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Eine mechanische Uhr als Laie ohne uhrmacherisches Know-How regulieren (sogenannte Reglage)? Lieber die Finger davon lassen! Das ist zumindest die Einstellung von vielen von euch da draußen. Auch ich, ein Uhrmacher, der schon viele defekte Spiralen aufgrund von fehlerhaften Regulierarbeiten retten musste, gehe mit Vorsicht an dieses Thema heran. Doch eine kleine innovative Marke hat die Reglage einer mechanischen Armbanduhr nun auch für den Laien zugänglich gemacht. Und das ganze sogar ohne das Uhrengehäuse öffnen zu müssen. Ich spreche von der Marke Horage und dem MicroReg-Mechanismus. 2007 gegründet und mit Sitz in Biel in der Schweiz, arbeiten hier ca. 30 Mitarbeiter an unglaublichen Innovativen und Ideen innerhalb des Armbanduhrenkosmos…

[Beitrag von Leon Zihang,
Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com]
Leon Zihang Uhrmacher ChronoRestore

Die „Sinnhaftigkeit“ von Horage Microreg aus Uhrmacher-Sicht

Mir ist Horage zum ersten Mal auf der WatchTime 2024 aufgefallen. Ich war selbst mit meinem Uhrenservice ChronoRestore als Aussteller dort und hatte einen Stand gegenüber von Horage. Leider blieb aber keine Zeit, um selbst mal über die Messe zu spazieren und sich ein paar Informationen einzuholen. Zuletzt hat uns ein Leser nochmal auf diese Uhr aufmerksam gemacht und ich habe die Recherchen dazu nun nachgeholt und möchte mit euch in die technische Funktionsweise des MicroReg-Systems von Horage einsteigen – die erste Uhr, die von außen durch einen Laien reguliert werden kann. (Abbildung 1)

Das Design der Uhr ist nach kleineren Recherchen in einschlägigen Foren etwas umstritten. Ich als Uhrmacher bin begeistert! Nur wenige Marken zeigen die Technik und Mechanik ihrer Uhren in diesem Ausmaß. Auch wenn es mutig ist, weil vielen Uhrenliebhabern die Ablesbarkeit einer Uhr sehr wichtig ist, setzt Horage trotzdem gerne auf das Wunderwerk der Technik und stellt die Ablesbarkeit der Uhrzeit etwas in den Hintergrund. Das muss nicht jeder mögen, ich finde es aber spitze!

Nun aber zurück zur Technik: zusammen mit der Uhr erhält man ein kleines Regulierwerkzeug, welches mit zwei Kontaktpunkten außen am Gehäuse angelegt wird. Nun muss man nur noch die + oder – Taste des Werkzeuges drücken und kann den Gang der Uhr damit in 0,1 Sekunden-Schritten verstellen. So kann jeder Uhrenbesitzer die Uhr an sein Trageverhalten anpassen.

Doch ist das nur eine Spielerei? Ehrlich gesagt: Jain. Ich finde die Idee extrem cool und die Umsetzung ist Horage auch sehr gut gelungen! Auch der Gedanke dahinter, dass sich eine Uhr bei jedem Träger anders verhält und somit eine andere Ganggenauigkeit aufweist, ist richtig und sehr gut gedacht.

Doch macht ihr jeden Tag die identisch gleichen Handbewegungen, weshalb die Uhr eine Regelmäßigkeit in eueren Bewegungen „feststellen“ könnte? Klar, es gibt sicher starke Unterschiede zwischen den Armbewegungen eines Möbelpackers und eines Bürokaufmanns. In diesem Fall wird man bei der gleichen Uhr vermutlich unterschiedliche Gangwerte feststellen. Doch wie ist es, wenn ich immer den gleichen Job ausübe?

Nun, nicht nur die Intensität der Armbewegungen und die damit verbundene Lagenänderung der Uhr, sondern auch Temperaturschwankungen, Luftdruck usw. haben Einfluss auf den Gang. Wer also glaubt mit dem Microreg-Werkzeug eine mechanische Uhr auf eine Gangabweichung von 0 Sekunden regulieren zu können, dem muss ich hier gleich den Zahn ziehen. Eine mechanische Armbanduhr unterliegt IMMER Schwankungen von wenigen Sekunden am Tag. Wenn man Glück hat, dann gleichen sich diese Schwankungen in Form von Vorgehen und Nachgehen so aus, dass die Uhr nahezu 0 Sekunden Abweichung pro Tag aufweist. Dies hat aber mehr mit Glück als mit guter Reglage zu tun. Selbst sehr genau laufende Uhren, wie die Chronometer haben einen Bereich von -4 bis +6 Sekunden, in dem sie pro Tag laufen dürfen. Da wir Uhrmacher eben nicht wissen können, wie die alltäglichen Armbewegungen des Trägers aussehen, geht es einfach nicht genauer. Mit Tragesimulationen am Uhrenbeweger versuchen wir dieses Trageverhalten nachzuahmen, aber es passt eben leider nicht zu jedem Träger. Dafür sind wir Menschen einfach zu individuell.

Doch genau da kommt die Genialität des Horage MiroReg-Systems ins Spiel: Nun kann jeder Träger, wenn er feststellt, dass seine Uhr meist zwischen 2 und 3 Sekunden am Tag vorgeht, das tolle Reglagetool ansetzen und die Uhr einfach mit 20 Tastendrücken um 2 Sekunden nach unten regulieren. Nun sollte die Uhr nur noch 0 bis +1 Sekunde am Tag vorgehen. Die Uhr ist also ab jetzt individuell an das Trageverhalten anpassbar.

Tatsächlich habe ich in einem Forum gelesen, dass dies ja absolut sinnfrei wäre, wenn man keine Zeitwaage hat und man sonst nur „ins Blaue“ regulieren würde. Erstens: Habt ihr euch schon einmal informiert was eine ordentliche Zeitwaage kostet? Ich benutze das Ding mehrmals täglich und ich musste schon schlucken, als ich den Preis gesehen habe. Ich glaube, dass sich der Endkunde wenig freut, wenn die Uhr plötzlich mehr als das doppelte kostet. Außerdem dient die Zeitwaage nur zur groben Reglage. Die Feinreglage findet immer in der Endkontrolle statt. Hier wird die Uhr in unterschiedlichen Lagen abgelegt und täglich der Gang kontrolliert. Danach wird sie noch auf dem Uhrenbeweger in Bewegung geprüft. Sollten sich hier noch größere Abweichungen erkennbar machen, wird die Reglage nochmal feinkorrigiert und das Spiel beginnt von vorne. Im Endeffekt also genau das, was ein Uhrenträger als Laie mit dieser Uhr von Horage selbst machen kann. Außerdem ist dies noch viel einfacher, weil man einen Anhaltspunkt hat.

Jeder Tastendruck mit dem Microreg-Werkzeug soll ca. 0,1 Sekunden regulieren. Obwohl ich die Uhr noch nie in den Händen hatte, vermute ich, dass dies nicht zu 100% stimmen kann. Da handelt es sich sehr wahrscheinlich um einen theoretischen Wert, weil der Gang einer mechanischen Uhr eben von zu vielen Faktoren beeinflusst wird. Allerdings kann man doch einfach mitzählen. Wenn ich den + Knopf 10-mal drücke, dann sollte die Uhr eine Sekunde pro Tag vorgehen (Wenn dies noch nicht ausgereicht hat oder zu viel war, dann muss eben noch einmal nachgebessert werden. Anders machen wir Uhrmacher das ja auch nicht.). Wer das nicht hinbekommt, der kann vermutlich auch keine Uhr ablesen und würde auch nicht damit in Berührung kommen. (Nur so viel zu den qualifizierten Beiträgen in Foren 😉).

Die Technik von Horage MicroReg im Detail

Aber wie funktioniert der MicroReg-Mechanismus nun genau? Als ich davon gehört habe, war ich erst einmal etwas am Zweifeln. Eine Uhr mit einem kleinen Elektromotor? Da haben bei mir alle Alarmglocken geläutet. Ein Elektromotor besteht im Normalfall aus Spulen, welche ein Magnetfeld erzeugen. Magnetfelder sind bekanntlich nicht so gut für die Uhr. Nach meinen letzten Recherchen stellte sich aber heraus, dass Horage dies ebenfalls bedacht hat und das Wort „Elektromotor“ nur zu Veranschaulichungszwecken zur einfacheren Erklärung hernimmt. Tatsächlich handelt es sich nämlich um einen Motor, der ohne Magnetfelder funktioniert. Er besteht im Wesentlichen aus einer in eine spezielle Form gefrästen Edelstahlplatte, welche an die Form des Instruments Lyra erinnert (Abbildung 2).

Am hinteren Ende, also dem geschlossenen Teil dieser U-förmigen Platte, wurden auf beiden Seiten sogenannte Piezokristalle befestigt. Ein Piezokristall hat die Eigenschaft, dass er sich mechanisch verformt, sobald Spannung an ihm angelegt wird. Diese mechanische Verformung findet aber im Bereich von Mikrometern statt und ist somit weder sichtbar, noch könnte man diese Bewegung direkt zum Regulieren einer Uhr verwenden. Allerdings kann man diese kleinen Bewegungen durch geschicktes Ansteuern der Piezokristalle verwenden, um aus den beiden Ärmchen der Lyraform zwei greifende Finger zu machen, die etwas Hin- und Herschieben können. So sind dann auch die ersten Prototypen entstanden, wo ein kleiner Balken mit Hilfe der beiden Ärmchen aus der Lyra herausgeschoben oder hineingezogen wird (Abbildung 3 und 4).

Daraus wurde dann auch direkt der erste Prototyp gebaut, wie er in Abbildung 5 zu sehen ist.

Hier kann man sehen, wie ein Balken zwischen den Lyraärmchen direkt an den Rückerzeiger greift und diesen Hin- und her bewegen kann. Später wurde das Ganze noch weiter optimiert. Ich vermute, um die Einstellungsmöglichkeit noch genauer zu machen, wird nunmehr über den soeben erklärten Motor kein Balken verschoben, sondern ein kleines Rädchen verdreht (Siehe Abbildung 6).

Dieses erzeugt dann vermutlich über eine Art Schneckengetriebe die lineare Bewegung, um den Rückerzeiger hin- und her zu ziehen (durch Verschieben des Rückers verlängern oder verkürzen wir die wirksame Länge der Spirale – mehr: Reglage: Ganggenauigkeit einer Automatikuhr einstellen – der Uhrmacher als Herzchirurg).

Ein riesiger Vorteil dieses Motors ist, dass er vollständig ohne Energie zu verbrauchen in seiner Position verharrt. Ja, er hält den Rücker sogar stabil in seiner Position, während jeder andere Motor in eine Art Leerlauf gehen würde und sich bei Schlägen, Erschütterungen oder anderen äußeren Einflüssen immer wieder verstellen kann. Zudem wurden mit dem Horage Motor meine vorherigen Bedenken des Magnetismus vollständig eliminiert.

Aus Uhrmachersicht finde ich diese Erfindung einfach nur genial! Mir gefällt auch die Herangehensweise, die Mechanik und damit das Uhrwerk sichtbar zu machen. Das liegt aber Vermutlich an meinem Faible für die technische Kunst hinter den Zifferblättern. Trotz alledem kann man die Zeit auf der Vorderseite der Uhr ablesen, auch wenn es nicht so eindeutig und genau wie bei typischen Uhren der Fall ist.

Wie gesagt, kann man sich viel darum streiten, ob es sinnvoll ist oder nicht. Dies kann man in der Uhrmacherei aber gefühlt überall. Es ist und bleibt ein Luxusbereich, den man eigentlich nicht zwingend braucht, aber lieben lernen kann. Ich feiere solche Neuentwicklungen und kenne sehr viele Uhrenliebhaber da draußen, die extreme „Sekundenreiter“ sind und mit dieser Uhr endlich mal die Möglichkeit haben sich selbst an der Reglage einer Uhr ausprobieren zu können, ohne diese öffnen zu müssen und die Gefahr von Fehlern oder Defekten eingehen zu müssen.

Alle hier gezeigten Bilder dienen der Veranschaulichung für euch, wie das MicroReg-System funktioniert und wie es arbeitet. Die Bilder habe ich aus diesem Video von Horage und von der offiziellen Horage.com Webseite. Ich wollte diesen Bericht völlig ohne Einfluss und Überzeugungskraft von Horage schreiben und hoffe, dass ich die Bilder auch in Zukunft verwenden darf und habe mir die Erlaubnis dafür einfach mal vorweggenommen. Schaut gerne nochmal in das Video rein. Hier wird alles, zwar auf Englisch, aber gut verständlich erklärt.

Ich bedanke mich mal wieder fürs Lesen und freue mich auf eure Rückmeldungen in den Kommentaren!

[Beitrag von Leon Zihang,
Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com]
Leon Zihang Uhrmacher ChronoRestore

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