Hallo liebe Uhrenfreunde! Heute widme ich mich einem Uhrenbauteil, das – trotz seiner unscheinbaren Größe – wohl zu den wichtigsten Bauteilen in unseren Uhren gehört: der Spiralfeder. Bei meinen bisherigen Arbeiten und Reparaturen habe ich immer wieder festgestellt, dass die winzige Spiralfeder oft darüber entscheidet, ob eine Uhr perfekt läuft oder nur scheinbar funktioniert. Lasst uns gemeinsam eintauchen in die faszinierende Welt dieser filigranen Komponente – von ihrer technischen Funktion über ihre Herstellungsprozesse bis hin zu den Neuerungen der Siliziumtechnologie. Dabei möchte ich auch in Erinnerung rufen, warum viele von uns lange auf die bewährte Nivarox-Technologie vertrauten und wie große Namen wie Rolex oder A. Lange & Söhne heute ihre eigenen Wege gehen.
[Beitrag von Leon Zihang, Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com] | ![]() |
Spiralfedern – das schlagende Herz unserer mechanischen Uhren
Ihr kennt es sicher: Man schaut auf das Zifferblatt und denkt, dass alles recht simpel aufgebaut ist und es gar nicht so kompliziert sein kann, dass sich der Sekundenzeiger so schön schleichend bewegt. Doch hinter dieser scheinbaren Einfachheit versteckt sich ein Meisterwerk der Technik – und der unauffällige Held dabei ist die Spiralfeder. Diese kleine Komponente sorgt in enger Abstimmung mit der Unruh und dem Hemmrad mit Anker dafür, dass unsere mechanischen Uhren präzise ticken. Schon seit den Anfängen der Uhrmacherkunst war es diese winzige Feder, die den exakten Puls vorgibt, und genau hier wollen wir heute den Blick schärfen.

Technische Funktion – Der Dirigent im Uhrwerk
Stellt euch vor, die Spiralfeder sei der Dirigent eines Orchesters. Sie gibt dem Schwingsystem den Takt vor, indem sie durch gleichmäßige Schwingungen Energie freisetzt. Durch das Hin- und Herschwingen der Unruh wird der kleine Anker hin und her geworfen und dabei Schritt für Schritt der Ablauf des Räderwerkes und damit die Bewegung der Zeiger gesteuert. Klingt simpel? So einfach ist es eben nicht! Schon winzige Variationen an der Spiralfeder – im Bereich von wenigen Mikrometern – können zu starken Gangabweichungen im Minutenbereich führen. Beim Herstellen und Regulieren der Spirale wird daher mit absoluter Präzision gearbeitet, denn jeder Mikrometer zählt. Diese perfekte Abstimmung zwischen Feder und dem restlichen Mechanismus ist das, was letztlich die Genauigkeit unserer Uhren definiert.
Nivarox – die Erfolgsgeschichte einer Legierung
Lange Zeit verließen sich fast sämtliche Uhrenehrsteller auf Nivarox-Spiralfedern. Aber warum war das so? Der Name „Nivarox“ leitet sich ab von „Nicht (Ni) Variabel (var) Oxydfest (ox)“. Diese speziell entwickelte Legierung – ein Mix aus Eisen, Nickel, Chrom, Titan und teilweise auch Beryllium – zeichnet sich durch ihre beinahe konstante Elastizität aus, selbst bei Temperaturschwankungen. Die Elastizität der Spirale ist nämlich einer der größten Einflussfaktoren auf die Ganggenauigkeit der Uhr. Zurück in den frühen 1930er Jahren entwickelte Reinhard Straumann diese Legierung in seinem Labor in Waldenburg. Das Ziel war einfach: Eine Federlegierung, die sich nicht von äußeren Einflüssen verändern lässt.
Viele Schweizer und Deutsche Werke setzten und setzen auch heute noch auf Nivarox, da sie nicht nur zuverlässige Ergebnisse liefern konnte, sondern auch preislich attraktiv war. Die Nivarox-FAR entstand Mitte der 80er Jahre als Zusammenschluss zweier traditionsreicher Unternehmen – ein Meilenstein, der die Uhrmacherkunst nachhaltig prägte. Nivarox steht für Tradition, bewährte Technik und vor allem für präzises Arbeiten im Bereich von Toleranzen, die man sich kaum vorstellen kann.


Vom Rohdraht zur perfekten Spirale – Ein Produktionsblick
Der Weg der Spiralfeder beginnt bereits beim Rohdraht. Hier wird hochwertiger Nivarox-Draht zuerst durch mehrere Zieh- und Walzprozesse geführt. Vom anfänglichen Durchmesser von etwa 0,5 mm wird dieser Draht allmählich auf winzigste Dicken von ca. 0,046 mm reduziert – ein echtes Wunderwerk der Technik! Dabei kommen modernste Maschinen, Laser-Mikrometer und präzise Rollentechniken zum Einsatz, damit die Feder anschließend in ihrer Form exakt dem geforderten Profil entspricht.

Doch so viel Technik wäre nicht komplett, wenn am Ende nicht auch noch das Auge des Uhrmachers gefragt wäre. In einigen Fertigungsstätten, zum Beispiel bei A. Lange & Söhne in Glashütte, wo Handarbeit sehr großgeschrieben wird, krönt der handwerkliche Feinschliff den Prozess. Jeder Schritt, vom Umformen der Rohspirale in die optimale Form mit Arbeitsknicken und Endkurve oder Breguet Kurve bis zum finalen Tempern im Ofen, ist darauf ausgelegt, die mechanische Perfektion der Spiralfeder sicherzustellen. Hier spiegelt sich die Harmonie zwischen industrieller Präzision und traditioneller Handwerkskunst wider.
Eine Revolution im Uhrwerk – Siliziumspiralfedern
Wir leben in einer Zeit, in der selbst die Uhrmacherkunst innovativen Werten unterliegt. Ein Paradebeispiel sind die neuen Siliziumspiralfedern. Anders als ihre metallischen Vorbilder, abgesichert durch die Nivarox-Legierung, werden diese Federn mithilfe von mikroelektromechanischen Verfahren hergestellt – ein Verfahren, das aus der Halbleiterindustrie stammt. Das Resultat: Federn, die von Natur aus antimagnetisch sind und eine außergewöhnliche Stabilität gegenüber Temperaturschwankungen bieten. Der Nachteil: Silizium ist im Endeffekt ein Kristall mit der Eigenschaft sehr spröde zu sein. Geht bei der Herstellung etwas schief, ist keine Nacharbeit von Hand möglich, weil jeder Eingriff zum Bruch der Spirale führen würde.

Der Herstellungsprozess ist dabei hochdigitalisiert: Lasergravuren und präzise Mikrostrukturierungen bestimmen das Endergebnis. Dadurch gelingen Toleranzen und Materialeigenschaften in einer Genauigkeit, wie sie früher undenkbar war. Natürlich steckt in dieser Neuentwicklung auch ein hoher Investitionsaufwand, und so wird nicht von jedem Hersteller diese Technologie verwendet. Bis heute ist für die meisten Hersteller die Nivarox-Spirale das Optimum hinsichtlich Preis-Leistungs-Verhältnis. Der einfachen Stahlspirale, wie man sie aus einigen Vintage-Uhren noch kennt, ist sie deutlich überlegen und kann bis heute, auch in Zeiten der Siliziumspirale, mit ihrer Präzision begeistern.
Ich persönlich finde die Siliziumspiralfeder extrem spannend – sie verkörpert den Wunsch nach noch mehr Präzision und Langlebigkeit in unseren Uhrwerken. Dennoch schätze ich auch den Charme und die handwerkliche Seele der traditionellen Metallfedern. Wahrscheinlich liegt die Zukunft in einem Hybridansatz, bei dem beide Technologien ihre jeweiligen Vorteile einbringen. Ohne die Handarbeit wäre die Uhrmacherei dann vermutlich doch schon gestorben.

In-House Produktion – Wie Marken ihre Unabhängigkeit feiern
Viele der renommierten Hausmarken haben längst erkannt: Es ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, die Spiralfeder selbst herzustellen. Rolex etwa war einer der Pioniere, die sich von Zulieferern, wie Nivarox, unabhängig machen wollten. Mit ihrer Parachrom-Spiralfeder, einer eigens entwickelten Legierung, kombiniert Rolex Elemente wie Niob und Zirkonium. Das Ergebnis ist eine Feder, die besonders robust, energieeffizient und magnetismusresistent ist. Jeder Fertigungsschritt – von der Materialauswahl bis zur finalen Reglage – wird streng kontrolliert. Diese Eigenproduktion ermöglicht es Rolex, sich technisch immer weiter zu verbessern und das Uhrwerk optimal aufeinander abzustimmen. Das ist auch einer der Punkte, der die Uhren von Rolex bis heute so unglaublich stabil und zuverlässig macht.

Auch A. Lange & Söhne hat den Schritt in die In-House-Produktion gewagt. Seit den frühen 2000er Jahren setzt man hier zunehmend auf selbst gefertigte Spiralfedern. Das bedeutet nicht nur exakte Kontrolle, sondern auch, dass der gesamte Herstellungsprozess – vom Drahtziehen bis zum manuellen Feinschliff – in den eigenen Werkstätten in Glashütte stattfindet. Für mich als Uhrmacher ist es immer wieder beeindruckend zu sehen, wie diese Kombination aus modernem Maschinenbau und liebevoller Handarbeit ein absolut perfektes Ergebnis hervorbringt. Dennoch wird gerade bei Lange & Söhne die in der Uhrmacherei so geschätzte Handarbeit aufrecht erhalten.
Diese Entwicklungen zeigen: Tradition und Innovation schließen sich nicht aus. Vielmehr ist es genau dieser Spagat, der unsere Zeitmesser zu etwas Besonderem macht – ein harmonisches Zusammenspiel von altem Handwerk und neuen Technologien.
Tradition versus Innovation – Ein ehrlicher Vergleich
Wer sich so mit Spiralfedern beschäftigt, der weiß: Beide Ansätze, die klassischen Metallfedern auf Nivarox-Basis und die modernen Siliziumfedern, haben ihre eigenen Vorzüge.
Traditionelle Nivarox-Federn: Diese stehen für bewährte Technik. Etwas, das über Jahrzehnte hinweg erprobt und bestätigt wurde. Es ist die Geschichte von Präzision, die in fast jedem Schweizer Uhrwerk mitschwingt. Der Herstellungsprozess, der Kombination aus maschineller Präzision und handwerklicher Arbeit, ist ein faszinierendes Zusammenspiel, das man als Uhrmacher einfach lieben muss.
Moderne Siliziumfedern: Hier wird die Uhrmacherkunst in eine neue Dimension gehoben. Antimagnetisch, temperaturstabil und in ihrer Fertigung nahezu reproduzierbar. Das sind die großen Pluspunkte. Der digitale Produktionsansatz ermöglicht Toleranzen, welche früher ein Traum waren. Trotzdem bleibt die Frage: Kann eine vollständig automatisierte Lösung wirklich den handwerklichen Charme und die emotionale Bindung an das Alte ersetzen? Die technische Zukunft sieht zweifellos vielversprechend aus.
Der praktische Vergleich zeigt, dass es letztlich nicht um die reine Technologie geht, sondern um das Gesamtpaket. Es ist das Zusammenspiel aller Uhrwerkelemente, das unseren Zeitmessern ihren unverwechselbaren Charakter verleiht.
Fazit – Der Puls der Zeit im Wandel
Zusammengefasst ist die Spiralfeder weit mehr als nur ein kleiner Draht in einem Uhrwerk. Sie ist der fast unsichtbare Hebel für Präzision, der maßgeblich dafür sorgt, dass uns unsere Uhren den exakten Takt der Zeit vermitteln. Ob nun die langjährige Erfolgsgeschichte der Nivarox-Legierung oder der mutige Schritt in die Zukunft mit Silizium – jeder Ansatz bringt seine eigenen, faszinierenden Aspekte mit sich.
Für mich ist die andauernde Suche nach Perfektion in jedem noch so kleinen Bauteil ein unglaubliches Abenteuer, das zeigt: Die Uhrmacherkunst steht niemals still, sondern entwickelt sich ständig weiter – immer auf der Suche nach dem perfekten Puls der Zeit.
Ich hoffe, dass euch der kleine Einblick in die Welt der Spirale gefallen hat. Vielen Dank fürs Mitlesen, und bis zum nächsten Mal, wenn wir gemeinsam den Puls der Uhrmacherkunst weiter erkunden!
Ich freue mich schon auf den nächsten Austausch mit Euch, bleibt dran und bis bald!
Euer Leon von ChronoRestore