In der Welt der mechanischen Uhren scheint es manchmal, als würden sich die Hersteller in einem ganz besonderen Wettbewerb befinden: Wer baut das flachste Uhrwerk? Wer das kleinste? Und wer kann dabei am überzeugendsten so tun, als wäre das alles total alltagstauglich? Willkommen im High-End-Segment der Mikromechanik, wo Millimeter nicht nur zählen, sondern über Ehre, Prestige und – natürlich – Marketing-Schlagzeilen entscheiden.
[Beitrag von Leon Zihang, Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com] | ![]() |
Beginnen wir mit einem Klassiker, den fast jeder kennen sollte: die Bulgari Octo Finissimo Ultra. Das verbaute Kaliber war im März 2022 das flachste mechanische Uhrwerk der Welt. Das Werk hat gerade mal eine Höhe von 1,5 mm Höhe und die gesamte Uhr eine Höhe von 1,8 Millimetern. Trotzdem kommt die Uhr auf eine Gangreserve von ganzen 50 Stunden und zeigt die gesamte Technik auch noch sehr eindrucksvoll auf der Zifferblattseite.



So beeindruckend diese Zahlen auch sind, bin ich mir sicher, dass sie eine ganze Reihe an Problemen mit sich bringen. Leider wurden von diesen Uhren nur 10 Stück gebaut. Jede einzelne wurde in kürzester Zeit zu einem Preis von rund 400.000€ pro Stück verkauft. Aus diesem Grund sprudelt das Internet nicht gerade vor Erfahrungsberichten, aber es wird schon seinen Grund haben, warum Bulgari nur sehr wenige Stück dieser Uhr an den Mann bzw. die Frau bringt. Solche Uhren werden gebaut, um zu zeigen, dass es geht und was alles möglich ist. Man könnte es auch als „Prestigekampf der Hersteller“ bezeichnen. Alltagstauglich sind diese Uhren aber meiner Meinung nach nicht.

Bulgari kann aber nicht nur mega flach, sondern auch mega klein. Mit dem Bvlgari Piccolissimo Kaliber BVL 100 haben sie ein Werk geschaffen, dass gerade einmal 12mm Durchmesser hat und eine Dicke von 2,5mm besitzt. Dies ist vergleichbar mit einer Schmerztablette. Trotzdem, dass Bulgari bei der Konstruktion der Unruh darauf geachtet hat, dass sie möglichst groß wird, ist es immer eine Herausforderung eine kleine Unruh stabil zum Schwingen zu bringen. Denn je größer die Trägheit einer Unruh, desto besser ist die Geschwindigkeitsstabilität. Je besser die Geschwindigkeitsstabilität, desto unempfindlicher ist das Uhrwerk gegen ruckartige Armbewegungen oder Stöße und Erschütterungen. Allein dies sorgt für einen riesigen Nachteil von kleinen Kalibern. Bei einer sehr kleinen Unruh sorgt dies für deutlich höhere Gangabweichungen als bei normal großen Kalibern.

Doch Bulgari ist noch gar nicht die Spitze der ultraflachen Uhren. Die Octo Finissimo Ultra konnte den Weltrekord für die flachste mechanische Uhr der Welt nur für kurze 3 Monate halten. Im Sommer 2022 wurde sie von Richard Mille mit der RM UP-01 Ferrari in den Schatten gestellt. Das Uhrwerk besitzt gerade einmal eine Höhe von 1,18 Millimeter und die gesamte Uhr eine Höhe von 1,75 Millimetern. Diese Uhr hält bis heute noch den Rekord für die flachste Uhr der Welt.

Egal wie diese Uhren also laufen. Es ist bereits eine technische Meisterleistung, dass diese Uhren überhaupt laufen.
Technik am Limit – und darüber hinaus
Warum ist das alles so kompliziert? Ganz einfach: Je kleiner oder flacher ein Uhrwerk ist, desto weniger Platz bleibt für alles, was eine Uhr überhaupt erst zum Laufen bringt. Das fängt beim Federhaus an – also der Energiequelle – und hört bei der Unruh noch lange nicht auf.
Weniger Platz = kleinere Feder = weniger Energie.
Weniger Energie = geringere Gangreserve und instabilere Gangwerte
Weiter geht’s mit:
geringerem Höhenspiel der Zahnräder = mehr Reibung
mehr Reibung = weniger Energie am Schwingsystem und geringere Gangreserve
Und das ist nur die Kurzfassung. Denn auch die Stabilität leidet. Flache Platinen neigen dazu, sich bei kleinster Belastung zu verziehen. Temperaturunterschiede? Magnetfelder? Einmal zu fest auf den Tisch gelegt? Zack – Gangabweichung. Und zwar nicht im Bereich von ein paar Sekunden, sondern gerne mal Minuten. Denn nicht nur die Räder und deren Lagerzapfen wurden verkleinert. Auch die Unruhspirale ist extrem viel dünner und somit vor allem an deren Befestigungspunkten extrem empfindlich.
Früher waren kleine Uhrwerke gang und gäbe. Vor allem in Damenuhren. Omega, Jaeger-LeCoultre, Blancpain – alle hatten Mini-Kaliber im Programm. Heute? Fehlanzeige. Warum?
1. Quarz hat’s kaputtgemacht
Die Quarzkrise hat nicht nur ganze Manufakturen in den Ruin getrieben, sondern auch die Miniaturmechanik gleich mit. Warum ein mechanisches Werk mit 13 mm Durchmesser bauen, wenn ein Quarzwerk kleiner, günstiger, präziser und wartungsärmer ist? Genau. Deshalb gibt’s heute in vielen Damenuhren und auch Herrenuhren eben Batterie statt Federhaus.
2. Damals war Genauigkeit noch nicht so wichtig
Damals waren die einfachen Stahl-Spiralfedern und auch alle anderen Komponenten von mechanischen Uhren nicht so ausgereift. Die Uhren hatten bis zu mehrere Minuten Abweichung am Tag. Da konnte man also auch kleine Kaliber entwickeln, weil einfach noch kein so großer Anspruch für die Ganggenauigkeit da war. Die Quarzkrise hat mit den extrem genau laufenden Uhren alles verändert. Heute ist der Anspruch an die Ganggenauigkeit schon deutlich höher. Nicht selten bekomme ich Uhren zum Nachregulieren, weil sie 4 Sekunden am Tag zu schnell oder zu langsam laufen (siehe Reglage). Da können kleine Kaliber mit ihren empfindlichen Schwingsystemen einfach nicht mithalten.
3. Wirtschaftlich? Eher nicht.
Ein kleines Uhrwerk zu entwickeln ist teuer. Richtig teuer. Und wenn dann am Ende nur ein paar hundert Stück verkauft werden, wenn überhaupt, rechnet sich das nicht. Deshalb machen’s nur noch Marken wie Bulgari – und auch nur, weil sie damit ihre High-Jewelry-Kollektionen aufwerten können. Da geht’s nicht um Stückzahlen, sondern um Prestige.
Was macht die Produktion so kompliziert?
Jetzt wird’s technisch. Denn die Probleme fangen nicht erst bei der Montage an – sie beginnen schon in der Konstruktion:
- Materialwahl: Normale Werkstoffe, wie Messing oder Stahl sind oft zu schwer oder zu dick. Also greift man zu Titan, Cobalt oder sogar Goldlegierungen – was nicht nur teuer, sondern auch schwer zu bearbeiten ist.
- Fertigungstoleranzen: Zahnräder mit 0,1 mm Dicke? Kein Problem – solange du Maschinen hast, die auf Mikrometer genau arbeiten. Und Mitarbeiter, die das bedienen können. Selbst bei der Herstellung normaler Zahnräder mit einer Dicke von 0,2-0,3mm gibt es schon genug Ausschuss und es ist tagelange Einstellung von Fräsmaschinen notwendig. Bei komplizierteren Materialien und noch kleineren Teilen kann man sich also vorstellen, dass dies schnell ins Bodenlose geht.
Und trotzdem: Warum machen’s manche Marken trotzdem? Weil’s geil aussieht. Punkt. Eine ultraflache Uhr am Handgelenk ist ein Statement. Sie sagt: „Ich brauche keine 45 mm, um Eindruck zu schinden“ Und sie zeigt, dass man Technik nicht nur groß, sondern auch elegant denken kann.
Marken wie Richard Mille oder Bulgari nutzen diese Werke als Aushängeschild. Nicht, weil sie sich gut verkaufen – sondern weil sie zeigen, was möglich ist. Und weil sie damit in der Liga der „Wir können’s halt“-Manufakturen mitspielen.
Fazit: Klein, aber oho – und leider selten
Ultraflache und ultrakleine Uhrwerke sind faszinierend. Sie sind ein Beweis für das, was Uhrmacherei leisten kann – wenn man genug Zeit, Geld und Geduld investiert. Aber sie sind auch ein Paradebeispiel dafür, wie schnell technische Eleganz an ihre Grenzen stößt.
Wer heute ein solches Werk besitzt, trägt nicht nur eine Uhr, sondern ein Stück Ingenieurskunst am Handgelenk. Und wer eines baut, beweist: Manchmal ist weniger wirklich mehr – zumindest, wenn man bereit ist, dafür mehr zu investieren. Ich selbst, als technisch begeisterter Uhrmacher habe größten Respekt vor dieser Leistung und freue mich natürlich immer über solche Extreme in der Uhrmacherei. Vor allem, wenn die Uhren dann noch super aussehen und über das Zifferblatt einen Blick in die Technik geben. Alltagstauglich sind solche Uhren aber nicht. Wer alltagstauglich möchte, sollte am besten sowieso zu einer Quarzuhr greifen. Wer Uhren liebt, der verzichtet auch gerne auf die ein oder andere Sekunde bei der Ganggenauigkeit und nimmt die physikalischen Grenzen gerne auch mal so hin. Von mir auf jeden Fall größten Respekt an die Entwickler und die Uhrmacher, die diese Uhren montieren und vor allem einstellen!
Ich hoffe der kleine Ausflug in die extrem flache Uhrenindustrie hat euch gefallen! Ich freue mich jederzeit über eure Meinung in den Kommentaren!
Bis zum nächsten Mal!
Euer Leon von ChronoRestore!