Hallo liebe CHRONONAUTIX-Leser! Letztens hat mich Mario mit der Frage eines Lesers konfrontiert, warum bei mechanischen Armbanduhren der Stundenzeiger eigentlich immer unter dem Minutenzeiger und dieser wiederum unter dem Sekundenzeiger liegt. Diese Frage fand ich sehr interessant und hat natรผrlich einen technischen Hintergrund, welchen ich euch heute mal erklรคren mรถchte…
[Beitrag von Leon Zihang, Uhrmacher und Kopf hinter ChronoRestore.com] |
Ich mรถchte gleich einsteigen und einen kurzen Verweis auf einen meiner vorherigen Berichte geben: Grundlagen: Funktionsweise einer mechanischen Uhr. Hier erklรคre ich den Grundaufbau einer mechanischen Uhr. Um alles genau verstehen zu kรถnnen, lege ich euch ans Herz, diesen Bericht im Vorfeld zu lesen.
Das Zeigerwerk besteht, im Grunde genommen, aus drei ineinander gelagerten Wellen bzw. Hรผlsen. In der Mitte befindet sich meistens nur eine lange Welle vom Sekundenrad, auf die der Sekundenzeiger aufgepresst wird. รuรerlich dreht sich das Minutenrohr, auf dem der Minutenzeiger sitzt und dort auรen herum dreht sich das Stundenrad, auf dem sich der Stundenzeiger befindet. Da wir die Zeiger von oben auf die Wellen aufpressen, mรผssen wir natรผrlich mit der grรถรten Welle, dem Stundenrad anfangen, damit wir an die kleineren Wellen fรผr den Minuten- und Sekundenzeiger noch rankommen. Dies ist ein Grund, warum sich der Stundenzeiger ganz unten befindet und erst dann der Minuten- und Sekundenzeiger darรผber aufgesteckt werden.
Grundlegend treibt das Federhaus mit seinen sehr langsamen, aber krรคftigen Umdrehungen das Rรคderwerk an. In diesem Rรคderwerk wird die Drehbewegung in eine immer schneller werdende, aber nicht mehr so krรคftige Umdrehung umgewandelt. An unserem Hemmrad (dem letzten Rad in unserem Rรคderwerk) haben wir also die hรถchste Drehzahl, aber auch die kleinste Kraft. Deshalb werden bei jedem Rad im Rรคderwerk die Zapfen immer filigraner, um die Reibung zwischen Zapfen und Lagerstein mรถglichst zu minimieren. Dies ist auch schon der zweite Grund, warum die schnell drehenden Wellen in der Mitte verlaufen mรผssen, weil wir hier die kleinste Welle und damit auch die geringste Reibung haben. Das Rรคderwerk beginnt nรคmlich am Federhaus mit dem Minutenrad, dann kommt das Kleinbodenrad, Sekundenrad und danach das Hemmrad. Demzufolge hat das Minutenrad also deutlich mehr Kraft zur Verfรผgung und muss nicht so reibungsarm wie das Sekundenrad gelagert werden. Das Sekundenrad hingegen kommt erst sehr spรคt im Rรคderwerk und besitzt deshalb eine hohe Drehzahl, hat aber nicht mehr so viel Kraft.
In Abbildung 1 unten kann man die Staffelung der Zeigerwellen รผber dem Zifferblatt nochmal genau erkennen.
Nun schauen wir uns den Aufbau nochmal genau an. Es gibt unzรคhlig viele Varianten, wie die Wellen aus dem Rรคderwerk zum Zeigerwerk geleitet werden kรถnnen. Bei รคlteren Uhren oder auch bei vielen Rolex Modellen sieht man oft, dass die Welle des Minutenrades vollstรคndig durchbohrt ist. Das Minutenrad wird dort mit einer langen Welle durch die Hauptplatine gesteckt und zeigt somit durch das Zifferblatt. Dadurch, dass das Minutenrohr komplett durchbohrt ist, kann schon im Rรคderwerk eine lange Welle komplett durch das Minutenrad durchgesteckt werden. Auf der Zifferblattseite sieht man dann die Spitze der Sekundenradwelle. Auf der Seite des Rรคderwerks ist an der Welle ein kleines Trieb, welches in die Verzahnung des Kleinbodenrads greift und damit angetrieben wird. Die Sekundenradwelle wird also direkt in der Bohrung der Minutenradwelle gelagert.
Die mittlerweile am meisten verwendete Variante ist die des ETA 2824. Hier wird das Rรคderwerk ganz normal in der oben genannten Reihenfolge montiert. Dabei ist das Sekundenrad im Zentrum des Uhrwerks in einem fest vernieteten langen Rohr gelagert. Die Sekundenradwelle wird also รผber dieses Rohr auf die Zifferblattseite geholt. In Abbildung 2 kann man dieses Rohr und die dazugehรถrige hindurch gesteckte Sekundenradwelle sehen.
Auรerdem sieht man dort durch eine kleine Aussparung auch das Trieb des Kleinbodenrads. รber dieses Trieb wird das Minutenrohr, das in Abbildung 3 eingesetzt wurde, angetrieben. Somit haben wir auch schon die Drehung des Minutenrades auf die Zifferblattseite geholt. Die Radscheibe des Minutenrohrs ist genauso groร wie die des Minutenrades. Da das Minutenrohr, genau wie das Minutenrad, in das Trieb des Kleinbodenrades eingreift, dreht es sich also mit der gleichen Geschwindigkeit. Da wir beim Minutenrad und Kleinbodenrad noch recht viel Kraft zur Verfรผgung haben, macht die reibungsstรคrkere Lagerung des Minutenrohrs nichts aus. Auรerdem sieht man neben dem Minutenrohr noch das Wechselrad, welches in das Trieb es Minutenrohrs greift. Zuletzt wird, wie in Abbildung 4, das Stundenrad รผber das Minutenrohr gestรผlpt. Dieses greift dann mit einer Verzahnung in das Trieb des Wechselrades. Das Wechselrad dient nรคmlich zur รbersetzung der Drehgeschwindigkeit des Minutenrohrs auf die Drehgeschwindigkeit des Stundenrades.
Zusammenfassend wird also das Sekundenrad direkt aus dem Rรคderwerk angetrieben. Das Minutenrad greift seine Drehbewegung von dem Kleinbodenradtrieb aus dem Rรคderwerk ab und das Stundenrad wird von dem Minutenrad รผber das Wechselrad angetrieben.
Da das Stundenrad also seine Kraft vom Minutenrad abgreift, macht es nur Sinn dieses รผber das Minutenrad zu stecken. Somit befindet sich der Stundenzeiger unter dem Minutenzeiger. Wenn man das Wechselrad umdrehen wรผrde, kรถnnte man natรผrlich auch die Reihenfolge von Stunden und Minutenrohr umtauschen. Allerdings bekommt man dann Probleme mit der Energieversorgung, weil es nur mit sehr groรen Umkonstruktionen mรถglich wรคre das Stundenrad direkt aus dem Rรคderwerk anzutreiben.
Die Frage ist also, warum sollte man den Aufwand betreiben, nur um den Stundenzeiger รผber dem Minutenzeiger schweben zu sehen? Hier wรผrde ich mich ebenfalls auf ein Sprichwort berufen: โNever change a running systemโ. Das wรผrde zu einigen Problemen fรผhren.
Ein Beispiel hierfรผr wรคre die รbersetzung von einer langsamen Drehung zu einer schnelleren Drehung. Das wรผrde im Zeigerwerk zu einem grรถรeren Zeigerspiel fรผhren. Bei รคlteren Uhren kennt man das vielleicht. Wenn man die Zeiger stellt, kann der Minutenzeiger noch ein paar Sekunden stehen bleiben, bevor er sich zu drehen beginnt. Dieses Phรคnomen merkt man aber oft erst ein paar Stunden spรคter und oft denkt man dann auch, dass die Uhr in dieser kurzen Zeit so stark nach geht, dabei ist das nur das Zeigerspiel.
Zu weiteren Problemen kรถnnte die Zeigerreibung fรผhren, welche dafรผr sorgt, dass die Zeiger gestellt werden kรถnnen, ohne, dass sich die Rรคder im Rรคderwerk mit drehen. Die Zeigerreibung mรผsste dann nicht mehr am Minutenrohr, sondern am Stundenrohr stattfinden. Hier wรผrde aber mehr Kraft benรถtigt werden, da die Drehung ja ins schnelle รผbersetzt werden mรผsste. Durch die erhรถhte Schwergรคngigkeit wรผrde sich dann auch die Uhrzeit nicht mehr so genau stellen lassen.
Wie man sieht, wรคre der Umbau mit einigen Nachteilen und Problemen verbunden. Es hat also einige Grรผnde, warum die Zeiger in Armbanduhren so angeordnet sind und sich noch niemand mit dem Umbau beschรคftigt hat.
Ich hoffe, dass ich den Aufbau und die Problematiken einigermaรen gut erklรคren konnte. Ich freue mich natรผrlich, wie immer, รผber eure Rรผckmeldungen in den Kommentaren.
Bis zum nรคchsten Thema!
Euer Leon von ChronoRestore
Und wieder etwas gelernt, gut erklรคrt Danke!