Hey ihr Uhrenfreunde! Heute möchte ich an den letzten Bericht über Chronographen anknüpfen und weiter auf den Kraftverlauf im Chronographenaufbau eingehen. Außerdem möchte ich euch noch mehr über weitere geniale Erfindungen wie den Rattrapante-Chrono oder die Flyback-Funktion erzählen. Also viel Spaß beim Lesen!
INHALT
[Beitrag von Leon Zihang, Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com] |
Kraftverlauf beim Chronographen
Damit ihr auch wirklich alles nachvollziehen könnt, bekommt ihr erst einmal noch zwei Grafiken von mir, die einen Chronographen mit Schaltnocken und einen Chronographen mit Säulenrad als Schaltorgan mit horizontaler Kupplung abbilden. Anhand dieser Abbildungen werden alle Hebel und Räder des Chronographenmechanismus bezeichnet. Für die gleich folgende Erklärung der Kraftverläufe beim Betätigen der einzelnen Drücker beziehe ich mich ausschließlich auf den Chrono mit Säulenrad. Wer also Interesse hat, kann gerne selbst versuchen den Kraftverlauf beim Chronographen mit Schaltnocken abzuleiten. Demjenigen werden viele Ähnlichkeiten auffallen.
Unterschied: Schaltrad vs. Schaltnocken
An dieser Stelle möchte ich noch die Unterschiede des Chronographen mit Schaltnocken zum Chrono mit Säulenrad beschreiben: Abgesehen davon, dass sie sich in ihrem Schaltorgan unterscheiden, besitzt der Schaltnocken-Chrono keinen Umsteller. Der Schaltfinger am Chronozentrumrad ist dabei kein massiver Finger, sondern eine abgeknickte Feder. Dies hat den Vorteil, dass man sich den schon genannten Umsteller sparen kann, da beim Nullstellen die Feder einfach über die Verzahnung des Mitnehmerrad für Minutenzählrad gezogen wird und dieses nicht außer Reichweite gebracht werden muss. Wenn der Schaltfinger fest wäre, würde er ohne den Umsteller am Mitnehmerrad für Minutenzählrad hängen bleiben und höchstwahrscheinlich abreißen.
Beim Schaltnocken-Chrono besteht der Schalthebel aus zwei Teilen und allgemein besitzt der Schaltnocken-Chrono weniger Teile. Außerdem besitzt er weniger komplizierte Teile, weshalb die Herstellung einfacher ist und durch die wirtschaftlichere Fertigung wird dieser öfter produziert als der Schaltrad-Chronograph.
Nun aber weiter zum Kraftverlauf des Säulenrad-Chronographen. Versucht hierbei die einzelnen Schritte Stück für Stück zu durchlaufen und den Bewegungsverlauf anhand der Abbildung nachzuvollziehen…
Kraftverlauf Säulenrad-Chrono: Startvorgang des Chronographen
Beim Betätigen des Start/Stopp-Drückers zieht der Schalthebel am Schalthebelhaken, welcher die Sperrverzahnung des Säulenrades um eine Position weiter dreht. Der Herzhebel wird gehoben, liegt nun außen an einer Säule des Schaltrades an und hakt sich in die Herzhebel- Verriegelungswelle ein. Gleichzeitig befreit der Herzhebel den Umsteller. Außerdem wurde bei diesem Prozess auch der Blockierhebel gehoben und liegt nun außen an einer Säule des Schaltrades an und gibt somit das Chronozentrumrad frei. Durch die Drehung des Schaltorgans fällt aber auch der Kupplungshebel von einer Säule in eine Lücke ab und schließt somit den Eingriff zwischen Kupplungsrad und Chronozentrumrad.
Nun wurde der Chronograph gestartet.
Aber wie genau funktioniert die Kraftübertragung bei den Rädern? Nun, unter dem gesamten Chronographenmechanismus befindet sich das Basiswerk der Uhr, welches durchgängig läuft. An der Stelle des Sekundenrades wird dessen Drehbewegung abgegriffen. Das Sekundenrad besitzt nämlich eine lange Welle, welche in die Ebene des Chronographenmechanismus reicht. Auf diese Welle wurde das Mitnehmerrad fest aufgepresst. Da sich das Mitnehmerrad im ständigen Eingriff mit dem Kupplungsrad befindet, drehen sich diese beiden Räder immer mit dem Basiswerk mit. Nach dem Starten des Chronographen wird das Kupplungsrad mit Hilfe des Kupplungshebels, auf dem das Kupplungsrad gelagert ist, zu dem Chronozentrumrad hin geschwenkt und ein Eingriff der beiden Räder hergestellt.
Nun dreht sich also auch unser Chronozentrumrad, auf dem sich der Sekundenzählzeiger befindet. Nach genau einer Umdrehung des Chronozentrumrades greift dessen Schaltfinger in die Verzahnung des Mitnehmerrad für Minutenzählrad und dreht diese um einen Zahn weiter. Dadurch wird auch das Minutenzählrad, auf dem sich der Minutenzählzeiger befindet, in Drehung versetzt und die Minutenzählradraste springt eine Zahnlücke weiter. Dieser Vorgang ist auf der Zifferblattseite sehr schön zu erkennen, wenn der Chronozentrumzeiger seine Nullstellung durchläuft.
Wenn man nun den Start/Stopp-Drücker erneut drückt, wird das Schaltrad an seiner Sperrverzahnung wieder um eine Position weitergedreht und der Kupplungshebel gleitet wieder außen an eine Säule des Schaltrades. Dabei bewegt sich das Kupplungsrad wieder aus dem Eingriff des Chronozentrumrades. Damit dieses bei einem Stoß nicht verdrehen kann und das Messergebnis verfälscht, fällt gleichzeitig der Blockierhebel in eine Lücke zwischen die Säulen des Säulenrades. Dabei legt er sich außen an die Verzahnung des Chronozentrumrades und hält dieses fest.
Nun steht der Chronograph und man kann einfach die gemessene Zeit ablesen.
Kraftverlauf: Chronograph Nullstellen
Beim Drücken des Nullstell-Drückers wird die Herzhebel-Verriegelungswelle verschoben und der Herzhebel fällt in eine Lücke des Schaltrades, die sich beim Stoppen des Chronographen unter den Herzhebel gedreht hat. Dabei wird vom Herzhebel der Umsteller gehoben, sodass das Mitnehmerrad des Minutenzählers außer Reichweite des Schaltfingers des Chronozentrumrades gelangt. Gleichzeitig hebt er den Blockierhebel von der Verzahnung des Chronozentrumrades ab.
Nun ist das Chronozentrumrad frei drehbar und die Flächen des Herzhebels drücken auf die Nullstellherzen des Chronozentrumrades und des Minutenzählrades. Durch die spezielle Neigung der Flächen am Herzhebel und die besondere Form der Nullstellherzen werden die Räder vor- oder zurückgedreht, bis der Hebel an den Flächen der Herzen anliegt und die Räder ihre Nullposition erreicht haben. Solange der Herzhebel also so auf die Herzen trifft, dass die Kräfte am Drehpunkt des Rades vorbeiführen, werden Herz und Zahnräder mit den darauf sitzenden Zeigern gedreht, bis die flache Seite der Herzen erreicht wird. An diesem Punkt geht die anliegende Kraft des Herzhebels durch den Drehpunkt (=Nullstellung).
So wurde der Chronograph in seine Nullstellung zurückbewegt.
Kraftverlauf: Der Stundenzählmechanismus
Der Stundenzählmechanismus befindet sich im Gegensatz zum restlichen Teil des Chronographen auf der Zifferblattseite. Außerdem greift dieser seine Kraft nicht vom Sekundenrad des Basiswerks ab, sondern direkt vom Anfang der Kraftkette, dem Federhaus. In Abbildung 3 könnt Ihr die Explosionszeichnung aller Teile des Stundenzählmechanismus am Beispiel des ETA 7750 sehen. Das Stundenzählrad besteht aus einer Welle mit festem Trieb, welches in die Verzahnung eines zusätzlichen, am Federhaus befindlichen, Triebes greift. Diese Welle dreht sich dauerhaft mit dem Federhaus mit. Durch eine Art lockere Vernietung und einer Friktionsfeder werden das Nullstellherz, die Radscheibe und die Zeigerwelle mit der dauerhaft drehenden Welle verbunden. Das Stundenzählrad ist die Nummer 56 in der Abbildung 3.
Nun benötigt man für den Rest des Stundenzählmechanismus nur noch drei weitere Hebel: den Nullstellhebel, Blockierhebel und der Schalthebel für Stundenherzhebel sowie eine kleine Feder. Die Feder hält den Nullstellhebel dauerhaft vom Stundenzählrad entfernt. Beim Starten des Chronos wird eine kleine Drehbewegung vom Steuerorgan, dem Schaltnocken, über den Auslösehebel durch das Werk auf die Zifferblattseite übertragen. Auf diesem Auslösehebel wird der Nullstellhebel für den Stundenzählmechanismus gelagert. Durch die Verdrehung des Aulösehebels wird auch der Nullstellhebel bewegt. Gleichzeitig lenkt der Nullstellhebel den Blockierhebel aus, welcher dabei von der Verzahnung des Stundenzählrades abgehoben wird. Dadurch dreht sich nun der obere Teil des Stundenzählrades aufgrund der, von der Friktionsfeder produzierten, Reibung mit. Nun zählt der Chrono auch die vergangenen Stunden.
Beim Drücken des Zwei-Uhr-Drückers wird nun der Blockierhebel wieder an die Verzahnung angelegt und der Stundenzählzeiger wird wieder festgehalten. Zum Nullstellen wird direkt mit dem Drücker der Schalthebel für Stundenherzhebel betätigt. Dieser bewegt den Nullstellhebel entgegen der Kraft der kleinen Feder zum Stundenzählrad und drückt gegen das Nullstellherz. Dieses dreht sich so lange, bis die flache Seite des Nullstellherz am Herzhebel anliegt und somit die Nullstellung eingenommen hat. Dadurch, dass sich der Blockierhebel im Eingriff mit dem Herzhebel befindet, wird dieser während des Nullstellens automatisch von der Verzahnung der Radscheibe abgehoben. Somit kann die Verdrehung auf Null beschädigungsfrei durchgeführt werden. Im Gegensatz zur Nullstellung des Chronozentrum- und Minutenzählrades wird der Herzhebel nicht über eine Feder an die Herzen gedrückt. Dies bedeutet für die Bedienung, dass der Nullstelldrücker wirklich immer vollständig durchgedrückt werden muss, damit der Stundenzählzeiger die Nullstellung erreicht.
Chronographen mit Rattrapante-Mechanismus
Der Rattrapante- Chrono (auch Doppel- oder Schleppzeiger-Chronograph genannt) ist meiner Meinung nach, neben dem Tourbillon, einer der genialsten Mechanismen der Uhrmacherei. Schon zu Beginn meiner Ausbildung konnte ich stundenlang durch den Glasboden den Mechanismus betrachten und wollte diesen unbedingt verstehen. Im Grunde ist der Mechanismus, wie alles in der Uhrmacherei, so unglaublich einfach, wenn man es einmal verstanden hat. Aber diesen Mechanismus zu erfinden und zu realisieren, ist eine absolute Kunst.
Nun aber erst einmal zur Erklärung des Mechanismus: Der Rattrapante-Chronograph wird auch oft Doppelzeiger- oder Schleppzeiger-Chronograph genannt. Über dem eigentlichen Chronosekundenzeiger läuft nämlich noch ein zusätzlicher Chronosekundenzeiger. Bei laufenden Chrono kann man nun mit Hilfe eines dritten Drückers diesen oberen Sekundenzählzeiger anhalten und eine Zwischenzeit stoppen, während der untere Sekundenzählzeiger einfach weiterläuft. Wenn man den Drücker noch einmal betätigt, rennt er dem weitergelaufenen Sekundenzählzeiger hinterher, stellt sich wieder direkt über ihn und läuft ganz normal weiter. Aber wie genau funktioniert das?
In Abbildung 4 könnt ihr die Werkseite eines Chronographen mit Rattrapante Mechanismus erkennen. Im Grunde genommen handelt es sich um einen normalen Chronographen mit horizontaler Kupplung. Allerdings wurde die Welle des Chronozentrumrades (siehe C‘ in Abbildung 5) in der Länge durchbohrt und auf diese Welle noch ein weiteres Nullstellherz „M“ montiert.
Durch die Welle des Chronozentrumrades wird nun das sogenannte Doppelzeigerrad „G“ gesteckt und gelagert. An diesem Rad befindet sich eine Feder „J“, an deren Ende ein runder Rubin befestigt ist, der im montierten Zustand gegen das zusätzliche Nullstellherz des Chronozentrumrades drückt. Durch den ständigen Druck auf das Nullstellherz dreht sich das Doppelzeigerrad immer automatisch in die eingestellte Position. Normalerweise sollten in diesem Zustand die beiden Zentrumszeiger genau übereinander liegen. Nun haben wir das, mit dem normalen Chronozentrumrad mitdrehende, Doppelzeigerrad realisiert. Jetzt kommen wir zum Steuermechanismus des zusätzlichen Zeigers. Wir gehen davon aus, dass der Chronograph läuft und sich beide Zentrumszeiger übereinander befinden. Durch Drücken des dritten Drückers wird nun die zusätzliche Einrichtung des Rattrapante-Mechanismus in Abbildung 6 angesteuert.
Über den dritten Drücker wird der Schalthebel mit der Klinke R gegen die Schalthebelfeder T betätigt. Das Schaltrad E hat zwei Stellungen, die durch die Doppelzeiger-Schaltradsperre S vorgegeben sind. Die beiden Stellungen beziehen sich auf „Doppelzeiger-Zange geschlossen“ (Figur 1) und „Doppelzeiger-Zange geöffnet“ (Figur 2), was durch die Säulen des Säulenrades bestimmt wird. Ist die Zange geschlossen (Fig. 1), hält sie das Doppelzeigerrad, welches allgemein ganz glatt oder leicht aufgeraut ist, fest. Falls in dieser Position das Chronozentrumrad C noch dreht, läuft das Doppelzeigerherz M unter der Steinrolle J hindurch. Dabei wird, je nach Weite vom Zentrum, der Doppelzeigerhebel mehr oder weniger abgehoben.
Wird der dritte Drücker abermals betätigt, kommt die Doppelzeiger-Zange E auf zwei Säulen des Doppelzeiger-Schaltrades zum Liegen und öffnet sich (Figur 2). Dadurch wird das Doppelzeigerrad G frei. Augenblicklich läuft die Steinrolle J, welche unter dem Einfluss der Feder U steht, an dem Doppelzeiger-Herz in dessen tiefsten Punkt (zwischen die Herzbacken), wie es in Figur 2 zu sehen ist. Weil sich das Doppelzeiger-Herz M auf dem Chronozentrumrad befindet, haben beide Räder (Chronozentrumrad und Doppelzeigerrad) in dieser Position immer die gleiche Lage zueinander, unabhängig davon, in welcher Stellung das Chronozentrumrad zum Uhrwerk steht. Setzt man nun die beiden Zeiger so übereinander, dass sie die gleiche Stellung haben, wirken sie von oben wie ein einziger Zeiger. Man spricht hier auch vom Nachspringen des Rattrapante-Zeigers.
Das Starten und Anhalten des Rattrapante-Zeigers kann, wenn der Chronozeiger läuft, beliebig oft wiederholt werden, weil dieser Mechanismus unabhängig vom Nullstellen des Chrono-Zeigers ist. Steht der Chrono-Zeiger bereits auf Null, springt der Rattrapante-Zeiger ebenfalls auf Null. Umgekehrt kann aber auch der Chrono-Zeiger beliebig oft gestartet oder angehalten werden, während der Rattrapante-Zeiger steht; Entweder auf Null oder an einer beliebiger Stelle.
Chronographen mit Flyback-Mechanismus
Auch beim Flyback-Mechanismus handelt es sich um den bereits erklärten Chronographen-Mechanismus mit Schaltrad und horizontaler Kupplung. In Abbildung 7 werden die wesentlichen Bestandteile gezeigt. Der Flyback-Chrono zeichnet sich dadurch aus, dass er im laufenden Betrieb zurückgesetzt werden kann, ohne vorher gestoppt zu werden.
Bei Druck auf den Nullstelldrücker wird der große halbkreisförmige Hebel ausgelenkt und drückt dabei den Herzhebel „A“ in die gestrichelt angedeutete Position. Durch einen weiteren Hebel „B“, welcher durch eine kleine Nase auf dem Herzhebel verdreht wird, wird der Kupplungshebel mit dem darauf gelagerten Kupplungsrad „C“ aus dem Eingriff des Chronozentrumrades gebracht.
Fast zeitgleich trifft der Herzhebel auf die Herzen der Zählräder und dreht diese in ihre Grundposition zurück. Im Vergleich zum Chronographen ohne Flyback-Mechanismus wurde also ein zusätzlicher Hebel verbaut, der beim Nullstellen die Verbindung zwischen dem Kupplungsrad und dem Chronozentrumrad trennt.
Übrigens: Im Jahre 1936 erhielt Longines ein Patent für sein Kaliber L13ZN mit Flyback-Funktion: Die Flyback-Funktion wurde nach ihrer Einführung in den 1930er-Jahren insbesondere von (Kampf-)Piloten geschätzt, die im Cockpit – etwa bei einem Blindflug – schnell und unkompliziert neue Zählvorgänge auslösen können mussten.
Mehr: Longines Spirit Automatik-Fliegeruhr im Test – Punktlandung?
Der Chronograph ist durch seine vielen Hebel eine der komplexesten Komplikationen in der Uhrmacherei. Ich hoffe, ich konnte die Grundlagen der Mechanismen einigermaßen verständlich erklären. Wenn es zu viel auf einmal war und es jemanden dennoch vollständig nachvollziehen möchte, empfehle ich es nochmal langsam zu lesen und die Bilder ausgedruckt daneben zu legen, um wirklich jede Bewegung nachvollziehen zu können. Die Einstellung und Anpassung aller Hebel sind eine Herausforderung, die man nur in geübte Hände geben sollte. Bei meiner Ausbildung in der Uhrmacherschule Alfred Helwig in Glashütte kam ich in den Genuss, den Chronographen immer und immer wieder mit künstlich eingebauten Fehlern zu bearbeiten.
Ich bedanke mich für eure Konzentration und verspreche, im nächsten Beitrag wieder über leichtere Kost zu schreiben. 😉
Sollten euch noch ungeklärte Fragen auf der Zunge liegen, schreibt sie in die Kommentare! Ich werde sie schnellstmöglich beantworten.
Bis Bald!
Leon von ChronoRestore