwรคhnt habe, ist diese Art der Kompensation nicht mehr zeitgemรคร, da die Armbanduhren am Handgelenk zu oft ihre Lage รคndern. Eine sinnvolle Verwendung findet das Tourbillon nur noch in Stand- oder Tischuhren, ansonsten handelt es sich um einen Kampf zwischen den Uhrenherstellern, um das Kรถnnen der jeweiligen Uhrmacher unter Beweis zu stellen. Allerdings rate ich davon ab, diese teilweise skurrilen Kombinationen aus Sportuhr und fliegendem Tourbillon tatsรคchlich fรผr sportliche Zwecke zu verwenden.
Das Tourbillon (in der Bauweise, wie ich es erklรคrt habe) nennt sich das fliegende Tourbillon, da der gesamte Kรคfig nur von unten gelagert wird. Es befindet sich also keine weitere Brรผcke รผber dem Kรคfig und man kann diesen voll und ganz ohne feststehende Streben dazwischen betrachten. Das hat aber den Nachteil, dass der verhรคltnismรครig schwere Kรคfig nur von unten von einem dรผnnen Zapfen getragen wird. Wenn diese Uhr einem stรคrkeren Stoร ausgesetzt wird, sorgt die Trรคgheit des schweren Kรคfigs sehr schnell zu einem Bruch dieser Welle. Die Kombination aus Sportuhr und fliegendem Tourbillon sollte man dann doch lieber als kleinen Scherz ansehen.
Weiterentwicklungen: Tourbillon mit Sekundenstopp und Zero Reset
Die Entwicklungen des Tourbillon hรถrten natรผrlich trotzdem nicht auf. Man hat zwar nun eine sehr genau laufende Uhr geschaffen, aber konnte diese nicht sekundengenau stellen, da es keinen Sekundenstopp gab. Um dieses Problem zu lรถsen hat A. Lange & Sรถhne aus Glasรผtte im Jahre 2008 ein Patent angemeldet – hierbei legt sich beim Ziehen der Krone eine sehr feine Feder mit zwei Armen von auรen an den Kรคfig sowie den Unruhreif an und stoppt somit deren Bewegung.
Im Jahr 2014 kam dann noch die Null-Reset-Funktion dazu (“Zero Reset”) – ebenfalls entwickelt von A. Lange & Sรถhne. Hier wurde der Sekundenzeiger mit Nullstellherz รผber eine Reibung auf das Tourbillon aufgesetzt und eine Art Nullstellhebel in erreichbarer Nรคhe verbaut. Beim Ziehen der Krone schlรคgt der Nullstellhebel auf das Nullstellherz des Sekundenzeigers und dieser dreht sich direkt auf seine Nullstellung, was die Zeiteinstellung deutlich erleichtert.
Das waren auch schon die groben Zรผge zum Tourbillon bzw. allgemein zu Drehhemmungen. Wenn an bestimmten Stellen Fragen entstehen, kรถnnt ihr diese gerne direkt in den Kommentaren oder per E-Mail an mich (info@chronorestore.com) oder Mario (kontakt@chrononautix.com) schicken und ich werde diese schnellstmรถglich beantworten. ๐
Vielen Dank!
Leon von ChronoRestore
Ich bin wirklich sehr beeindruckt von Leons Auffassungsgabe dieser doch รคuรerst komplexen mechanischen Zusammenhรคnge. Klar, er muss das als Uhrmacher alles aus dem FF kรถnnen, aber ich wรคre dazu nicht in der Lage. Umso dankbarer bin ich, dass er sich “herablรคsst” und uns Laien diese Dinge mit so viel Begeisterung und Hingabe erklรคrt. Wo gibt es das sonst? Jeder Artikel von ihm ist eine Offenbarung fรผr mich. Chapeau und vielen Dank, Leon! Mach bitte weiter so!
Hey Andreas!
Vielen lieben Dank dafรผr! ๐
Solche Rรผckmeldungen motivieren mich immer wieder weiter zu machen!
Vielen Dank!
LG
Leon von ChronoRestore