In diesem Gastbeitrag von Nikolaus Förster geht es um die Uhren-Manufaktur H. Moser & Cie. aus Schaffhausen, die große Aufmerksamkeit auf sich zieht, weil sie eine Waffe einsetzt, mit der die Uhrenbranche kaum umgehen kann: Humor. Moser-CEO Edouard Meylan gefällt sich in der Rolle des Provokateurs…
INHALT
H. Moser & Cie. Uhren: Tradition trifft Provokation
Ja, er kann ernst sein. Zumindest für einen Moment. Dann verharrt er kurz, seine Mimik erstarrt, die Augen blitzen entschlossen. Doch ehe man sich versieht, umspielt ein Lächeln seine Mundwinkel. Und schon zeigt er wieder sein wahres Gesicht: das eines Schelms – inmitten einer Branche, die Ernsthaftigkeit und Tradition hochhält, Gediegenheit und Glamour. Edouard Meylan, seit 2013 an der Spitze der wiederbelebten Uhrenmanufaktur Moser & Cie. aus Neuhausen am Rheinfall, weiß, dass er nicht in die althergebrachten Muster passt. Er liebt und kultiviert es – und setzt im Kampf um Aufmerksamkeit eine Waffe ein, der seine Wettbewerber wenig entgegenzusetzen haben: Humor.
Selbstverständlich ist dies nicht. Uhren waren immer eine ernste Angelegenheit in Meylans Familie, sie prägten Edouard von Kindheit an. Er wuchs in Le Brassus auf, in jenem unwirtlichen Hochtal nördlich von Genf, wo die Bauern schon im 19. Jahrhundert, wenn sie von Schnee eingeschlossen waren, an Uhren tüftelten. Sein Vater Georges-Henri führte über 20 Jahre lang die Manufaktur Audemars Piguet. Als er 2008 in den Ruhestand wechselte, hielt er es nur kurz auf dem Golfplatz aus. Er gründete die Familienholding Melb und übernahm 2012 die Mehrheit an der kriselnden Manufaktur H. Moser & Cie, deren Wurzeln in das 19. Jahrhundert zurückreichen. „Das war eine schwierige Zeit für Moser“, erinnert sich Edouard Meylan. Die Firma fuhr Millionenverluste ein, die Produktion mit damals 80 Mitarbeitern war äußerst kostspielig. Viele Teile mussten extra angepasst werden, damit sie in die Uhren montiert werden konnten. Die Meylans investieren in neue Maschinen und produzieren die einzelnen Teile von vornherein so, dass sie in die Uhren passen. „So erreichten wir sehr viel mehr Effizienz“, sagt Meylan. Das Team wird auf 40 Köpfe reduziert – und der Umsatz verdoppelt.
Für die Familie ist dieses unternehmerische Abenteuer etwas Besonderes – es gibt familiäre Wurzeln: Edouard Meylans Urgroßvater, Octave Meylan, verantwortete einst Mosers Russlandgeschäft, bevor es im Zuge der Oktoberrevolution 1917 verstaatlicht wurde und er in die Schweiz zurückkehrte. So reichhaltig die historischen Quellen auch sind – die Meylans rücken die Wurzeln der Marke nicht in den Vordergrund. „Das machen alle“, begründet Meylan diese Entscheidung. „Alle beziehen sich darauf, wie alt oder innovativ sie sind.“
Heinrich Moser dient ihnen vielmehr als unternehmerisches Vorbild, als Mensch, der sich nicht beirren ließ und sich gegen Widerstände durchsetzte. Der Namensgeber der Marke sei nicht nur ein ehrgeiziger und visionärer Uhrmacher gewesen, sondern auch „ein unermüdlicher Unternehmer“. Edouard Meylan weiß, wie wichtig öffentlichkeitswirksame Provokationen bei der Wiederbelebung der Marke sein können: „Wenn niemand die Marke kennt, werden wir auch keine Uhren verkaufen.“
H. Moser & Cie.: Swiss-Made-Satire im Kuhstall
Irgendwo in einem Kuhstall: Edouard Meylan hat sich Lederhosen angezogen, über sein hellblaues Hemd rote Hosenträger mit Schweizer Kreuzen, dazu eine rote Wollmütze. Er schultert eine hölzerne Armbrust, schlendert, begleitet von volkstümlichen Ziehharmonika-Klängen, an den Kühen entlang – als Hauptfigur in einem Zweieinhalb-Minuten- Film, der wenig später Hunderttausende Zuschauer auf YouTube finden soll. „Make Swiss Made Great Again“, lautet der Titel der Satire, die die allzu laxe Auslegung des Swiss-Made-Labels anprangert: Nach der Verschärfung des Qualitätssiegels „Swiss Made“ müssen seit 2017 mindestens 60 Prozent der Herstellungskosten einer Swiss-Made-Uhr in der Schweiz anfallen. Für die Manufaktur H. Moser & Cie., die bis auf das Armband alles in der Schweiz herstellt, ist das eine Farce. Und so verzichtet Moser bei vielen seiner Modelle gleich ganz auf die Bezeichnung „Swiss Made“.
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Der Film ist eine Satire auf das, wofür die Schweiz angeblich steht: für Schokolade, Geldwäsche, Heidi – und Uhren. Eigentlich, eröffnet Meylan seinen Zuschauern, seien die Schweizer Zauberer: „We can turn anything in something Swiss!“ Ob jemand in den Alpen schon einmal gesehen habe, dass dort Kakao angebaut werde? Nein? Dennoch gebe es angeblich Schweizer Schokolade. Die Schweizer liebten das Geld und würden jede Währung annehmen: „Wir verstecken es, wir waschen es, und dann verwandeln wir es in unsere ach so sauberen Schweizer Franken!“ Und all das dank „unserer unbefleckten Schweizer Bankiers!“ Heidi, angeblich eine Schweizer Ikone, stamme gar nicht aus dem Alpenland, sondern sei Deutsche!
Swiss Mad Watch und Swiss Alp Watch von Moser & Cie.
Und die berühmten Schweizer Uhren? „Sie werden gar nicht in der Schweiz hergestellt!“, sagt er, zielt mit seiner Armbrust auf einen Apfel, drückt ab und kommt dann zum eigentlichen Clou des Films, der Vorstellung der Moser’schen „Swiss Mad Watch“, die zu „100 %“ aus der Schweiz stamme – samt Gehäuse aus Schweizer Käse und Lederarmband aus Schweizer Kuhhaut. Diese Uhr sei in der Schweiz, von Schweizern mit Schweizer Material hergestellt worden. Und der Käse sei sogar pasteurisiert. Im Abspann heißt es: „Keinen Kühen oder Schweizer Bankern wurde bei den Filmarbeiten Schaden zugefügt.“
Der Film sorgt, kurz vor dem Genfer Uhrensalon, für Schlagzeilen. Als die „Swiss Mad Watch“ wenige Monate später bei Christie’s in Genf für 100 000 Schweizer Franken versteigert wird – das Geld fließt an eine Stiftung für Schweizer Uhrmacherkultur –, gibt Meylan zu Protokoll, es gehe ihm darum, „die Defizite oder Versäumnisse dieser manchmal elitär und weltfremd erscheinenden Branche“ hervorzuheben.
Freunde macht er sich damit nicht. Aber er schafft es in die Öffentlichkeit. Und die ist wichtig, um sich im Wettbewerb bemerkbar zu machen: Die Marke wird seit dem Neustart anders positioniert – mit dem Slogan „Very rare“. Knappheit wird zu einem strategischen Konzept. Viele Marken hätten zu lange zu viele Uhren auf den Markt geworfen, kritisiert Meylan. Mit der neuen Positionierung distanziert sich Moser davon. „Fertige mindestens eine Uhr weniger, als Du verkaufen könntest“, lautet eine der neuen Regeln bei Moser.
Selten ist auch die ungewöhnliche Fertigungstiefe in der hauseigenen Manufaktur –und der Versuch, sich mit dem Design abzuheben. Viele Uhren seien inzwischen verwechselbar, sagt Meylan. „Für mich war es immer ein Ziel, Moser-Uhren so zu gestalten, dass sie auch ohne Logo wiedererkennbar sind.“ 2016 ist es soweit: Erstmals bringt Moser eine Uhr ohne Logo heraus, die Endeavour Perpetual Calendar Concept Funky Blue aus Stahl – in einer limitierten Auflage von zehn Stück: eine schlichte blau leuchtende Uhr ohne Stundenindizes. Die Skepsis ist anfangs groß, bei den Verkäufern, aber auch im eigenen Team: Ist es nicht ein Risiko, auf das Moser-Logo zu verzichten? „Doch dann fingen die ersten an, sie zu kaufen“, erzählt Meylan. „Das ging wie ein Schneeball immer weiter, alles war extrem schnell ausverkauft.“
Die Lust, sich vom Mainstream abzukoppeln, zeigt Moser auch in der Werbung. Bei der Einführung des Slogans „Very rare“ lässt Meylan eine Anzeige entwerfen, auf der keine Uhr zu sehen ist. Der Slogan lautet: „H .Moser watches. So rare they don‘t even appear in H. Moser watch advertisements.“ Das sei das schlimmste Marketing, das er je gesehen habe, lautet eine der ersten Reaktionen. Aber Meylan lässt sich nicht beirren, und seine Idee geht auf: Interessierte klicken auf die Website. „Sie wollten die Uhren sehen, die sie in der Werbung ja nicht sehen konnten.“
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Den größten Effekt aber erzielt H. Moser & Cie. mit gezielten Provokationen, die über die Branche hinaus für Aufsehen sorgen. Einen ersten Coup landet Meylan Anfang 2015, als die Schweizer Nationalbank überraschend den Mindestkurs des Franken zum Euro aufgibt – und der Unternehmer daraufhin in einem offenen Brief an die Nationalbank eine Verlagerung der Manufaktur nach Deutschland ins Spiel bringt. Der Brief schlägt weltweit Wellen, selbst die Financial Times und das Wall Street Journal berichten. „Seitdem nehmen uns viele als kleine Marke ernst.“
Meylan liebt es, mit Überraschungen zu spielen. So macht er auf dem eingeschlagenen Weg weiter und kündigt im März 2015 eine „evolutionäre Kreation“ an, die erste „Haute Horlogerie Smart-Watch“, präsentiert dann auf der Baselworld aber die „Endeavour Perpetual Calender Funky Blue“, eine Uhr mit einem Ewigen Kalender, die weiß, ob ein Monat 28, 29, 30 oder 31 Tage hat.
In der letzten Einstellung des 55-Sekunden-Films, den Meylan zeitgleich veröffentlicht, heißt es: „The original smart watch. No plug required.“ Und Meylan sagt: „Wir machen das seit 100 Jahren.“
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Im Januar 2016 setzt der Unternehmer noch eins drauf, als er auf dem Genfer Uhrensalon die „Swiss Alp Watch“ vorstellt, deren rechteckiges Weißgoldgehäuse stark an die Apple Watch erinnert, aber als „Ergebnis von 200 Jahren Forschung und Entwicklung“ vollständig mechanisch funktioniert: mit einem Handaufzug und einer Gangreserve von 100 Stunden. Die Serie ist auf 50 Exemplare limitiert – zu je 24 900 Euro. „Mit der Swiss Alp Watch können Sie niemanden anrufen und keine Textnachrichten mit dem neusten Klatsch versenden. Sie erlaubt Ihnen nicht, hübsche Zeichnungen zu schicken, die Sie auf einem zwei Zoll großen Display erstellt haben, oder Ihren Freunden mitzuteilen, wie hoch ihr Puls ist“, preist der Unternehmer die Uhr an. „Die Swiss Alp Watch kann weit mehr: Sie ermöglicht Ihnen, sich auf die Dinge zurückzubesinnen, die im Leben wirklich zählen. Sie erinnert Sie daran, Gefühle ohne Filter, Schnittstellen oder Ausschmückungen mit Ihren Lieben zu teilen. Und was das Wichtigste ist: Diese Uhr können Sie an Ihre Kinder weitergeben, ohne vorher ein Upgrade installieren zu müssen!“
Das 72-sekündige Video zur Uhr kostet nach Meylans Angaben nur 3500 Franken, erreicht aber Hunderttausende Zuschauer. Internationale Medien, darunter CNN und Bloomberg, stürzen sich auf Meylans Provokation. Unzählige Artikel erscheinen. Auf dem Uhrensalon zieht die „Swiss Alp Watch“ große Aufmerksamkeit auf sich – zum Ärger der großen Marken. Die ersten 25 Exemplare sind bereits am ersten Messetag ausverkauft. Später legt Moser weitere Serien auf. Es ist die Meylan’sche Formel, die er immer wieder mit solchen Aktionen befeuert: Moser = Tradition + Provokation. Oder, wie Meylan sagt: „Wir wollen ein bisschen anders sein.“
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H. Moser & Cie. Swiss Icons Watch: Ärger um eine Frankenstein-Uhr
2018 versucht Edouard Meylan erneut zu provozieren – mit der „Swiss Icons Watch“, die Merkmale verschiedener ikonischer Uhren in sich vereint: die blau-rote „Pepsi“-Lünette einer Rolex GMT-Master in der achteckigen Form der Royal Oak von Audemars Piguet, die Bandanstöße mit H-förmigen Schrauben erinnern an eine Hublot Big Bang, die Ziffern samt Kronenschutz an eine Panerai Luminor, die Krone mit Cabochon an Cartier, außerdem hat die Uhr gebläute Breguet-Zeiger vor dem Zifferblatt einer Patek Philippe Nautilus und die drei Buchstaben „HMC“ für H. Moser & Cie. auf dem Zifferblatt – in Anlehnung an die „IWC“-Typographie; darunter der Ortsname Schaffhausen. Blickfang ist eine Goldbrücke im Stil des Drei-Brücken-Tourbillons von Girard-Perregaux.
Hatte sich Edourd Meylan in den Jahren zuvor über das allzu laxe „Swiss-Made“-Label und den Run auf Smart Watches lustig gemacht, richtet sich seine Kritik jetzt auch gegen Schweizer Marken – insbesondere gegen Marketingpraktiken. „STOP THE MARKETING BULLS#*!“, heißt es in dem begleitenden Video. „Viele Marken, selbst historische, schaffen und produzieren nichts von Belang, sondern ersetzen Substanz durch einen künstlichen Hype, um relevant zu bleiben“, kritisiert Meylan in seiner „Stellungnahme gegen die heutigen Exzesse“.
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Meylan empfiehlt, sich auf die Uhr zurückzubesinnen: „Wir müssen wieder Bodenhaftung gewinnen, die Ärmel hochkrempeln und einzigartige Ideen entwickeln. Nur so können wir Swiss Made wieder groß machen.“ Hat Meylan es dieses Mal mit seiner „Frankenstein-Uhr als Hommage an die authentische Uhrmacherkunst“ zu weit getrieben? Die Kommentatoren sind gespalten. „Die Swiss Icons Watch würdigt die Uhren, denen die Schweizer Uhrenindustrie ihren Ruf verdankt, wendet sich zugleich aber auch mit frechem Humor gegen den Mangel an Substanz, der für bestimmte Uhrenhersteller schon allzu lange kennzeichnend ist“, schreibt Meylan – um einen Tag später einen Rückzieher zu machen. In einem Statement teilt er mit, dass er die Kampagne zur „Swiss Icons Watch“ gestoppt habe: „Es war eigentlich unser Ziel, den großen Gründern unserer schönen Industrie Tribut zu zollen und vor bestimmten Praktiken Anderer zu warnen, doch die Message wurde leider teilweise missverstanden.“ Nicht jedem gefiel die Aktion von Meylan, offenbar hatten sich andere Marken beschwert – oder juristisch gedroht. „Ich dachte, die Leute hätten einen Sinn für Humor und Satire“, sagt er später, als er zu seinem Rückzieher befragt wird. Ins Detail gehen möchte er nicht. Immerhin: Den Humor hat Meylan nicht verloren.
Wer die Moser-Website besucht, wird inzwischen mit einem schmucklosen „Disclaimer“ begrüßt: Die Luxusindustrie, heißt es dort in schmuckloser Schrift, tendiere nicht zu Humor. „Wir dagegen sehr wohl.“ Zugang zur Website hat nur, wer den richtigen Haken setzt. Wer „Ich habe keinen Humor“ ankreuzt, kommt nicht weiter. Zugang erhält nur, wer ankreuzt: „Ich verstehe Ironie.“
Mehr Hintergründe über Schweizer Uhrenmanufakturen wie H. Moser & Cie. gibt es im Uhrenbuch:
Nikolaus Förster: Uhren. Handwerkskunst + Unternehmergeist. Hinter den Kulissen Schweizer Manufakturen. impulse Buch 2018. Gebundene Ausgabe mit gestanztem Buchdeckel, 304 Seiten, 100 Reportagefotos und 30 Abbildungen ikonischer Uhren. 89,90 Euro (Erscheinungsdatum: 13. September 2018). Der Subskriptionspreis in Höhe von 69,90 Euro gilt bis zum 12. September 2018.
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Hallo Mario. Genial und humorvoll geschrieben. Der Nationalstolz der Schweizer ist schon mit einer Portion Humor zu sehen. Wilhelm Tell fehlt noch als Hommage auf die Armbrust. Danke für den tollen Artikel. Gruß